Inhalt

VG München, Urteil v. 17.07.2020 – M 2 K 19.5443
Titel:

Keine Störereigenschaft des Eigentümers eines Grundstücks durch Zurechnung von Verhalten der Pächter

Normenketten:
LStVG Art. 9
BayStrWG Art. 18, Art. 18a, Art. 18b
Leitsatz:
Der Verpächter eines Grundstücks haftet nicht als Zweckveranlasser für die vom Pächter auf einer angrenzenden Ortsstraße, die im Pachtvertrag ausdrücklich von der Verfügungsmacht ausgenommen ist, errichtete Sperranlage. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Störereigenschaft des Eigentümers eines Grundstücks durch Zurechnung von Verhalten der Pächter (verneint), Ermessen bei der Störerauswahl, Ortsstraße, Sperranlage (Bauzaun), Sondernutzung, Handlungsstörer, Unmittelbarkeit der Störung, Zweckveranlasser, Pächter, Pachtvertrag, Zustandsstörer, Störerauswahl
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18799

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2019 (Aktenzeichen: …*) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die ihm durch Bescheid der Beklagten auferlegte Verpflichtung, die auf der B.-Straße errichtete querlaufende Abzäunung („Straßensperre“) zu entfernen.
2
Die Beklagte ist Trägerin der Straßenbaulast für die B-Straße, einer Orts straße; das Straßengrundstück (Fl.Nr. …, Gem. …*) steht in ihrem Eigentum. Der Kläger ist Eigentümer zweier sich gegenüberliegender, östlich (Fl.Nr. … Gem. …*) und westlich (Fl.Nr. … Gem. …*) der B-Straße gelegener Grundstücke. Diese sind teilweise eingezäunt. Der Kläger hat beide Grundstücke im Jahr 2018 zum zweiten Mal verpachtet. Mutmaßlich die ersten Pächter haben Anfang der 2000er Jahre die beiden durch das Straßengrundstück getrennten Grundstücke mittels quer über die Straße aufgestellter Bauzaunelemente, die in mobilen Betonstandfüßen fixiert und seitlich locker mit der auf den Grundstücken teilweise vorhandenen Zaunanlage bzw. einem Gebäude verbunden sind, „fusioniert“. Auf diese Weise ist faktisch ein zusammengehörendes großes Grundstück entstanden. Die Straße ist infolgedessen auf der Höhe der beiden Grundstücke versperrt; sie steht dem Gemeingebrauch dort faktisch nicht mehr zur Verfügung. Die jetzigen Pächter nutzen das „fusionierte Grundstück“ u.a. zur Haltung von 14 Hunden. Im zwischen dem Kläger und seinen Pächtern abgeschlossenen Vertrag ist das Straßengrundstück von der Verpachtung explizit ausgenommen (§ 18 Abs. 1 des Vertrags).
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Erstmals mit Schreiben vom 22. Mai 2019 wurde der Kläger von der Gemeinde ersucht, die B.-Straße entlang seines Grundstücks „freizuräumen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“. Der Kläger lehnte dies mit Schreiben vom 27. Juni 2019 ab. Auch die gegenwärtigen Pächter wendeten sich mit Schreiben vom 25. Juni 2019 gegen den Bescheid und trugen vor, dass der Kläger ihnen die Errichtung des Zauns innerhalb des Grundstücks zur Sicherung der Hunde genehmigt und sie darauf hingewiesen habe, dass die Orts straße ein für die Öffentlichkeit zugänglicher Gemeindeweg sei, der durch das Grundstück führe. Dennoch sei ein Zaun über die Straße errichtet gewesen. Der Zustand der Straße habe erkennen lassen, dass sich die Gemeinde schon sehr lange nicht mehr um den Weg gekümmert habe. Für die Pächter habe das abgeschlossene „Gesamtgrundstück“ erhebliche Bedeutung.
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Zunächst wurde der Kläger durch Bescheid vom 16. Juli 2019 verpflichtet, die B-Straße „entlang seiner Grundstücke freizuräumen und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen“. Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 15. August 2019 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid. Daraufhin wurde der Bescheid vom 16. Juli 2019 durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 10. Oktober 2019 aufgehoben und der Kläger nunmehr unter Nummer I verpflichtet, innerhalb von vier Monaten ab Bestandskraft des Bescheids die im Bereich des klägerischen Grundstücks angebrachte Abzäunung der B-Straße auf dem Straßengrundstück vollständig zu entfernen. Unter Nummer II wurde ein Zwangsgeld angedroht und unter Nummer III Kosten festgesetzt. Der Bescheid wurde ausweislich einer Postzustellungsurkunde am 19. Oktober 2019 zugestellt.
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Zur Begründung wurde in dem Bescheid ausgeführt, dass die errichtete Sperre eine Sondernutzung darstelle, für die es keine Erlaubnis gäbe und deshalb nach Art. 18b BayStrWG die erforderliche Beseitigungsanordnung ausgesprochen werden könne. Richtiger Adressat einer solchen Anordnung sei der Kläger als Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach Art. 9 Abs. 2 LStVG. Denn er habe das Grundstücks jedenfalls im Rahmen des aktuellen Pachtvertrags einschließlich der Straßensperre verpachtet und es insoweit für sich ökonomisiert; eine die Störereigenschaft des Klägers begründende Ökonomisierung liege jedenfalls deshalb vor, weil die gegenwärtigen Pächter gegenüber der Gemeinde ausgesagt hätten, dass sie zwei „getrennte“ Grundstücke nicht gepachtet hätten. Die lange Duldung des Zustands durch die Gemeinde hindere eine Anordnung nicht. Eine Verwirkung oder Verjährung scheide aus. Die gesetzte Frist sei angemessen und daher der Bescheid insgesamt verhältnismäßig.
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Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2019, bei Gericht eingegangen am 4. November 2019, erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid. Er trug vor, dass der Kläger nicht Störer im Sinne des Gesetzes sei. Er sei nicht Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Straßengrundstück, das sich im Eigentum der Beklagten befinde. Der (mit dem Boden nur lose verbundene) Bauzaun sei im Jahr 2004 von dem früheren Pächter ohne Wissen und Wollen des Klägers aufgestellt und wohl durch die gegenwärtigen Pächter weiter benutzt worden. Der Kläger habe nur seine Grundstücke verpachtet und die Pächter auch darauf hingewiesen, dass er die Orts straße nicht verpachten könne. Außerdem sei die Beklagte, vertreten durch die frühere Bürgermeisterin, mit der Sperrung der Straße einverstanden gewesen. Die Androhung des Zwangsgelds sei rechtswidrig, weil vorrangig das Zwangsmittel der Ersatzvornahme zu ergreifen sei.
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Der Kläger beantragte,
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den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 11. November 2019,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2020 wurde auf die Klage erwidert. Der Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des Art. 18, 18a BayStrWG lägen vor. Die errichtete Sperranlage entziehe die Straße dem Gemeingebrauch. Der Kläger habe die Absperrung und die damit verbundene widmungswidrige Nutzungseinschränkung vom Vorpächter übernommen und im Rahmen der Neuverpachtung ökonomisch verwertet. Das durch die Sperre entstandene „Gesamtgrundstück“ sei - für ihn erkennbar - aus Sicht der Pächter Geschäftsgrundlage des Vertrags gewesen. Ohne Sperranlage hätte er die Grundstücke nicht an die Pächter verpachten können. Eine Duldungszusage habe es nicht gegeben, so dass die Beklagte am Erlass der Beseitigungsanordnung nicht gehindert sei. Die Störerauswahl sei ebenfalls rechtmäßig. Eine Auswahl des Eigentümers sei möglich, wenn - wie hier - die Pächter als Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese mit Willen bzw. Einverständnis des Eigentümers ausübe. Die Absperrung sei in wertender Betrachtungsweise faktisches Verbindungsglied der jeweiligen Zaunendpunkte auf dem Grundstück des Klägers (Zubehör im Sinne des § 97 BGB). Die Umzäunung des klägerischen Grundstücks werde durch die Sperranlage über die Straße fortgesetzt. Die Auswahl gerade des Klägers rechtfertige sich daraus, dass er - anders als die Pächter - als Eigentümer langfristig, auch im Falle einer weiteren Neuverpachtung, für eine Klärung sorgen könne. Die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig, insbesondere gäbe es im Bayerischen Verwaltungs- und Vollstreckungsgesetz keinen Vorrang der Ersatzvornahme.
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Mit Beschluss vom 19. Juni 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 7. Juli 2020 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 10. Oktober 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Voraussetzungen von Art. 18b Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) liegen gegenüber dem Kläger nicht vor.
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1. Die im Bestandsverzeichnis der Gemeinde als Orts straße eingetragene B-Straße erfährt durch die Errichtung der Sperranlage (in Gestalt mehrerer Bauzaunfelder) eine Sondernutzung. Hierfür gibt es keine Erlaubnis. Wird eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt, ist die Beklagte als Straßenbaubehörde nach Art. 18b BayStrWG berechtigt, die erforderlichen Anordnungen zu erlassen. Sind solche Anordnungen nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgversprechend, so kann sie den rechtswidrigen Zustand auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen.
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2. Adressat einer solchen Anordnung darf nur der Pflichtige sein. Pflichtige ist derjenige, der die Sondernutzung zu verantworten hat. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist insoweit ein Rückgriff auf den Störerbegriff des Art. 9 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2013 - 8 ZB 12.562 - juris Rn. 15).
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a) Nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG ist, wenn das Verhalten oder der Zustand einer Person Maßnahmen notwendig macht, die entsprechende Maßnahme gegen die Person zu richten, die die Gefahr oder die Störung verursacht hat (sog. Handlungsstörer). Die rechtsstaatliche gebotene normative Begrenzung des Verursacherbegriffs erfolgt durch das Kriterium der Unmittelbarkeit. Handlungsstörer ist hiernach jeder, der eine Gefahr unmittelbar verursacht, also bei einer wertenden Zurechnung die Gefahrenschwelle überschritten hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Handeln die letzte Ursache für die Gefahr setzt. Personen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg gesetzt, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere gegeben haben, sind in diesem Sinn keine Verursacher (vgl. BVerwG, B.v. 12.4.2006 - 7 B 30/06 - juris Rn. 4; zum Landesrecht vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2020, Art. 9 LStVG Rn. 29 und Art. 7 PAG Rn. 25; Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 17 ff.). Nach der gebotenen wertenden Betrachtungsweise kann allerdings auch ein als „Veranlasser“ auftretender Hintermann (mit) verantwortlich sein, wenn dessen Handlung zwar nicht die Gefahrenschwelle überschritten hat, aber mit der durch den Verursacher unmittelbar herbeigeführten Gefahr oder Störung eine natürliche Einheit bildet, die die Einbeziehung des Hintermanns in die Polizeipflicht rechtfertigt. Eine derartige natürliche Einheit besteht typischerweise beim „Zweckveranlasser“ als demjenigen, der die durch den Verursacher bewirkte Polizeiwidrigkeit gezielt ausgelöst hat (vgl. BVerwG, B.v. 12.4.2006 - 7 B 30/06 - juris Rn. 4; Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 30).
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aa) Vorliegend hat der Kläger die Straßensperre nicht selbst errichtet. Er hat die früheren Pächter, die die Anlage wohl errichtet haben, hierzu auch nicht beauftragt (Art. 9 Abs. 1 Satz 4 LStVG).
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bb) Der Kläger ist auch nicht Handlungsstörer durch Unterlassen. Durch Unterlassen verursacht eine Gefahr, wer aufgrund einer öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Rechtspflicht eine Handlung vornehmen müsste, diese aber unterlässt und dadurch eine Gefahr hervorgerufen wird. Eine Handlungspflicht zur Beseitigung allein aus einer (möglichen) Eigentümerstellung abzuleiten, scheidet aus, da der Eigentümer durch Entscheidung des Gesetzgebers als Zustandsstörer anzusehen ist (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG). Eine andere, pflichtenbegründende Garantenstellung, die den Kläger treffen könnte, ist nicht ersichtlich.
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cc) Der Kläger ist auch nicht „Zweckveranlasser“ im oben genannten Sinn. Er hat das Verhalten der gegenwärtigen Pächter, die durch die fortgesetzte Nutzung auch des sich innerhalb der Zaunanlage befindlichen Straßengrundstücks als Verursacher der hierin und in der Errichtung und Nutzung der Zaunanlage liegenden Sondernutzung anzusehen sind, in wertender Betrachtung nicht in störungsrechtlicher Hinsicht gezielt ausgelöst. Richtig ist zwar, dass der Kläger seine beiden Grundstücke im Jahr 2018 in Kenntnis der errichteten Anlage und der faktischen „Fusion“ seiner beiden Grundstücke durch Abtrennung und Inkorporation von Teilen des Straßengrundstücks verpachtet hat. Unklar ist indes bereits, ob er hierdurch gegenüber einer Verpachtung „nichtfusionierter“ Grundstücke einen geldwerten Vorteil erwirtschaftet hat. Jedenfalls kommt dem Argument der Beklagten, die gegenwärtigen Pächter hätten andernfalls das Grundstück nicht gepachtet, keine rechtliche Relevanz zu. Denn damit ist nicht gesagt, dass das Grundstück nicht zu gleichen Konditionen an andere Interessenten hätte verpachtet werden können. Ohnehin unterbricht jedenfalls die konkrete Ausgestaltung des Pachtvertrags die Zurechnung des „störenden“ Pächterverhaltens an den Kläger; eine natürliche Einheit im oben genannten Sinne liegt nicht vor. Ausweislich des vorgelegten Vertrags hat der Kläger ausschließlich seine beiden Grundstücke verpachtet und auf das Bestehen der Orts straße, die seine Grundstücke voneinander trennt - und deren Nichtverpachtbarkeit - hingewiesen. Ob der Kläger im Rahmen der Vertragsverhandlungen - wie es die Beklagte durch ihren Vortrag insinuiert - gegenüber den Pächtern zum Ausdruck gebracht hat, dass seitens der Beklagten Einverständnis mit der Straßensperre besteht, oder ob er jedenfalls auf das seit vielen Jahren faktische Dulden der Beklagten hingewiesen hat und seine Geschäftspartner damit zum Vertragsschluss motiviert hat, kann offenbleiben. Selbst wenn ein solches Verhalten nachgewiesen werden könnte, machte ihn das in wertender Betrachtung nicht zum Störer. Denn er hat sich ausweislich der Vertragsurkunde keiner Verfügungsmacht berühmt, sondern im Gegenteil den Vertrag strikt auf seine eigenen Grundstücke beschränkt (§ 1 Abs. 1 des Vertrags) und die Orts straße (als Weg bezeichnet) ausgenommen (§ 18 Abs. 1 des Vertrags). Mögen sich die Pächter auch wegen der faktischen Verhältnisse zum Vertragsschluss entschlossen haben, so haben sie gegen den Kläger keinerlei Ansprüche hinsichtlich des Straßengrundstücks und hat sich dieser insoweit ausreichend vor einer Zurechnung der Sondernutzung geschützt. Ob die Beklagte den Pachtvertrag im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung kannte oder nicht, ist dabei nicht maßgeblich. Zum einen handelt es sich bei einer straßenrechtlichen Beseitigungsanordnung um einen Dauerverwaltungsakt, bei dem auch nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen sind (vgl. VGH München, B.v. 9.2.2009 - 8 CS 08.3321 - juris Rn. 17), zum anderen bestand der Vertrag bereits seit dem Jahr 2018 und mithin vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung. Dass die Beklagte den Vertrag erstmals im Klageverfahren durch den Kläger vorgelegt bekommen hat, schadet jedenfalls deshalb nicht, weil die insoweit wesentlichen Vertragsinhalte im Rahmen des (trotz seiner Abschaffung durch die Beklagte noch durchgeführten) Widerspruchsverfahrens vorgetragen wurden. Es hätte der Beklagten oblägen, im Rahmen der Amtsermittlung nach Art. 24 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) zumindest um die Vorlage der Vertragsurkunde zu ersuchen, zumal die Beklagte auch im Übrigen auf die - durch die Pächter mitgeteilten - individuellen (vermeintlichen) Vertragsumstände zur Begründung der Störereigenschaft rekurriert.
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b) Der Kläger ist auch nicht Zustandsstörer. Er ist weder Inhaber der tatsächlichen Gewalt (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG) noch Eigentümer der die Straßensperre bildenden Zaunelemente (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG).
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aa) Macht der Zustand einer Sache Maßnahmen notwendig, so sind diese nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten (sog. Zustandsstörer). Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist jeder, der die tatsächliche Sachherrschaft über und die damit verbundene unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die störende Sache hat (vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2020, Art. 9 LStVG Rn. 33 und Art. 8 PAG Rn. 17; Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 46). Der Kläger hat in diesem Sinne keine Sachherrschaft über die auf dem Grundstück der Beklagten errichteten Sperre; insoweit fehlt jede tatsächliche Beziehung des Klägers zu den Zaunelementen. Auch soweit diese in Teilen auf dem eigenen Grundstück positioniert sind und in die Straße „hineinragen“ fehlt es an der tatsächlichen Gewalt des Klägers. Er ist als Verpächter von vornherein allenfalls mittelbarer Besitzer nach § 868 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ginge man davon aus, dass die Zaunelemente mitverpachtet sind. Als solcher hat er jedoch gerade keine tatsächliche Gewalt inne (vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2020, Art. 8 PAG Rn. 17.2).
24
bb) Der Kläger ist schließlich auch nicht Eigentümer der die Straßensperre bildenden Zaunelemente. Er kann daher nicht nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden. Der Kläger hat die Zaunelemente nicht erworben. Er ist auch nicht nach anderen sachenrechtlichen Vorschriften Eigentümer geworden. Aus dem vorgelegten Bildmaterial ist ersichtlich, dass die die Straßensperre bildenden Bauzaunelemente mit dem Erdboden (sei es auf dem Straßengrundstück, sei es auf dem klägerischen Grundstück) durch das Einstecken in dort liegende Betonstandfuß verbunden sind. Diese Verbindung ist ersichtlich nur loser Natur und auch die Betonstandfüße sind klein und ohne weiteres zu entfernen. Seitlich sind die Zaunelemente offenbar teilweise locker mit der (unstreitig legalen) Zaunanlage auf dem klägerischen Grundstück verbunden. Die Bauzaunelemente sind - soweit sie überhaupt (auch) auf dem klägerischen Grundstück stehen - angesichts der mobilen Verankerung auf dem Boden ersichtlich nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks des Klägers nach § 94 BGB. Sie sind auch nicht - vermittelt über die mit dem Grundstück fest verbundene (legale) Zaunanlage - wesentlicher Bestandteil des Grundstücks des Klägers. Sie können ohne weiteren Aufwand von der legalen Zaunanlage getrennt werden, ohne dass sie oder diese zerstört oder im Wesen verändert wird (§ 93 BGB). Auf § 97 BGB kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht an. Der Kläger ist damit nicht Eigentümer der Bauzaunelemente, die die Straßensperre bilden. Insoweit kann offenbleiben, ob er - was Voraussetzung für einen Eigentumserwerb nach § 946 BGB ist - überhaupt Eigentümer der legalen Zaunanlage ist, die nach Angaben in der mündlichen Verhandlung wohl auch von den ursprünglichen Pächtern errichtet worden ist (für einen Übergang des Eigentums gemäß § 946 BGB und gegen die Annahme eines bloßen Scheinbestandteils nach § 95 BGB sprechen die tatsächlichen Gegebenheiten, wonach offenbar die damals obligatorisch Berechtigten den Willen hatten, den mit dem Boden festverbundenen Zaun nach Vertragsende auf dem Grundstück zu belassen und deshalb § 95 BGB entfällt; vgl. hierzu Mauch in Ring/Grziwotz/Keukenschrijver, BGB Sachenrecht, 4. Aufl. 2016, § 946 Rn. 14 m.w.N.).
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d) Der Kläger kann auch nicht nach Art. 9 Abs. 3 LStVG als Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 LStVG liegt ersichtlich nicht vor. Eine besondere Eilbedürftigkeit wird ohnehin auch von der Beklagten nicht angenommen, wie die gesetzte Frist (vier Monate nach Bestandskraft) verdeutlicht.
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3. Selbst wenn der Kläger als Störer anzusehen wäre, läge ein Ermessensfehler vor (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Pächter sind als Verhaltensstörer anzusehen. Ihre vorrangige Inanspruchnahme ist nicht nur geboten, weil auch nach der gesetzlichen Wertung in Art. 9 LStVG ein grundsätzlicher Vorrang zulasten des Verhaltensstörers besteht (vgl. Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 7), sondern auch, weil eine Beseitigung der Sondernutzung wegen der intensiven Hundehaltung durch die Pächter deren Mitwirkung erfordert. Andernfalls wäre möglicherweise die Beseitigung der Sondernutzung mit der Erzeugung einer anderen Gefahr durch freiherumlaufende Hunde verbunden. Insoweit verlangt die Effektivität der Gefahrenabwehr eine Inanspruchnahme der Pächter.
27
4. Da die Inanspruchnahme des Klägers rechtswidrig ist, sind auch die übrigen Regelungen des Bescheids aufzuheben. Auf die Untersuchung eines möglichen, den Bescheiderlass nur in Ausnahmenfällen hindernden (Duldungs-)Verhaltens der Beklagten kommt es daher vorliegend nicht an.
II.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
29
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).