Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 11.05.2020 – M 7 K 19.800
Titel:

Kostenrechnung für Schutzgewahrsam

Normenketten:
BayKG Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 S. 1
BayPAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Bei einem Schutzgewahrsam gem. Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG handelt es sich um eine Rettungsmaßnahme, die bezweckt, den Betroffenen – ungeachtet der Ursache – vor einer konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit zu bewahren. Ein überwiegendes öffentliches Interesse, wie es Art. 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 S. 2 lit. a BayKG für den Ausschluss einer Kostenerhebung für die polizeiliche Amtshandlung verlangt, besteht an der Maßnahme des Schutzgewahrsams nicht. (Rn. 21 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenrechnung für Gewahrsam, Schutzgewahrsam, Ingewahrsamnahme, Kostenrechnung, öffentliches Interesse, Alkoholisierung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17021

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Inanspruchnahme als Kostenschuldner für die Kosten einer Ingewahrsamnahme und begehrt die Löschung des Vorgangs aus dem Strafregister.
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Am 15. Dezember 2018 suchte der Kläger gegen 04:45 Uhr die Polizeiinspektion G* … auf. Laut Stellungnahme der anwesenden Polizeibeamten habe der Kläger auf die Missstände in G* … hinweisen wollen, habe jedoch keine näheren Angaben gemacht. Der Kläger sei deutlich alkoholisiert gewesen, habe Gleichgewichtsprobleme gehabt sowie undeutlich und wirr geredet. Einen freiwilligen Atemalkoholtest habe der Kläger verweigert. Auf Grund dessen sei durch PHM G. der Schutzgewahrsam beim Kläger angeordnet worden. Daraufhin habe der Kläger erklärt, dass diese Maßnahme unnötig sei und er nach Hause laufen werde. Daraufhin sei dem Kläger von den Polizeibeamten erklärt worden, dass dies in dessen Zustand zu gefährlich sei und er nach Hause gefahren werde. Sodann sei der Kläger aufgefordert worden, aufzustehen und sich zum Dienst-Pkw zu begeben. Nachdem der Kläger diesen Anweisungen nur bedingt nachgekommen sei, sei nach Androhung unmittelbarer Zwang angewandt worden, indem PHM G. die Schulter und das Handgelenk des Klägers ergriffen habe. Anschließend sei der Kläger durch PHM G. und PM D. nach Hause gefahren worden.
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Mit Leistungsbescheid vom 21. Januar 2019 forderte das Polizeipräsidium Oberbayern Nord den Kläger zur Zahlung eines Rechnungsbetrags in Höhe von 60,- EUR gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG i.V.m. Art. 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a, Art. 6, 10 Abs. 1 Nr. 1 und 5 KG, Tarif-Nrn. 2.II.5/4 KVZ auf.
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Hiergegen hat der Kläger am 2. Februar 2019 Klage erhoben.
5
Zur Begründung trägt der Kläger vor, dass er in Frieden und guten Glauben in das Polizeipräsidium G* … gekommen sei und den Beamten dingliche Informationen habe zukommen lassen wollen. Stattdessen sei ein aggressives Auftreten der Beamten gegenüber seiner Person erfolgt, sodass er Angst bekommen habe. Diese unbegründete Aggression ihm gegenüber habe er nicht fassen können, sodass er geglaubt habe, dass es besser wäre, wenn er wieder ginge. Somit sei er verstummt, um Schaden von seiner Person abzuhalten und habe wieder gehen wollen. Jedoch hätten ihn die Beamten nicht gehen lassen wollen. Auf Nachfrage habe er lediglich die Begründung erhalten, dass er in Gewahrsam genommen werde und in den Keller komme und dort eingesperrt werde, wenn er sich weigere. Aus Angst um seine Unversehrtheit sei er dann notgezwungen mitgefahren. Der Heimweg auch zu Fuß wäre kein Problem gewesen, da er in G* … wohne.
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Der Kläger beantragt,
Die Rücknahme der Kostenrechnung und eine Löschung der Sache aus dem Strafregister.
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Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Der Beklagte trägt vor, Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme seiArt. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG gewesen. Die Maßnahme sei dem Kläger gegenüber begründet worden. Eine richterliche Entscheidung sei gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 6 PAG nicht herbeizuführen gewesen. Da der Kläger erheblich betrunken gewesen sei und sich nicht mehr allein habe fortbewegen können, geschweige denn stehen, sei es unzulässig gewesen, ihn alleine nach Hause laufen zu lassen. Es habe pflichtgemäßem Ermessen entsprochen diesen in sog. Schutzgewahrsam zu nehmen, da dies zur Unterbindung von Gefahren für Leib und Leben des Klägers oder Dritter erforderlich gewesen sei. Die betreffenden Beamten hätten korrekt, umsichtig und verhältnismäßig gehandelt. Zu keiner Zeit habe von einer unbegründeten Aggression der Beamten dem Kläger gegenüber gesprochen werden können. Bezüglich des Zwangsmoments ergebe sich die Rechtsgrundlage wie deren Anwendung ausArt. 70 f., Art. 75, Art. 76, Art. 77 f. und Art. 81 PAG. Da der Kläger nicht dazu zu bewegen gewesen sei, den polizeilichen Anweisungen sich in das Dienstfahrzeug zu begeben Folge zu leisten, sei die Androhung und die letztlich nur geringfügige Anwendung von Zwang erforderlich und verhältnismäßig gewesen. Dies gelte zumal eine Sistierung in der Haft- oder Ausnüchterungszelle die gravierendere (und kostenintensivere) Alternative gewesen wäre. Betreffend die Inanspruchnahme des Klägers als Kostenschuldner ergebe sich die Rechtsgrundlage aus Art. 94 PAG,Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG i.V.m. Art. 1 f., Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a, Art. 6, Art. 10 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5 BayKG i.V.m. Tarif-Nr. 2.II.5/4 des Kostenverzeichnisses. Hinsichtlich der Datenlöschung sei eine Tilgung aus dem Bundeszentralregister mangels Eintrags des gegenständlichen Vorfalls nicht erforderlich und mithin hinfällig.
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Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 11. September 2019 zu einer beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit kann im Wege des Gerichtsbescheids entschieden werden, da die Sache keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist, die Beteiligten hierzu angehört wurden und sich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt haben (§ 84 Abs. 1 VwGO).
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die Klage ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet.
14
Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die „Löschung der Sache aus dem Strafregister“ begehrt.
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Der Klageantrag ist zunächst gemäß §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Löschung der streitgegenständlichen „Sache“ sowohl aus dem bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) als auch aus dem bundesweiten Datenpool des INPOL-Systems gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG bzw. Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG begehrt.
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Jedoch fehlt es dem Kläger am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für die insoweit erhobene Verpflichtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. Dieses fehlt immer dann, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege einfacher und schneller oder effizienter erreichen könnte (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor. 40 Rn. 12). Dementsprechend ist eine Verpflichtungsklage unnötig, solange der Bürger bei der Behörde einen entsprechenden Antrag nicht gestellt und eine angemessene Bescheidungsfrist nicht abgewartet hat (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor. 40 Rn. 13). Vorliegend ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger vorab einen entsprechenden Antrag auf Löschung bei der zuständigen Behörde gestellt hat.
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Die Klage ist im Übrigen unbegründet.
18
Der Leistungsbescheid vom 21. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19
Die Erhebung der Gebühren i.H.v. 60,- EUR in Zusammenhang mit der Gewahrsamnahme vom 15. Dezember 2018 gemäß Art. 93 PAG i.V.m. Art. 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a, Art. 6, 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 Kostengesetz, Tarif-Nr. 2.II.5/4 ist rechtmäßig.
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Nach Art. 1 Satz 1 KG erheben die Behörden des Staates für Tätigkeiten, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen), Kosten (Gebühren und Auslagen) nach den Vorschriften dieses Abschnitts. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KG werden grundsätzlich Kosten nicht erhoben für Amtshandlungen, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 des Polizeiaufgabengesetzes vorgenommen werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Gemäß Art. 10 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a KG sind Amtshandlungen kostenpflichtig, soweit diese beantragt oder sonst veranlasst sind und nicht überwiegend im öffentlichen Interesse vorgenommen werden.
21
Vorliegend war die Anordnung des Schutzgewahrsams gegenüber dem Kläger durch diesen veranlasst und zudem nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse geboten, sodass die Amtshandlung vorliegend kostenpflichtig i.S.v. Art. 10 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a KG ist.
22
Soweit aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. Art. 16 Abs. 5 KG folgt, dass Kosten nur für rechtmäßige Polizeimaßnahmen erhoben werden (vgl. BayVGH, U.v. 17.4.2008 - 10 B 08.449 - juris Rn. 12), führt dies vorliegend nicht zur Kostenfreiheit der polizeilichen Maßnahme. Denn die Anordnung des Schutzgewahrsams gegenüber dem Kläger am 15. Dezember 2018 gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG ist rechtmäßig.
23
Erforderlich ist eine Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen, wobei die Gefahr konkret, aber nicht gegenwärtig sein muss, da die Polizei mit der Ingewahrsamnahme nicht warten muss, bis die Gefahr sich zu realisieren beginnt. Eine Gefahr für Leib oder Leben liegt vor, wenn aus der ex-ante-Sicht bei Nichteingreifen mit dem Tod oder der Verletzung der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit oder der Gesundheit gerechnet werden muss (vgl. Grünewald in BeckOK PolR Bayern, 11. Ed. 10.11.2019, PAG Art. 17 Rn. 17).
24
Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Stellungnahmen der handelnden Polizeibeamten PM R. und PMin R. ist der Kläger am 15. Dezember 2018 gegen 04:45 Uhr auf der Polizeiinspektion G* … erschienen, war deutlich alkoholisiert, hat Gleichgewichtsprobleme gehabt sowie undeutlich und wirr geredet. Angesichts der körperlichen Verfassung des Klägers sowie der Uhr- und Jahreszeit (04:45 Uhr, Dezember) durften die handelnden Polizeibeamten vertretbar davon ausgehen, dass ohne ein Eingreifen eine Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers besteht.
25
Die Anordnung des Schutzgewahrsams war auch ermessensfehlerfrei i.S.v.Art. 5 PAG, § 114 Satz 1 VwGO und insbesondere verhältnismäßig i.S.v. Art. 4 PAG. Insbesondere wurde der Kläger nicht in eine Arrestzelle verbracht, sondern von den Polizeibeamten PHM G. und PM D. nach Hause gefahren und infolgedessen bereits um 05:20 Uhr, mithin 35 Minuten nach der Anordnung des Schutzgewahrsams wieder aus diesem entlassen.
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Die Inanspruchnahme des Klägers als Kostenschuldner ist nicht zu beanstanden. Denn bei dem sog. Schutzgewahrsam gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG handelt es sich um eine Rettungsmaßnahme, die bezweckt, den Betroffenen - ungeachtet der Ursache - vor einer konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit zu bewahren (vgl. Grünewald in BeckOK PolR Bayern, 11. Ed. 10.11.2019, PAG Art. 17 Rn. 17). Er stellt sich damit als Maßnahme dar, die im überwiegenden Interesse des von der polizeilichen Maßnahme Betroffenen erfolgt. Ein überwiegendes öffentliches Interesse, wie es Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 Satz 2 lit. a KG über den Ausschluss einer Kostenerhebung für die polizeiliche Amtshandlung verlangt, besteht an der Maßnahme des Schutzgewahrsams nicht (vgl. VG München, U.v. 14.10.2015 - M 7 K 15.2370 - juris Rn. 15 m.w.N.).
27
Die Höhe der in dem Bescheid vom 21. Januar 2019 geltend gemachten Kosten ist ebenfalls nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, B.v. 115.2015 - 10 C 14.2739 - juris Rn 6). Sie umfassen lediglich die Regelgebühr für den Gewahrsam in Höhe von 60,- EUR, die auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1,Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a), Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und 3, 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 KG i.V.m. Tarif-Nr. 2.II.5/4 Kostenverzeichnis erhoben werden kann.
28
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
29
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.