Titel:
Nachweis für den Ölaustritt an einem parkenden Fahrzeug
Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
BayStrWG Art. 16
LStVG Art. 9
Leitsätze:
1. Verursacher iSd Art. 16 BayStrWG ist, wer als Störer nach Maßgabe des Art. 9 LStVG zu qualifizieren ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verursacher der Verunreinigung von öffentlichen Straßen ist demnach, wer durch sein Verhalten oder den Zustand einer ihm gehörenden Sache die Verunreinigung hervorgerufen hat. Dabei genügt es, dass dem Verursacher (Störer) eine unmittelbare Verursachung iRd Gemeingebrauchs an der Straße zugerechnet werden kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nimmt die Behörde einen Pkw-Halter wegen Austritt von Öl aus seinem Fahrzeug in Anspruch, bedarf es hierfür des Nachweises durch die Behörde, dass das Fahrzeug entsprechend Öl verloren hat. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da gerade die Münchner Innenstadt von vielen Fahrzeugen frequentiert wird und entsprechend zahlreiche Parkvorgänge stattfinden, kann nicht grds. davon ausgegangen werden, dass ein Fahrzeug, in dessen unmittelbarem Umgriff Öl entdeckt wird, für dessen Austritt verantwortlich ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachweis für den Ölaustritt an einem parkenden Fahrzeug (verneint), Nachweis, Öl, Leistungsbescheid, Ölaustritt, Verursacher, Verunreinigung, Fahrzeug, Halter
Fundstelle:
BeckRS 2020, 17012
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme durch einen Leistungsbescheid der Beklagten wegen dieser entstandenen Kosten zur Straßenreinigung nach dem Austritt von Öl aus einem Fahrzeug.
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Am 26. Juli 2018 wurde ein Abschnitt der …straße in … durch eine rund zehn bis zwölf Meter lange Ölspur verunreinigt. Von der Verunreinigung der Straße erfuhr die Beklagte von der zuständigen Feuerwehr. Zu diesem Zeitpunkt parkte das Fahrzeug der Klägerin an der Stelle, an der offenkundig Öl ausgetreten und auf die Straßenoberfläche getropft war. Die Polizei fertigte vor Ort Fotos an, auf denen die Ölspur und das Fahrzeug der Klägerin abgebildet sind. Zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit beauftragte die Beklagte als Straßenbaulastträgerin eine private Firma mit der Reinigung der Straße. Für diese Leistung wurden der Beklagten 1.096,72 EUR in Rechnung gestellt.
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Mit Bescheid vom 29. Oktober 2018 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin diesen Rechnungsbetrag zzgl. einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 25,00 € und damit insgesamt den Betrag von 1.121,72 EUR fest.
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Am 30. November 2018 erhob die Klägerin gegen den Bescheid Klage und trug mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2018 vor, dass aus ihrem Fahrzeug kein Öl ausgetreten sein könne. Ihr Fahrzeug habe weder am 26. Juli 2018 noch davor einen Unfall oder einen Defekt gehabt und habe auch im Weiteren keinen Ölverlust erlitten. Ihr sei beim Einparken zwar keine Ölspur aufgefallen, doch könne die Ölspur nur durch ein zuvor dort geparktes Fahrzeug entstanden sein. Ihr sei am Nachmittag des 26. Juli 2018 - zu diesem Zeitpunkt habe ihr Fahrzeug noch in einer anderen Parklücke gestanden - aufgefallen, dass in unmittelbarer Nähe des späteren „Schadensorts“ zwei Fahrzeuge mit einem kleinen „Menschenauflauf“ gestanden seien; möglicherweise sei hier ein Unfall passiert und das Öl ausgetreten.
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den Bescheid aufzuheben.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 21. Januar 2019,
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Zur Begründung trug sie vor, dass ihr das Fahrzeug der Klägerin als Verursacherin des Ölaustritts von der Polizei und der Feuerwehr benannt worden sei. Auf den vor Ort gefertigten Fotos sei auch erkennbar, dass das Öl von dem Fahrzeug der Klägerin stamme. Ein anderweitiger Unfall, das habe eine Recherche ergeben, sei der Polizei nicht bekannt.
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Mit Beschluss vom 19. Juni 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 7. Juli 2020 wurden ein Polizeibeamter, der am Einsatzgeschehen beteiligt gewesen war, als Zeuge vernommen. Er erklärte, dass er sich an den konkreten Vorgang nicht mehr erinnern könne und der hierzu angefertigte polizeiliche Vermerk nicht sehr aussagekräftig sei. Erfahrungsgemäß und üblicherweise überprüfe er in solchen Fällen vor Ort allerdings vor der Halterdatenübermittlung durch Inaugenscheinnahme, ob tatsächlich aus dem „verdächtigen“ Fahrzeug Öl ausgetreten sei. Der Bevollmächtigte der Klägerin stellte den bedingten Beweisantrag, einen Sachverständigen mit der Untersuchung des Fahrzeugs dahingehend zu beauftragen, ob zum Zeitpunkt des Vorfalls Öl ausgetreten sein kann.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 29. Oktober 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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1. Art. 16 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) ermächtigt die Beklagte im Falle von Verunreinigungen öffentlicher Straßen zur Beseitigung und zur Kostenerhebung vom Verursacher im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Die Vorschrift ist insoweit eine Sonderregelung gegenüber Art. 7 Abs. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) sowie, was die Kostenerhebung durch Leistungsbescheid angeht, auch gegenüber Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 10 und Art. 20 Kostengesetz (KG). Es handelt sich um eine Regelung des besonderen Sicherheits- und Ordnungsrechts.
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2. a) Verursacher im Sinne des Art. 16 Hs. 2 BayStrWG ist, wer als Störer nach Maßgabe des Art. 9 LStVG zu qualifizieren ist. Demnach ist Verursacher, wer durch sein Verhalten oder den Zustand einer ihm gehörenden Sache die Verunreinigung hervorgerufen hat. Dabei genügt es, dass dem Verursacher (Störer) eine unmittelbare Verursachung im Rahmen des Gemeingebrauchs an der Straße (Art. 14 BayStrWG) zugerechnet werden kann (vgl. VG München, U.v. 27.10.2017 -M 2 K 17.1131 - juris Rn. 15 f.).
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b) Hieran fehlt es. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das die Straße verunreinigende Öl aus dem Fahrzeug der Klägerin ausgetreten ist. Sie ist daher weder Handlungs- noch Zustandsstörerin. Auf die Feststellung des alternativen Geschehens, etwa einen Unfall am Nachmittag des 26. Juli 2018, kommt es dabei nicht an.
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Die Grundlage der freien richterlichen Überzeugungsbildung bildet das im Einklang mit § 86 Abs. 1 VwGO und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zustande gekommene Gesamtergebnis des Verfahrens. Das Gericht ist verpflichtet, sich eine Überzeugung zu bilden, ob bestimmte, nach dem Gesamtergebnis erhebliche Tatsachen oder Geschehensabläufe der Wahrheit entsprechen oder nicht. Es hat die Aufgabe, sich im Wege der freien Sachverhalts- und Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Das Gericht muss sich die für seine Entscheidung gebotene Überzeugungsgewissheit verschaffen, die in dem Sinne bestehen muss, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - der anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat, sofern nicht ein (gesetzliches) abgesenktes Beweismaß Anwendung findet (vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2003 - 8 B 154/03 - NVwZ 2004, 627/628).
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Das Gericht ist vorliegend nicht davon überzeugt, dass das Fahrzeug der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum das ausgetretene Öl verloren hat. Da gerade die Münchner Innenstadt von vielen Fahrzeugen frequentiert wird und entsprechend zahlreiche Parkvorgänge stattfinden, kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Fahrzeug, in dessen unmittelbarem Umgriff Öl entdeckt wird, für dessen Austritt verantwortlich ist. Es bedarf entsprechender Nachweise der Beklagten für den Verursachungsbeitrag des klägerischen Fahrzeugs, zumal die Klägerin nachdrücklich vortragen ließ, dass ihr Fahrzeug weder am 26. Juli 2018 noch davor einen Unfall oder einen Defekt gehabt und habe auch im Weiteren keinen Ölverlust erlitten habe. Ein Nachweis des Verursachungsbeitrags konnte die Beklagte nicht erbringen. Selbst basale „Beweissicherungsmaßnahmen“, wie insbesondere eine Augenscheinuntersuchung insbesondere des Unterbodens des Fahrzeugs, sind zumindest nicht dokumentiert. Das vorgelegte Bildmaterial belegt zwar, dass an der Stelle, an der das Fahrzeug der Klägerin geparkt wurde, Öl in nicht unerheblicher Menge auf die Straße ausgetreten ist. Eine zeitliche Abfolge zwischen Parken und Ölaustritt und damit ein Verursachungsbeitrag des klägerischen Fahrzeugs lässt sich indes den Bildern nicht entnehmen. Fotos vom Zustand der Straße im Zeitraum vor dem Parken der Klägerin liegen nicht vor. Es ist daher ohne weiteres möglich, dass die Ölspur bereits vorhanden war, als die Klägerin ihr Fahrzeug dort geparkt hat. Es lässt sich auch nicht annehmen, dass die Klägerin eine vorhandene Ölspur zwingend hätte bemerken und die Polizei informieren müssen, und - da sie dies unterlassen hat - hieraus zu schlussfolgern wäre, dass das Öl erst nach dem Einparken und damit aus ihrem Fahrzeug ausgetreten ist. Zwar lässt sich möglicherweise auf einem der Fotos - und selbst das ist mangels Beschriftung der Bilder (durch den Fotografen) zweifelsbehaftet - erkennen, dass am klägerischen Fahrzeug (außen) Öl vorhanden ist, was für einen Ölaustritt sprechen könnte. Jedoch handelt es sich um keine große Menge, so dass hieraus nicht auf eine Verursachung der vorhandenen umfangreichen Öl-Menge auf der Straße geschlussfolgert werden kann. Zweifel am Ölaustritt aus dem Fahrzeug der Klägerin weckt auch der Umstand, dass sich auf dem Bordstein und auf dem angrenzenden Radweg (wenige) Ölspuren befinden. Zwar ist es grundsätzlich lebensnah, anzunehmen, dass Öl an diese Stelle gerät, wenn ein beschädigtes Fahrzeug „über“ den Bordstein bzw. Radweg eingeparkt wird. Hierfür dürfte für die Klägerin allerdings kaum Anlass bestanden haben, weil die Fläche vor dem gewählten Parkplatz angesichts der dort vorhandenen Hofeinfahrt typischerweise frei sein wird; ein Einparken ohne Überfahren des Bordsteins bzw. Radwegs ist daher besonders leicht möglich und dürfte daher stattgefunden haben. Hinzutritt, dass das Fahrzeug der Klägerin vergleichsweise weit vom Bordstein weg steht, was typischerweise gerade nicht der Fall ist, wenn jemand „über“ den Bordstein bzw. Radweg einparkt. Die Zweifel an einem Ölaustritt am Fahrzeug der Klägerin können auch nicht dadurch ausgeräumt werden, dass der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommene Polizeibeamte es als übliche Vorgehensweise geschildert hat, in solchen Fällen das „verdächtige“ Fahrzeug auch vor Ort konkret auf den Ölaustritt zu untersuchen bevor die Halterdaten ermittelt und an die zuständigen Stellen übermittelt werden. Denn an einer konkreten Erinnerung daran, dass diese Untersuchung auch im vorliegenden Fall stattgefunden hat, mangelt es dem Zeugen angesichts der Alltäglichkeit des Vorfalls und des seither vergangenen Zeitraums. Auch der (nachträglich) angefertigte polizeiliche Vermerk vom 10. November 2018 enthält nicht ansatzweise Aussagen zur Beachtung des üblichen Vorgehens der Polizei und auch nicht zum Ergebnis einer vor Ort getroffenen Feststellung zum Verursachungsbeitrag. Der sehr knappe Vermerk lässt es auch nicht zu, der enthaltenen Feststellung, dass beim Eintreffen der Polizei aus dem Fahrzeug kein Öl mehr ausgetreten sei, indirekt zu entnehmen, dass dies aber zuvor (durch eine polizeiliche Untersuchung festgestellt) der Fall gewesen sei.
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Angesichts der fehlenden Überzeugung des Gerichts von der Störereigenschaft der Klägerin liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 16 BayStrWG nicht vor. Dem bedingten Beweisantrag der Klägerin, den die Beklagte nicht befürwortet hat, war daher nicht nachzugehen. Die Amtsermittlungspflicht zwingt das Gericht zwar, jedem Erkenntnismittel nachzugehen, bei dem nach der konkreten Sachlage die Möglichkeit besteht, dass es zu einer Änderung des bisherigen Bildes von dem Geschehen führen kann. Sie geht aber nicht so weit, dass auch Erkenntnismittel herangezogen werden müssen, bei denen diese Möglichkeit zwar abstrakt und theoretisch nicht gänzlich auszuschließen ist, bei denen aber weder nach der Lebenserfahrung noch auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie das bisherige Beweisergebnis in Frage stellen könnten (vgl. Dawin in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 19. EL November 2009, VwGO, § 86 Rn. 61). So verhält es sich hier. Es gibt angesichts der fehlenden oder zumindest nicht ausreichend dokumentierten „Beweissicherungsmaßnahmen“ der Beklagten keine näheren Anhaltspunkte dafür, dass das Fahrzeug der Klägerin den Ölaustritt verursacht hat.
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c) Im Ergebnis ist der Bescheid daher, auch hinsichtlich der Erhebung einer Verwaltungsgebühr (Art. 16 Abs. 5 KG), rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.