Inhalt

VG München, Urteil v. 10.06.2020 – M 9 K 19.2588
Titel:

Unzulässige Klage bei unbekanntem Wohnsitz

Normenketten:
AufenthG § 38a, § 53 Abs. 1
VwGO § 82 Abs. 1
Leitsatz:
Wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist, dass eine ladungsfähige Anschrift des Klägers bekannt ist, da ansonsten weder Zustellungen noch eine Vollstreckung möglich ist. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Kläger durch einen Bevollmächtigten vertreten ist (st. Rspr. BVerwG BeckRS 2012, 48064). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Klage bei unbekanntem Wohnsitz, Aufenthaltserlaubnis, Fiktionsbescheinigung, ladungsfähige Anschrift, Zustellung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17026

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger ist ivorischer Staatsangehöriger und im Besitz eines italienischen Daueraufenthaltstitels/EU. Er reiste am 29. Januar 2013 in das Bundesgebiet ein und erhielt am 28. März 2013 eine zuletzt bis zum 25. Februar 2016 verlängerte Aufenthaltserlaubnis. Am 23. Februar 2016 beantragte er die erneute Verlängerung und erhielt eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG.
2
Gegen den Kläger wurden 9 Strafverfahren eingeleitet. Viermal wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Fünfmal wurde der Kläger im Zeitraum 2015 - 2018 strafrechtlich wegen Diebstahl, Gefährdung des Straßenverkehrs, Körperverletzung, Drogenbesitz und Leistungserschleichung verurteilt.
3
Der Kläger hat im Bundesgebiet nicht gearbeitet und war im Wesentlichen wohnungslos; ausweislich der Akten wurde er durch das Sozialreferat der Beklagten in verschiedenen Obdachlosenunterkünften untergebracht. Er erhielt einen Integrationskurs bewilligt und hat diesen besucht. Einen Sprachtest hat er mit „B 1“ abgeschlossen. Ausweislich eines Strafbefehls vom 15. September 2015 hat der Kläger bereits damals Drogen genommen. Dem Strafbefehl lag zugrunde, dass der Kläger unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol einen Fußgänger auf dem Gehweg angefahren hat und zu 90 Tagessätzen verurteilt wurde. Nach einer Bescheinigung des Jobcenters vom 9. Juni 2017 erhielt der Kläger zumindest 2017 Leistungen nach dem SGB II.
4
Mit Bescheid vom 7. Mai 2019 wurde der Kläger ausgewiesen und die Wiedereinreise für 3 Jahre ab Ausreise untersagt (1.), der Antrag auf Verlängerung/Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 23. Februar 2016 abgelehnt (2.), der Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise aufgefordert (3.) und seine Abschiebung nach Italien angedroht (4.).
5
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Bescheid Bezug genommen.
6
Mit Schreiben vom 28. Mai 2019 erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage und beantragte,
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1. Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2019.
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2. Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
9
Die Klage wurde nicht begründet.
10
Auf zweimalige Aufforderung des Gerichts hin wurde keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers benannt. Der Bevollmächtigte teilte nach Erhalt der Ladung lediglich mit, dass der Kläger einen Dolmetscher für Französisch benötige.
11
Die Beklagte beantragte am 11. Juli 2019:
12
Klageabweisung.
13
Auf den Bescheid werde Bezug genommen. Es bestehe Einverständnis mit schriftlichem Verfahren, Gerichtsbescheid, Hauptsacheerledigung und Klagerücknahme. Vorgelegt wurden die Restakten, wonach der Kläger nach Bescheidserlass mit seit dem 27. Juli 2019 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts München zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung wegen tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden war. Ausweislich dieses Urteils hat der Kläger am 6. Mai 2019 bei einer Drogenkontrolle Polizisten angegriffen, nachdem er wegen Aggression gegenüber Passanten und offensichtlicher Suche im Gebüsch auffällig geworden war.
14
Der Kläger ist nach einer Mitteilung der JVA vom 20. Februar 2020 am 3. Juli 2019 aus der Untersuchungshaft nach Aufhebung des Haftbefehls entlassen worden, Entlassungsanschrift ohne festen Wohnsitz (Bl. 54 d. Gerichtsakte - GA). Eine aktuelle Wohnanschrift ist nicht bekannt und ergibt sich auch nicht aus den Behördenakten. Eine Befragung in der mündlichen Verhandlung war nicht möglich, da weder der Kläger noch sein Bevollmächtigter teilgenommen haben. Der Vertreter der Beklagten hat vorab mitgeteilt, dass für die Beklagte niemand teilnimmt.
15
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16
Die Klage ist unzulässig.
17
Wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist, dass eine ladungsfähige Anschrift des Klägers bekannt ist, da ansonsten weder Zustellungen noch eine Vollstreckung möglich ist. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Kläger durch einen Bevollmächtigten vertreten ist. Bei wohnsitzlosen Klägern ist dafür Sorge zu tragen, dass eine Zustellungsadresse benannt wird und der Kläger von dieser die Post auch erhält. Ausnahmegründe wie etwa ein fehlender Wohnsitz wegen Obdachlosigkeit sind dem Gericht mitzuteilen. Da im vorliegenden Fall keinerlei Angaben trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht gemacht wurden, fehlt es an der Zulässigkeit der Klage (st. Rspr. BVerwG, B.v. 14.2.2012 - 9 B 79/11).
18
Die Klage war deshalb bereits aus diesem Grunde abzuweisen.
19
Ohne dass es darauf ankommt und ungeachtet dessen wäre die Klage auch unbegründet. Die Beklagte hat zutreffend angenommen, dass eine Ausweisung und Abschiebung des Klägers nach Italien gemäß §§ 53 Abs. 1, 38a AufenthG zu Recht erfolgte, da dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und eine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommene Abwägung der Interessen an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Der Kläger ist höchst wahrscheinlich drogenabhängig und Serienstraftäter. Die im Bescheid vom 7. Mai 2019 diesbezüglich getroffene Prognoseentscheidung wurde dadurch bestätigt, dass der Kläger kurze Zeit danach zu 8 Monaten Freiheitsstrafe wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt wurde. Der Kläger hat abgesehen von dem Erwerb von Sprachkenntnissen keinerlei Integrationserfolge vorzuweisen.
20
Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 7. Mai 2019 Bezug genommen.
21
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.