Titel:
Zustellungsfiktion nach § 10 AsylG
Normenketten:
VwGO § 60, § 84 Abs. 1
AsylG § 10 Abs. 4 S. 4, § 25, § 74 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss der Ausländer Zustellungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt, noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Irak, Unzulässige Klage, Verfristung der Klage, Zustellungsfiktion, Wiedereinsetzungsantrag (abgelehnt), Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylverfahren, Zustellung, Klagefrist
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17057
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise eines subsidiären Schutzstatus und weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 30. März 2017.
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Der Kläger ist irakischer Staatsangehörigkeit, sunnitischer Kurde und am .... Er reiste am ... 2015 in die Bundesrepublik D. ein und stellte am ... 2016 persönlich einen Asylantrag beim Bundesamt. Als Adresse gab der Kläger ... in ... an. Im Rahmen der persönlichen Asylantragstellung wurde dem Kläger auf Deutsch und Kurdisch-Sorani die Belehrung über die Rechte und Pflichten als Asylbewerber ausgehändigt, was er durch Unterschrift bestätigte. Darunter befindet sich eine Belehrung bezüglich der Vorschrift des § 10 Abs. 2 AsylG, insbesondere auch zu § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG, deren Bedeutung auch im Fließtext der Belehrungsblätter erläutert wird.
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In der Anhörung des Klägers beim Bundesamt vom ... 2016 wurde die Adresse mit dem Kläger zusammen abgeglichen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Anhörung wird auf die Niederschrift zur Anhörung Bezug genommen.
4
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. März 2017 wurde der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), auf Asylanerkennung (Ziff. 2) und auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (Ziff. 4). Der Kläger wurde deshalb aufgefordert, die BRD innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; für den Fall des Nichteinhaltens der Ausreisefrist werde der Kläger in den Irak abgeschoben (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wird auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde an die ... in … adressiert. Laut der Postzustellungsurkunde war der Kläger am 4. April 2017 an der angegebenen Adresse nicht zu ermitteln.
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Die zuständige Ausländerbehörde teilte dem Kläger mit Schreiben vom 8. Juni 2017 mit, dass er vollziehbar ausreisepflichtig sei, da das Asylverfahren erfolglos abgeschlossen worden sei, und forderte ihn zu einer Vorsprache auf.
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Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2017 bestellte sich der Klägerbevollmächtigte beim Bundesamt und beantragte Akteneinsicht.
7
Der Klägerbevollmächtige erhob mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017, eingegangen am selben Tag, Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München mit den Anträgen,
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den Bescheid des Bundesamts vom 30. März 2017 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen, hilfshilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 V - VII AufenthG festzustellen.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Bescheid nie zugestellt worden sei, da der Kläger nach der Postzustellungsurkunde an der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen war. Der Bescheid habe daher keine Außenwirkung entfaltet. Vorsorglich werde Klage erhoben. Inhaltlich werde - falls erforderlich - innerhalb der üblichen Frist Stellung genommen.
10
Das Bundesamt übersandte am 18. März 2020 die Behördenakte.
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Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erfolgte mit Beschluss vom 27. April 2020.
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Mit gerichtlichen Schreiben an die Parteien vom 4. Mai 2020, zugestellt an den Klägerbevollmächtigten am 7. Mai 2020, wurden diese zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da das Verfahren keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Parteien sind mit Schreiben vom 4. Mai 2020 hierzu gehört worden.
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I. Die Klage ist unzulässig.
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1. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1, 1. Halbsatz AsylG wurde nicht eingehalten, da die Klage erst deutlich später als zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids erhoben wurde.
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Da der Zustellversuch des streitgegenständlichen Bescheids in die ... in … ausweislich der Zustellungsurkunde am 4. April 2017 erfolglos war, weil der Kläger dort nicht zu ermitteln war, richtet sich der Zeitpunkt der Zustellung nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG. Danach gilt die Zustellung mit Aufgabe zur Post als „bewirkt“, selbst wenn die Zustellung als unzustellbar zurückkommt. In den Bundesamtsakten ist zwar der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post nicht vermerkt, es muss jedoch spätestens der 4. April 2017 gewesen sein, da an diesem Tag die Zustellung an den Kläger versucht wurde. Somit begann die Frist für die Klageerhebung spätestens am 5. April 2017 und endete am 18. April 2017 um 24 Uhr. Da die Klage erst am 31. Juli 2017 bei Gericht eingereicht wurde, ist die Klagefrist nicht eingehalten.
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Nach § 10 Abs. 1 AsylG ist der Kläger verpflichtet, während der Dauer seines Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen u.a. des Bundesamts stets erreichen können, insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift unverzüglich anzuzeigen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss der Ausländer Zustellungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt, noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Der Zustellversuch des streitgegenständlichen Bescheids ging an die … * in … Dies ist die Adresse, die der Kläger dem Bundesamt in seiner Anhörung nach § 25 AsylG zuletzt mitgeteilt hatte. Der Kläger muss die Zustellung daher gegen sich gelten lassen.
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Der Kläger wurde laut dem Akteninhalt ordnungsgemäß nach § 10 Abs. 7 AsylG belehrt und es sind keine Hinweise ersichtlich, dass die Rechtsbehelfsbelehrung:fehlerhaft sein könnte, § 58 Abs. 2 VwGO.
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2. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist ist nicht gestellt worden, § 60 Abs. 1 VwGO.
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Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO ist nicht vorzunehmen. Demnach kann eine Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wurde, § 60 Abs. 2 Sätze 3, 4 VwGO. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, § 60 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO. Die Tatsachen zur Begründung sind hierbei glaubhaft zu machen.
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Der Kläger erlangte nach Erhalt des Schreibens der Ausländerbehörde vom 8. Juni 2017 Kenntnis davon, dass sein Asylantrag vom Bundesamt abgelehnt wurde. Die Klage wurde jedoch erst am 31. Juli 2017 und damit circa sechs Wochen nach der anzunehmenden Kenntniserlangung erhoben. Weiter sind keine Tatsachen im Verlauf des Verfahrens vorgetragen worden, aus denen sich ein fehlendes Verschulden des Klägers an der Versäumung der Klagefrist ergibt.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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III. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.