Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 16.07.2020 – W 2 K 19.1554
Titel:

Kostenfreiheit des Schulwegs

Normenketten:
SchBefV § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 3
BaySchKfrG Art. 1 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Wird Ersatz der Schülerbeförderungskosten begehrt, kommt es für den Vergleich des Beförderungsaufwands nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand an, sondern auf die unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermittelnden Fahrtkosten an. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Übernahme der Schülerbeförderungskosten zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule kann nach § 2 Abs. 4 SchBefV nur in außergewöhnlichen Härtefällen erfolgen. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenfreiheit des Schulwegs, nächstgelegene Schule, keine Erstattung fiktiver Schulwegkosten, Schülerbeförderungskosten, Kostenerstattung, Wirtschaftlichkeit, Schulwegkosten, Zeitaufwand, Entfernung, Kostenfreiheit, außergewöhnliche Härte, fiktive Schulwegkosten
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17812

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Die Parteien streiten über die Übernahme von Schülerbeförderungskosten.
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1. Mit Erfassungsbogen vom 30. Juli 2019 beantragten die Kläger die Übernahme der Schulwegkosten ihrer Tochter J. im Schuljahr 2019/2020 von ihrem Wohnort Kn. zur Pr. W. B. (dreistufige Form). J. besucht dort die 9. Klasse.
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Zuvor hatte J. die M. W. Schule B. besucht. Hierfür hatte der Beklagte die Schulwegkosten übernommen.
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Mit Bescheid vom 1. August 2019 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt: Nächstgelegene Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV) sei für den Wohnort Kn. die Pr. W. P. in Schw. (dreistufige Form). Die Pr. W. B. sei keine Schule mit pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheiten im Sinne des § 2 Abs. 3 SchBefV, wie es z.B. M.-W.-Schulen seien. Eine Ausnahme nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV im Rahmen des Ermessens sei nicht möglich, da der Beförderungsaufwand zwischen Wohnort und Schulort die Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule in Schweinfurt um mehr als 20% übersteige. Eine Ausnahme im Rahmen des Ermessens nach § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV stimme der Beklagte als betroffener Aufwandsträger nicht zu. Eine außergewöhnliche Härte sei nicht gegeben. Dass J. bislang eine Schule in B. besucht habe und nach der Schule bei den Großeltern in Eb. aussteigen könne, begründe keinen außergewöhnlichen Fall. Das allgemeine öffentliche Interesse an einer Begrenzung der finanziellen Aufwendungen habe Vorrang gegenüber dem persönlichen Interesse der Schülerin an einer kostenfreien Schülerbeförderung. In vergleichbaren Fällen habe der Beklagte in ständiger Verwaltungspraxis eine Kostenübernahme abgelehnt. Der Bescheid wurde den Klägern am 1. August 2019 persönlich ausgehändigt.
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Mit Schreiben vom 5. August 2019 ließen die Kläger gegen den Bescheid vom 1. August 2019 Widerspruch erheben. Eine Begründung erfolgte nicht.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2019, den Bevollmächtigten der Kläger am 31. Oktober zugestellt, wies die Regierung von Unterfranken den Widerspruch zurück. Auf den Inhalt des Bescheides wird Bezug genommen.
II.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 26. November 2019, beim Verwaltungsgericht Würzburg am 27. November 2019 eingegangen, ließen die Kläger bei Gericht Klage erheben.
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Zur Begründung wurde vorgetragen: Aufgrund eines Umzugs der M. W. Schule B. sei zum Schuljahr 2019/2020 ein Schulwechsel ihrer Tochter J. an die Pr. W. B. erfolgt. Zwischen den beiden Schulen bestehe ein unwesentlicher Entfernungsunterschied. Dieser Gesichtspunkt hätte in die Ermessensentscheidung einfließen müssen. Auch seien die Kläger bereit, die sich gegenüber einem Besuch der Pr.n W. P. in Sch. ergebenden Mehrkosten zu übernehmen.
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Die Kläger lassen beantragen,
Der Bescheid der Beklagten vom 1. August 2019 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 24. Oktober 2019 werden aufgehoben.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf das Vorbringen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen. Eine Erstattung fiktiver Beförderungskosten sei nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akte des Beklagten und der Widerspruchsakte der Regierung von Unterfranken Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit den Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 30. April 2020 und des Beklagten vom 28. April 2020 vor.
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1. Die Klage bleibt, auch wenn man sie als Verpflichtungsklage auslegt, ohne Erfolg.
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Der Bescheid des Landratsamtes Schweinfurts vom 1. August 2019 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 24. Oktober 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten für ihre Tochter J. zur Pr.n Wirtschaftsschule Bamberg im Schuljahr 2019/2020 (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Die ablehnende Entscheidung ist auch nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO).
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1.1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten nach dem Schulwegkostenfreiheitsgesetz - SchKfrG - i.d.F. d. Bek. vom 31. Mai 2000, zuletzt geändert durch Verordnung 26. März 2019 (GVBl. S. 98)) in Verbindung mit der Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. September 1994 (GVBl. S. 953, BayRS 2230-5-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Februar 2020 (GVBl. S. 144). Auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Beklagten vom 1. August 2019 sowie im Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 24. Oktober 2019 wird insoweit verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird ausgeführt:
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Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG hat der Landkreis des gewöhnlichen Aufenthalts des Schülers die Aufgabe, die notwendige Beförderung der Schüler auf dem Schulweg u.a. zu dreistufigen Wirtschaftsschulen sicherzustellen. Eine Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel ist nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG notwendig, wenn der Schulweg in eine Richtung mehr als drei Kilometer beträgt und die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht zumutbar ist.
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Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der SchBefV besteht eine Beförderungspflicht zum Pflicht- und Wahlpflichtunterricht der nächstgelegenen Schule. Diese nächstgelegene Schule ist nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV diejenige Schule der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar ist. Bei dem Vergleich des Beförderungsaufwands kommt es nicht auf die Entfernung oder den Zeitaufwand an, sondern auf die unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermittelnden Fahrtkosten (BayVGH, B.v. 14.3.2017 - 7 ZB 16.343 - juris).
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Die mit dem geringsten Beförderungsaufwand zu erreichende dreistufige Wirtschaftsschule ist für den Wohnort Kn. die Pr. W. P. in Sch.. Zu dieser betragen die monatlichen Beförderungskoten mit einem Bus-Schienen-Abo nach den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen 95,70 EUR, während sich die monatlichen Beförderungskosten zur Pr.n Wirtschaftsschule Bamberg auf 132,80 EUR (VGN-Monatsticket) belaufen.
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Damit besteht kein gebundener Anspruch auf Übernahme der Beförderungskosten zur Pr.n Wirtschaftsschule Bamberg.
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1.2. Auch die Ablehnung der Übernahme der Beförderungskosten im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 2 Abs. 3 und Abs. 4 SchBefV ist nicht zu beanstanden. Die gesetzlichen Ausnahmetatbestände hierfür sind nicht erfüllt.
1.2.1.
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Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 SchBefV soll die Beförderung zu einer anderen als der nächstgelegenen Schule übernommen werden, wenn die Schülerinnen und Schüler diese Schule wegen ihrer pädagogischen oder weltanschaulichen Eigenheiten besuchen, insbesondere eine Tagesheimschule, eine Schule mit gebundenem oder offenem Ganztagsangebot, eine nicht-koedukative Schule oder Bekenntnisschule.
23
Dies trifft auf die Pr. W. B. nicht zu.
1.2.2.
24
Auch die Regelung in § 2 Abs. 4 Nr. 3 SchBefV greift nicht zugunsten der Kläger ein, da der Beförderungsaufwand zur Pr. W. B. die ersparten Beförderungskosten zur Pr. W. P. in Schw. um mehr als 20% übersteigt.
1.2.3.
25
Ferner ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Kosten nicht nach § 2 Abs. 4 Nr. 4 SchBefV als betroffener Aufwandsträger übernommen hat. Der Sinn dieser Ausnahmevorschrift liegt darin, Härten aus der Beschränkung auf die Beförderung zur nächstgelegenen Schule, die nicht bereits von den Fällen des § 2 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SchBefV erfasst sind, auszugleichen. Es ist deshalb ermessensgerecht, die Zustimmung nur in außergewöhnlichen Fällen zu erteilen (vgl. BayVGH, B.v. 17.03.2003 - 7 C 03.2893 - juris).
26
Einen außergewöhnlichen Härtefall haben die Kläger nicht dargelegt. Dass J. bislang unter Übernahme der Schulwegkosten die von ihrem Wohnort etwa gleich weit entfernte M. W. Schule B. besucht hat und auf dem Heimweg von B. die Möglichkeit besteht, bei den Großeltern in Eb. auszusteigen, reicht hierfür nicht aus.
27
Ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt, ist auch die vom Beklagten erfolgte Ermessensausübung nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat erkannt, dass ihm ein Ermessensspielraum zusteht und diesen nicht überschritten. Seine ablehnende Entscheidung hat er mit dem Überwiegen des Interesses an einer wirtschaftlichen und kostengünstigen Schülerbeförderung begründet. Die erfolgte Entscheidung ist sachlich gerechtfertigt. Hierbei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Bestimmungen über die Kostenfreiheit des Schulwegs nicht nur eine finanzielle Entlastung der Schüler und Eltern bezwecken, sondern zugleich die optimale Organisation der Schülerbeförderung sichergestellt werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 - 7 ZB 14.2300 - juris; U.v. 13.4.2011 - 7 B 10.1423 - juris; U.v. 11.2.2008 - 7 B 06.1390 - juris). Dementsprechend verfolgen die Vorschriften über die Kostenfreiheit des Schulwegs auch den Aufbau eines Schülertransportnetzes, das den Schulen tragfähige Einzugsbereiche sichert und das Entstehen unzumutbar langer Schulwege verhindert (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.1999 - 7 ZB 99.1103 - juris; U.v. 11.2.2008 - 7 B 06.1390 - juris). Dem öffentlichen Interesse der auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung und den Interessen der beteiligten Aufgabenträgern, die auch bei geringerer Schülerzahl die notwendige Beförderung zu den nächstgelegenen Schulen sicherzustellen haben, widerspricht es daher, eine Beförderungspflicht auch zu entfernter liegenden Schulen anzunehmen, ohne dass hierzu durchgreifende Gründe seitens des zu befördernden Schülers geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 - 7 ZB 14.2300 - juris; B.v. 10.12.2012 - 7 ZB 12.1623 - juris).
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1.3. Schließlich haben die Kläger auch keinen Anspruch auf Übernahme der „fiktiven Beförderungskosten“ zur nächstgelegenen Schule („Sowieso-Kosten“), d.h. auf Übernahme derjenigen Kosten, die bei einem Besuch der Pr.n Wirtschaftsschule Pelzl angefallen wären. Eine derartige Kostenerstattung sieht das Bayerischen Schulwegkostenrecht nicht vor. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen (BayVGH, B.v. 27.2.2015 - 7 ZB 14.2300 - juris; U.v. 14.3.1983 - 7 B 82 A.2161 - BayVBl 1983, 568; siehe bereits BayVerfGH, E.v. 20.4.1990 - Vf. 28-VI-89 - BayVBl 1991, 16). Die Erstattung der fiktiven Beförderungskosten hätte nämlich zur Folge, dass mehr Schüler als bisher eine andere als die nächstgelegene Schule besuchen würden. Dies würde es den Aufgabenträgern erschweren, auch bei geringerer Schülerzahl die notwendige Beförderung zu den nächstgelegenen Schulen sicherzustellen. Außerdem liefe es der auf den näheren Einzugsbereich abstellenden Schulplanung entgegen, durch Übernahme von Beförderungskosten zu entfernter liegenden Schulen die Schülerzahl der nächstgelegenen Schulen zu gefährden (vgl. BayVerfGH, E.v. 20.4.1990 - Vf. 28-VI-89 - VerfGH 43, 81/85 f.).
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2. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.