Inhalt

LG Bamberg, Beschluss v. 24.01.2020 – 42 T 176/19
Titel:

Einrichtung einer Betreuung von Amts gegen den unbeachtlichen Willen des Betroffenen

Normenketten:
BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a
FamFG § 294 Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine Person ist betreuungsbedürftig i.S.d. § 1896 Abs. 1 BGB, wenn sie an einer chronischen paranoiden Schizophrenie in einer massiven Akutphase mit schwerster Symptomatik und hoher Wahndynamik leidet, die zu einem uferlos zur Wahnausbreitung neigenden, bizarren Verfolgungswahn mit akustischen Halluzinationen führt. (Rn. 3 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Betreuung kann gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden, wenn dieser zwar einen natürlichen, aber keinen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB bilden kann. (Rn. 9 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Bestellung eines Betreuers, Erkrankung, Schizophrenie, freie Willensbestimmung, Betreuungsbedürftigkeit, Gesundheitszustand, Höchstdauer
Vorinstanz:
AG Haßfurt, Beschluss vom 08.11.2019 – 9 XVII 186/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.07.2020 – XII ZB 78/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18764

Tenor

1. Die Beschwerde des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Haßfurt vom 08.11.2019, Az. 09 XVII 186/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Haßfurt vom 08.11.2019, Az. 09 XVII 186/19, hat in der Sache keinen Erfolg, da die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung im angeordneten Umfang vorliegen.
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1. Nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen für einen Volljährigen einen Betreuer, wenn er auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen setzt dabei voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung (partiell) unfähig ist, eigenständig und selbstverantwortlich zu handeln. Die Erkrankung oder Behinderung muss mithin einen solchen Grad erreichen, dass die Fähigkeit des Betroffenen zur Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts ausgeschlossen oder so erheblich beeinträchtigt ist, dass er zu eigenverantwortlichen Entscheidungen (im betreffenden Aufgabenbereich) nicht in der Lage ist (vgl. Schwab, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 1896 Rn. 20 m.w.N.).
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a) Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen jedoch ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor.
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Einsichtsfähigkeit setzt dabei die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Betroffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann.
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Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen.
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Beruht die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers schließlich auf einer nach diesen Maßstäben freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 22.01.2014, Az. XII ZB 632/12, NJW-RR 2014, 772, bei juris Rn. 6 ff.; BGH, Beschluss vom 30.07.2014, Az. XII ZB 107/14, MDR 2014, 1088, bei juris Rn. 12 ff.)
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b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundsätze - denen das Beschwerdegericht folgt - ist vorliegend die Betreuung des Betroffenen, wie das Amtsgericht Haßfurt in dem angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, anzuordnen. Der Betroffene ist betreuungsbedürftig im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB und verfügt nicht über einen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB, weshalb sein entgegenstehender Wille unbeachtlich ist.
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Nach dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen Y vom 15.08.2019 leidet der Betroffene an einer chronischen paranoiden Schizophrenie (ICD10: F20.0) in einer massiven Akutphase mit schwerster Symptomatik und hoher Wahndynamik. Diese äußert sich in einem uferlos zur Wahnausbreitung neigenden, bizarren Verfolgungswahn mit akustischen Halluzinationen. Er ist nicht in der Lage, seine Erkrankung und deren Behandlungsbedarf zu erkennen, die sein Denken und Handeln vollständig bestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen (Bl. 45 ff. d.A.).
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Der Sachverständige Y hat weiter ausgeführt, dass der Betroffene aufgrund der bei ihm vorliegenden Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen könne. Aus medizinischer Sicht sei der Betroffene als geschäftsunfähig anzusehen. Einen natürlichen Willen könne er bilden.
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Die Kammer folgt den Ausführungen des Sachverständigen Y nach eigener kritischer Prüfung und unter Berücksichtigung des Eindrucks, der anlässlich der Anhörung durch das Amtsgericht Haßfurt vom 18.10.2019 gewonnen werden konnte, vollumfänglich. Das Amtsgericht hat seine eigenen Wahrnehmungen nachvollziehbar in einem Vermerk dargelegt (Bl. 78 d.A.), der Berroffene lehnte ein ausführliches Gespräch ab. Der gerichtsbekannt sehr sorgfältig arbeitende und erfahrene Sachverständige hat sich umfassend zu den im Beweisbeschluss aufgeworfenen Fragen geäußert und seine Feststellungen und Folgerungen eingehend und gut nachvollziehbar begründet. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb an der Richtigkeit der gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen gezweifelt werden könnte. Deren Inhalt deckt sich im Übrigen vollständig mit der Einschätzung der ihn im Rahmen der Unterbringung behandelnden Ärzte Prof. Dr. …, Dr. … und Dr. … (Bl. 76 d.A.).
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Nach alledem kann aus Sicht der Kammer nicht fraglich sein, dass der Betroffene betreuungsbedürftig ist und wohl über einen natürlichen, nicht aber einen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB verfügt.
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c) Auch dem Umfang nach ist die angeordnete Betreuung nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten, der Stellungnahme der Betreuungsbehörde (Bl. 2 ff. d.A.) sowie der Stellungnahme des Verfahrenspflegers (Bl. 56 d.A.) nicht zu beanstanden. Die Betreuung muss die vom Amtsgericht vorgesehenen Aufgabenkreise umfassen.
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Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 12. April 2017, Az. XII ZB 416/16, bei juris Rn. 8 m.w.N.). Die Erforderlichkeit muss dabei für jeden Aufgabenkreis gesondert festgestellt werden (BayObLG, Beschluss vom 05. Juli 1999, Az. 3Z BR 108/99, bei juris Rn. 13).
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Hinsichtlich des Umfangs der Betreuungsanordnung folgt die Kammer ebenfalls den Ausführungen des Sachverständigen Y.
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Es besteht demnach eine umfassende Betreuungsbedürftigkeit für alle Bereiche, da die Psychose das Denken, Fühlen und Handeln des Betroffenen bestimmt. Daneben sind keinerlei sinnvolle Betätigungen, wohl auch aufgrund der zeitlichen Einbindung bei der Auseinandersetzung mit den Wahnvorstellungen, zu erkennen.
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Die Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen umfasst deshalb die Bereiche der Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden, was auch das Öffnen und Anhalten der Post und Entscheidungen über Fernmeldeverkehr umfasst. Nur so kann gewährleistet werden, dass den essentiellen Belangen des Betroffenen nachgekommen wird, da er selbst hierzu nicht mehr in der Lage ist. Der Betroffene neigt wahnbedingt zu verstärktem querulatorischen Verhalten, welches öffentliche Verfahren auslöst und bei dem die Gefahr besteht, dass eine auch finanzielle Inanspruchnahme nicht ausbleibt.
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Die Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen flankierend auch in dem Aufgabenbereich der Vermögenssorge kann nach Aktenlage nicht als zweifelhaft angesehen werden. Es ist festzustellen, dass der Betroffene Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezieht, sein einziges Einkommen. Da er wahnhaft nicht in der Lage ist, sich bspw. mit entsprechenden Anträgen um seine eigenen Belange zu kümmern, ist er insoweit auf die Hilfe eines Betreuers angewiesen. Der Betroffene kann ersichtlich seine finanziellen Geschäfte nicht allein bewältigen. Darüber hinaus besteht Betreuungsbedürftigkeit im Bereich der Gesundheitsfürsorge, der Aufenthaltsbestimmung und der Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen. Der Betroffene verfügt über keinerlei Krankheitseinsicht, bedarf jedoch erheblicher medikamentöser Behandlung, die teilweise auch nur im Rahmen einer stationären Therapie möglich ist, das er eine freiwillige Medikamenteinnahme immer wieder verweigert.
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Es besteht hinsichtlich der genannten Aufgabenkreise die Besorgnis, das für den Betroffenen ohne entsprechende Betreuung erhebliche Nachteile entstehen können. Der Betroffene kann die Folgen seines Handelns bzw. seines Unterlassens offensichtlich nicht selbst überblicken. Entsprechend muss die Betreuung die Aufgabenbereiche umfassen.
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d) Mildere Maßnahmen, um das mit der Betreuung verfolgte Ziel erreichen zu können, sind nicht gegeben. Derzeit sind nach den Ausführungen des Sachverständigen andere Hilfsmöglichkeiten, die eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich machen, nicht ersichtlich. Auch aus dem übrigen Akteninhalt wird deutlich, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, sich um seine Belange ohne externe - professionelle - Unterstützung im ausreichenden Umfang selbst zu kümmern.
20
e) Auch der vom Amtsgericht festgesetzte Überprüfungszeitraum von 7 Jahren in Bezug auf die errichtete Betreuung begegnet keinen Bedenken. Zwar handelt es sich insoweit um die gesetzlich zulässige Höchstdauer (§ 294 Abs. 3 FamFG). Da jedoch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Gesundheitszustand des Betroffenen verbessern wird, erscheint auch die Ausschöpfung des insoweit zulässigen Rahmens für angemessen.
21
Die Beschwerde des Betroffenen ist nach alledem insgesamt unbegründet und zurückzuweisen.
II.
22
Eine ausdrückliche Kostenentscheidung kann unterbleiben, was zur Folge hat, dass eine Kostenerstattung nicht stattfindet und derjenige die Gerichtskosten zu tragen hat, der nach den gesetzlichen Vorschriften, insbesondere nach dem Gesetz über die Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gericht und Notare (GNotKG), die Kosten zu tragen hat.
III.
23
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.