Inhalt

VG München, Beschluss v. 07.07.2020 – M 30 S 20.2940
Titel:

Maskenpflicht im Bayerischen Landtag

Normenketten:
GVG § 17
VwGO § 40, § 80 Abs. 5
BV Art. 13, Art. 21, Art. 64
BayVwVfG Art. 35 S. 2
Leitsätze:
1. Wendet sich eine Fraktion im Bayerischen Landtag gegen eine Anordnung der Präsidentin des Bayerischen Landtags zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Bayerischen Landtag, ist der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die §§ 17 ff. GVG finden auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten keine Anwendung, sodass eine Verweisung durch das Verwaltungsgericht an den Bayerischen Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mund-Nasen-Bedeckung („Maskenpflicht“) im Bayerischen Landtag, Verfassungsrechtliche Streitigkeit, Recht der Abgeordneten, Glaubhaftmachung, Mund-Nasen-Bedeckung, Corona-Virus, Anfechtungsklage, Maskenpflicht, Bayerischer Landtag, Verwaltungsrechtsweg, verfassungsrechtliche Streitigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VerfGH München vom 14.09.2020 – 70-IVa-20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18807

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wehrt sich als Fraktion im Bayerischen Landtag gegen eine Anordnung der Präsidentin des Bayerischen Landtags zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Bayerischen Landtag.
2
Mit am 3. Juli 2020 in Kraft getretener und im Internet unter www.bayern.landtag.de veröffentlichter Allgemeinverfügung ergänzte die Präsidentin des Bayerischen Landtags eine Dienstanweisung vom 4. Juni 2020 bezüglich Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bewältigung der durch die Ausbreitung des „Corona-Virus“ bedingten besonderen Situation. Unter anderen wird darin in Nr. 3 a) zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ab Betreten des Gebäudes für alle Verkehrsflächen verpflichtet. Hinsichtlich der den Abgeordneten und Fraktionen zur Nutzung für parlamentarische Zwecke überlassenen Räumlichkeiten wird den jeweiligen Nutzungsrechtsinhabern angeraten, entsprechende eigene Regelungen zu erlassen. In Sitzungssälen und Besprechungsräumen können die Mund-Nasen-Bedeckungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern am Platz abgenommen werden (Nr. 3 b)). Personen, die zum Beispiel mittels eines ärztlichen Attests oder durch Vorlage eines Schwerbehindertenausweises glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, sind nach Nr. 3 d) vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit. Nach Nr. 3 e) ist das Abnehmen der Mund-Nasen-Bedeckung zulässig, solange er zu Identifikationszwecken oder zur Kommunikation mit Menschen mit Hörbehinderung oder aus sonstiges zwingenden Gründen (z.B. wegen eines Presseinterviews) erforderlich ist. In Nr. 5 der Allgemeinverfügung wird die sofortige Vollziehung der Anordnungen angeordnet und hierzu näher ausgeführt.
3
Hiergegen hat die Antragstellerin am 3. Juli 2017 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Begehren der Aufhebung der Allgemeinverfügung erhoben (M 30 K 20.2939). Die Anordnung einer grundsätzlichen Maskenpflicht sei mit dem freien Mandat der Abgeordneten nicht vereinbar. Der Gewährleistungsbereich des freien Mandats werde durch die Anordnung wesentlich und unverhältnismäßig berührt. Die freie parlamentarische Rede sei durch die nur am Platz aufgehobene Maskenpflicht beschränkt. So bleibe völlig ungeregelt, wie Abgeordnete sich zu verhalten haben, wenn sie Redebeiträge leisten, Anträge stellen, vom Fragerecht Gebrauch machen oder sich in vergleichbaren Fällen parlamentarisch artikulieren und zu diesem Zweck etwa an das Rednerpult oder zu Mikrofonen schreiten müssen. Mit Schreiben vom 7. Juli 2020 wurde das bisherige Vorbringen in Erwiderung auf den antragsgegnerischen Schriftsatz vom 6. Juli 2020 ergänzt. Insbesondere wird betont, dass die Antragstellerin die Rechtsverletzung der eigenen Rechte ihrer Abgeordneten in der konkreten Nutzungsregelung für die Sitzungssäle erkennt. Die Auslegung einer Maskenfreiheit auch für das Rednerpult und die Saalmikrofone sei nicht zwingend und die Anordnung insoweit missverständlich. Die Stellungnahme der Abgeordnetenrechtskommission vom 23. Juni 2020 sei von der Antragsgegnerin unvollständig zitiert worden. Darin heiße es u.a. in I.4. letztem Satz: „Im Plenum sollte angesichts der stark verringerten Präsenz der Abgeordneten die Maskenpflicht generell entfallen.“ Weiter werde in II. Satz 1 ausgeführt: „Die Kommission sieht sich nicht legitimiert, eine Stellungnahme zur Frage abzugeben, ob und in welchem Umfang die Pflicht zum Tragen von Masken im räumlichen Bereich des Landtages zur coronaveranlassten Gefahrenabwehr erforderlich ist.“
4
Zudem beantragt die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 3. Juli 2020,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die am 3. Juli 2020 in Kraft getretene Anordnung der Antragsgegnerin wiederherzustellen.
5
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 6.7.2020 erwidert. Insbesondere sei der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, sodass der Antrag unzulässig sei. Im Übrigen sei die Anfechtungsklage unzulässig, soweit die Antragstellerin nicht eigene Rechte als Fraktion, sondern Rechte der Abgeordneten auf Ausübung des freien Mandats geltend mache. Die streitgegenständlichen Anordnungen seien im Übrigen rechtmäßig. Nach Wortlautauslegung („am Platz“) könnten Abgeordnete sowohl am Rednerpult als auch an den Saalmikrofonen von ihren Statusrechten Gebrauch machen und ohne Maske reden, Zwischenfragen stellen, Zwischenbemerkungen machen sowie Änderungs- und Geschäftsordnungsanträge stellen. Die Anordnungen zur Mund-Nasen-Bedeckung seien erforderlich und verhältnismäßig. Hierzu wird näher ausgeführt und zudem auf eine Stellungnahme der Abgeordnetenrechtskommission des Bayerischen Landtags Bezug genommen.
6
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der Verfahren M 30 K 20.2939 und M 30 S 20.2940 sowie die am 6. Juli 2020 im Original vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
7
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 3. Juli 2020 zum Verwaltungsgericht München wiederherzustellen, ist unzulässig. Es fehlt bereits an der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, sodass neben der Anfechtungsklage auch der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig ist.
8
1. Für die Klage und damit verbunden auch das Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Vielmehr liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor.
9
Nach § 40 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
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Zwar ist die antragstellerseits angefochtene Allgemeinverfügung i.S.v. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG in Ausübung des der Antragsgegnerin als eigenem Recht (vgl. insoweit Klein in Maunz-Dürig, Grundgesetz Kommentar, Band IV Art. 21 Rn. 146 - Nov. 2018) zustehenden Hausrechts nach Art. 21 Abs. 1 BV nicht grundsätzlich einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung entzogen (Huber in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaats Bayern, 6. Auflage 2020, Art. 21 Rn. 3; s.a. Klein in Maunz-Dürig, a.a.O. Rn. 174).
11
Vorliegend ist aber von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit auszugehen (vgl. BVerfG, U.v. 30.7.2003 - 2 BvR 508/01 - beck-online; BerlVerfGH, U.v. 22.2.1996 - VerfGH 17/95 - beck-online; Huber in Meder/Brechmann a.a.O. Rn. 3; Klein in Maunz-Dürig, a.a.O. Rn. 174 a.E.), denn das streitige Rechtsverhältnis zwischen den Verfahrensbeteiligten ist wesentlich vom Verfassungsrecht geprägt. Dies ergibt sich zum einen aus der formellen Stellung der Antragstellerin und Antragsgegnerin im verfassungsrechtlichen Kontext zueinander, zum anderen aber insbesondere durch die antragstellerische - alleinige - Berufung auf das Recht der Abgeordneten auf freie Ausübung des Mandats nach Art. 13 Bayerische Verfassung (BV) (vgl. a. BadWürttStGH, U.v. 28.1.1988, NJW 1988, 3199 ff. - beck-online; VerfGH Baden-Württemberg, B.v. 18.11.2019 - 1 GR 58/19 - beck-online). Damit wurzelt (vgl. insoweit BVerfG, B.v. 23.11.1982 - 2 BvH 1/79 - beck-online; U.v. 7.4.1976 - 2 BvH 1/75 - beck-online) die Streitigkeit zwischen den Beteiligten letztlich in der Reichweite der sog. freien Mandatsausübung nach Art. 13 Abs. 2 BV im Spannungsfeld mit der Ausübung des Hausrechts nach Art. 21 BV und damit in einem verfassungsrechtlich bestimmten Rechtsverhältnis.
12
Soweit die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 7. Juli 2020 hingegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 9.11.1984 - 7 C 5.84 - NVwZ 1985, 264-265) zitiert, ist diese vorliegend nicht einschlägig, zumal diese die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bei Vorliegen einer privatrechtlichen Rechtsbeziehung behandelt.
13
Mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht gegeben und ist dieser abzulehnen.
14
2. Es kommt somit nicht darauf an, dass der Antrag zudem zum maßgeblichen Zeitpunkt mangels hinreichender Glaubhaftmachung einer Rechtsverletzung unzulässig wäre. Die Antragstellerin beruft sich diesbezüglich ohne substantiierte Ausführungen auf die Rechte ihrer Abgeordneten nach Art. 13 Abs. 2 BV auf freie Ausübung ihres Mandats, die durch die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sitzungssaal verletzt sei. Den angefochtenen Bestimmungen in der Allgemeinverfügung lässt sich jedoch hinreichend entnehmen, dass der Mund-Nasen-Schutz am Platz, somit sowohl am Sitzplatz, als auch beim Reden am Saalmikrofon und Rednerpult als hierfür zugewiesenen Platz abgenommen werden kann. Die Antragsgegnerin hat dies ausdrücklich in ihrer Stellungnahme betont. Inwieweit die Antragstellerin insoweit eine Verletzung der freien Mandatsausübung befürchtet, hat sie nicht näher ausgeführt.
15
Dahinstehen kann daher, ob die Antragstellerin als Fraktion antragsbefugt ist, eine Verletzung der freien Mandatsausübung ihrer Abgeordneten geltend zu machen (bestritten von der Antragsgegnerin; vgl. aber BayVerfGH, E.v. 17.2.1998 - Vf. 81-IVa-96 - beck-online).
16
3. Eine Verweisung der verfassungsrechtlichen Streitigkeit an den an sich zuständigen Bayerischen Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 64 BV kommt nicht in Betracht. Die§§ 17 ff. GVG finden auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten keine Anwendung (allg. Meinung und st. Rechtsprechung; BayVGH, B.v. 13.2.1991 - 4 CE 91.404 - beck-online; Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand 37. EL Juli 2019, § 17 Rn. 25).
17
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.