Titel:
Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des ausländischen Elternteils wegen Ausbildung eines volljährig gewordenen deutschen Kindes
Normenkette:
AufenthG § 9 Abs. 2, § 28 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 2
Leitsatz:
Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des ausländischen Elternteils eines volljährig gewordenen deutschen Kindes für die Dauer der Ausbildung des Kindes nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass das Kind den Ausbildungsabschluss tatsächlich anstrebt und das Ausbildungsangebot ernsthaft und nachhaltig wahrnimmt. (Rn. 3)
Schlagworte:
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis während der Ausbildung eines volljährig gewordenen deutschen Kindes, Sich-in-Ausbildung-Befinden (verneint), Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (verneint), (kein) „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis nach deren Ablauf, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Ablauf, Sich-in-Ausbildung-Befinden, volljährig gewordenes deutsches Kind, ausländischer Elternteil, Niederlassungserlaubnis, Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 22.04.2020 – M 9 S 19.5320
Fundstelle:
BeckRS 2020, 16877
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. September 2019 erfolgte Ablehnung des Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis bzw. Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und die Abschiebungsandrohung nach Russland weiter.
2
Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Antragstellerin keinen Rechtsanspruch auf Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels hat.
3
1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Danach ist die Aufenthaltserlaubnis des Elternteils eines deutschen Kindes auch nach Eintritt der Volljährigkeit zu verlängern, solange das Kind mit dem Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht ohne Weiteres entnehmen lässt, dass Ausländerbehörden und Gerichte berechtigt wären, eine Einschätzung vorzunehmen, ob die Ausbildung den tatsächlichen Fähigkeiten und Neigungen des Kindes entspricht und/oder zu prognostizieren, ob der Abschluss noch in angemessener Zeit erreicht werden kann. Darauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an. Denn Voraussetzung für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist schon nach dem Wortlaut der Norm, dass sich das Kind tatsächlich in einer Ausbildung „befindet“. Dafür genügt jedenfalls bei Kindern, die nicht mehr der (Berufs-)Schulpflicht unterliegen, nicht, dass lediglich ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen wird. Ausgebildet im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG wird nur, wer den entsprechenden Abschluss tatsächlich anstrebt und das Ausbildungsangebot ernsthaft und nachhaltig wahrnimmt.
4
Welche Anforderungen an einen entsprechenden Nachweis im Einzelnen zu stellen sind, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Antragstellerin hat keinerlei Nachweise vorlegt, dass ihr Sohn ernsthaft und nachhaltig einen Hauptschulabschluss anstrebt. Dies wäre umso nötiger gewesen, als der nunmehr 26-jährige Sohn bislang Ausbildungsverträge mit - soweit ersichtlich - vier verschiedenen privaten Institutionen geschlossen hat, die bislang allesamt zu keinem erfolgreichen Abschluss geführt haben. Auch weil der erste entsprechende Vertrag im Jahr 2013 vorgelegt wurde, nachdem die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der eingetretenen Volljährigkeit ihres Sohnes angehört worden war, bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Ausbildungsverträge nicht zur Erreichung eines Ausbildungszieles, sondern aus aufenthaltstaktischen Überlegungen heraus geschlossen wurden. Da die Antragstellerin nichts zum tatsächlichen Lernengagement ihres Sohnes (etwa zu Präsenzzeiten, bearbeiteten Materialien oder abgelegten Prüfungen) vorgetragen hat und angesichts der Gesamtumstände des Falles geht der Senat davon aus, dass sich der Sohn der Antragstellerin nicht in einer Ausbildung befindet.
5
2. Soweit das Verwaltungsgericht einen Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz AufenthG bzw. § 9 Abs. 2 AufenthG verneint hat, kann dahinstehen, ob das Beschwerdevorbringen sich hiermit in einer § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO noch genügenden Weise auseinandergesetzt hat. Denn jedenfalls ist die Ablehnung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis durch die Antragsgegnerin im Ergebnis zu Recht erfolgt.
6
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer seit drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen ist. Dieser „Besitz“ muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung der Niederlassungserlaubnis noch andauern und ununterbrochen gewesen sein. Ein nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellter Antrag ist daher nicht ausreichend (zur Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG BayVGH, U.v. 25.6.2013 - 10 B 12.2500 - juris Rn. 27; zu § 9 AufenthG OVG NRW, B.v. 31.1.2008 - 18 A 4547/06 - juris Leitsatz 3; Müller in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 9 Rn. 7; zu § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 BVerwG, U.v. 24.5.1995 - 1 C 7.94 - juris; OVG NRW, B.v. 1.2.2000 - 18 B 2069/99 - juris). Diese Voraussetzungen ist im Fall der Antragstellerin nicht erfüllt, weil sie schon zum Zeitpunkt der Beantragung der Niederlassungserlaubnis mit Schreiben vom 30. Juli 2019 nicht mehr „im Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis war. Die ihr zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis war am 24. April 2017 abgelaufen. Eine Ausnahme hiervon kann allenfalls gelten, wenn während des Verfahren auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ein Anspruch auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis be- oder entsteht und gleichzeitig die Erteilungsvoraussetzungen für die Niederlassungserlaubnis erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 - 10 C 15.1129 - juris Rn. 7 zur Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Ein solcher Ausnahmefall war hier nicht gegeben, weil die Antragstellerin - wie dargestellt - keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hat bzw. hatte.
7
Insofern kann dahinstehen, ob die der Antragstellerin zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG überhaupt Anknüpfungspunkt für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sein kann. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt nach der Rechtsprechung des Senats den vorherigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG voraus (BayVGH, U.v. 5.8.2015 - 10 B 15.429 - juris Leitsatz; ebenso HessVGH, B.v. 24.5.2016 - 6 A 2732/15 - juris Leitsatz; Dienelt, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 28 Rn. 37; a.A. Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.3.2020, AufenthG § 28 Rn. 30). Dass insofern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausreichend sein könnte, erscheint dem Senat jedenfalls zweifelhaft. Mit § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hat der Gesetzgeber auf den Umstand reagiert, dass § 28 AufenthG die Erlaubnis zu Einreise und Aufenthalt an die Tatbestandvoraussetzung der Minderjährigkeit des stammberechtigten deutschen Kindes anknüpft und keine Verselbständigung des Aufenthaltstitels des nachgezogenen Elternteils vorsieht (BT-Drs. 17/13536, S. 15). Der Gesetzgeber hat diese Lücke nur teilweise geschlossen, indem er dem Elternteil eines deutschen Kindes eine weiteres Aufenthaltsrecht nur bei Fortbestand der familiären Lebensgemeinschaft und nur für die Dauer der Ausbildung zugesprochen hat (so auch Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.3.2020, AufenthG § 28 Rn. 37). Es spricht Manches dafür, dass der Ausnahmecharakter der Norm und der vorübergehende Zweck des von ihr geregelten Aufenthalts es ausschließen, auf der Basis einer solchen Aufenthaltserlaubnis eine (in ihren Voraussetzungen privilegierte) Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen und dass sich die aufenthaltsrechtliche Perspektive von Eltern volljährig gewordener deutscher Kinder daher allein nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sowie der allgemeinen Regelung über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis in § 9 Abs. 2 AufenthG bestimmt.
8
Auch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG scheitert daran, dass die Antragstellerin schon im Zeitpunkt der Beantragung der Niederlassungserlaubnis mit Schreiben vom 30. Juli 2019 nicht mehr wie von § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gefordert im „Besitz einer Aufenthaltserlaubnis“ war. Die Ausführungen zur Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gelten insofern entsprechend.
9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
10
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).