Titel:
Haftung für den Lebensunterhalt
Normenketten:
AufenthG § 68
DVAsyl § 23, § 24, §27, § 29
ZPO § 850c
VwGO § 113, § 167
BayVwVfG Art. 45 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Die Bonität des Verpflichtungsgebers kann nur dann bejaht werden, wenn er über pfändungsfreies Einkommen in ausreichender Höhe verfügt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der zeitweise Bezug von Arbeitslosengeld I und Jobcenter-Leistungen stellt keine derart atypischen oder ungewöhnlichen Einkommensveränderung dar, dass von einem Sonderfall auszugehen ist, wonach sich die Verpflichtung zur Erstattung der Unterbringungskosten als schlechterdings unverhältnismäßig darstellen würde. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Haftung für den Lebensunterhalt aufgrund einer Verpflichtungserklärung, Bonitätsprüfung, atypischer Sonderfall (verneint), Kostenerstattungspflicht, Asylunterbringungskosten, Arbeitslosengeld, Aufnahmeeinrichtung, Einkommen, Verpflichtungserklärung, Leistungsfähigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17528
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung von Unterkunftsgebühren durch den Beklagten.
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Der Kläger hat am 27. Juni 2017 bei der Stadtverwaltung … eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG zugunsten seiner … 1967 geborenen Mutter, kubanische Staatsangehörige, und seines Bruders, geboren … 2001, kubanischer Staatsangehöriger, abgegeben.
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Die Mutter und der Bruder des Klägers reisten am 10. Juli 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und begaben sich am 5. September 2017 in die Zentrale Aufnahmeeinrichtung (ZAE) Z., R. Straße 31, 9..0513 Z.. Am 20. September 2017 stellten beide beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Anträge auf Asyl. Vom 4. Oktober 2017 bis zum 15. März 2017 waren die Mutter und der Bruder des Klägers in der ZAE Zirndorf, Dienststelle Nürnberg, B. Straße 37-39, 9..0471 N., untergebracht. Anschließend wurden beide ab dem 16. März 2018 bis zum 25. April 2019 der dezentralen Unterkunft in 8..7784 W., Energiepark 18, zugewiesen.
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Mit Schreiben vom 13. Dezember 2017, welches an die Adresse …, …, versandt wurde, wurde der Kläger durch den Beklagten dahingehend angehört, dass aufgrund der abgegebenen Verpflichtungserklärung beabsichtigt sei, ihm einen Gebührenbescheid für Unterkunft und Verpflegung für den Zeitraum der Unterbringung seiner Mutter und seines Bruders in der ZAE, R. Straße 31, 9..0513 Z. bzw. in der ZAE, Dienststelle 0471 N., B. Straße 37-39 zukommen zu lassen. Dem Kläger wurde die Gelegenheit gegeben, sich bis zum 10. Januar 2018 zu äußern, ob seit dem Zeitpunkt der Abgabe seiner Verpflichtungserklärung bis zum Zeitpunkt der Anhörung eine starke Verschlechterung seiner finanziellen Situation eingetreten sei, welche eine Überprüfung der Heranziehung der Verpflichtungserklärung erforderlich erscheinen lasse.
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Ein Zugangsnachweise ist in der Behördenakte nicht enthalten.
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Unter dem 12. April 2018 erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger folgenden Bescheid:
„1. Herr …, …, …, 1. OG links, … wird für den Zeitraum 05.09.2017 bis einschließlich 31.03.2018 zur Erstattung von Unterkunftsgebühren sowie Gebühren für Verpflegung und Haushaltsenergie in Höhe von 4.684,22 EUR verpflichtet.
2. Herr …, … wird ab 01.04.2018 bis zum Auszug von Frau …, … und Herrn …, … aus der dezentralen Unterkunft Westerheim, Energiepark 18, 8..7784 W., längstens bis 10.07.2022, zur Erstattung von Unterkunftsgebühren sowie Gebühren für Haushaltsenergie in Höhe von monatlich insgesamt 426,00 EUR verpflichtet. Bei Beendigung der Zahlungsverpflichtung während des laufenden Monats werden die Gebühren anteilig nach tatsächlichen Tagen berechnet.
3. Der nach der vorstehenden Nr. 1 zu erstattende Betrag ist bis zum 31.05.2018 unter Angabe des Verwendungszwecks (…) zu überweisen.
4. Die nach der vorstehenden Nr. 2 zu erstattenden monatlichen Beträge sind jeweils am ersten Tag des nachfolgenden Monats unter Angabe des Verwendungszwecks (…) zu überweisen.
5. Verwaltungskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.“
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Kläger in Form der Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG beginnend mit der am 10. Juli 2017 erfolgten Einreise seiner Mutter und seines Bruders in die Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum von maximal fünf Jahren zur Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel verpflichtet habe, die für den Lebensunterhalt der Begünstigten einschließlich der Versorgung mit Wohnraum aufgewendet würden. Dies ergebe sich unmittelbar aus §§ 68 Abs. 1, 68a AufenthG i.V.m. der Verpflichtungserklärung vom 27. Juni 2017.
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Hieran ändere auch der Umstand, dass bei den Angehörigen grundsätzlich Leistungen nach dem AsylbLG in Frage kämen, nichts. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erstrecke sich die Haftung des Klägers auch auf solche Mittel, die aufgrund eines gesetzlichen Anspruchs seiner Mutter und seines Bruders erbracht worden seien. Ab Beginn der Bedarfsdeckung durch den Kläger entfalle ein Anspruch seiner Mutter und seines Bruders auf Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 8 Abs. 1 AsylbLG.
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Die öffentliche Hand habe ihr zustehende Geldleistungsansprüche aufgrund des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie des Gebots der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit grundsätzlich durchzusetzen. Hiervon könne nur im Ausnahmefall bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten insbesondere im Hinblick auf die individuelle Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Bürgers abgewichen werden. Da die finanzielle Belastbarkeit des Klägers im Rahmen der Abgabe der Verpflichtungserklärung voll und individuell geprüft worden sei, komme ein atypischer Fall hier nur bei einer im weiteren Verlauf eingetretenen Verschlechterung der finanziellen Situation in Betracht. Es spreche im vorliegenden Fall nichts dafür, dass die Heranziehung zur vollumfänglichen Kostenerstattung zu einer unzumutbaren Belastung des Klägers führen könne. Ein atypischer Ausnahmefall liege daher nicht vor.
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Die Höhe des Anspruchs ergebe sich aus den §§ 22, 23, 26 der Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) (bis 31.08.2016) bzw. §§ 23, 24, 27, 29 DVAsyl (ab 01.09.2016) in Verbindung mit der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 19.12.2016 (Az.: V5.2/6741.12-1/10).
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Dem Bescheid ist eine Gebührenberechnung für den Zeitraum ab September 2017 beigefügt (Bl. 30 f. der Behördenakte).
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Mit bei Gericht am 14. Mai 2018 eingegangenem Telefax ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
den Bescheid vom 12. April 2018 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig sei, weil der Beklagte keine Einzelfallprüfung zur Feststellung eines atypischen Sachverhalts im Hinblick auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Klägers vorgenommen habe.
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Der Kläger beziehe gegenwärtig Leistungen nach SGB III in Höhe von 1.004,10 EUR (unter Hinweis auf den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 16. Januar 2018, Bl. 19 f. der Gerichtsakte).
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Der Beklagte habe kein Anhörungsverfahren durchgeführt. Ferner sei die Frage entscheidungserheblich, ob bei der Abgabe der Verpflichtungserklärungen durch den Kläger überhaupt eine ordnungsgemäße Bonitätsprüfung durch die Ausländerbehörde stattgefunden und ob durch die Ausländerbehörde bei der Heranziehung des Verpflichtungsschuldners eine Regel-/Ausnahmefallprüfung oder eine Ermessensbetätigung zu erfolgen habe (unter Hinweis auf BayVGH vom 28.8.2003, ohne Az., RdNr. 17, sowie vom 22.2.2008, 19 C 07.2884, OVG Lüneburg vom 5.6.2007, ohne Az., RdNr. 11).
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Aus einer Erklärung nach § 68 AufenthG sei der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es weitergehender Ermessenserwägungen bedürfe; ein Regelfall liege vor, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels, wozu auch die Erteilung eines Visums gehöre, einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden seien und nichts dafür spreche, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könne. Bei atypischen Gegebenheiten sei im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht werde und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten gegebenenfalls eingeräumt würden. Ob ein Ausnahmefall vorliege, sei anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden und unterliege voller gerichtlicher Kontrolle. Durch die Berücksichtigung atypischer Verhältnisse könne insbesondere bei fehlender oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Billigkeit im Einzelfall angemessen Rechnung getragen werden. Für einen Ausnahmefall könne sprechen, dass die zuständige Behörde im Grunde eine Risikoentscheidung getroffen und damit eine Mitverantwortung übernommen habe, indem sie keine eingehende und sorgfältige, sondern nur eine überschlägige Bonitätsprüfung des Erklärenden vorgenommen habe bzw. auch gar nicht habe durchführen wollen, was insbesondere bei geplantem Kurzaufenthalt zu Besuchszwecken praktisch häufig der Fall sein werde. Vorliegend habe die Stadt … entgegen ihren Prüfungspflichten die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers nicht eingehend geprüft.
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Mit Schreiben vom 7. September 2018 erteilte das Gericht dem Beklagten den Hinweis, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Mai 2018 (Az.: 12 N 18.9) die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten § 23 und 24 DVAsyl für unwirksam erklärt habe. Es werde daher um Mitteilung gebeten, ob an dem streitgegenständlichen Bescheid weiterhin festgehalten werden solle.
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Mit Schriftsatz vom 15. November 2019 teilte der Beklagte mit, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 12. April 2018 teilweise aufgehoben werde.
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Im selben Schriftsatz beantragte der Beklagte
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der streitgegenständliche Leistungsbescheid insoweit rechtmäßig sei, als der Kläger für die im Zeitraum vom 5. September 2017 bis zum 25. April 2019 für seine Mutter und seinen Bruder aufgewandten öffentlichen Mittel in Höhe von nunmehr 6.247,23 EUR in Anspruch genommen werde.
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Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 68 AufenthG, da die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung für den oben genannten Zeitraum weiterhin wirksam gewesen sei. Der Anspruch sei weder verjährt noch erloschen.
22
Der Verpflichtete sei im Regelfall zur Erstattung der rechtmäßigen öffentlichen Mittel heranzuziehen, ohne dass es entsprechender Ermessenerwägungen bedürfe. Ein solcher Regelfall sei vorliegend gegeben.
23
Die finanzielle Belastbarkeit des Klägers sei im Rahmen der Abgabe der Verpflichtungserklärung voll und individuell durch die Ausländerbehörde der Stadt … geprüft worden. Deshalb komme ein atypischer Fall hier nur bei einer im weiteren Verlauf eingetretenen Verschlechterung der finanziellen Situation in Betracht. Gründe für eine unzumutbare Belastung des Klägers seien vor Erlass des Bescheids nicht vorgetragen worden und nicht ersichtlich, ebenso wenig für eine Neubewertung seiner finanziellen Situation und der Leistungsfähigkeit.
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Entgegen dem Vorbringen des Bevollmächtigten sei auch ein Anhörungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides durchgeführt worden. Ein entsprechendes Anhörungsschreiben sei am 13. Dezember 2017 an die bekannte Adresse des Klägers, …, … verschickt worden. Ein Postrücklauf sei nicht erfolgt.
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Der Kläger, der am 1. November 2017 umgezogen sei, habe jedoch entgegen seiner Verpflichtung erst am 11. Januar 2018 und somit zehn Wochen nach dem Umzug, dem Einwohnermeldeamt seine neue Wohnanschrift mitgeteilt. Die Meldefrist nach § 17 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) betrage bei Wohnungswechsel zwei Wochen.
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Richtig sei, dass sich der Leistungsbescheid bezüglich der Höhe der geforderten Kosten auf die durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Mai 2018 (12 N 18.9) für unwirksam erklärten §§ 23 und 24 DVAsyl (2016) stütze. Der Verordnungsgeber habe zwischenzeitlich eine neue Rechtsgrundlage durch die Änderungsverordnung vom 1. Oktober 2019, welche am 31. Oktober 2019 veröffentlicht worden sei und rückwirkend zum 1. September 2016 in Kraft getreten sei, geschaffen. Entsprechend der nunmehr geltenden Rechtsgrundlage gemäß der §§ 23, 24 i.V.m. § 29a DVAsyl (neu gefasst mit Wirkung vom 1.9.2016 durch Verordnung vom 1.10.2019) sei eine Überprüfung der geltend gemachten Erstattungskosten erfolgt. In der dem Bescheid beigefügten Anlage werde die Neuberechnung der Erstattungskosten im Detail dargestellt. Der streitgegenständliche Bescheid werde hinsichtlich der zu viel geforderten Erstattungskosten in Höhe von 3.903,99 EUR aufgehoben. Der entsprechende Rücknahmebescheid werde in Kürze nachgereicht. Hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers in Höhe von 6.247,23 EUR sei der streitgegenständliche Leistungsbescheid jedoch rechtmäßig ergangen.
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Unter dem 10. Dezember 2019 erließ der Beklagte folgenden Bescheid:
„1. Der Bescheid der Regierung … - Zentrale Gebührenabrechnungsstelle - vom 12.04.2018 (Az. …*) wird mit Wirkung für die Vergangenheit insoweit zurückgenommen, als Herr … verpflichtet wurde, für den Zeitraum vom 5. September 2017 bis 25. April 2019 einen den Betrag von 6.247,34 EUR übersteigenden Betrag zu erstatten.
2. Verwaltungskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.“
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Hinsichtlich der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 48 ff. der Gerichtsakte).
29
Eine Stellungnahme oder eine (teilweise) verfahrensbeendende Erklärung wurde seitens des Klägers in der Folgezeit nicht abgegeben.
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Durch Beschluss vom 22. Mai 2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2020 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend insoweit für erledigt, als der Beklagte den Bescheid vom 12. April 2018 durch Bescheid vom 10. Dezember 2019 zurückgenommen hat. Insoweit wurde das Verfahren abgetrennt und durch Beschluss der Einzelrichterin unter dem gerichtlichen Az. AN 19 K 20.01269 eingestellt.
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Der Klägervertreter wiederholte seinen Antrag aus der Klageschrift mit der Maßgabe, dass der Rücknahmebescheid vom 10. Dezember 2019 und der zuvor ergangene Einstellungsbeschluss den Klagegegenstand auf 6.247,23 EUR reduzieren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach der übereinstimmenden Erledigterklärung und des daraufhin unter dem Aktenzeichen 19 K 20.01269 ergangenem Einstellungsbeschluss der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2018, soweit er nicht durch den Bescheid vom 10. Dezember 2019 zurückgenommen worden ist. Die streitgegenständliche Klagesumme beläuft sich daher nunmehr auf 6.247,23 EUR.
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Die insoweit noch anhängige Klage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet, weil der angefochtene Bescheid vom 12. April 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10. Dezember 2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Gemäß § 117 Abs. 5 VwGO wird auf die ausführliche Begründung sowie die Anlagen der Bescheide vom 12. April 2018 und 10. Dezember 2019 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Im Hinblick auf den Verlauf und das Ergebnis der mündlichen Verhandlung wird lediglich ergänzend ausgeführt:
37
1. Dem Bescheid begegnen insbesondere keine Bedenken, was seine formelle Rechtmäßigkeit angeht. Die von den Parteien erörterte Frage, ob das Anhörungsschreiben des Beklagten vom 13. Dezember 2017 (Bl. 19f. der Behördenakte) dem Kläger überhaupt zugegangen ist, kann vorliegend dahinstehen, weil ein etwaiger Mangel der Anhörung i.S.v. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG nachgeholt werden konnte.
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Insofern sei an dieser Stelle auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2015 (7 C 5/14 - juris) hingewiesen, wonach eine Heilung aber nur dann eintreten kann, „wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird“ (Rn. 17). Die Behörde darf sich demnach nicht darauf beschränken, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen. Vielmehr muss sie das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nehmen, ihre Entscheidung kritisch zu überdenken (BVerwG a.a.O., Rn. 17).
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Der etwaige Einwand, dass durch die möglicherweise unterbliebene Anhörung Anhaltspunkte, welche eine Ermessensentscheidung des Beklagten im Hinblick auf das Vorliegen eines sog. atypischen Sonderfalles erforderlich gemacht hätten, nicht vorgetragen werden konnten, greift vorliegend nicht durch, weil im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einzelrichterin am 3. Juli 2020 für den Kläger ausreichend Gelegenheit bestanden hat, sich zu den aus seiner Sicht eine Ermessensentscheidung indizierenden Gesichtspunkten zu äußern. Die Vertreterin des Beklagten ist auf die vom Klägervertreter vorgetragenen Argumente erkennbar eingegangen, so dass die Funktion der Anhörung, dass nämlich die vom Kläger vorgetragenen Belange von der Behörde in Erwägung gezogen werden, erreicht worden ist und ein etwaiger Verstoß gegen die Anhörungspflicht durch das gerichtliche Verfahren geheilt werden konnte.
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2. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 68 AufenthG i.V.m. mit der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung vom 27. Juni 2017.
41
Die Verpflichtungserklärung ist ordnungsgemäß zustande gekommen und wirksam. So ist sie insbesondere in Schriftform ergangen, § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
42
Aber auch die erforderliche Bonitätsprüfung ist von der Stadt … in ausreichender Weise vorgenommen worden (vgl. insoweit Bl. 64 der Gerichtsakte): Der Kläger hatte angegeben, im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung über ein regelmäßiges Nettoeinkommen in Höhe von 1.812,25 EUR zu verfügen. Damit ist die in § 850c ZPO festgelegte Pfändungsfreigrenze von 950,00 EUR bei Weitem eingehalten. Die Pfändungsfreigrenze gemäß § 850c ZPO kann als Anhaltspunkt für die Leistungsfähigkeit des Verpflichtungsgebers dienen. Die Bonität des Erklärenden kann demgemäß nur dann bejaht werden, wenn der Verpflichtungsgeber über pfändungsfreies Einkommen in ausreichender Höhe verfügt (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 68 AufenthG, Rn. 12).
43
Etwaige Gesichtspunkte für einen sog. atypischen Sonderfall, bei dem eine Kostenerstattungspflicht aus der Verpflichtungserklärung zu verneinen wäre, sind nicht hinreichend konkret und substantiiert geltend gemacht worden. So wurde die Bonität von der Ausländerbehörde im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung voll und individuell geprüft, so dass die Behörde unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenze von der Leistungsfähigkeit des Klägers ausgehen durfte. Etwaige Umstände des Einzelfalls, welche zu einem Wegfall der Leistungsfähigkeit und zu einer außergewöhnlichen Härte im Falle der Inanspruchnahme aus der Verpflichtungserklärung für den Kläger führen würden, wären von diesem darzulegen und vom Gericht zu würdigen.
44
So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 20. März 2018 (1 B 5/18, juris) Folgendes ausgeführt: „Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, verlangen grundsätzlich, dass der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen ist, ohne dass es dahingehender Ermessenerwägungen bedürfte. Von dieser Regel kann, bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden. Während typischerweise von einem Regelfall auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte, ist ein Ausnahmefall anzunehmen, wenn eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme individueller Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären“ (Orientierungssatz).
45
Dem folgend ist im Hinblick auf das vorliegende Verfahren auszuführen: Nach den Erklärungen seines Rechtsanwaltes in der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2020 hat der Kläger seit Dezember 2017 bis etwa Dezember 2018 das sog. Arbeitslosengeld I bezogen, danach für etwa drei Monate sog. Jobcenterleistungen (Hartz IV) und ab Februar 2019 ein Erwerbseinkommen von ca. 1.100,00 EUR durch eine Tätigkeit als Angestellter. Für das vorliegende Verfahren ist allerdings nur der Zeitraum bis 25. April 2019 relevant, weil darauf die hier streitgegenständliche Forderung beschränkt ist.
46
Für die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld I bis Dezember 2018 sowie ab Februar 2019 ist davon auszugehen, dass die Pfändungsfreigrenze des § 850 c ZPO eingehalten ist, wenn die Höhe des Arbeitslosengeldes I etwa 60% des bereinigten Nettoeinkommens beträgt, für den Zeitraum, in welchem Jobcenter-Leistungen bezogen wurden, hingegen nicht. Allerdings kommt es vorliegend darauf nicht an.
47
Da nämlich die finanzielle Belastbarkeit des Klägers durch die Stadt … voll und individuell geprüft worden ist und im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung für die Behörde nichts dafür gesprochen hat, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte, ist zunächst von einem Regelfall auszugehen. Dafür, dass ein Ausnahmefall vorliegt, bei dem „eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären“ (BVerwG a.a.O., Rn. 8), sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich und auch nichts - hinreichend konkret und substantiiert - dargelegt worden. Die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung geschilderten Einkommensveränderungen sind nicht derart atypisch oder ungewöhnlich, dass von einem Sonderfall auszugehen ist, wonach sich die Verpflichtung zur Erstattung der Unterbringungskosten als schlechterdings unverhältnismäßig darstellen würde.
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Gegen einen Wegfall der Leistungsfähigkeit spricht zudem, dass der Klägervertreter nach Rücksprache mit seinem Mandanten im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass der Kläger 100,00 EUR pro Monat auch dann bezahlen kann, wenn er beispielsweise nach Ende der Krankengeldbezüge wieder Jobcenterleistungen in Anspruch nehmen müsste. Der Kläger scheint demnach über Rücklagen zu verfügen, die der Annahme eines atypischen Sonderfalles jedoch ebenfalls entgegenstehen.
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3. Die vom Beklagten festgesetzte Höhe der Erstattung, insbesondere nach Erlass der geänderten §§ 22, 23 Asyldurchführungsverordnung, ist seitens des Klägers nicht einmal ansatzweise in Zweifel gezogen worden; etwaige Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit sind für das Gericht darüber hinaus nicht ersichtlich.
50
Nach alledem erweist sich der hier angefochtene Bescheid als rechtmäßig, so dass die Klage abzuweisen war.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.