Titel:
Schätzung von Mietwagenkosten nach Fraunhofer-Liste zuzüglich Sicherheitsaufschlag
Normenketten:
BGB § 249
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Das Gericht schätzt zu ersetzende Mietwagenkosten auf Basis der Fraunhofer-Liste zuzüglich eines Sicherheitsaufschlags von 25 %. (Rn. 12 und 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schwacke Automietpreisspiegel ist nicht zur Schätzung heranzuziehen, da er nicht auf einer anonymen Befragung beruht. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensersatz, Mietwagenkosten, Fraunhofer-Liste, Schwacke-Mietpreisspiegel
Fundstelle:
BeckRS 2020, 16714
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Form von restlichen Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall geltend.
2
Am 17.12.2019 kam es auf der R. straße zwischen Bad Griesbach und Karpfham zu einem Verkehrsunfall zwischen dem klägerischen PKW Fiat 500X mit dem amtlichen Kennzeichen SR-... und einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen PA-.... Unstreitig wurde der Unfall durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten allein verursacht. Die Klägerin mietete während der Reparatur ihres Fahrzeuges vom 17.12.2019 bis 13.01.2020 bei der Firma Autohaus S... GmbH einen Ersatzwagen an. Darüber hat die Autovermietung am 14.01.2020 eine Rechnung in Höhe von brutto 2.328,57 € gestellt (Anlage K 1). Darauf hat die Beklagte vorgerichtlich einen Teilbetrag von 1.449,42 € geleistet (Anlage K 2), so dass die Klagepartei noch den rechnerischen Restbetrag von 879,15 € geltend macht.
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Die Klägerin trägt vor, dass der von der Beklagten vorgenommene Abzug zu Unrecht erfolgt sei. Die Klägerin sei aus privaten Gründen auf das Mietfahrzeug angewiesen gewesen. Es habe eine klassentiefere Anmietung stattgefunden. Die Kosten für den Ersatzwagen seien objektiv erforderlich gewesen. Vor der Anmietung habe sich die Klägerin nach den jeweiligen Preisen erkundigt und sich dann entschlossen, das Angebot der Firma Autohaus S... GmbH zu akzeptieren. Nach dem anzuwendenden Schwacke-Mietpreisspiegel seien die angefallenen Kosten angemessen. Sie entsprächen dem Normaltarif. Die Beklagte sei daher zum Ersatz der gesamten Mietwagenkosten verpflichtet.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 879,15 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 26.02.2020 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, dass die berechtigten Ansprüche der Klägerin durch die vorgerichtliche Zahlung ausgeglichen seien. Die Kosten der Rechnung Anlage K 1 überstiegen den Normaltarif erheblich. Der geltend gemachte Betrag stelle einen Unfallersatztarif dar. Die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Erstattungsfähigkeit eines solchen Tarifs lägen nicht vor. Der Klägerin sei eine kostengünstigere Anmietung möglich und zumutbar gewesen. Der Schwacke-Mietpreisspiegel sei nicht als Schätzgrundlage anwendbar, da er für die Allgemeinheit nicht zugänglich sei. Nach dem „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2019“ des Fraunhofer-Instituts fielen bei der Anmietung eines Fahrzeugs der Gruppe 4 im Postleitzahlengebiet 94... deutlich niedrigere Kosten als die hier von der Klägerin geltend gemachten an. Weiter müsse sich die Klägerin eine Eigenersparnis von 10 % anrechnen lassen.
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Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
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Die Parteien haben mit Schriftsätzen vom 07.05.2020 und vom 12.05.2020 einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte in der Hauptsache keinen Anspruch aus §§ 7, 18 StVG, 113, 115 VVG auf Zahlung von weiteren 879,15 €.
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a. Die Klägerin hat gemäß § 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten, die regelmäßig zu den Kosten der Schadensbehebung gehören. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH sind die Mietwagenkosten jedoch nicht in unbegrenzter Höhe, sondern nur insoweit zu ersetzen, als diese tatsächlich zur Herstellung des Zustandes erforderlich sind, der ohne die Schädigung durch den Unfall bestehen würde. Nach dieser Rechtsprechung sind jedenfalls Mietwagenkosten im Rahmen des regional üblichen Normaltarifs erstattungsfähig. Einen solchen Normaltarif macht die Klägerin hier auch geltend (Schriftsatz vom 27.04.2020).
12
Das Gericht legt im Rahmen der Ermittlung des Normaltarifs nach § 287 ZPO in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OLG München (Urteil vom 25.07.2008, Az. 10 U 2539/08) und des OLG Jena (Urteil vom 27.11.2008, Az. 1 U 555/07) zunächst den aktuellen „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2019“ des Fraunhofer-Instituts als Schätzgrundlage zugrunde. Der BGH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass der bei der Schadensberechnung besonders freigestellte Tatrichter dem Normaltarif auch auf der Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels im Postleitzahlengebiet des Geschädigten ermitteln kann, ohne sich dabei ausschließlich auf die Schwackeliste als Schätzgrundlage festzulegen. In seinem Urteil vom 14.10.2008 (Az. VI ZR 308/07) hat der BGH ausgeführt, dass es dem Tatrichter nicht verwehrt sei, sich den vom OLG München gegen die Schwacke-Liste geäußerten Bedenken anzuschließen und die Schwacke-Liste nicht als Schätzgrundlage heranzuziehen. Eine Prüfung der Bedenken gegen die Schwacke-Liste durch Sachverständige sei nicht erforderlich. Das erkennende Gericht zieht in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des OLG München die Fraunhofer-Liste als Schätzgrundlage vor, da diese auf einer anonymen Befragung im Rahmen eines typischen Anmietszenarios beruht, während die Werte aus der Schwacke-Liste aufgrund einer Selbstauskunft der Vermieter in Kenntnis, dass die Angaben zur Grundlage einer Marktuntersuchung gemacht werden, erfolgt sind.
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b. Die Klägerin hat hier für die Dauer von mehreren Wochen ein Ersatzfahrzeug angemietet. Berechnet wurden laut der Rechnung Anlage K 1 insgesamt 26 Tage.
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Die Klagepartei hat nicht vorgetragen, welcher Mietwagenklasse das verunfallte und das angemietete Fahrzeug angehören. Dies lässt sich auch aus der Anlage K 1 nicht entnehmen. Vorgetragen ist aber, dass der Mietwagen mindestens eine Klasse tiefer eingestuft sei als der verunfallte klägerische Pkw. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 14.05.2020 (dort Ziff. 5) hat die Klagepartei nicht reagiert. Es ist daher der Entscheidung das unstreitig gebliebene beklagtische Vorbringen aus der Klageerwiderung (S. 4) zugrundezulegen, dass das Mietfahrzeug der Mietwagenklasse 4 angehört.
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Das Gericht legt seiner Bewertung der Mietwagenkosten daher zunächst drei Wochentarife und einen 5-Tages-Tarif (26 Tage) im Mittelwert der Mietwagenklasse 4 im Postleitzahlengebiet 94... nach der Erhebung des Fraunhofer-Instituts 2019 zugrunde. Dabei ergibt sich als Schätzgrundlage ein Bruttomietpreis von 187,74 € × 3 + 177,07 € = 740,29 €. Die Kosten für eine Haftungsreduzierung sind in den Beträgen der Fraunhofer-Liste bereits enthalten.
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Das Gericht schließt sich der Rechtsprechung des OLG Stuttgart (Urteil vom 22.06.2010, 12 U 16/10) an, wonach es angemessen ist, im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO den nach der Liste des Fraunhofer-Instituts ermittelten Normaltarif um einen „Sicherheitsaufschlag“ von 25 % zu erhöhen, da der Geschädigte zu einer Marktforschung nicht verpflichtet ist. Zudem kann durch die Schätzung eines solchen Aufschlages ein gewisser Ausgleich der zwischen der Fraunhofer-Liste und der Schwacke-Liste bestehenden erheblichen Differenzen vorgenommen werden. Auf dieser Grundlage ergibt sich ein erstattungsfähiger Schaden in Höhe von 925,36 €.
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d. Da die Beklagte vorgerichtlich bereits einen Betrag von 1.449,42 € bezahlt hat, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass sich kein anderes Ergebnis zeigt, wenn man die Werte der Fraunhofer-Liste zu den Mietwagenklassen 5 bis 7 heranzieht. Erst ab der Mietwagenklasse 8 (für deren Vorliegen es hier keinerlei Hinweis gibt) würde sich ein höherer Betrag als der vorgerichtlich bezahlte errechnen.
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2. Da die Klage in der Hauptsache keinen Erfolg hat, ist sie auch bezüglich der geltend gemachten Nebenforderungen als unbegründet abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.