Inhalt

VG München, Urteil v. 14.07.2020 – M 16 K 19.3261
Titel:

Erweiterte Gewerbeuntersagung

Normenkette:
GewO § 12, § 35 Abs. 1
Leitsätze:
1. Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände kommt es für die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nicht an. Es ist unerheblich, ob den Gewerbetreibenden ein Verschuldensvorwurf trifft. Von ihm kann erwartet werden, dass er bei wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seinen Gewerbebetrieb aufgibt. (Rn. 21 und 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt vor, wenn der Betroffene Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten Tätigkeit haben. Dies ist bei steuerlichen Pflichtverletzungen und ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erweiterte Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, Insolvenzverfahren, Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, Gewerbebezogene Straftat, Gewerbeuntersagung, steuerliche Pflichtverletzung, ungeordnete Vermögensverhältnisse
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18779

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
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Zum 1. Februar 2001 zeigte der Kläger bei der Beklagten die Ausübung des Gewerbes „Tätigkeit im Holz- und Bautenschutzgewerbe (Mauerschutz und Holzimprägnierung in Gebäuden); Durchführung von Hausmeisterarbeiten (z.B. Gartenarbeiten, Schneeräumen und Treppenreinigung usw); Durchführung von Entrümpelungen und/oder Wohnungsauflösungen; Durchführung von Gütertransporten mit Kraftfahrzeugen, deren zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger bis zu 3,5 t beträgt; Durchführung von Abfallbeseitigungsmaßnahmen“ an.
3
Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht vom 31. Mai 2017 wurde auf Antrag der B. Krankenkasse sowie auf Antrag des Klägers das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Der Insolvenzverwalter hat dem Kläger gegenüber am 6. Juli 2017 erklärt, das Vermögen aus seiner selbständigen Tätigkeit gehöre nicht zur Insolvenzmasse und Ansprüche aus dieser Tätigkeit könnten im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden.
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Mit Schreiben vom 20. Februar 2018 teilte die Staatsanwaltschaft München I der Beklagten mit, dass der Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 10. Januar 2018, rechtskräftig seit 31. Januar 2018, wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in neun Fällen gemäß §§ 266a Abs. 1, 53 Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 40 Euro verurteilt wurde. Der Verurteilung liegt nach den Feststellungen des Amtsgerichts München zugrunde, dass der Kläger für die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer im Zeitraum Juli 2016 bis März 2017 Arbeitnehmeranteile von insgesamt 3.335,04 Euro nicht an die B.Krankenkasse abgeführt hat.
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Die K. Krankenkasse teilte der Beklagten mit Schreiben vom 8. April 2019 mit, dass der Kläger Beitragsrückstände für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis 30. September 2018 in Höhe von 4.251,40 Euro habe. Auf Nachfrage teilte die K. Krankenkasse der Beklagten mit, dass sich der Beitragsrückstand zum 26. Juni 2019 auf 4.296,40 Euro belaufe und eine Zahlungsvereinbarung nicht bestehe.
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Mit Schreiben vom 27. Mai 2019 wurde der Kläger zu einer beabsichtigten erweiterten Gewerbeuntersagung angehört. Zugleich wurde der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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Mit Bescheid vom 27. Juni 2019, ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 2. Juli 2019, untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „Tätigkeit im Holz- und Bautenschutzgewerbe (Mauerschutz und Holzimprägnierung in Gebäuden); Durchführung von Hausmeisterarbeiten (z.B. Gartenarbeiten, Schneeräumen und Treppenreinigung usw); Durchführung von Entrümpelungen und/oder Wohnungsauflösungen; Durchführung von Gütertransporten mit Kraftfahrzeugen, deren zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger bis zu 3,5 t beträgt; Durchführung von Abfallbeseitigungsmaßnahmen“ als selbständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe (Nummer 1). Zudem wurde dem Kläger die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt (Nummer 2). Dem Kläger wurde aufgegeben, seine Tätigkeit spätestens zehn Tage nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen (Nummer 3). Für den Fall, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht (Nummer 4). Die Kosten des Verwaltungsverfahrens in Höhe von 454,98 Euro wurden dem Kläger auferlegt (Nummer 5).
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Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger besitze nicht die zur selbständigen Ausübung seines Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit. Sein bisheriges Verhalten biete keine Gewähr für eine künftige ordnungsgemäße Ausübung seines Gewerbes. Seine Unzuverlässigkeit ergebe sich insbesondere aus der Tatsache, dass er seit Freigabe der selbständigen Tätigkeit seinen Zahlungsverpflichtungen erneut nicht nachkomme. So habe der Kläger Beitragsrückstände bei der K. Krankenkasse. Die beharrliche Nichterfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen lasse nicht nur auf wirtschaftliche Schwierigkeiten schließen, sondern offenbare einen mangelnden Leistungswillen. Der Zustand der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit halte auch nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit unvermindert an. Anzeichen für eine Besserung seien nicht erkennbar, vielmehr hätten sich die Verbindlichkeiten fortlaufend erhöht, ohne dass der Kläger wirkungsvolle Sanierungsmaßnahmen ergriffen habe. Die Unzuverlässigkeit des Klägers ergebe sich auch aus der Tatsache, dass er wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt worden sei. Diese Straftat sei in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit begangen worden. Das Schutzinteresse der Allgemeinheit bedinge die Gewerbeuntersagung. Durch die Nichtabführung fälliger Beiträge schädige der Kläger das Vermögen der Krankenkasse. Zudem bestehe die Gefahr weiterer Vermögensschädigungen Dritter. Die Gewerbeuntersagung sei verhältnismäßig. Nach pflichtgemäßem Ermessen werde die Gewerbeuntersagung erweitert, da der Kläger gewerbeübergreifend unzuverlässig sei und ein Ausweichen auf anderweitige Gewerbetätigkeiten zu erwarten sei. Die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung sei sachgerecht und geboten. Das Interesse des Gewerbetreibenden an der Ausübung einer von der Gewerbeuntersagung erfassten Tätigkeit habe hinter dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit zurückzutreten. Die Androhung des unmittelbaren Zwangs erfolge nach Art. 29, 34 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz. Das weniger einschneidende Zwangsgeld verspreche im Hinblick auf die finanzielle Situation des Klägers keinen Erfolg.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 8. Juli 2019, bei Gericht eingegangen am 10. Juli 2019, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2019 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung führt der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen aus, das Gewerbe des Klägers sei auf dessen Mitarbeit ausgelegt. Seit 2015 leide der Kläger an Rückenschmerzen und habe sich im September 2017 einer Bandscheibenoperation mit anschließender Rehabilitation unterziehen müssen, so dass er körperliche Arbeiten nicht habe verrichten können. Seinen einzigen Mitarbeiter habe er zum 1. Oktober 2018 gekündigt, den Lohn habe er bis dahin gezahlt. Seither führe der Kläger unter allmählicher Wiedererlangung seiner Arbeitskraft die Gewerbetätigkeit fort. Zwar habe er Sozialabgaben nicht an die K. Krankenkasse abgeführt, allerdings nur für einen relativ geringfügigen Zeitraum. Zudem bemühe sich der Kläger um eine Verständigung mit dem Gläubiger. Mit seinen anderen Gläubigern bestünden Ratenzahlungsvereinbarungen. Die Beklagte habe nicht hinreichend gewürdigt, dass sich der Kläger trotz seiner eingeschränkten Arbeitsfähigkeit bemühe, weiterhin gewerbliche Einkünfte zu erzielen und alte Schulden in Raten abzuzahlen. Aus dem Verhalten des Klägers könne keine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit abgeleitet werden.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt die Beklagte mit Schreiben vom 3. September 2019 im Wesentlichen aus, für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei allein die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend, nachträgliche Änderungen seien irrelevant. Auch spiele es keine Rolle, aus welchen Gründen der Gewerbetreibende seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sei.
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Mit Beschluss vom 3. Juni 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Das Gericht hat am 14. Juli 2020 zur Sache mündlich verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Klagefrist von einem Monat gemäß § 74 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erhoben. Die Klage ist aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Rechtsgrundlage für die Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes ist § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO). Danach ist die Ausübung eines Gewerbes ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
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a) Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen.
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Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
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Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, wie eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
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Auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit nach objektiven Kriterien bestimmt. Daher ist es grundsätzlich unerheblich, ob den Gewerbetreibenden hinsichtlich der Umstände, derentwegen ihm eine negative Prognose hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit seines künftigen gewerblichen Verhaltens ausgestellt werden muss, ein Verschuldensvorwurf trifft oder ihm „mildernde Umstände“ zur Seite stehen (BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff; BayVGH, B.v. 8.5.2015 - 22 C 15.760 - juris).
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Vielmehr muss im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Diese - durch die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung begründete - Erwartung ist der eigentliche Grund, den wirtschaftlich leistungsunfähigen Gewerbetreibenden als unzuverlässig zu bewerten (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 146/80 - juris).
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Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 146/80 - juris). Ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept setzt grundsätzlich voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen und ein Tilgungsplan auch effektiv eingehalten wird (BayVGH, B.v. 8.7.2013 - 22 C 13.1163 - juris).
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Da über das Vermögen des Klägers ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist zudem die Regelung des § 12 GewO zu beachten. Danach finden Vorschriften, die die Untersagung eines Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, während eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Insolvenzordnung (InsO) angeordnet sind, und während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Dies gilt jedoch nach § 12 Satz 2 GewO nicht für eine nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO freigegebene selbständige Tätigkeit des Gewerbetreibenden, wenn dessen Unzuverlässigkeit mit Tatsachen begründet wird, die nach der Freigabe eingetreten sind. Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner, der eine selbständige Tätigkeit ausübt, zu erklären, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Im vorliegenden Fall hat der Insolvenzverwalter am 6. Juli 2017 gegenüber dem Kläger erklärt, dass das Vermögen aus seiner selbständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus seiner selbständigen Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Damit wurde die selbständige Tätigkeit des Klägers freigegeben.
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Nach diesen Maßstäben rechtfertigt sich die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers aus der Zusammenschau der im Zeitpunkt des Bescheidserlasses vorliegenden Tatsachen. So hatte der Kläger für den nach der im Insolvenzverfahren erfolgten Freigabeerklärung liegenden Zeitraum von Mai 2018 bis September 2018 Beitragsrückstände bei der K. Krankenkasse, die sowohl nach ihrem absoluten Betrag wie auch im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Gewerbes erheblich erscheinen. Der Kläger arbeitete auch nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept. Ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept setzt grundsätzlich voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen und ein Tilgungsplan effektiv eingehalten wird. Wie die K. Krankenkasse der Beklagten mitgeteilt hat, bestand zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses keine Zahlungsvereinbarung. Zudem wurde der Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 10. Januar 2018 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in neun Fällen gemäß §§ 266a Abs. 1, 53 Strafgesetzbuch (StGB) rechtskräftig verurteilt und hat sich damit als gewerberechtlich unzuverlässig erwiesen.
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Im Hinblick auf die strafrechtliche Verurteilung ist auszuführen, dass sich die von der Behörde anzustellende Prognose, wonach der Gewerbetreibende auf Grund der für die Vergangenheit festgestellten Verstöße auch für die Zukunft als unzuverlässig gilt, schon auf eine erhebliche gewerbebezogene Straftat stützen kann. Maßgeblich ist dabei nicht die Verurteilung als solche, sondern die der Verurteilung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen. Die Behörde hat zu prüfen, ob diese die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden dartun. Eine zeitliche Grenze für die Heranziehung von Straftaten bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ergibt sich aus dem Verwertungsverbot des § 51 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (BZRG) (Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand März 2019, § 35 Rn. 37, 41). Nach alledem durfte die Beklagte die Unzuverlässigkeit des Klägers auf den der Verurteilung vom 10. Januar 2018 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zugrunde liegenden Sachverhalt, wie er vom Amtsgericht München ermittelt wurde, stützen. Danach hat der Kläger im Zeitraum von Juli 2016 bis März 2017 Arbeitnehmeranteile in Höhe von insgesamt 3.335,04 Euro nicht an die gesetzlichen Krankenkassen abgeführt. Zwar führten unter anderem die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Schulden bei der B. Krankenkasse zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 31. Mai 2017, allerdings liegt in dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt ein Unwertgehalt, der über die bloße Nichtzahlung der Krankenkassenbeiträge hinausgeht, so dass § 12 Satz 1 GewO der Berücksichtigung im Gewerbeuntersagungsverfahren nicht entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2020 - 22 ZB 20.127 - juris). Die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass dem Täter die Abführung der Beiträge möglich und zumutbar ist. Unmöglichkeit kann zwar bei Zahlungsunfähigkeit vorliegen, jedoch genügt es dafür nicht, dass der Täter nicht mehr alle Verbindlichkeiten erfüllen kann, sondern ihm müssen konkret die Mittel für die - vorrangige - Entrichtung der fälligen Arbeitnehmerbeiträge fehlen (BGH, B.v. 28.5.2002 - 5 StR 16.02 - juris; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 266a Rn. 10). Als Fälle der Unzumutbarkeit kommen im Wesentlichen nur solche in Betracht, in denen die Bezahlung zu einer Gefahr für höchstpersönliche Rechtsgüter des Pflichtigen oder ihm nahestehender Personen führt (Perron in Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 266a Rn. 10). Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger die Zahlung der Arbeitnehmeranteile an die Krankenkasse unmöglich oder unzumutbar war, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Maßgeblich für die Beurteilung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit mit Blick auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt sind somit nicht die ungeordneten Vermögensverhältnissen, die zur Nichtzahlung der Krankenkassenbeiträge geführt haben, als solche. Vielmehr wird aus dem Verhalten des Klägers, die Arbeitnehmeranteile, die nicht ihm selbst, sondern der Krankenkasse zustehen und der sozialen Absicherung der seiner Fürsorge unterstellten Arbeitnehmer dienen (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2014 - 22 B 14.880 - juris Rn. 24), nicht ordnungsgemäß an die Krankenkasse abzuführen, deutlich, dass der Kläger um seines eigenen finanziellen Vorteils willen bereit ist, sich über Rechtsnormen hinwegzusetzen. Dies lässt auf einen Charakter des Klägers schließen, der die negative Zukunftsprognose, wie sie von der Beklagten angestellt wurde, trägt.
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b) Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen. Ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht der Beitragsrückstände bei der Krankenkasse sowie der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer gewerbebezogenen Straftat war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich.
28
c) Die Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 - 1 B 5/94 - juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen ex-tremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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2. Rechtsgrundlage für die Erweiterung der Gewerbeuntersagung auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit ist § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Danach kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist.
30
a) Die Beklagte hat aus überzeugenden Gründen eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit des Klägers angenommen.
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Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
32
Indem der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der K. Krankenkasse nicht nachgekommen ist, hat er Pflichten verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten. Zudem wurde der Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 10. Januar 2018 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in neun Fällen gemäß §§ 266a Abs. 1, 53 StGB rechtskräftig verurteilt, weil er nach den Feststellungen des Amtsgerichts München im Zeitraum von Juli 2016 bis März 2017 Arbeitnehmeranteile in Höhe von insgesamt 3.335,04 Euro nicht an die gesetzlichen Krankenkassen abgeführt hat. Dies rechtfertigt die Annahme, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen würde.
33
b) Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten ist auch erforderlich.
34
Erforderlich ist die Erstreckung der Gewerbeuntersagung, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende andere gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.
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c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO.
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Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO steht im Ermessen der Behörde. Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere - nicht ausgeübte - gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff). Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.
37
d) Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz in Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (BVerwG, B.v. 12.1.1993 - 1 B 1/93 - juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
38
3. Hinsichtlich der Bemessung der Frist zur Einstellung der Gewerbeausübung und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung bestehen keine rechtlichen Bedenken.
39
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.