Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.07.2020 – 20 NE 20.1489
Titel:

Infektionsschutzrechtliches Verbot von Kirchweih- und Volksfesten

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6, § 152 Abs. 1
GewO § 64 f., § 66, § 67 Abs. 1, § 68 Abs. 1
IfSG § 28, § 32
GG Art. 3 Abs. 1,Art. 12 Abs. 1
6. BayIfSMV § 5 Abs. 1 S. 2,§ 11 Abs. 5
Leitsätze:
1. Ob eine hinreichende, dem Parlamentsvorbehalt genügende Rechtsgrundlage für die infektionsschutzrechtliche Untersagung von Kirchweih- und Volksfesten besteht, ist fraglich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob der Infektionsschutzbehörde für die Beurteilung der Aufhebung von Veranstaltungsverboten ein Beurteilungsspielraum zukommt, kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Erforderlichkeit der Untersagung von Kirchweih- und Volksfesten ist auch im Hinblick auf mildere Möglichkeiten der Gefahrenabwehr durch Anordnung einer Maskenpflicht im einstweiligen Verfahren nicht zu klären. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beurteilungsspielraum, Auslegung, Ausnahmegenehmigung, Folgenabwägung, Genehmigungsanspruch, Kirchweihfest, Volksfest, Corona, Pandemie, Parlamentsvorbehalt
Fundstelle:
BeckRS 2020, 16146

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) vom 19. Juni 2020 (2126-1-10-G, BayMBl. 2020 Nr. 348) einstweilen auszusetzen, soweit durch § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV Veranstaltungen, Versammlungen und öffentliche Festivitäten untersagt werden.
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1. Der Antragsgegner hat am 19. Juni 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die in der Hauptsache (Az. 20 N 20.1486) streitgegenständliche Verordnung erlassen, die am 22. Juni 2020 in Kraft getreten ist (§ 24 6. BayIfSMV), zwischenzeitlich durch Verordnungen vom 24. Juni 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 362), 30. Juni 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 374) und 7. Juli 2020 (BayMBl. Nr. 387) geändert wurde und mit Ablauf des 19. Juli 2020 außer Kraft tritt (§ 24 6. BayIfSMV). Der mit der Hauptsache angegriffene § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV lautet:
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„(1) Vorbehaltlich speziellerer Regelungen in dieser Verordnung und vorbehaltlich des Abs. 2 sind Veranstaltungen, Versammlungen, soweit es sich nicht um Versammlungen nach § 7 handelt, Ansammlungen sowie öffentliche Festivitäten landesweit untersagt. Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.“
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2. Der Antragsteller, der nach eigenen Angaben in … das „… …“ und das gastronomische Rahmenprogramm des „…“ der Stadt … veranstaltet, hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am selben Tag, einen Normenkontrollantrag gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV gestellt und zugleich einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO beantragt. Wegen der angegriffenen Bestimmung, die einem faktischen Berufsverbot entspreche, dürften Kirchweih- und Volksfeste derzeit nicht stattfinden. Er erleide einen beinahe vollständigen Umsatzverlust auf nicht absehbare Zeit, der seine wirtschaftliche Existenz akut gefährde. Das Veranstaltungsverbot verstoße nicht nur gegen die Berufsfreiheit des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG, sondern auch gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Verordnung setze Kirchweih- oder Volksfeste mit den nach § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV untersagten Freizeiteinrichtungen wie Bordellbetrieben, Clubs und Diskotheken gleich, obwohl im Hinblick auf die jeweiligen Infektionsgefahren und die Möglichkeit der Umsetzung von Schutz- und Hygienekonzepten eine differenzierte Behandlung geboten sei. Hingegen seien die vom Antragsteller angebotenen Vergnügungsparks im Rahmen von Volksfesten mit den ortsfesten Freizeitparks vergleichbar, deren Betrieb nach § 11 Abs. 1 6. BayIfSMV unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei. Ebenso wenig sei gerechtfertigt, das gastronomische Angebot im Rahmen von Volksfesten anders zu behandeln als die (grundsätzlich zulässigen) Gastronomiebetriebe nach § 13 6. BayIfSMV oder das Flanieren im Außenbereich von Volksfesten anders als in innerstädtischen Fußgängerzonen oder auf Wochenmärkten. Die gerügte Ungleichbehandlung sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil Kirchweihen als Teil des immateriellen Kulturerbes unter dem besonderen Schutz der Bayerischen Verfassung stünden und daher zumindest unter Beachtung von - bereits vorliegenden - Schutz- und Hygienekonzepten allgemein zulässig sein müssten. Dabei könne der Antragsteller auch nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, Ausnahmegenehmigungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV zu beantragen, da der zeitliche Aufwand hierfür erheblich, die Erfolgsaussichten nur sehr gering und der auf der Branche lastende wirtschaftliche Druck zu groß seien.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 6. Juli 2020 hat der Antragsteller sein bisheriges Vorbringen bekräftigt und ergänzend ausgeführt, dass Evaluierungen der Beschränkungen für Volksfeste und Kirchweihen gerade für kleinere und mittlere Feste dieser Art nicht erkennbar seien. Vielmehr scheine der Antragsgegner seine Maßnahmen ausschließlich an großen und sehr großen Volksfesten auszurichten. Für kleinere Feste sei eine pauschale Untersagung jedoch nicht gerechtfertigt.
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Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen. So beständen schon Zweifel am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da unmittelbarer Veranstalter der Kirchweih- und Volksfeste wohl regelmäßig eine Stadt oder Gemeinde bzw. ein Verein und nicht der Antragsteller sei. Da die eigentlichen Veranstalter die betreffenden Feste aber bis auf weiteres abgesagt hätten, brächte der beantragte einstweilige Rechtsschutz dem Antragsteller keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil. Im Übrigen stehe dem Antragsgegner bei der Ergreifung von Schutzmaßnahmen nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG nicht nur hinsichtlich der zu bewältigenden Gefahrenlage und der zu treffenden Maßnahmen, sondern auch für die Lockerung getroffener Infektionsschutzmaßnahmen ein weiter, vom Gericht nicht voll überprüfbarer Einschätzungsspielraum zur Verfügung. Die vom Antragsteller angegriffene Norm verletze nicht den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da die vom Antragsteller herangezogenen Vergleichsgruppen mit den Veranstaltungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV nur zum Teil vergleichbar seien. Die untersagten Veranstaltungen zeichneten sich durch eine große Zahl von Besuchern aus. Den dabei vermehrt entstehenden Infektionsgefahren könne nicht oder nur sehr begrenzt mit anderen Maßnahmen begegnet werden. So sei wegen des kulinarischen Angebots eine Maskenpflicht nicht ohne weiteres möglich. Dass zwischen den Besuchern ein hygienisch vertretbarer Abstand eingehalten werde, sei unrealistisch. Bei den standortfesten Freizeitparks werde der Infektionsgefahr demgegenüber durch einen kontingentierten Zutritt mit entsprechendem Vorverkauf Rechnung getragen, weshalb Besucher ohne Eintrittskarten dort regelmäßig gar nicht erst anreisten. Sollte sich auch bei sonstigen Veranstaltungen eine infektionshygienisch positiv zu bewertende Ausgestaltung verwirklichen lassen, stände für diese atypischen Fälle die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV zur Verfügung. Außerdem sei auf § 2 Abs. 2 6. BayIfSMV hinzuweisen, wonach das Feiern und Grillen auf öffentlichen Plätzen und Anlagen unabhängig von den anwesenden Personen untersagt sei. Schließlich führe auch eine Folgenabwägung zu einer Antragsablehnung, da beim Zusammenkommen so vieler Menschen wie bei Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen auf letztlich begrenztem Raum voraussichtlich mit sog. Ausbrüchen zu rechnen sei. Die kommerziellen Interessen des Antragstellers und das von ihm angesprochene kulturelle Interesse an Traditionsveranstaltungen in Bayern wiege demgegenüber weniger schwer.
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Auf Anfrage des Senats hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 10. Juli 2020 noch dazu Stellung genommen, nach welchen Kriterien die einzelnen Erscheinungsformen des Marktgewerbes i.S.d. §§ 64 ff. GewO, insbesondere Großmarkt, Wochenmarkt, Spezial- und Jahrmarkt, aus Sicht des Verordnungsgebers unter die Regelungen der 6. BayIfSMV zu subsumieren seien. Dabei hat er ausgeführt, dass sich die Terminologie der 6. BayIfSMV nicht nach den gewerberechtlichen Begrifflichkeiten richte, sondern autonom unter Orientierung an den infektiologischen Gegebenheiten zu erfolgen habe. Maßgeblich sei insbesondere die Vermeidung von Infektionen einerseits sowie die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten (jeweils unter besonderer Berücksichtigung ggf. kollidierender Grundrechte sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) andererseits. Unter den Begriff der Veranstaltung i.S.d. § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV fielen dem Grunde nach jegliche Märkte, wobei aber die Relevanz der für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Geschäfte bzw. Märkte schon seit Beginn der Corona-Pandemie seitens des Antragsgegners berücksichtigt worden sei. Kleine und regelmäßig stattfindende Wochenmärkte mit Lebensmittelhandel seien bereits unter Geltung aller Vorgängerregelungen der angegriffenen Bestimmung als für die Versorgung der Bevölkerung notwendig und daher zulässig betrachtet worden. Eine generelle Zulassung von „Märkten“ i.S.d. Titels IV der GewO ergebe sich aber weder aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 3 6. BayIfSMV noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Während bei Wochen- (§ 67 Abs. 1 GewO) und Großmärkten (§ 66 GewO) in der Regel danach zu differenzieren sei, ob sie für die Versorgung der Bevölkerung mit Gegenständen des täglichen Bedarfs notwendig seien, müssten Spezial- (§ 68 Abs. 1 GewO) und Jahrmärkte (§ 68 Abs. 2 GewO) im Regelfall als Veranstaltungen nach § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV betrachtet werden, die grundsätzlich untersagt seien. Allerdings könne im (mutmaßlich seltenen) Einzelfall eine Veranstaltung vorliegen, die unter die Privilegierung des § 5 Abs. 2 6. BayIfSMV falle. Darüber hinaus komme jeweils die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV im Rahmen des Ermessens der Kreisverwaltungsbehörde in Betracht. Dies insbesondere dann, wenn die faktischen Gegebenheiten der jeweiligen Veranstaltung aufgrund besonderer Umstände wie etwa der örtlichen Rahmenbedingungen oder aufgrund besonderer Sicherheitsvorkehrungen, deren Beachtung und Durchsetzung auch realistisch erscheine, ein gegenüber dem Regelfall signifikant vermindertes infektiologisches Risiko aufwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2020 hat der Antragsteller sein Vorbringen bekräftigt und insbesondere auf die Eilbedürftigkeit des Antrags verwiesen.
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Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Der zulässige Eilantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor.
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1. Der Eilantrag ist zulässig. Als Veranstalter von Kirchweih- und Volksfesten wird der Antragsteller durch das mit § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV ausgesprochene Veranstaltungsverbot möglicherweise unmittelbar in seinen Rechten berührt. Denn selbst wenn - wie der Antragsgegner argumentiert - derartige Feste regelmäßig als gemeindliche Einrichtung i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GO organisiert sein mögen und die Entscheidung für oder gegen die Durchführung eines Festes jedenfalls insoweit nicht allein dem Antragsteller zusteht, hat der Antragsteller unabhängig davon stets die Möglichkeit, ein Kirchweih- oder Volksfest als Spezial- oder Jahrmarkt i.S.d. § 68 GewO zu veranstalten; diese Möglichkeit wird ihm durch das angegriffene Veranstaltungsverbot genommen.
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2. Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
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a) Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - NVwZ-RR 2019, 993 - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.
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Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ juris Rn. 12).
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b) Nach diesen Maßstäben kommt eine Außervollzugsetzung der in der Hauptsache angegriffenen Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV hier nicht in Betracht. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit als offen anzusehen (aa), weshalb im Wege der Folgenabwägung über den Antrag zu entscheiden ist. Die Folgenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass eine Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV nicht dringend geboten ist (bb).
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aa) Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit als offen anzusehen.
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Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten sieht sich der Senat mit einer Vielzahl komplexer fachlicher und rechtlicher Fragen konfrontiert, die einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich sind. Die im Verlauf der COVID-19-Pandemie erlassenen Maßnahmen der Infektionsschutzbehörden werden bislang auf Rechtsgrundlagen - insbesondere die §§ 28, 32 IfSG - gestützt, die trotz punktueller, als „Klarstellung“ bezeichneten Änderungen des § 28 IfSG zum 28. März 2020 (vgl. BGBl. 2020 I S. 587 ff., BT-Drucks 19/18111 S. 25) als Generalklauseln auf eine Pandemie dieser Größenordnung und derart weitreichende Maßnahmen nicht zugeschnitten sind (vgl. Schmitt, NJW 2020, 1626/1629; Kingreen, https://verfassungsblog.
de/whatever-it-takes/; Klafki, https://verfassungsblog.de/coronavirus-und-reformbe-darf-des-pandemierechts/). Eine etwa dem Art. 40 des Schweizerischen Epidemiengesetzes vom 28.9.2012 (AS 2015, 1435; SR 818.101) oder dem § 15 des Österreichischen Epidemiegesetzes 1950 vom 8.8.1950 (BGBl. 1950, 839) bzw. den §§ 1 f. des Österreichischen COVID-19-Maßnahmengesetzes vom 15. März 2020 (BGBl. I Nr. 12/2020) vergleichbare Rechtsgrundlage für allgemeine Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen fehlt bislang. Es wird deshalb in einem Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die aufgrund der 6. BayIfSMV getroffenen Maßnahmen mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts vereinbar sind, da erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein aufgrund §§ 28, 32 IfSG durch die Exekutive erfolgen (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2020 - 20 NE 20.1165 - juris Rn. 15 f.; B.v. 14.4.2020 - 20 NE 20.763 - juris Rn. 15; vgl. auch VGH BW, B.v. 9.4.2020 - 1 S 925/20 - juris Rn. 37 ff.).
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Ebenso muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang dem Antragsgegner ein Beurteilungsspielraum bei der Einschätzung der Gefährdungslage zusteht und ob ihm - was er ausdrücklich beansprucht - darüber hinaus ein gesonderter Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zukommen kann, in welchen Schritten und nach welchen Kriterien einmal erlassene Infektionsschutzmaßnahmen wieder aufgehoben werden. Zu klären bleibt insbesondere, ob der prognostische Spielraum bei der Aufhebung von Infektionsschutzmaßnahmen größer sein kann als bei deren Anordnung.
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Unabhängig vom Vorstehenden ergeben sich bei summarischer Prüfung zudem Anhaltspunkte dafür, dass die Normadressaten durch die angegriffene Bestimmung in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein könnten. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Frage, ob von Veranstaltungen wie Kirchweih- und anderen Volksfesten tatsächlich - wie vom Antragsgegner behauptet - auch bei überschaubarer Größe, eingeschränktem Betrieb und unter Beachtung eines Hygienekonzepts größere Infektionsgefahren ausgehen als von den nach der 6. BayIfSMV zulässigen Freizeitangeboten, insbesondere den ortsfesten Freizeitparks i.S.d. § 11 Abs. 1 6. BayIfSMV, die ebenfalls durch eine Kombination aus Unterhaltungs- und Gastronomieangeboten geprägt werden und bei denen - jedenfalls in der Fassung der Änderungsverordnung vom 7. Juli 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 387) - mittlerweile sogar Angebote innerhalb geschlossener Räume zulässig sind.
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Fraglich erscheint insofern, ob ein Kirchweih- oder Volksfest spezifische Infektionsgefahren begründet, denen nur mit dem in § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV enthaltenen repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt begegnet werden kann. Soweit der Antragsgegner das Verbot mit den großen Besucherzahlen von Veranstaltungen i.S.d. § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV begründet, lässt er offen, warum den damit verbundenen Infektionsgefahren nicht auch durch eine Beschränkung der zulässigen Besucherzahlen (wie sie etwa nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 6. BayIfSMV für ortsfeste Freizeitparks gilt) begegnet werden könnte. Inwiefern eine Kontingentierung des Zutritts zu Kirchweih- und Volksfesten - anders als bei ortsfesten Einrichtungen - von vornherein ausgeschlossen sein sollte, erschließt sich nicht. Vielmehr liegen den bislang ausnahmsweise zugelassenen Veranstaltungen - soweit erkennbar - genau solche Kontingentlösungen zugrunde, bei denen im Vorverkauf Zugangsberechtigungen zum Marktgelände erworben werden müssen (vgl. etwa https://flohmarkt-riem.com/, zuletzt abgerufen am 13.7.2020). Ebenso zweifelhaft ist das Argument des Antragsgegners, wegen des kulinarischen Angebots auf Kirchweih- und Volksfesten sei eine Maskenpflicht i.S.d. § 1 Abs. 2 6. BayIfSMV „nicht ohne weiteres möglich“. Denn zum einen kollidiert eine Maskenpflicht mit allen - auch den nach § 13 6. BayIfSMV zulässigen - gastronomischen Angeboten, zum anderen wäre denkbar, die gastronomischen Angebote im Rahmen einer Veranstaltung räumlich so von den sonstigen, insbesondere Unterhaltungsangeboten zu trennen, dass einer Maskenpflicht in den Unterhaltungsbereichen keine grundsätzlichen Bedenken entgegenständen. Jedenfalls kann die pauschale Annahme des Antragsgegners, die konsequente Einhaltung eines hygienisch vertretbaren Abstands sei auf Kirchweih- und Volksfesten „unrealistisch“, allenfalls für solche Veranstaltungen gelten, die gerade keinen Zugangs- und sonstigen (etwa hygienischen, angebotsbezogenen oder zeitlichen) Beschränkungen unterliegen. Warum solche Beschränkungen aber speziell bei den von § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV erfassten Veranstaltungen nicht ausreichend sein sollten, um den infektiologischen Gefahrenlagen gerecht zu werden, hat der Antragsgegner nicht dargelegt.
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Während insofern die Erforderlichkeit des repressiven Veranstaltungsverbots Zweifeln unterliegt, erscheint andererseits jedoch denkbar, dass diesen Bedenken durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV zumindest teilweise Rechnung getragen werden kann. Obwohl der Antragsteller pauschal bestritten hat, Ausnahmegenehmigungen für Veranstaltungen erhalten zu können, lässt die im Rahmen dieses Verfahrens maßgebliche Verordnungslage die Erteilung einer solchen Genehmigung im Einzelfall nicht nur ausdrücklich zu, sondern dürfte sie u.U. sogar erzwingen. Denn auch wenn nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Genehmigungsantrag für eine Veranstaltung i.S.d. § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV besteht, spricht vieles dafür, dass vor dem Hintergrund des Art. 12 GG vielmehr ein gebundener Genehmigungsanspruch bestehen dürfte, wenn und soweit sich eine beantragte Veranstaltung aus infektionsschutzrechtlicher Sicht als vertretbar erweist (vgl. auch BayVGH, B.v. 30.4.2020 - 10 CS 20.999 - juris Rn. 25). Für die Entscheidung über die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit dürften die Kriterien für die Zulässigkeit ortsfester Freizeiteinrichtungen aus § 11 Abs. 1 6. BayIfSMV zumindest indizielle Bedeutung haben. Insofern ist denkbar, dass durch die vom Verordnungsgeber eröffnete Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung der Bedeutung der Grundrechte der Normadressaten aus Art. 12 GG noch hinreichend entsprochen wird.
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bb) Die bei offenen Erfolgsaussichten angezeigte Folgenabwägung ergibt, dass eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung nicht dringend geboten ist.
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(1) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, hätte der Normenkontrollantrag aber Erfolg, wären die von § 5 Abs. 1 6. BayIfSMV erfassten Veranstaltungen zu Unrecht untersagt worden. Durch den weiteren Vollzug der angegriffenen Regelung käme es möglicherweise zu teilweise irreversiblen Eingriffen in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der betroffenen Veranstalter mit erheblichen nachteiligen wirtschaftlichen Folgen. Die Gefahr für die wirtschaftliche Existenz der Betriebe vergrößert sich mit zunehmender Dauer des Betriebsverbots. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Untersagung nunmehr schon seit über drei Monaten andauert.
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(2) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, bliebe der Normenkontrollantrag aber erfolglos, hätte die einstweilige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV zur Folge, dass die dort genannten Veranstaltungen ab sofort wieder unbeschränkt zulässig wären. Dadurch wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit - in welchem Umfang auch immer - mit vermehrten Infektionen mit SARS-CoV-2 zu rechnen. Nach dem aktuellen Situationsbericht des nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG besonders zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufenen Robert-Koch-Instituts (im Folgenden: RKI) vom 13. Juli 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland auch weiterhin um eine „sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation“ (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situations-berichte/2020-07-13-de.pdf? blob=publicationFile). Auch wenn die Anzahl der neu übermittelten Fälle seit etwa Mitte März rückläufig ist, schätzt das RKI die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch (vgl. Risikobewertung v. 2.7.2020, https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html).
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(3) Bei der Beurteilung und Abwägung dieser Umstände überwiegen jedenfalls derzeit noch die gegen eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 6. BayIfSMV sprechenden Gründe.
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Nach Einschätzung des RKI besteht weiterhin eine zwar abgeschwächte, in ihrem Ausmaß aber schwer einzuschätzende Gefahr einer erneuten Verstärkung des Pandemiegeschehens und damit eine Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen, wobei die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe mit dem Lebensalter und bestehenden Vorerkrankungen der Betroffenen zunimmt (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Demgegenüber müssen die wirtschaftlichen Interessen der von dem Veranstaltungsverbot betroffenen Unternehmer weiterhin zurücktreten. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die Betroffenen einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 6. BayIfSMV stellen können. Wie oben ausgeführt, spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass diese Bestimmung einen rechtlich gebunden Genehmigungsanspruch vermittelt, wenn die geplante Veranstaltung - was im Einzelfall nachzuweisen wäre - infektionsschutzrechtlich vertretbar ist. Sollten die Genehmigungsbehörden, wie der Vortrag des Antragstellers nahelegt, diesen Maßgaben nicht entsprechen, bliebe dies ggf. einer gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall vorbehalten.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 19. Juli 2020 außer Kraft tritt (§ 24 6. BayIfSMV i.d.F. der Änderungsverordnung v. 30.6.2020), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).