Inhalt

AG Coburg, Endurteil v. 08.01.2020 – 17 C 1411/19
Titel:

Beweislast für unzureichende Widerspruchsbelehrung bei Vertragsschluss im sog. Policenmodell

Normenketten:
VVG aF § 5a
BGB § 242, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 818
Leitsatz:
Kann der Versicherungsnehmer einer im sog. Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung nach einem Widerspruch gem. § 5a VVG aF den Nachweis einer unzureichenden Belehrung über sein Lösungsrecht nicht erbringen, weil der Versicherer nach Ablauf der handelsrechtlichen Aufbewahrungszeit die Vertragsakte gelöscht hat, bleibt er für die Voraussetzungen seines Widerspruchsrechts beweisfällig, weil er für sämtliche den Anspruch begründenden Tatsachen beweisbelastet ist (s. zur Beweislastverteilung aber § 5a Abs. 2 S. 2 VVG aF). (Rn. 21 und 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebensversicherung, Policenmodell, Widerspruch, Widerspruchsbelehrung, Beweislast
Rechtsmittelinstanzen:
LG Coburg, Hinweisbeschluss vom 03.02.2020 – 33 S 7/20
LG Coburg, Beschluss vom 24.03.2020 – 33 S 7/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 16725

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.933,31 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Versicherungsprämien, die der Kläger auf eine bei der Beklagten abgeschlossene Lebensversicherung an die Beklagten zahlte, bzw. Herausgabe hieraus gezogener Nutzungen.
2
Der Kläger schloss im Jahr 1996 bei der Beklagten eine Lebensversicherung nebst einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) ab. Der Vertrag begann zum 01.04.1996 und endete aufgrund Kündigung des Klägers zum 01.08.2000. Aufgrund dieser Kündigung wurde der Vertrag zum 01.08.2000 durch die Beklagte abgerechnet. Der Vertrag ist seit diesem Zeitpunkt beendet. Bei dem Vertrag handelt es sich einen Kapital bildenden Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener BUZ sowie Dynamik nach dem Tarif A. Der Vertrag wurde unter der Versicherungsscheinnummer ... policiert. Versicherungsbeginn war der 01.04.1996, die Versicherungsdauer sollte 23 Jahre betragen. Es war eine anfängliche Versicherungssumme in Höhe von 68.544,81 € vereinbart. Während des Vertragslaufs entrichtete der Kläger die von ihm geschuldeten Prämien. Die Beklagte informierte den Kläger jährlich über den aktuellen Stand seines Vertrages und bot entsprechend der vertraglichen Vereinbarung die dynamischen Beitragserhöhungen an.
3
Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.06.2000 ließ der Kläger die Kündigung des Vertrages vom 01.08.2000 erklären. Die Beklagte bestätigte daraufhin mit Schreiben vom 21.06.2000 die Beendigung des Vertrages und rechnete den Vertrag mit gleichem Schreiben ab. Dabei ergab sich nach der Berechnung der Beklagten ein Rückkaufswert in Höhe von 7.920,93 € nebst einem Überflussguthaben von 966,29 €. Nach Auszahlung des Rückkaufswertes forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 25.08.2006 auf, den Vertrag im Lichte der Rechtsprechung zum so genannten Mindestrückkaufwert und Stornoabzug abzurechnen. Die Beklagte lehnte eine Nachregulierung des bereits ausgezahlten Rückkaufswertes mit Schreiben vom 06.09.2006 ab.
4
Mit Schreiben vom 04.06.2008 meldeten sich neue anwaltliche Vertreter des Klägers und verlangten für diesen weiterhin die Nachregulierung des ausgezahlten Rückkaufswertes. Mit weiterem Schreiben vom 13.06.2008 lehnte die Beklagte eine erneute Abrechnung des Vertrages ab.
5
Mit Schreiben vom 14.09.2009 zeigte sich die ... bei der Beklagten an und zeigte die Abtretung der Rechte und Ansprüche an sich an und verlangte erneut eine Nachregulierung des Rückkaufswertes, was die Beklagte mit Schreiben vom 29.01.2010 erneut ablehnte.
6
Mit Schreiben vom 24.03.2017 meldeten sich die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Beklagten und erklärten den Widerruf. Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 27.03.2017 zurück und machte darauf aufmerksam, dass die Vertragsakte nach Ablauf der handelsrechtlichen Aufbewahrungszeit von zehn Jahren gelöscht wurde. Eine Rekonstruktion sei nur bei vereinzelten Dokumenten möglich.
7
Im August 2018 machte der Klägervertreter ein Beschwerdeverfahren bei dem Ombudsmann für Versicherungen anhängig und forderte die Rückabwicklung des Vertrages. Das Beschwerdeverfahren wurde mit einer für den Kläger negativen Entscheidung mit Schreiben des Versicherungs-Ombudsmannes vom 28.09.2018 beendet.
8
Der Kläger ist der Auffassung, dass aufgrund des Umstands, dass er während der gesamten Vertragslaufzeit 10.200,00 € an die Beklagte bezahlt hat, nach Kündigung des Versicherungsvertrages im Jahr 2000 jedoch lediglich der Rückkaufwert in Höhe von 8.599,00 € ausgezahlt wurde, ihm noch ein Saldo in Höhe von 2.763,26 € zustehen würde. Dies aufgrund des Umstandes, dass das Gesamtguthaben des Versicherungsvertrages nach Kündigung 11.362,26 € betragen habe. Darüber hinaus ist der Kläger der Auffassung, dass er Schadenersatz aufgrund der durch die Beklagte gezogenen Nutzung für die Jahre von 1996 bis 2000 verlangen könne. Die Summe zuzüglich des Saldos zu Gunsten der Beklagten ergebe unter Berücksichtigung des pauschal bewerten Versicherungsschutzes in Höhe von 100,00 € den Klagebetrag in Höhe von 3.933,61 €. Für die Zeit nach Vertragsende bis zur Fälligstellung der Rückforderung sei Wertersatz anhand einer von der Beklagten im Jahresdurchschnitt erzielten Eigenkapitalrendite berechnet worden. Es sei dabei eine Nutzung angenommen, die sich nicht auf Verzinsung stütze, sondern auf den Vorteil, den die Beklagte aus dem Saldo aus Eigenkapital gezogen habe.
9
Der Kläger beantragt daher:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.933,31 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweiligen geltenden Basiszinssatz seit dem 24.04.2017 zu zahlen.
II. Hilfsweise wird die Beklagte verurteilt, den Kläger Auskunft über die Höhe des Sparanteils betreffend der bei der Beklagten geführten Lebensversicherung mit der VS-Nr. ... dergestalt zu erteilen, dass in tabellarischer und beleghafter Form Auskunft über die von der Beklagten aus den eingezahlten monatlichen Versicherungsprämien einbehaltenen Risikokosten für die Haupt- und Zusatzversicherung, die Abschluss- und Vertriebskosten, laufende Vertrags- und Verwaltungskosten, einbehaltene Beitragszuschläge für unterjährige Zahlungsweisen sowie über die einbehaltenen Stornogebühren zum Zeitpunkt der Kündigung und Auszahlung des Rückkaufswertes zu erteilen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte aus dem Antrag zu II.) an Eides statt zu versichern.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen nach Erteilung der Auskünfte aus dem Antrag zu II.) sich ergebenden Betrag nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Die Beklagte trägt vor, dass die Summe in Höhe von 11.362,26 € als Gesamtguthaben nicht nachvollziehbar ist. Es sei dabei vom Kläger auch nicht vorgetragen worden, um welche Positionen es sich hierbei handeln soll. Darüber hinaus habe der Kläger unzulässigerweise den Auszahlungsbetrag nebst den Abzügen der Kapitalertragssteuer und des Solidaritätszuschlages in Ansatz gebracht. Alleine vor diesem Hintergrund sei die Klage bereits überhöht. Ein Saldo in Höhe von 2.763,26 € wird seitens der Beklagten bestritten. Betreffend die Risikokosten in Höhe von 100,00 € fehle jeglicher Vortrag der Klägerseite wie sie auf diese Summe komme. Eine Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen versicherten Risiko finde nicht statt. Des Weiteren berücksichtige die Klägerseite nicht, dass vorliegend auch eine BUZ vereinbart war. Die hierauf entfallenen Prämienanteile seien im Rahmen der Prämiendifferenz nicht zu erstatten und hätten der Beklagten zur Nutzungsziehung nicht zur Verfügung gestanden. Damit habe sich die Klägerseite nicht auseinandergesetzt. Auch aus diesem Grund sei der Klagevortrag zur vermeintlichen Anspruchshöhe nicht nachvollziehbar. Zudem sei die tatsächliche Ertragslage der Beklagten durch den Kläger nicht berücksichtigt worden. In unzulässigerweise habe der Kläger lediglich auf Durchschnittswerte sowie auf vermeintliche Eigenkapitalrenditen der Beklagten abgestellt. Ein Beleg dessen erfolgte hingegen nicht. Insoweit sei der Vortrag des Klägers in vielen Bereichen derart unsubstantiiert, dass er nicht einlassungsfähig sei.
12
Darüber hinaus sei der Kläger aufgrund der erfolgten Abtretung nicht aktivlegitimiert.
13
Des Weiteren sei der Widerspruch verfristet. Die Beklagte hätte dem Kläger zusammen mit dem Versicherungsschein alle erforderlichen Vertragsunterlagen übersandt und diesen Versicherungsschein ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt. Demnach habe die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 VVG a.F. zu laufen begonnen. Im Übrigen stünde einem ewigen Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. des Klägers unzweifelhaft der Verwirkungseinwand aus § 242 BGB entgegen. Das erforderliche Zeitmoment sei bei einem Widerspruch 21 Jahre nach Vertragsschluss bereits längst in Gang gesetzt. Auch das Umstandsmoment läge vor. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass angesichts des Zeitablaufs von 21 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch nur noch geringen Anforderungen an das erforderliche Umstandsmoment zu stellen sein. Zudem sei aufgrund einer erfolgten anwaltlichen Überprüfung des Rückkaufswertes eine Verwirkung des Widerspruchs eingetreten. Ebenso sei eine Verwirkung aufgrund des Zeitablaufs zwischen der Kündigung und dem Widerspruch eingetreten.
14
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der Hauptverhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

15
Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet.
16
Der Kläger ist nicht aktivlegitimiert.
17
Es ist unstreitig geblieben, dass der Kläger sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die ... abgetreten hat.
18
Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, dass die ... der Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 14.09.2009 die Abtretung der Rechte und Ansprüche an sich angezeigt hat.
19
Darüber hinaus stünde dem Kläger auch bei bestehender Aktivlegitimation kein Anspruch auf Zahlung von 3.933,31 € zu.
20
Es ist unstreitig geblieben, dass der streitgegenständliche Vertrag im sogenannten Policenmodell zustande gekommen ist und das im Rahmen des Vertragsabschlusses eine Belehrung erfolgt ist.
21
Der Kläger trägt lediglich vor, dass die Versicherungsunterlagen unvollständig gewesen seien und eine unzureichende Widerspruchsbelehrung erfolgt sei. Hierzu ist der Kläger jedoch beweisfällig geblieben. Es erfolgte weder ein substantiierter Vortrag, noch ein Beweisantritt. Die Beklagte hat vorgetragen, dass eine vollständige Übersendung der Unterlagen an den Kläger bei Vertragsschluss erfolgt sei, ebenso wie eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht.
22
Der Kläger ist jedoch beweisbelastet für sämtliche den Anspruch begründende Tatsachen. Mangels Beweises einer mangelhaft erfolgten Widerspruchsbelehrung konnte seitens des Gerichts jedoch nicht überprüft werden, ob der Kläger überhaupt zum Rücktritt berechtigt war.
23
Aus dem gleichen Grund wäre auch der Hilfsantrag bei angenommener vorliegender Aktivlegitimation unbegründet.
24
Der begehrte Auskunftsanspruch wäre nur dann berechtigt, wenn und soweit vom Bestehen eines Zahlungsanspruches ausgegangen werden kann, zu dessen Durchsetzung die Auskunft dienen soll. Ein solcher Zahlungsanspruch kommt aber wie bereits dargelegt nicht in Betracht.
25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
26
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Anspruchsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.