Titel:
Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach ablehnender Entscheidung über Prozesskostenhilfe
Normenkette:
VwGO § 57 Abs. 2, § 58 Abs. 1, § 60 Abs. 2, § 74 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Bei Streitigkeiten über die Entlassung aus dem Wehrdienstverhältnis kommt es für die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts auf den bisherigen dienstlichen Wohnsitz des Soldaten an. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar gilt die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO auch im Fall der Stellung eines isolierten Antrags auf Prozesskostenhilfe. Dabei ist aber in der Regel einem ordnungsgemäß gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand stattzugeben, nachdem über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden wurde. Der Partei bleibt dann nach einer ablehnenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag noch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob diese den Rechtsbehelf auf eigene Kosten durchführen will. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagefrist bei zuvor abgelehntem isolierten Prozesskostenhilfeantrag, Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier: abgelehnt), Entlassung aus dem Wehrdienstverhältnis, Bundeswehr, Klagefrist, isolierter Prozesskostenhilfeantrag, Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, Überlegungsfrist, Wiedereinsetzungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18801
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus der Bundeswehr.
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Der Kläger stand - zuletzt im Rang eines Obergefreiten (Besoldungsgruppe A 4) - im Dienst der Beklagten. Er trat am 1. Juli 2017 in die Bundeswehr ein und wurde am 11. Juli 2017 zum Soldaten auf Zeit ernannt. Seine Dienstzeit wurde auf vier Jahre, endend mit dem 30. Juni 2021, festgesetzt.
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Mit Bescheid vom 7. August 2018 wurde der Kläger wegen mangelnder Eignung zum Offizier aus der Bundeswehr entlassen. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde vom 28. August 2018 wies die Beklagte mit Bescheid vom 2. Januar 2019, dem Klägerbevollmächtigten am 14. Januar 2019 zugestellt (Bl. 35 d. Beschwerdeakte), zurück. Der Beschwerdebescheid war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen, wonach gegen diesen „innerhalb eines Monats ab Zustellung Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (…) erhoben werden“ könne (Bl. 11 d. Gerichtsakte).
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Am 14. Februar 2019 stellte der Klägerbevollmächtigte beim Verwaltungsgericht München für den Kläger einen isolierten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe. Mit Beschluss vom 28. Februar 2019 erklärte sich das Verwaltungsgericht München für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin. Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte am 23. März 2020 den isolierten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten einer Klage ab. Dieser Beschluss wurde dem Klägerbevollmächtigten am 1. April 2020 zugestellt (Bl. 35 d. Gerichtsakte).
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Am 24. April 2020 beantragte der Kläger persönlich beim Verwaltungsgericht Berlin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierauf wurde dem Kläger ein gerichtlicher Hinweis erteilt, dass er die versäumte Prozesshandlung nachholen sowie Wiedereinsetzungsgründe vortragen müsse.
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Am 6. Mai 2020 erhob er beim Verwaltungsgericht München Klage. Er beantragt,
die Entlassungsverfügung vom 7. August 2018 in Gestalt des Beschwerdebescheides vom 2. Januar 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Juni 2020 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Kammer in der aktuellen Besetzung zwar die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts München als gegeben erachte, jedoch Zweifel an einer fristgerechten Klageerhebung bestünden. Zugleich wurden die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört. Darauf übersandte der Kläger eine weitere Klagebegründung, datierend vom 14. Juni 2020, woraufhin ihn das Gericht nochmals auf die Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit seiner Klage hinwies.
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Am 17. Juni 2020 übersandte er einen weiteren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an das Verwaltungsgericht München, in welchem er ausführte, dass sein früherer Bevollmächtigter es abredewidrig unterlassen habe, rechtzeitig Klage zu erheben.
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Die Kammer hat die Verfahrensakten des Verwaltungsgerichts Berlin beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen (§§ 84 Abs. 1 Satz 3, 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Das Verwaltungsgericht München ist für die Entscheidung über die Klage gemäß § 52 Nr. 4 Satz 1 VwGO örtlich zuständig, weil es bei Streitigkeiten über die Entlassung aus einem Wehrdienstverhältnis auf den bisherigen dienstlichen Wohnsitz des Soldaten ankommt (ebenso VG Meiningen, U.v. 12.9.2014 - 1 K 82/14 - juris Rn. 14; VG Ansbach, U.v. 17.2.2009 - AN 15 K 08.01896 - juris Rn. 45; VG Oldenburg, B.v. 7.4.2003 - 6 A 229/03 - juris Rn. 4).
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1. Die Anfechtungsklage vom 6. Mai 2020 gegen den Bescheid vom 2. Januar 2019 ist unzulässig, weil sie verfristet erhoben worden ist und eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht gewährt werden kann.
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a) Die Klagefrist ist nicht gewahrt.
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Maßgeblich für die Berechnung der einmonatigen Klagefrist ist hier der Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Diese Frist gilt auch im Fall der Stellung eines isolierten Antrags auf Prozesskostenhilfe. Dabei ist aber in der Regel einem ordnungsgemäß gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand stattzugeben, nachdem über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden wurde. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, B.v. 20.1.2009 - VIII ZA 21/08 - juris Rn. 6; BFH, B.v. 5.3.2014 - V B 87/13 - juris Rn. 5 f.) bleibt der Partei nach einer ablehnenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag noch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob diese den Rechtsbehelf auf eigene Kosten durchführen will. Dann beginnt die zweiwöchige Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO für das Wiedereinsetzungsgesuch sowie die damit zu verbindende Einlegung des Rechtsbehelfs zu laufen.
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Es kann offenbleiben, ob es im vorliegenden Fall für den Beginn des Überlegungszeitraums von höchstens drei bis vier Tagen auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ankommt oder dieser Zeitraum erst nach Unanfechtbarkeit der ablehnenden PKH-Entscheidung beginnt (so BFH, B.v. 5.3.2014 - V B 87/13 - juris Rn. 5, allerdings für den Fall einer ipso iure nach § 128 Abs. 2 FGO unanfechtbaren Entscheidung über das PKH-Gesuch). Denn auch bei der klägerfreundlichsten Berechnung, d.h. unter Anknüpfung erst an die Unanfechtbarkeit sowie bei Zugestehen eines Überlegungszeitraums von vier vollen Tagen, stellt sich die Klage als verfristet dar.
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Vorliegend wurde der Widerspruchsbescheid, welcher eine dem § 58 Abs. 1 VwGO entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung:enthält, dem Bevollmächtigten des Klägers zwar bereits am 14. Januar 2019 zugestellt, sodass die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Ablauf des 14. Februar 2019 endete, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Der Bevollmächtigte des Klägers hat jedoch noch am 14. Februar 2019 und damit innerhalb offener Klagefrist einen isolierten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt. Damit wäre der Anwendungsbereich eines sich etwaig anschließenden Wiedereinsetzungsgesuchs nach den Grundsätzen der soeben dargelegten Rechtsprechung eröffnet gewesen.
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Die ablehnende Entscheidung vom 23. März 2020 über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wurde dem Klägerbevollmächtigten am 1. April 2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Damit wurde dieser Beschluss nach Ablauf weiterer zwei Wochen, d.h. mit Ablauf des 15. April 2020, gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO unanfechtbar. Auch bei Hinzurechnung einer Überlegungszeit von vier vollen Tagen ab diesem Datum (16. April bis einschl. 19. April 2020) begann die Frist zur Stellung eines ordnungsgemäßen Antrags auf Wiedereinsetzung jedenfalls am 20. April 2020 zu laufen und endete nach zwei Wochen, mithin jedenfalls mit Ablauf des 4. Mai 2020. Damit erfolgte die Klageerhebung am 6. Mai 2020 nicht mehr fristgerecht.
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b) Zwar hatte der Kläger beim Verwaltungsgericht Berlin am 24. April 2020 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, er hat es jedoch versäumt, gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO innerhalb laufender Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Prozesshandlung - hier die Klageerhebung - nachzuholen, obwohl er vom Gericht auf diese Notwendigkeit hingewiesen wurde. Die Prozesshandlung hat der Kläger vielmehr erst mit der Klageerhebung vom 6. Mai 2020 nachgeholt, als die Frist zur Nachholung der versäumten Prozesshandlung bereits verstrichen war. Aus diesem Grund kommt auch keine Wiedereinsetzung von Amts wegen gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO in Betracht.
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c) Schließlich kann dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist gewährt werden. Denn auch wenn man das Schreiben des Klägers vom 17. Juni 2020 dahingehend auslegen kann, dass Wiedereinsetzung in die von ihm versäumte (erste) Wiedereinsetzungsfrist beantragt wird, hat er keine tauglichen Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht. Denn soweit man zunächst noch auf die ablehnende Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren abstellen konnte, ist die dort zunächst abzuwartende Entscheidung nicht mehr ursächlich dafür gewesen, dass der Kläger die erste Wiedereinsetzungsfrist hat verstreichen lassen, obwohl das Verwaltungsgericht Berlin ihn auf die Umstände der Wiedereinsetzung hingewiesen hat. Auch soweit er vorträgt, sein damaliger Prozessbevollmächtigter habe es unterlassen, rechtzeitig Klage zu erheben, muss der Kläger sich das etwaige Verschulden seines Bevollmächtigten nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ohne eine Exkulpationsmöglichkeit zurechnen lassen (vgl. Peters in BeckOK-VwGO, 53. Edition Stand 1.4.2020, § 60 Rn. 17).
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d) Da die Klage unzulässig ist, kommt es auf die umfangreichen Ausführungen des Klägers zur Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung und damit zur Begründetheit der Klage nicht mehr an.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.