Inhalt

LArbG München, Urteil v. 27.04.2020 – 8 SaGa 3/20
Titel:

Urlaubsgewährung unter Ausschluss des Berufsschultages

Normenketten:
BUrlG § 7 Abs. 1
BBiG § 13 S. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1
JArbSchG § 19 Abs. 3
BWSchG § 72 Abs. 3, § 78 Abs. 2 S. 3
Leitsätze:
1. Die für jugendliche Berufsschüler geltende Bestimmung des § 19 Abs. 3 JArbSchG, nach der der Urlaub in der Zeit der Berufsschulferien gegeben werden soll und ein weiterer Urlaubstag zu gewähren ist, wenn dies nicht der Fall ist und die Berufsschule während des Urlaubs besucht wird, trägt für erwachsene Auszubildende keinen Umkehrschluss, sondern bringt vielmehr den allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass Beschäftigte nicht durch Urlaubsgewährung von einer Pflicht befreit werden können, die aus anderen Gründen ohnehin nicht (mehr) besteht. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Fehlen einer gesetzlichen Berufsschulpflicht ist nicht mit dem Fehlen einer Pflicht zur Unterrichtsteilnahme gleichzusetzen, wenn von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, die Berufsschule (hier gem. § 78 Abs. 2 S. 3 BWSchG) bis zum Abschluss "mit den Rechten und Pflichten eines Berufsschulpflichtigen" zu besuchen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Verfügung, einseitige Erledigungserklärung, Verfügungsanspruch, Berufsausbildungsvertrag, Urlaubsantrag, Teilzeiträume, betrieblicher Belang
Vorinstanz:
ArbG Augsburg, Endurteil vom 18.12.2019 – 1 Ga 5/19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 18359

Tenor

1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 18.12.2019 - 1 Ga 5/19 - abgeändert.
2. Der Antrag des Verfügungsklägers wird abgewiesen.
3. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach §§ 69 Abs. 4 Satz 2, Halbsatz 2 ArbGG, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

I.
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Das Rechtsmittel der Verfügungsbeklagten ist zulässig.
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1. Das Rechtsmittel ist gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. a) ArbGG statthaft, da es vom Arbeitsgericht durch Beschluss vom 28.01.2020 gemäß § 64 Abs. 3a ArbGG zugelassen wurde. An diese Entscheidung ist das Berufungsgericht gemäß § 64 Abs. 4 ArbGG gebunden; es kommt mithin nicht darauf an, ob die Zulassung zu Recht erfolgt ist.
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2. Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 11 Abs. 4, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO).
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3. Soweit der Verfügungskläger die Unzulässigkeit des Rechtsmittels geltend macht und sich auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 27.01.2011 - 6 SaGa 11/10 (Juris) - bezieht, kann ihm nicht gefolgt werden. Die herangezogene Entscheidung verhält sich zur Statthaftigkeit des Rechtsmittels nach § 64 Abs. 2 lit b) ArbGG; diese Fallgruppe der Statthaftigkeit ist hier ohne Bedeutung, da - wie dargestellt - die Statthaftigkeit bereits aus § 64 Abs. 2 lit a) ArbGG folgt. Soweit das Landesarbeitsgericht Köln die notwendige „Beschwer“ verneint hat, hat es ersichtlich auf den Wert des Beschwerdegegenstandes i.S.v. § 64 Abs. 2 lit b) ArbGG abgestellt.
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Sollte der Verfügungskläger geltend machen wollen, dass die (allgemeine) Beschwer fehlt, die Voraussetzung für die Zulässigkeit jedes Rechtsmittels ist, so ist auch dies nicht richtig. Die auf Beklagtenseite maßgebliche materielle Beschwer ist vielmehr zu bejahen, denn die Verfügungsbeklagte wurde vom Erstgericht verurteilt.
II.
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Die Berufung der Verfügungsbeklagten ist auch begründet. Denn die - wirksam geänderte - Verfügungsklage unterliegt der Klageabweisung.
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1. Der Verfügungskläger hat den Verfügungsantrag für erledigt erklärt. Da sich die Verfügungsbeklagte der Erledigterklärung nicht angeschlossen hat, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache noch anhängig. Dass es vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, ändert daran nichts Das Petitum des Verfügungsklägers ist nunmehr jedoch auf die Feststellung gerichtet, dass der Verfügungsantrag zum Zeitpunkt des Urlaubsendes, das der Kläger als erledigendes Ereignis ansieht, zulässig und begründet war (vgl. Zöller/Vollkommer, § 91 a ZPO, Rn. 58, Stichw.: „Arrest und einstweilige Verfügung“).
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2. Das ist jedoch nicht der Fall, schon weil der Verfügungsanspruch entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts zu keinem Zeitpunkt begründet war.
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2.1. Der Urlaubsantrag des Verfügungsklägers war gemäß §§ 133, 157 BGB dahin zu verstehen, dass ihm das Fernbleiben an sämtlichen Arbeitstagen zwischen dem 03.01.2020 und dem 13.01.2020 durch Urlaubsgewährung ermöglicht werden sollte. Sein Urlaubswunsch betraf auch den Berufsschultag am 08.01.2020. Sein Urlaubswunsch war nicht - auch nicht hilfsweise - darauf gerichtet, Urlaub für einen oder mehrere Teilzeiträume im genannten Gesamtzeitraum zu erhalten. Vor dem - der Verfügungsbeklagten in Folge der Diskussionen um die Urlaubsgewährung bekannten - Hintergrund, dass der Verfügungskläger im Gesamtzeitraum eine Flugreise unternehmen wollte, ging sein Wunsch erkennbar dahin, Urlaub ausschließlich für den Gesamtzeitraum zu erhalten. Wäre dies anders gewesen, hätte der Verfügungskläger auch nicht nur die Alternative gesehen, die Fernreise zu einem völlig abweichenden Zeitraum anzutreten, was letztlich an seinen finanziellen Möglichkeiten scheiterte. Der Verfügungskläger hat auch im Termin vor der Berufungskammer bestätigen lassen, dass eine teilweise Gewährung unter Ausschluss des Berufsschultages nicht in seinem Interesse gelegen hat. Soweit er nachfolgend zu bedenken geben ließ, eine Gewährung an den restlichen Tagen wäre in Betracht gekommen, ist seine Argumentation nicht nachzuvoliziehen.
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2.2. Diesen Urlaubsantrag durfte die Verfügungsbeklagte schon deshalb ablehnen, weil er hinsichtlich des Berufsschuitages am 08.01.2020 auf eine unmögliche Leistung gerichtet war.
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Durch die Erklärung der Urlaubserteilung wird der Arbeitnehmer bzw. der Auszubildende von der vertraglichen Pflicht zu arbeiten bzw. sich im Betrieb ausbilden zu lassen (§ 13 Satz 2 Nr. 1 BBiG) befreit. Dies setzt voraus, dass eine konkrete Pflicht zur Arbeit bzw. zur Teilnahme an der betrieblichen Ausbildung besteht. Dies war für den Berufsschultag am 08.01.2020 nicht der Fall. Denn an diesem Tag war der Verfügungskläger nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 BBiG für die Teilnahme am Berufsschulunterricht freigestellt. Eine konkrete Pflicht zu arbeiten bzw. sich im Betrieb ausbilden zu lassen, bestand schon deshalb nicht. Eine Befreiung durch Urlaubsgewährung war ausgeschlossen. Eine Ausnahme wäre nur in Betracht gekommen, wenn der Verfügungskläger seitens der Berufsschule von der Pflicht zur Teilnahme am Unterricht befreit worden wäre. Eine solche Befreiung mag er beantragt haben; unstreitig wurde sie von der Berufsschule jedoch nicht erteilt.
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Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass § 19 Abs. 3 JArbSchG für jugendliche Berufsschüler regelt, dass der Urlaub in der Zeit der Berufsschulferien gegeben werden soll (Satz 1) und ein weiterer Urlaubstag zu gewähren ist, wenn dies nicht der Fall ist und die Berufsschule während des Urlaubs besucht wird (Satz 2), das für erwachsene Auszubildende geltende Bundesurlaubsgesetz jedoch eine derartige ausdrückliche Regelung vermissen lässt. § 19 Abs. 3 JArbSchG trägt keinen Umkehrschluss, sondern bringt vielmehr den allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass Beschäftigte nicht durch Urlaubsgewährung von einer Pflicht befreit werden können, die aus anderen Gründen ohnehin nicht (mehr) besteht. § 19 Abs. 3 Satz 2 JArbSchG hat nach zutreffender Auffassung nur klarstellenden Charakter (vgl. HWK-Tillmanns, § 19 JArbSchG, Rn. 4, ErfK-Schlachter, § 19 JArbSchG, Rn. 8, MHdB ArbR/Klose, § 89 Rn. 3).
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2.3. Das Fehlen einer gesetzlichen Berufsschulpflicht des Verfügungsklägers ist vorliegend unerheblich. Der Verfügungskläger, der sich unstreitig unter Nr. 4.2 des Berufsausbildungsvertrags der Parteien (Bl. 81 d.A.) zur Teilnahme am Berufsschulunterricht verpflichtet hat, hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Berufsschule zu besuchen, wie sie § 78 Abs. 2 Satz 3 Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG BW) vorsieht. Durch die Nutzung dieser Möglichkeit erhielt der Verfügungskläger nicht nur die Rechte eines Berufsschulpflichtigen, sondern übernahm auch dessen Pflichten, zu denen gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 SchG BW der regelmäßige Besuch des Unterrichts zählt. Diese Pflicht gilt bereits nach der ausdrücklichen Regelung in § 72 Abs. 3 Satz 2 SchG BW auch für Schüler, die nicht schulpflichtig sind. Dasselbe folgt auch aus § 78 Abs. 2 Satz 3 SchG BW, wonach die Berufsschule bis zum Abschluss „mit den Rechten und Pflichten eines Berufsschulpflichtigen“ besucht werden kann.
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Die Auffassung, dass das Fehlen der gesetzlichen Schulpflicht die Urlaubsgewährung auch an Berufsschultagen ermögliche, trifft mithin nicht zu. Sie lässt die Differenzierung zwischen der „Schulpflicht“ (als der Verpflichtung, überhaupt die Berufsschule zu besuchen) und den „Pflichten der Schüler“, vermissen, die ausweislich der Überschrift § 72 SchG BW zu Grunde liegt und die auch der zu erfüllen hat, der sich ohne öffentlich-rechtliche Verpflichtung für den Berufsschulbesuch entschieden hat. Das Fehlen einer gesetzlichen Berufsschulpflicht ist nicht mit dem Fehlen einer Pflicht zur Unterrichtsteilnahme gleichzusetzen, wenn von der Möglichkeit des § 78 Abs. 2 Satz 3 SchG BW Gebrauch gemacht wurde. Letztlich hat sich auch der Verfügungskläger dem nicht verschlossen, denn sonst hätte er weder im Vorhinein eine Befreiung vom Unterricht beantragt noch im Nachhinein geäußert, er bedauere sein Verhalten sehr und sehe ein, einen Fehler gemacht zu haben.
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2.4. Soweit das Arbeitsgericht schließlich erwogen hat, die Verfügungsbeklagte hätte den Urlaub durch eine Vereinbarung mit dem Verfügungskläger ermöglichen können, dass er an einem bestimmten Tag die Berufsschule nicht besuche, hat es nicht nur § 78 Abs. 2 Satz 3 SchG BW verkannt, sondern auch zu Unrecht angenommen, die Verfügungsbeklagte sei zu einer derartigen Vereinbarung verpflichtet. Eine Anspruchsgrundlage ergibt sich weder aus § 7 Abs. 1 BUrlG noch aus einer anderen Vorschrift.
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2.5. Ob die Pflicht zur Teilnahme am Berufsschulunterricht zu den dringenden betrieblichen Belangen im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zählt, ist nach all dem unerheblich.
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3. Der Verfügungsantrag war mithin abzuweisen.
II.
18
Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.