Titel:
Überschreitung der zulässigen Grundfläche
Normenketten:
BauNVO § 19 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. 4 Nr. 1
BauGB § 30 Abs. 3, § 33 Abs. 1 Nr. 2, § 34
Leitsatz:
Die Zulassung einer Ausnahme nach § 19 Abs. 4 S. 4 Nr. 1 BauNVO nach pflichtgemäßem Ermessen der Bauaufsichtsbehörde ist nicht möglich, wenn die Überschreitungen mehr als geringfügige Auswirkungen auf die natürliche Funktion des Bodens haben, da mit ihnen eine erhebliche Bodenversiegelung verbunden ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung Baugenehmigung wegen erheblicher Überschreitung der festgesetzten Grundfläche, Baugenehmigung, Lichtschacht, Terrasse, Nebenanlage, Ausnahme, Maß der baulichen Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18818
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger begehren eine Baugenehmigung zur Erweiterung eines Lichtschachtes sowie des Einbaus von Terrassen auf ihrem Grundstück Fl.Nr. 496/107, bebaut mit einem Einfamilienhaus.
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Das 571 m² große Grundstück der Kläger liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 103/A/2006 vom 13. November 2009 sowie im Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans Nr. 103/B/2012 und der am 16. Februar 2017 erlassenen Satzung über eine Veränderungssperre für diese Grundstücke.
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Mit Bescheid vom 8. November 2012 wurde den Klägern eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der Überschreitung der Baugrenze durch zwei Lichtschächte und einer Außenkellertreppe sowie der Länge der Eingangsüberdachung erteilt.
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Die Kläger haben planabweichend gebaut. Das Kellergeschoss wurde durch den Bau eines Lichtschachtes über eine Länge von 9,55 m und einer Breite von 1,24 m Richtung Norden erweitert. An der West- und Südseite wurden Terrassen errichtet; die Gesamtfläche beträgt 64,08 m², es handelt sich um aufgeständerte Holzdecken mit durchlässiger Fuge. Des Weiteren wurde ein Biotop mit einer Grundfläche von 13,80 m² angelegt.
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Die Kläger beantragten mit Tekturantrag vom 20. März 2014 eine Genehmigung für die planabweichende Bebauung bezüglich des Lichtschachtes, der Terrassen und des Biotops. Die ebenfalls entgegen der Baugenehmigung errichtete Mauer sowie das Schwimmbecken sind im vorliegenden Verfahren nicht relevant, da der Tekturantrag sich nicht darauf erstreckt.
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Mit Beschluss vom 1. April 2014 lehnte die Gemeinde … die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ab. Durch die zusätzlichen Bauten werde die zulässige Grundflächenzahl überschritten. Der Bebauungsplan setze eine Grundflächenzahl von 0,24 fest. Hier betrage bereits die Grundfläche des Gebäudes 133,45 m², die des Vordachs 6,17 m² und die des Lichtschachtes 11,78 m². Dazu komme die Garage mit einer Grundfläche von 31,63 m² und die Zufahrt mit 26,78 m² auf einem 571 m² großen Grundstück.
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Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 lehnte das Landratsamt den Antrag ab. Das Bauvorhaben sei weder mit dem geltenden Bebauungsplan Nr. 103 A/2006 noch mit dem in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan Nr. 103 B/2012 vereinbar, die beide hinsichtlich der Grundflächenzahl sowie der Baugrenzen und Einfriedungen dieselben Festsetzungen enthielten. Die nach § 19 Abs. 2 BauNVO zulässige Grundfläche werde bereits durch den Hauptkörper, das Vordach, die Kelleraußentreppe und die Kellererweiterung um 20 m² überschritten. Auf die Frage, ob die Terrassen den Hauptanlagen oder den Nebenanlagen zuzurechnen seien, komme es deswegen nicht an. Durch das Kellergeschoss sei darüber hinaus die nördliche Baugrenze überschritten. Befreiungen könnten nicht erteilt werden, da die Überschreitungen den Grundzügen der Planung widersprächen. Ziel der beigeladenen Gemeinde sei es, durch die Festsetzung der Nutzungszahlen im Bebauungsplan den offenen, grünen Charakter des Gebietes zu erhalten und die Bodenversiegelung so gering wie möglich zu halten. Die Veränderungssperre stehe einer positiven Verbescheidung des Antrages ebenfalls entgegen. Eine Ausnahme nach § 3 Abs. 3 der Satzung über die Veränderungssperre könne nicht zugelassen werden, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die beantragte Planung im Widerspruch zu künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans stehe.
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Mit Schriftsatz vom 5. Januar 2018 erhob der Bevollmächtigte der Kläger Klage gegen den Bescheid.
Ein Klageantrag wurde nicht gestellt. Eine Klagebegründung fehlt. Beides wurde angekündigt. Zuletzt mit Schreiben vom 16. März 2020 teilte der Bevollmächtigte mit. ein Ortstermin sei zweckmäßig und die Klage werde rechtzeitig vorher begründet.
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Der Beklagte beantragte,
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Die Veränderungssperre vom 16. Februar 2017 sei mittlerweile außer Kraft getreten. Die beigeladene Gemeinde verfolge die Aufstellung des einfachen Bebauungsplans Nr. 103 B/2012 nicht weiter. Ein qualifizierter Bebauungsplan solle stattdessen aufgestellt werden und die frühzeitige Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung sei durchgeführt worden. Die beigeladene Gemeinde habe in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das erforderliche bauplanungsrechtliche Einvernehmen nicht erteilt (Art. 67 Abs. 1 BayBO, § 31 Abs. 2 BauGB). Abweichend von der im geltenden Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl von 0,24 betrage die Grundflächenzahl für die errichteten Hauptanlagen 0,39. Zweifel an der Wirksamkeit der Festsetzungen zur Grundfläche bestünden keine. Die im Verwaltungsverfahren aufgezeigten Vergleichsfälle beträfen in Teilen andere Rechtsgrundlagen, da sie in anderen Bauquartieren ohne Grundflächenzahl oder in einem anderen Bebauungsplangebiet lägen. Zum Teil seien die genannten Vergleichsfälle vor Inkrafttreten des Bebauungsplans errichtet worden. Die Zulassung von Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans sei nicht möglich, da die Beigeladene ihr Einvernehmen zu Recht nicht erteilt habe und die erforderlichen Voraussetzungen für eine Befreiung fehlten. Es würden die Grundzüge der Planung berührt.
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Die Beigeladene nahm mit Schreiben vom 24. Juni 2020 Stellung. Das beantragte Bauvorhaben widerspräche auch dem Stand des Entwurfs des Bebauungsplans Nr. 103 B/2012 in dem aktuell geplanten, in Aufstellung befindlichen Entwurf. Die frühzeitige Beteiligung nach §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 BauGB sei vom 4. Juni 2019 bis einschließlich 6. August 2019 durchgeführt worden. Eine Entscheidung des Gemeinderates stehe noch aus, da der Abwägungsprozess wegen der erheblichen Anzahl eingegangener Stellungnahmen noch nicht abgeschlossen werden konnte. Das von den Klägern beantragte Vorhaben widerspreche dem Stand des Entwurfs; darüber hinaus widerspreche der vorhandene Pool (nicht Antragsgegenstand aber gebaut) und die Höhe und Ausführung der Einfriedungen (nicht Antragsgegenstand aber gebaut) sowohl dem gültigen Bebauungsplan als auch dem in Aufstellung befindlichen.
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Mit Schreiben vom 29. Mai 2020 wurden die Beteiligten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über das Verfahren konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Die Klägerseite hat weder einen Antrag gestellt noch die Klage begründet.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Das Gericht geht davon aus, dass die Kläger vermutlich eine Verpflichtung in Form einer Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO erheben wollten; gegen eine solche Klage bestehen keine Zulässigkeitsbedenken.
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Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 4. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung (§ 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO).
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Unerheblich ist, dass zunächst eine Veränderungssperre bestand, die jedoch bereits außer Kraft getreten ist, da das Bauvorhaben den Festsetzungen des einfachen Bebauungsplans Nr. 103 A/2006 und den Festsetzungen des künftigen Bebauungsplans widerspricht.
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Da es sich bei dem Bebauungsplan Nr. 103 A/2006 um einen einfachen Bebauungsplan handelt, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 BauGB. Im Bebauungsplan wurde hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung zulässigerweise eine Grundflächenzahl nach § 19 Abs. 1 BauNVO von 0,24 festgesetzt. Maßgeblich für das vorliegende Grundstück ist eine konkret zulässige Grundfläche von 137,04 m² (0,24 x 571 m²). Diese zulässige Grundfläche wird von den vorhandenen Hauptanlagen im Sinne des § 19 Abs. 2 BauNVO (Hauptgebäude, Vordach und Lichtschacht) mit insgesamt 157,55 m² überschritten. Dazu kommen die in § 19 Abs. 4 Satz 1 BauNVO genannten Anlagen (Garagen, Stellplätze mit Zufahrt, Nebenanlagen und Unterbauungen). Die Garage hat eine Fläche von 31,63 m², die Zufahrt eine von 26,78 m². Die Terrassen als Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO haben eine Gesamtfläche von 65,26 m², die ebenfalls mit anzurechnen ist. Dies führt zu einer Überschreitung der zulässigen Grundfläche um mehr als 50% (§ 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO), die ausnahmsweise möglich ist.
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Auf die Frage, ob das Biotop ebenfalls eine Nebenanlage gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 14 BauNVO ist, kommt es vorliegend deshalb nicht mehr an. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass ein Biotop nur gartengestalterischen Zwecken dient und deshalb eine Anrechnung der Fläche nicht zu erfolgen hat.
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Die Zulassung einer Ausnahme nach § 19 Abs. 4 Satz 4 Nr. 1 BauNVO nach pflichtgemäßem Ermessen der Bauaufsichtsbehörde ist bereits wegen der fehlenden tatbestandlichen Voraussetzungen rechtlich nicht möglich. Die Überschreitungen habe mehr als geringfügige Auswirkungen auf die natürliche Funktion des Bodens, da mit ihnen eine erhebliche Bodenversiegelung verbunden ist. Eine geringfügige Überschreitung liegt jedoch selbst dann nicht vor, wenn die Flächen der Terrassen und der Einfahrt nur zur Hälfte angerechnet würden, da diese aufgrund ihrer Errichtung den Durchfluss von Niederschlagswasser ermöglichen. Deshalb hat der Beklagte zu Recht eine Ausnahme nicht zugelassen und die Beigeladene zu Recht das Einvernehmen nicht erteilt.
22
Der Lichtschacht überschreitet die Baugrenze, innerhalb derer nach Nr. 3.1 der textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan Nr. 103 A/2006 bauliche Anlagen zulässig sind. Der Bebauungsplan sieht keine Ausnahmen für Kellerschächte vor (§ 23 Abs. 3 Satz 3 BauNVO). Der Lichtschacht überschreitet die Baugrenze zwar lediglich um 1,24 m, dies allerdings über eine Breite von 9,55 m. Eine Überschreitung in diesem Maße ist nicht mehr geringfügig.
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Das Bauvorhaben ist nicht nach § 33 BauGB genehmigungsfähig. Vorliegend fehlt es bereits an der materiellen Planreife der beabsichtigten Änderung des Bebauungsplans (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB). Nach Angaben der Beigeladenen unterscheiden sich die zulässigen Grundflächen und die Baugrenzen des Entwurfs nicht von dem aktuell geltenden Bebauungsplan, weshalb das Vorhaben auch zukünftig dem neuen Bebauungsplan widersprechen würde.
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Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die beigeladene Gemeinde ihre außergerichtlichen Kosten selber trägt, da sie keinen Antrag gestellt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.