Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 18.06.2020 – AN 3 K 19.01337
Titel:

Nachbarklage gegen Baugenehmigung wegen Verletzung der Abstandsflächen und 16-Meter-Privileg bei schräg verlaufender Grundstücksgrenze

Normenketten:
BayBO Art. 6, Art. 63
BauGB § 34
BauNVO § 12 Abs. 2
Leitsatz:
Wenn das neue Gebäude an den Altbestand derart angebaut wird, dass eine einheitliche, ungegliederte Außenwand entsteht, ist zwar für die Abstandsflächen grundsätzlich die Länge der gesamten Außenwand entscheidend. Eine Unterteilung der Außenwand in den für das 16-Meter-Privileg gemäß Art. 6 Abs. 6 BayBO relevanten Wandteil und den Restabschnitt mit voller Abstandsfläche ist jedoch zulässig, wenn sich die abschnittsweise Unterschreitung der Abstandsfläche alleine aus der leicht schrägen, nicht parallel zum Gebäude verlaufenden Grenze des Grundstücks ergibt.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Abstandsflächen, Gebot der Rücksichtnahme, 16-Meter-Privileg, abschnittsweise Anwendungen des 16-Meter-Privilegs, schräger Grenzverlauf, Abstandsflächenübernahme, Drittschutz, Baugenehmigung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17546

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung … Westlich an dieses grenzt das Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … an, dessen Eigentümer die Beigeladenen sind. Die Grundstücke befinden sich im unbeplanten Innenbereich.
3
Das Klägergrundstück ist entsprechend einer Baugenehmigung vom 19. Dezember 1958 (Bl. 5f. der Behördenakte „Bauakte …“) mit einem Mehrfamilienhaus bebaut, welches in etwa 80 Zentimetern Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit dem Beigeladenengrundstück steht. Diese Baugenehmigung trifft keine Regelung zu den Abstandsflächen.
4
Mit notarieller Urkunde vom 8. September 1965 vereinbarten die damaligen Grundstückseigentümer unter Ziffer II, dass der Eigentümer des Beigeladenengrundstücks und dessen etwaige Rechtsnachfolger die nach Art. 6 BayBO anfallenden Abstandsflächen eines auf dem Klägergrundstück noch zu errichtenden Bauwerks übernehmen und bei der Bebauung des eigenen Grundstücks nicht überbauen werden. Der Eigentümer des dienenden Beigeladenengrundstücks verpflichtete sich, zugunsten der jeweiligen Eigentümer des herrschenden Klägergrundstücks eine Grunddienstbarkeit zu bestellen und bewilligte deren Grundbucheintragung. Unter Ziffer III der Urkunde räumten sich die jeweiligen Grundstückseigentümer ein An- und Aufbaurecht für Nebengebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein, welches ebenfalls durch eine Grunddienstbarkeit gesichert werden sollte. Der Urkunde sind keine zeichnerischen Darstellungen o.ä. hinsichtlich der Abstandsflächenübernahme beigefügt.
5
Den damaligen Eigentümern des Klägergrundstücks wurde mit Bescheid vom 14. Oktober 1965 die Aufstockung des Wohnhauses (Traufhöhe zum Beigeladenengrundstück nach der Aufstockung 5,60 Meter, Gebäudelänge 16,21 Meter) genehmigt. Zugleich wurde hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO i. d. F. 1. August 1962 (GVBl. S. 179) eine „Ausnahme wegen bereits vorhandener Bebauung“ erteilt (Bl. 34 der Behördenakte „Bauakte …“). Bezüglich der Anordnung des Nebengebäudes wurde in der Baugenehmigung auf Art. 7 Abs. 4 BayBO i. d. F. 1. August 1962 Bezug genommen. Das Bauvorhaben wurde wie genehmigt umgesetzt.
6
Das Beigeladenengrundstück ist mit einem Wohnhaus und Nebengebäuden bebaut. Eine der Nebenanlagen schließt sich in nördlicher Richtung unmittelbar an das Mehrfamilienhaus an. Die zweite Nebenanlage ist entlang des nördlichen Teils der Grundstücksgrenze zum Klägergrundstück errichtet und an das gleich lange, ebenfalls grenzständig errichtete Nebengebäude der Klägerin angebaut.
7
Am 26. Februar 2019 beantragten die Beigeladenen bei der Beklagten eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses (5 Wohneinheiten), die Errichtung von 8 Kfz-Stellplätzen und den Abbruch von Nebengebäuden auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … Das geplante Mehrfamilienhaus stellt sich nach den Bauplänen als Fortsetzung des auf dem Grundstück bereits vorhandenen Wohnhauses dar und soll mit einer Länge von 16,86 Metern direkt an dieses angebaut werden, nachdem das sich dort befindliche Nebengebäude abgebrochen wurde. Die Firsthöhe des Neubaus beträgt 10,65 Meter, die Traufhöhe 6,74 Meter. Das Gebäude soll mit einem Satteldach mit einer Neigung von 39 Grad versehen werden.
8
Mit Bescheid vom 12. Juni 2019, der Klägerin zugestellt am 14. Juni 2019, erteilte die Stadt … den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Zugleich wurde von der Abstandsflächenregelung des Art. 6 BayBO eine Abweichung gemäß Art. 63 BayBO hinsichtlich der Überlappung der östlichen Abstandsfläche des Neubaus mit der Abstandsfläche des Bestandsgebäudes auf dem Klägergrundstück zugelassen. Zur Begründung führte die Behörde aus, dass die westliche Abstandsfläche des klägerischen Bestandsgebäudes auf dem Baugrundstück der Beigeladenen zum Liegen komme, jedoch eine entsprechende dingliche Sicherung fehle, sodass der Neubau die Abstandsflächen des Bestandsgebäudes auf dem Nachbargrundstück nicht berücksichtigen müsse. Der dadurch entstehenden Überlappung der Abstandsflächen sei zugestimmt worden, da der lichte Abstand zwischen den Gebäuden nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO mit mehr als fünf Metern eingehalten sei und zudem die städtebauliche Vorgabe zur Verlängerung des vorhandenen Wohngebäudes auf dem Baugrundstück umgesetzt werde. Darüber hinaus schaffe das Bauvorhaben dringend benötigte Wohnungen in … Die Klägerin ließ am 9. Juli 2019 Klage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung erheben. Zur Begründung trug der Klägervertreter vor, dass die Beklagte die Abstandsflächen in rechtlich unzutreffender Weise geprüft habe. Die Beklagte sei davon ausgegangen, dass alleine das geplante Bauvorhaben auf seine Abstandsflächenrelevanz hin zu prüfen sei. Das geplante Mehrfamilienhaus werde jedoch an das bestehende Wohnhaus angebaut, sodass richtigerweise zu prüfen gewesen wäre, ob das gesamte geänderte Gebäude nach der Verlängerung die Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück einhalte. Die Beklagte sei weiter unzutreffend davon ausgegangen, dass die Überlappung der Abstandsflächen nur ein Nebengebäude auf dem klägerischen Grundstück betreffe. Tatsächlich betreffe es jedoch das Mehrfamilienhaus der Klägerin auf seiner gesamten Länge. Das Bauvorhaben könne insbesondere nicht das 16-Meter-Privileg für sich beanspruchen. Aufgrund dieser unzutreffenden Annahmen habe die Beklagte folglich die beantragte Abweichung genehmigt, ohne die nachbarlichen Interessen korrekt geprüft zu haben. Überdies fehle es auch an einer atypischen Grundstückssituation als Voraussetzung für die Erteilung der Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
9
Darüber hinaus füge sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung i.S.d. § 34 BauGB ein: Ein Wohngebäude dieser Dimension sei dort nicht vorhanden. Zugleich sei daher auch das Rücksichtnahmegebot verletzt. Es seien überdies der Wohnfrieden, die Belichtung, Belüftung und Besonnung des klägerischen Grundstücks gefährdet. Auch sei eine zukünftige Bebauung des klägerischen Grundstücks durch das Bauvorhaben beeinträchtigt.
10
Es wird beantragt,
Die Baugenehmigung gemäß Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2019, Az. …, wird aufgehoben.
11
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
Die Klage wird abgewiesen.
12
Die Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2019 auf die Klage, dass das Wohnhaus der Klägerin die nötigen Abstandsflächen zum Beigeladenengrundstück nicht einhalte. Die Klägerin könne sich deshalb nicht auf eine Verletzung von Abstandsflächen berufen.
13
Die Beklagte sei davon ausgegangen, dass trotz der im Jahr 1965 erteilten Ausnahme nach Art. 6 Abs. 9 BayBO i. d. F. 1. August 1962 keine Abstandsflächen des klägerischen Nachbargebäudes auf das Baugrundstück fallen, da keine Abstandsflächenübernahme vorliege. Das Bestandsgebäude auf dem Beigeladenengrundstück halte daher die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 6 BayBO ein. Die erteilte Abweichung sei folglich nicht nötig gewesen.
14
Selbst wenn das Bestandsgebäude und der Neubau als ein Gebäude nach Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO anzusehen sein sollten, könne das 16-Meter-Privileg an der Ostseite abschnittsweise angewandt werden. Darüber hinaus halte der Neubau eine Abstandsfläche von 1 H fast vollständig ein und soweit er dies nicht tue, seien die Voraussetzungen für eine Abweichung gegeben: Belichtung und Belüftung des Nachbargebäudes seien sichergestellt; einer Atypik bedürfe es für diese Abweichung nicht. Die Klägerin könne sich ohnehin nicht auf eine Nichteinhaltung von Abstandsflächen berufen, da ihr Wohngebäude diese in weitaus größerem Umfang nicht einhalte.
15
Der geplante Neubau füge sich auch in die nähere Umgebung ein im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB: Er entspreche in Bezug auf Gebäudehöhe, Geschossigkeit, überbaubare Grundstücksfläche und Bauweise dem Einfügungsrahmen, welchen die Beklagte durch … und … begrenze. In dieser Umgebung befänden sich überwiegend Wohngebäude mit ein- oder zweistöckiger Bebauung und Satteldach. Das auf dem Beigeladenengrundstück bereits vorhandene Wohnhaus habe wie der geplante Neubau eine Firsthöhe von ca. 10,65 Metern und eine Traufhöhe von 6,7 Metern. Das benachbarte Wohnhaus auf dem Klägergrundstück habe mit einer Firsthöhe von ca. 9,5 Metern und einer Traufhöhe von ca. 5,7 Metern ähnliche Maße. Die überbaubare Grundstücksfläche entspreche ebenfalls der umgebenden Bebauung. Ähnliche Verhältnisse seien auf den Grundstücken … Straße …, … und * sowie … … … zu finden.
16
In seiner Replik vom 28. Januar 2020 führte der Klägervertreter aus, dass das gesamte entstehende Gebäude, bestehend aus Bestands- und Neubau, einer abstandsflächenrechtlichen Prüfung zu unterziehen sei, wie sich aus Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO ergebe. Die Beklagte habe ihre Prüfung erkennbar auf die Auswirkungen nur des Neubaus auf das Wohnhaus der Klägerin bezogen. Tatsächlich werde das klägerische Grundstück erheblich verschattet. Es sei nicht treuwidrig, dass sich die Klägerin auf eine Nichteinhaltung der Abstandsflächen berufe: Zur Zeit der Errichtung ihres Gebäudes habe es keine Abstandsflächenregelung gegeben, die verletzt worden sei. In dem von der Beklagten bestimmten Einfügungsrahmen sei kein Wohngebäude mit einer Länge von 33 Metern und einer Höhe von etwa 10,5 Metern vorhanden, sodass sich das Vorhaben nicht in die nähere Umgebung einfüge i.S.d. § 34 BauGB. Die von der Beklagten benannten Vergleichsgrundstücke hätten nicht annähernd dieselbe Größe wie das Baugrundstück der Beigeladenen, sodass auch der angestellte Vergleich der überbaubaren Grundstücksflächen nicht zutreffend sei. Bei unterschiedlich großen Grundstücken seien nur die absoluten Zahlen maßgeblich. Daher liege ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor.
17
Die Beigeladenen ließen mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10. Februar 2020 vortragen, dass sich das geplante Bauvorhaben in seine nähere Umgebung einfüge und auch nicht das Gebot der Rücksichtnahme verletze.
18
Die ausgelösten Abstandsflächen kämen sämtlich - selbst wenn man Bestands- und Neubau einer Gesamtbetrachtung unterziehe - auf dem Beigeladenengrundstück selbst oder auf öffentlichen Verkehrsflächen bis maximal zu deren Mitte zum Liegen. Zugunsten der Beigeladenen komme das 16-Meter-Privileg zur Anwendung. Das Beigeladenengrundstück verlaufe an der östlichen Grenze nicht regelmäßig; wegen dieses schrägen Grenzverlaufs ergebe sich eine unterschiedliche Abstandsflächenrelevanz des Gebäudes. Das Bauvorhaben halte nach Süden und Westen jeweils die volle Abstandsflächentiefe von 1 H gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO ein. Nach Osten und nach Norden nehme es das 16-Meter-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Hs. 1 BayBO in Anspruch: Wegen des schrägen Grenzverlaufs hätten die Außenwand auf der Nord- bzw. Ostseite nicht in voller Länge, sondern nur auf einer Länge von 10 bzw. 12,5 Metern eine abstandsflächenrechtliche Relevanz.
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Da eine Abstandsflächenübernahme mit wirksamer dinglicher Sicherung zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe und überdies der Klägerin im Jahr 1965 diesbezüglich für ihr Wohngebäude eine Ausnahme erteilt worden sei, kämen auch keine Abstandsflächen des klägerischen Wohnhauses auf dem Beigeladenengrundstück zum Liegen. Es könne daher auch keine Abstandsflächenüberschneidung entstehen. Die von der Beklagten erteilte Abweichung sei offensichtlich nur vorsorglich erfolgt. Außerdem könne sich die Klägerin selbst im Falle eines Abstandsflächenverstoßes nicht darauf berufen, da sie selbst mit praktisch wirkungslosem Abstand an die Grundstücksgrenze gebaut habe. Dies gelte auch dann, wenn diesbezüglich eine Abweichung erteilt worden sei. Die vom klägerischen Wohnhaus ausgelösten Abstandsflächen kämen auf dem Beigeladenengrundstück mit einer Fläche von 77,80 m² und in einer Tiefe von 4,80 Metern zum Liegen. Selbst wenn das 16-Meter-Privileg nicht zur Anwendung komme und das Bauvorhaben der Beigeladenen folglich die Abstandsflächen verletze, geschehe dies nur auf einer Fläche von 23,18 m² in einer Tiefe von 1,05 Metern. Die Beklagte habe im Übrigen entgegen der Ausführungen des Klägervertreters durchaus eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung unter Einbeziehung des Bestandsgebäudes vorgenommen.
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Die notarielle Urkunde vom 8. September 1965 gehe zwar davon aus, dass Abstandsflächendienstbarkeiten des damals noch zu errichtenden grenzständigen Nebengebäudes auf dem klägerischen Anwesen gesichert werden sollten. Da jedoch nicht näher definiert sei, inwieweit Abstandsflächen für das Nebengebäude gesichert werden sollen und kein Lageplan beigefügt worden sei, seien diese dinglichen Sicherungsrechte offensichtlich unwirksam und nicht geeignet, die Nutzbarkeit des Beigeladenengrundstücks einzuschränken. Die Urkunde erlaube unter Ziffer III zugleich einen Grenzanbau und konterkariere das mit der darin angesprochenen Abstandsflächenübernahme beabsichtigte Freihalteinteresse. Selbst wenn eine wirksame Abstandsflächenübernahme mit dinglicher Sicherung vorgelegen hätte, würde dies zwar zu einem Abstandsflächenverstoß des streitgegenständlichen Bauvorhabens führen, die Klägerin könne sich hierauf jedoch gemäß § 242 BGB nicht berufen, weil ihr Wohnhaus die Abstandsflächen in quantitativ und qualitativ höherem Maße verletze.
21
In der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB befänden sich unter anderem drei seitlich grenzständige Reihenhäuser mit einer Gesamtlänge von ca. 24 Metern (* …*), drei aneinander gebaute Häuser mit einer Gesamtlänge von ca. 35 Metern (* … Straße **) sowie die auf dem Klägergrundstück aneinander gebauten Gebäude mit einer Gesamtlänge von ca. 32 Metern. Das auf dem Anwesen … … … errichtete Gebäude weise eine Gesamtlänge von 35 Metern auf. Das Vorhaben füge sich in diese Umgebung nach Art und Maß der baulichen Nutzung ein.
22
Das Gebot der Rücksichtnahme sei unter keinem denkbaren Gesichtspunkt verletzt. Insbesondere entfalte das Bauvorhaben keine erdrückende, einmauernde Wirkung auf das klägerische Wohnhaus.
23
Der Klägervertreter ergänzte seine Ausführungen mit Schriftsatz vom 9. März 2020 dahingehend, dass eine Kombination des 16-Meter-Privilegs mit einer Abweichung nach Art. 63 BayBO ausgeschlossen sei, sodass die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig sei. Das 16-Meter-Privileg könne überdies bereits deshalb nicht angewendet werden, weil die Abmessungen des gesamten Baukörpers, nicht nur des Anbaus, maßgeblich seien. Aus diesem Grund sei auch die Historie zur Genehmigungslage der Bestandsgebäude und einer eventuellen dinglichen Sicherung von Abstandsflächenübernahmen nicht entscheidungserheblich. Die in der Vergangenheit vorgenommene Bestellung von wechselseitigen Dienstbarkeiten zeige, dass nur die zum damaligen Zeitpunkt vorhandene, auf beiden Grundstücken vergleichbare Grenzbebauung von den Eigentümern geduldet worden sei, jedoch keine darüber hinausgehende zukünftige Bebauung.
24
Das Vorhaben stelle sich auch wegen der mit seiner Nutzung und dem Betrieb der Stellplätze verursachten Immissionen als rücksichtslos im Sinne der §§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, 34 BauGB dar: Es sei unzumutbar, dass vier Kfz-Stellplätze und 18 Abstellplätze für Fahrräder und motorisierte Zweiräder nahe der Grenze zum Klägergrundstück - im rückwärtigen Bereich des Beigeladenengrundstücks - geplant seien. Mit einer Überschreitung des in der TA Lärm auf 60 bzw. 45 db(A) festgesetzten nächtlichen Grenzwertes sei zu rechnen. Die Zufahrt zu den Stellplätzen sei zudem aufgrund deren Positionierung auf dem Beigeladenengrundstück besonders lang und damit störend.
25
Im Übrigen wurden die Ausführungen zu einer erdrückenden Wirkung des geplanten Gebäudes, welches die Abstandsflächen nicht einhalte und hinsichtlich seiner Dimensionierung und Länge mit keinem in der Umgebung vorhandenen Bauwerk vergleichbar sei, wiederholt.
26
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten sowie auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2020.

Entscheidungsgründe

27
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann das streitgegenständliche Vorhaben zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 8 Kfz-Stellplätzen und dem Abbruch eines Nebengebäudes nicht abwehren. Sie wird durch die angefochtene Baugenehmigung vom 12. Juni 2019 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
28
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG, U. v. 6.10.1989 - 4 C 14.87 - juris).
29
Eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die Nichteinhaltung von drittschützenden Abstandsflächenvorschriften ist nicht gegeben, da das Vorhaben die Anforderungen des Art. 6 BayBO einhält (1.). Zudem ist das geplante Bauvorhaben der Klägerin gegenüber nicht rücksichtslos (2.).
30
1. Eine Rechtswidrigkeit mit der Folge einer Rechtsverletzung der Klägerin kann sich nicht aus dem Abstandsflächenrecht ergeben, da die Abstandsflächen des geplanten Vorhabens nach Osten eingehalten sind.
31
a) Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der zum Klägergrundstück einzuhaltenden Abstandsfläche grundsätzlich 1 H (6,74 Meter) und mindestens 3 Meter. Das durch die Umsetzung des Bauvorhabens neu entstehende Gebäude mit einer Gesamtlänge von 33 Metern hält diese Abstandsfläche von 1 H zum Klägergrundstück hin größtenteils ein und unterschreitet sie lediglich auf einer Länge von 11,5 Metern in dem Bereich, in welchem die östliche Grundstücksgrenze einen schrägen Verlauf aufweist. Für diesen Abschnitt nehmen die Beigeladenen jedoch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das 16-Meter-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch mit der Folge, dass insoweit die ausweislich des Abstandsflächenplans gegebene Einhaltung der Abstandsfläche von H/2 (3,37 Meter) ausreicht.
32
Die Anwendung des 16-Meter-Privilegs ist vorliegend nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Gesamtlänge des Gebäudes, bestehend aus Bestands- und Neubau (Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO) 16 Meter überschreitet. Da das neue Gebäude an den Altbestand derart angebaut wird, dass eine einheitliche, ungegliederte Außenwand entsteht, ist zwar grundsätzlich die Länge der gesamten Außenwand von 33 Metern entscheidend (vgl. BayVGH, B. v. 28.1.1993 - 14 CS 92.3710 - BayVBl. 1993, 278). Im vorliegenden Fall ist jedoch die Unterteilung der Außenwand in den für das 16-Meter-Privileg relevanten Wandteil und den Restabschnitt mit voller Abstandsfläche zulässig, weil sich die abschnittsweise Unterschreitung der Abstandsfläche alleine aus der leicht schrägen, nicht parallel zum Gebäude verlaufenden östlichen Grenze des Beigeladenengrundstücks ergibt (vgl. BayVGH, U. v. 25.5.1998 - 2 B 94.2682 - BeckRS 2005, 29052; B. v. 25.3.1999 - 2 ZS 98.3142 - BeckRS 1999, 14814; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 87).
33
Gem. Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO darf das 16-Meter-Privileg vor zwei Außenwänden angewendet werden. Dass das Gebäude nicht nur nach Osten, sondern auch nach Norden auf einer Länge von jeweils nicht mehr als 16 Metern nur eine Abstandsfläche von H/2 einhält, ist folglich nicht zu beanstanden.
34
b) Auf dem Beigeladenengrundstück entsteht ferner auch keine nach Art. 6 Abs. 3 BayBO unzulässige Überdeckung von Abstandsflächen: Es kommen dort lediglich die Abstandsflächen des Gebäudes der Beigeladenen zum Liegen, nicht jedoch solche des Klägergebäudes. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
35
Die notariell beglaubigte Vereinbarung vom 8. September 1965 zwischen den damaligen Grundstückseigentümern stellt keine wirksame Abstandsflächenübernahme i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO zulasten des dienenden Beigeladenengrundstück dar. Eine solche Abstandsflächenübernahme, die privatrechtlich vereinbart wird, setzt zur nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO erforderlichen Sicherung zwingend die Bestellung einer Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Klägergrundstücks voraus (vgl. BayVGH, B. v. 14.12.1993 - 20 B 93.2760, 20 CS 93.2471 - juris Rn. 10). Die Eintragung einer solchen Grunddienstbarkeit in das Grundbuch wurde vom damaligen Eigentümer des Beigeladenengrundstücks zwar bewilligt, jedoch nie vorgenommen, sodass im Ergebnis keine Grunddienstbarkeit bestellt wurde (vgl. § 873 Abs. 1 BGB). Dahinstehen kann daher letztlich, ob die notarielle Urkunde vom 8. September 1965 überhaupt bestimmt genug ist, um eine wirksame Abstandsflächenübernahme zu vereinbaren, woran im Hinblick auf den fehlenden Bezug zu einem bestimmten Gebäude oder Bauvorhaben („eines zu errichtenden Bauwerks“) und fehlenden Maßangaben zu Tiefe und Breite der zu übernehmenden Abstandsflächen erhebliche Zweifel bestehen (vgl. BayVGH, B. v. 14.12.1993, a.a.O., juris Rn. 8).
36
Selbst wenn die Übernahme von Abstandsflächen eines auf dem Klägergrundstück noch zu errichtenden Gebäudes im September 1965 wirksam vereinbart und dinglich gesichert worden wäre - wie nicht -, wäre diese jedenfalls nicht zum Tragen gekommen, da mit der Baugenehmigung vom 14. Oktober 1965 hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächen des Klägergebäudes insoweit eine sogenannte „Ausnahme“ nach Art. 6 Abs. 9 BayBO i.d.F. vom 1. August 1962 erteilt wurde, das Klägergebäude mithin nach Westen keine Abstandsflächen einzuhalten hat, die auf dem Beigeladenengrundstück zum Liegen kommen könnten und eine zuvor vereinbarte Abstandsflächenübernahme relevant werden lassen könnten.
37
c) Nach alledem hält das Bauvorhaben die Abstandsflächen zum Klägergrundstück ein. Die nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilte Abweichung hinsichtlich der von der Beklagten unzutreffend angenommenen Überlappung der Abstandsflächen nach Osten geht ins Leere, entfaltet daher keine Wirkung und kann die Klägerin somit auch nicht in ihren Rechten verletzen.
38
Die Klägerin könnte sich darüber hinaus nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Verletzung drittschützenden Abstandsflächenrechts oder die Rechtswidrigkeit einer erteilten Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO berufen, da ihr Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut ist, welches lediglich einen Abstand von 80 Zentimetern zur gemeinsamen Grundstücksgrenze einhält.
39
Ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH U. v. 4.2.2011 - 1 BV 08.131 - juris). Bei dieser Betrachtung ist es unerheblich, dass das Gebäude der Klägerin seinerzeit aufgrund der erteilten „Ausnahme“ der Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 Abs. 9 BayBO i.d.F. vom 1. August 1962 in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist und Bestandsschutz genießt (vgl. BayVGH, U. v. 1.9.2016 - 2 ZB 14.2605 - juris).
40
Die Abstandsflächenunterschreitung durch das genehmigte Bauvorhaben wäre bei einem derartigen Vergleich wesentlich geringer als die des Klägergebäudes: Lässt man die zugunsten der Klägerin erteilte „Ausnahme“ von der Einhaltung der westlichen Abstandsflächen und das vom Beigeladenengebäude an der östlichen Grundstücksgrenze in Anspruch genommene 16-Meter-Privileg außer Acht, unterschreitet das klägerische Wohngebäude die zur westlichen Grundstücksgrenze nötigen Abstandsflächen auf einer Länge von 16 Metern um etwa 2,20 Meter, während das streitgegenständliche Bauvorhaben auf einer Länge von etwa 12 Metern die Abstandsflächen um ca. einen Meter unterschreitet. Demnach fielen vom Klägergebäude ausgelöste Abstandsflächen in einem Umfang von etwa 35,2 m² auf das Nachbargrundstück, während vom Beigeladenengebäude ausgelöste Abstandsflächen nur zu etwa 12 m² auf dem Nachbargrundstück zu liegen kämen.
41
2. Ferner verletzt das streitgegenständliche Bauvorhaben weder durch die Maße des Gebäudes noch durch die Situierung und Anzahl der Stellplätze das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, auf welches sich die Klägerin grundsätzlich berufen kann.
42
a) In Bezug auf das hier in Rede stehende Innenbereichsvorhaben kann das Vorbringen zum fehlenden Einfügen wegen der Dimensionen des Gebäudes schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt, sondern es für die Verletzung von nachbarlichen Rechten der Klägerin allein darauf ankommt, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 - 9 CS 14.2441 - juris Rn. 26 m.w.N; B. v. 4.7.2016 - 15 ZB 14.891 - juris Rn. 8 m.w.N.; B. v. 12.2.2019 - 9 CS 18.2305 - BeckRS 2019, 2299 Rn. 14).
43
Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.1999 - 4 C 6.98 - juris; U. v. 18.11.2004 - 4 C 1/04 - juris).
44
Entspricht ein Bauvorhaben - wie das streitgegenständliche - den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, ist für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B. v. 27.03.2018 - 4 B 50.17 - juris; U. v. 11.1.1999 - 4 B 128/98 - juris). Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, U. v. 11.1.1999, a.a.O.; BayVGH, B. v. 2.10.2018 - 2 ZB 16.2168 - juris). Eine solche ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem er diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B. v. 2.10.2018, a.a.O.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B. v. 11.05.2010 und 17.07.2013 - 14 ZB 12.1153 - juris; B. v. 12.09.2013 - 2 ZS 13.1351 - juris). In der obergerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies bislang etwa angenommen bei einem 12-geschossigen Gebäude in Entfernung von 15 Metern zum Nachbarwohnhaus oder beispielsweise bei drei 11 Meter hohen Siloanlagen im Abstand von 6 Metern zu einem Wohnanwesen (vgl. BayVGH, B. v. 10.4.2006 - 1 ZB 04.3506 - juris).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen gehen von dem Bauvorhaben keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Eine ausnahmsweise Unzumutbarkeit trotz Einhaltung der Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ist nicht zu erkennen. Das entstehende Mehrfamilienhaus ist im Vergleich zur Umgebungsbebauung insbesondere nicht übergroß (vgl. BayVGH B. v. 11.05.2010 und 17.07.2013, a.a.O.). Es befinden sich mehrere Mehrfamilienhäuser ähnlicher Dimensionierung in der näheren Umgebung, nicht zuletzt das Klägergebäude, welches nicht wesentlich niedriger als das streitgegenständliche Beigeladenengebäude ist. Das geplante Gebäude befindet sich auch nicht derart am - grenznah erbauten - Klägergebäude, dass Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht mehr sichergestellt wären.
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c) Das Rücksichtnahmegebot ist auch nicht auf Grund der von der Klägerin befürchteten Lärmimmissionen durch die herzustellenden Kfz- und Zweiradstellplätze auf dem Bauvorhabengrundstück verletzt.
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Die Beigeladenen sind gesetzlich verpflichtet, eine entsprechende Anzahl an Stellplätzen im Rahmen des Bauverfahrens nachzuweisen. Diese sind in Wohngebieten generell zulässig (vgl. § 12 Abs. 2 BauNVO). Entstehen durch neu zu schaffende Stellplätze und deren Benutzung bislang nicht vorhandene Lärmimmissionen, ist im Regelfall von einer Vermutung der Nachbarverträglichkeit auszugehen. Der Grundstücksnachbar hat die Errichtung notwendiger Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge und gegebenenfalls motorisierten Zweiräder des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B. v. 18.09.2008 - 1 ZB 06 2294 - juris).
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Bei einer zulässigen Wohnbebauung ist es daher auch hinzunehmen, dass eine entsprechende Anzahl an Parkplätzen vorhanden ist. Allerdings können es besondere Umstände des Einzelfalls erforderlich machen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern. Hierfür kommen beispielsweise die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht von Stellplätzen zu Gunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an einer Grundstücksgrenze in Betracht (vgl. BVerwG, B. v. 20.3.2003 - 4 B 59/02 - juris). Der Bauherr darf den durch die zugelassene bauliche Nutzung hervorgerufenen Bedarf an Garagen und Stellplätzen auf seinen Grundstücken unterbringen. Die Nachbarn haben die damit in einem gewissen Umfang als zwangsläufig mit der baulichen Nutzung verbundenen Geräusche wie Türenschlagen, Starten des Motors und Bremsvorgänge sowie Fahrten auf dem Weg zum Einstellplatz hinzunehmen. Grenzen ergeben sich jedoch aus der Lage des Grundstücks bzw. der Anzahl und Situierung der Stellplätze. Sie sollen nach Möglichkeit zur Straßen orientiert angelegt werden. Ihre Zufahrten sollen so angelegt werden, dass eine Störung benachbarter Grundstücke vermieden wird. Das Maß der der Nachbarschaft abzuverlangenden Rücksichtnahme richtet sich dabei unter anderem nach den Vorbelastungen durch bereits angelegte Stellplätze und Garagen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 27.3.2007 - 1 ME 102/07 - juris).
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Dass die Situierung der Stellplätze im rückwärtigen Bereich des Baugrundstücks nach den Umständen des Einzelfalls das Gebot der Rücksichtnahme durch übermäßige Lärmimmissionen verletzt, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere befindet sich auf Höhe der geplanten Stellplätze nicht das klägerische Wohnhaus, sondern das grenzständige Nebengebäude der Klägerin. Die Zufahrt zu den Stellplätzen erfolgt über die kürzere, nördliche Grundstücksseite. Nach alledem sind unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen zulasten des klägerischen Wohngebäudes nicht zu erwarten. In der Umgebungsbebauung zwischen …, südlichem Teil der … Straße und südlichem Teil der … … wird auch nicht etwa ein rückwärtiger Ruhebereich der Grundstücke von Stellplätzen und Kraftfahrzeuglärm freigehalten (vgl. BayVGH, U. v. 16. 7. 2015 - 1 B 15.194 - juris). Vielmehr sind einige dieser rückwärtigen Grundstücksbereiche nicht nur mit Haupt-, sondern auch mit entsprechenden Nebengebäuden bebaut, beispielsweise das Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung …
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3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich die Beigeladenen durch ihre Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt haben, entspricht es der Billigkeit, dass ihre außergerichtlichen Kosten von der Klägerin getragen werden (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.