Titel:
Baugenehmigung für Wohnhaus wird erteilt - Im Fall: Gebot der Rücksichtnahme ist gewahrt
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
Leitsatz:
Sind die landesrechtlichen Vorschriften zu den Abstandsflächen eingehalten, die die Verhinderung einer unzumutbaren einmauernden oder erdrückenden Wirkung beabsichtigen und die ein Mindestmaß an Belichtung, Belüftung und Besonnung des benachbarten Grundstücks sicherstellen, ist das ein Indiz dafür, dass bei einem Baukörper hinsichtlich Größe und Situierung keine Rücksichtslosigkeit in Bezug auf das Nachbargrundstück angenommen werden kann. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baurecht, Nachbarklage gegen ein Mehrfamilienhaus, Drittschutz, Einfügen, Gebot der Rücksichtnahme, Baugenehmigung, Art der baulichen Nutzung, Neubau, Wohnhaus, Bauweise
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18705
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen haben die Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich mit ihrer Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit acht Wohneinheiten auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ....
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Die Kläger sind Eigentümer des südlich gelegenen Grundstücks Fl.Nr. ... Gemarkung, welches mit einem selbst genutzten Wohnhaus und einer Grenzgarage bebaut ist.
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Sowohl das in Aussicht genommene Baugrundstück als auch das Grundstück der Kläger befinden sich nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes. Das nördlich des Baugrundstückes liegende Grundstück (Fl.Nr. ...) sowie das östlich des Anwesens der Kläger liegende Grundstück (Fl.Nr. ...) sind noch unbebaut. Auf den südlich von den Klägern gelegenen drei Grundstücken befinden sich Wohnhäuser mit Nebengebäuden (Fl.Nr. ... und ...) bzw. ein Nebengebäude (Fl.Nr. ...). Östlich von dem vorgenannten Bereich und nördlich der ... sind landwirtschaftliche Anwesen vorhanden. Auf dem Grundstück Fl.Nr. ... befindet sich ein Mehrfamilienhaus.
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Mit Formblatt vom 22. November 2019 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit acht Wohneinheiten und 17 Stellplätzen.
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Die Kläger haben die Baupläne des Beigeladenen nicht unterzeichnet und im Baugenehmigungsverfahren schriftsätzlich Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben.
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Mit Bescheid vom 3. März 2020 wurde das Bauvorhaben genehmigt. Die Umgebungsbebauung entspreche sowohl hinsichtlich der Darstellung im Flächennutzungsplan wie auch hinsichtlich der tatsächlichen Nutzung einem Dorfgebiet. Das Vorhaben orientiere sich als Einzelhaus an der überwiegend vorherrschenden offenen Bauweise. In der Umgebung befänden sich Gebäude mit großen Grundflächen (Fl.Nr. ...: 232 m² und 706 m²; Fl.Nr. ...: 772 m²). Die durch das Vorhaben zu überbauende Fläche betrage rund 383 m². Die Geschossigkeit mit zwei Vollgeschossen und einem Dachgeschoss finde sich u.a. auf dem östlich angrenzenden Grundstück Fl.Nr. ... und in der weiteren Umgebung wieder. Durch die im Vergleich zur ursprünglichen Planung mit drei Geschossen erfolgte Reduzierung der Dachaufbauten auf das gegenständliche Maß füge sich das Vorhaben ein. Das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt. Die erforderlichen Abstandsflächen würden eingehalten und nicht ausgereizt. Die Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze, an der sich auch der 5,5 m lange Carport der Kläger befinde, betrage 52,09 m, danach setze sich das Anwesen der Kläger noch um weitere 10,37 m fort. Eine Abriegelung des südlich gelegenen Grundstücks der Kläger sei aufgrund der Weitläufigkeit nicht gegeben.
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Hiergegen ließen die Kläger am 25. März 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Für sie ist beantragt,
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die Baugenehmigung vom 3. März 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfüge und damit gegen das Rücksichtnahmegebot verstoße. Die nähere Umgebung sei geprägt durch in offener Bauweise ausgeführte Bauvorhaben mit großen Freiflächen sowie durch landwirtschaftliche Anwesen. Im maßgeblichen Geviert befinde sich nur ein einziger „Ausreißer“, der dem verfahrensgegenständlichen Vorhaben in Ausmaß und Größe auch nur annähernd entsprechen würde. Jener wäre als Fremdkörper bei der Bestimmung der vorhandenen Bebauung nicht zu berücksichtigen. Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens halte, füge sich in seine Umgebung dennoch dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstigen, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandenen Bebauung fehlen lasse, was vorliegend der Fall sei. Neben der Art und dem Maß sei auch die Bauweise ein entscheidendes Kriterium für das Einfügen. Hinzu komme die negative Vorbildfunktion für das maßgebliche Gebiet, zumal der Beigeladene - wie aus dem sich in den Bauakten befindlichen Freiflächengestaltungsplan hervorgehe - neben dem hier streitgegenständlichen Vorhaben ein weiteres Mehrfamilienhaus mit acht Wohneinheiten zu errichten beabsichtige. Die Baudichte als Bestandteil des drittschützenden Maßes der baulichen Nutzung werde nicht gewahrt. Die Wahrung der Abstandsflächen indiziere die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme nicht, wenn sich das Vorhaben und erst recht beide Vorhaben nicht mehr einfügten. Weiter werde auf die Grundwasserproblematik im fraglichen Gebiet hingewiesen, welche sich durch die Realisierung des Vorhabens noch weiter verschärfen werde. Der Grundwasserstand sei im fraglichen Bereich sehr hoch. Die Umsetzung des Vorhabens lasse eine Verdrängung von Wasser und damit Schäden bei den Klägern befürchten. Die vollständige Versiegelung des Grundstücks sei ein weiteres Argument gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens. Schließlich gehe vom geplanten Vorhaben eine massive Riegelwirkung aus.
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Auf das weitere Vorbringen in der Klagebegründung vom 28. April 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Mit Beschluss vom 26. März 2020 wurde der Bauherr zu dem Verfahren beigeladen.
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Dieser beantragte unter dem 20. April 2020 (sinngemäß),
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Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch die Baugenehmigung, auf die sich die Kläger allein berufen könnten, sei nicht erkennbar. Ergänzend ließ er mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 weiter vortragen, dass verfahrensgegenständlich allein das vom Genehmigungsbescheid umfasste Bauvorhaben auf dem Grundstück Fl.Nr. ... und eine etwaige mögliche Bebauung auf dem Grundstück Fl.Nr. ... deswegen nicht entscheidungsrelevant sei. Im hier zur Bestimmung der Umgebung maßgeblichen Geviert östlich der ...-, südlich der ...-, westlich der ...- und nördlich der ... finde man auf den Grundstücken Fl.Nr. ... und ... landwirtschaftliche Anwesen mit Wohngebäuden mit einer deutlich größeren Kubatur als das geplante Vorhaben. Auch wiesen die Gebäude auf den Grundstücken Fl.Nr. ... und ... eine Zweigeschossigkeit mit Satteldach auf. Schließlich füge sich das Vorhaben auch hinsichtlich der Bauweise ein. Unabhängig davon seien weder das Maß noch die Bauweise nachbarschützend. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt.
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Auf das weitere Vorbringen im Schriftsatz des Beigeladenen vom 4. Mai 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Der Beklagte trat der Klage mit Schriftsatz vom 7. Mai 2020 entgegen. Für ihn ist beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass sich das Vorhaben, ausgeführt in offener Bauweise, in die maßgebliche Umgebung einfüge. Eine Abstandsflächenübernahme sei nicht hinsichtlich des Wohnhauses, sondern wegen des nördlichen Carports erforderlich gewesen. Zum Grundstück der Kläger hin weise der grenzständige Carport hingegen nur eine Länge von 5,5 m auf. Entgegen der Vermutung der Kläger werde das weitere Vorhaben nicht vom Beigeladenen sondern seitens eines Dritten verfolgt. Im Rahmen der Umplanungen seien die Anzahl der Standgiebel, der Wohneinheiten und die Dachaufbautenhöhen und -breiten reduziert sowie der Baukörper verschoben worden. Das Bauvorhaben füge sich - auch im Hinblick auf die vorhandene Bebauung im östlichen Teil des Straßengevierts sowie das Mehrfamilienhaus auf Fl.Nr. ... - in die Eigenart der Umgebung ein, das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt.
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Mit Beschluss vom 13. Mai 2020 hat das Gericht den zugleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt.
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Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2020 trug der Beigeladene ergänzend vor, dass sich in der näheren Umgebung (Fl.Nr. ...) ein Mehrfamilienhaus mit sieben Wohnungen und entsprechend dichter Bebauung finde. Weiter wird ausgeführt, inwiefern im Vergleich zur ursprünglichen Planung die vorliegende geändert wurde.
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Die Kläger ließen unter dem 15. Mai 2020 ausführen, weshalb sich das geplante Vorhaben aufgrund seiner Vorbildwirkung nicht in die nähere Umgebung einfüge. Die vom Bundesverwaltungsgericht insofern aufgestellten Grundsätze gälten nicht nur hinsichtlich der Art, sondern auch in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung. Insofern vertieft die Klagepartei ihr Vorbringen, weshalb sich das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht einfüge, weil insbesondere die zu geringe Grün- bzw. Freifläche in Relation zur bebauten Fläche dem typischen Gebietscharakter widerspreche. Weiter wurde zu den Beweggründen zur Verweigerung bzw. dann erfolgten Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens vorgetragen. Auf das weitere Vorbringen im Schriftsatz der Kläger vom 15. Mai 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Der Beklagte äußerte sich hierzu mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020.
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Mit Schriftsätzen vom 13. und 20. Juli 2020 erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die mit der Klage angegriffene Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, und trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung, ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 - 4 B 244.96 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2 CS 08.2132 - juris Rn. 3).
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1. Mangels Anhaltspunkten für einen Verstoß gegen die Art der baulichen Nutzung ergibt sich im Innenbereich (§ 34 BauGB) ein Drittschutz nur über das im Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ enthaltene Gebot der Rücksichtnahme.
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Ob sich das Vorhaben darüber hinaus nach dem Maß der baulichen Nutzung, nach der Bauweise und nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und über die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 - 4 B 53.94 - juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 - 4 B 215.95 - NVwZ 1996, 888; BayVGH, B.v. 29.9.2008 - 1 CS 08.2201 - juris Rn. 1; B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 - 2 ZB 13.2276 - juris Rn. 4; OVG NW, B.v. 27.10.2016 - 10 B 1040/16 - juris Rn. 11). Soweit die Kläger sinngemäß einen Gebietsgewährleistungsanspruch geltend machen, weil das angefochtene Vorhaben wegen seines Umfangs und der überbauten Grundstücksfläche den vorwiegend von Einfamilienhäusern geprägten Charakter der Umgebung mit Gärten und Grünbereichen verändere, führt dies demzufolge nicht zum Erfolg ihrer Klage. Der Gebietsgewährleistungsanspruch begründet kein Abwehrrecht gegen Mehrfamilienhäuser in einem bisher durch Einfamilienhäuser geprägten Bereich (vgl. OVG NW, B.v. 4.11.2015 - 7 B 744/15 - juris Rn. 5; B.v. 4.7.2014 - 7 B 363/14 - juris). Ebenfalls unberücksichtigt zu bleiben bei der Frage des Einfügens eines Bauvorhabens in die nähere Umgebung hat die Zahl der künftigen Wohneinheiten, da die im Rahmen des § 34 BauGB entweder unmittelbar (§ 34 Abs. 2 BauGB) bzw. sinngemäß heranzuziehende BauNVO bezüglich der Art der Nutzung nur auf den eigentlichen Nutzungstypus abstellt, jedoch keine weitergehende Differenzierung hinsichtlich der Nutzungsintensität vornimmt (zur Verdichtung der Wohnbebauung: OVG NW, B.v. 11.3.2016 - 7 B 1371/15 - juris Rn. 4). Deren Beurteilung bleibt letztlich eine Frage der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Nichts anderes ergibt sich aus der von den Klägern bemühten ober- bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung. Vielmehr gelangte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 23. Juni 1995 zu dem Ergebnis, dass Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung durch Bebauungspläne grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion haben (4 B 52.95 - juris -Ls-). Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2018 (4 C 7.17 - juris) setzte sich mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung eine nachbarschützende Wirkung zukommt, auch wenn der Plangeber die Schutzrichtung nicht ausdrücklich dem Bebauungsplan zugewiesen hat. Das Vorhaben des Beigeladenen liegt hier aber im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 2016 (4 C 7.15 - juris) befasst sich zwar mit der Frage des Einfügens eines Vorhabens nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung. Allerdings verhält es sich mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu der hier maßgeblichen Frage des Drittschutzes, weil es in dem Fall um eine Klage des Bauherrn auf Erteilung einer Baugenehmigung ging.
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2. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt nicht zu Lasten der Kläger gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
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a) Hinsichtlich der Größe und der Situierung des Baukörpers auf dem Grundstück des Beigeladenen kann keine Rücksichtslosigkeit in Bezug auf das südlich gelegene Wohngrundstück der Kläger angenommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die landesrechtlichen Vorschriften zu den Abstandsflächen die Verhinderung einer unzumutbaren einmauernden oder erdrückenden Wirkung beabsichtigen und ein Mindestmaß an Belichtung, Belüftung und Besonnung des benachbarten Grundstücks sicherstellen sollen. Sind daher diese Vorschriften eingehalten, bildet dies ein Indiz dafür, dass auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme diesbezüglich nicht verstoßen wird (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2326 - juris; B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris).
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Danach ist ein Verstoß im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das beabsichtigte Mehrfamilienhaus hält unstreitig die landesrechtlich erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger ein.
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b) Darüber hinaus kann ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach der Rechtsprechung nur in Betracht kommen, wenn das Wohngebäude der Kläger durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird, ihm also „abriegelnde“ Wirkung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris; B.v. 25.1.2013 - 15 ZB 13.68 - juris; B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris), insbesondere bei übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - juris: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigen Nachbarhaus; U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - NVwZ 1987, 34: 3 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 10.12.2008 - 1 CS 08.2770 - BayVBl 2009, 751; B.v. 5.7.2011 - 14 CS 11.814 - juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlagen in Relation zur Nachbarbebauung.
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Gemessen hieran liegt eine erdrückende Wirkung nicht vor. Von dem Neuvorhaben müsste aufgrund der Massivität und Lage eine qualifizierte, handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen. Davon kann nach den beigezogenen Unterlagen und unter Berücksichtigung des Parteivortrags keine Rede sein. Wie ausgeführt indiziert die Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, dass aus tatsächlichen Gründen das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 - 4 B 128.98 - juris Rn. 3). Es bestehen auch keine sonstigen Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Auch wenn die bisherige Bebauung nach dem Vortrag der Kläger eher von einer „dörflich aufgelockerten Bauweise“ mit vorwiegend „kleineren Einfamilienhäusern“ und „landwirtschaftlichen Anwesen“ geprägt sein mag, so sprengen Länge und Höhe des geplanten Gebäudes den Rahmen der vorhandenen Bebauung, worauf der Beigeladene insbesondere im Hinblick auf die landwirtschaftlichen Anwesen auf den Grundstücken Fl.Nr., ... und ... zu Recht hinweist, nicht. Bezogen auf die schon tatsächlich vorhandene Bebauung kann das Vorhaben des Beigeladenen nicht als Fremdkörper bezeichnet werden. Zwar ist der Klägerseite darin zuzustimmen, dass die Sichtachse in Richtung Norden beeinträchtigt wird und dies als Belastung wahrgenommen werden kann. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass der unbestreitbaren optischen Dominanz des Bauvorhabens des Beigeladenen in diese Blickrichtung ein weitgehend freier Ausblick in alle übrigen Himmelsrichtungen gegenübersteht. Von einer vollkommenen „Abriegelung“ bzw. „Einmauerung“, die das benachbarte Wohngrundstück gleichsam „erdrücken“ oder „gefängnisartig“ einmauern würde, kann demnach keinesfalls ausgegangen werden. Mithin lässt das Vorhaben subjektivrechtlich die gebotene Rücksichtnahme speziell auf seine in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung nicht vermissen. Die bauliche Verdichtung mag für die Kläger unpassend erscheinen, sie ist deswegen aber noch nicht rücksichtslos. Die städtebaulich erwünschte Nachverdichtung bringt es mit sich, dass die Baugrundstücke umfangreicher als in der Vergangenheit genutzt werden, sofern sie sich in den durch die Umgebungsbebauung vorgegebenen Rahmen einfügen. Es besteht aber kein Anspruch, dass das streitgegenständliche Grundstück wie das eigene Grundstück genutzt oder bebaut wird.
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c) Auch der Umstand, dass mit dem Vorhaben ein Mehrfamilienhaus in einer überwiegend durch Einfamilienhäuser und landwirtschaftliche Anwesen geprägten Umgebung verwirklicht werden soll, vermag keine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens zu begründen. Die Zahl der Wohneinheiten stellt ohne eine entsprechende planerische Festsetzung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) kein im Rahmen des „Einfügens“ beachtliches Kriterium dar (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1980 - IV C 98.77 - DVBl. 1981, 97; OVG RhPf, B.v. 29.6.1993 - 1 B 11353/93 - NVwZ 1994, 699).
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3. Schließlich führt auch der Hinweis der Kläger auf eine Verschärfung der Grundwassergefahr nicht zum Erfolg der Klage. Da die Baugenehmigung, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO erteilt worden ist, keine wasserrechtlich erforderlichen Genehmigungen ersetzt (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO), sind wasserrechtlich aufgeworfene Fragestellungen bereits nicht Gegenstand der Feststellungswirkung der mit der Klage angegriffenen Baugenehmigung.
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Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene einen Antrag gestellt und sich mithin einem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass seine außergerichtlichen Aufwendungen von den Klägern zu tragen sind.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet seine Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.