Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 17.02.2020 – B 8 E 19.50589
Titel:

Anordnungsanspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO für einen in Griechenland aufhältigen Minderjährigen auf Überstellung zu seinem in Deutschland wohnenden volljährigen Bruder (hier verneint)

Normenketten:
Dublin III-VO Art. 2 g, Art. 8, Art. 9, Art. 10, Art. 16, Art. 17 Abs. 2, Art. 27
EMRK Art. 8
VwGO § 123 Abs. 3
ZPO § 60, § 59
Leitsätze:
1. Nach Ablauf der in der Dublin III-VO vorgesehenen Fristen und ohne einer Übernahmezusage des befragten Mitgliedsstaates wird der ersuchende Mitgliedsstaat (hier Griechenland) für die Prüfung des betreffenden Antrags auf internationalen Schutz zuständig. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Überprüfung und Kassation einer nach Ablauf dieses Verfahrens feststehenden Zuständigkeit und eine darüber hinaus gehende Feststellung einer abweichenden Zuständigkeit durch ein Gericht eines Mitgliedsstaates ist nur in den engen Grenzen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO möglich. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnungsanspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO für einen in Griechenland aufhältigen Minderjährigen auf Überstellung zu seinem in Deutschland wohnenden volljährigen Bruder, Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund, Abschiebungsverbot, Aufenthaltserlaubnis, Unterkunft, Visum, Iran, Kindeswohl
Fundstelle:
BeckRS 2020, 15734

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige. Sie begehren die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für zuständig zu erklären und auf die Überstellung des Antragstellers zu 1, geb. am 01.01.2003, in die Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken.
2
Für den Antragsteller zu 2 und seinem minderjährigen Sohn, wohnhaft in der Bundesrepublik Deutschland, stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11.04.2018 ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - fest.
3
Der Antragsteller zu 1 beantragte - nach den Angaben im griechischen Überstellungsersuchen - am 20.12.2018 in Griechenland internationalen Schutz.
4
Griechenland ersuchte daraufhin mit Schreiben vom 19.03.2019 die Antragsgegnerin um Übernahme des Antragstellers zu 1. Im Überstellungsersuchen ist ausgeführt, dass der Antragsteller zu 1 als unbegleiteter Minderjähriger in einer Einrichtung für unbegleitete Minderjährige in … wohne. Er sei von seinen Eltern an der Grenze zwischen Türkei und Iran, wo einige seiner Geschwister lebten, getrennt worden. Sein Bruder ... lebe mit seiner Familie in Deutschland. Es sei für den Antragsteller zu 1 am besten, sich seinem Bruder in Deutschland anzuschließen.
5
In einem Videoanruf habe der in Deutschland lebende Bruder erklärt, dass er die deutsche Sprache lerne und in Deutschland integriert sei; er habe eine Aufenthaltsgenehmigung. Er sei auch bereit, sich um seinen Bruder zu kümmern, zu dem er eine enge Beziehung habe. Er wohne seit 2015 mit seinem …Jahre alten Sohn in Deutschland und es sei für die Zukunft des Antragstellers zu 2 das Beste, zu ihm nach Deutschland zu kommen. Zu seinem minderjährigen Bruder habe er eine enge Beziehung. Demgegenüber habe sein weiterer Bruder … in Griechenland drei Kinder, um die dieser sich vorrangig kümmern müsse. In einem weiteren Video-Telefonat mit der Mutter des Antragstellers zu 1 im Iran habe diese erklärt, der ältere Bruder …, der sich zusammen mit seiner Familie ebenfalls in Griechenland aufhalte, sei ungeeignet, ihren minderjährigen Sohn, den Antragsteller zu 1, aufzuziehen. Die griechischen Behörden führten weiter aus, dass dieser Bruder … durch die griechischen Behörden nicht erreicht habe werden können. Ein Kind habe mitgeteilt, dass der Vater im Gefängnis sei.
6
Zusammenfassend sei festzustellen, dass dem Antragsteller zu 2 in der Bundesrepublik Deutschland Flüchtlingsschutz zugesprochen worden sei und er deshalb eine Aufenthaltserlaubnis habe. Wegen der engen brüderlichen Bindungen zwischen den beiden Antragstellern und der tatsächlichen Unfähigkeit des sich in Griechenland aufhaltenden Bruders … sei es das Beste für das Kindswohl, wenn der Antragsteller zu 1 zu seinem Bruder, dem Antragsteller zu 2, zu dem er Vertrauen habe und den er liebe, nach Deutschland kommen könne. Der Antragsteller zu 1 habe etliche traumatische und schmerzvolle Erfahrungen machen müssen, weshalb er sehr emotional und gestresst sei. Seine Belastbarkeit sei schwer beeinträchtigt. Für das zukünftige seelische Wohlbefinden des Antragstellers zu 1 sei eine Zusammenführung mit seinem Bruder wichtig. Auch wenn er sich in der Unterbringung typisch verhalte, könne diese keine Familienbindung ersetzen.
7
Eine vom Antragsteller zu 2 unterschriebene Erklärung, wonach er bereit sei, den Antragsteller zu 1 nach den Art. 8, 9, 10, 16, 17 der VO (EU) 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) aufzunehmen, lag dem Aufnahmeersuchen bei.
8
Die Antragsgegnerin lehnte dieses Ersuchen mit Schreiben vom 01.04.2019 mit der Begründung ab, dass der Antragsteller zu 1 wegen dessen Bruders … in Griechenland keinesfalls ein unbegleiteter Jugendlicher sei. Im Übrigen sei die enge Verwandtschaft der beiden Antragsteller nicht nachgewiesen.
9
Im weiteren Schreiben Griechenlands vom 19.04.2019 ist ausgeführt, dass die Antragsteller mit der Durchführung von DNA-Tests einverstanden seien und dass der Bruder … in Griechenland wegen häuslicher Gewalt zu einer Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten (vgl. Schreiben des griechischen Justizministeriums vom 17.03.2019, Bl. 79 der Bundesamtsakte) verurteilt worden und nur wegen eines erhobenen Rechtsmittels wieder freigekommen sei. Im - diesem Schreiben beiliegenden - psychosozialen Bericht über das Wohl des Antragstellers zu 1 vom 11.04.2019 wird darüber hinaus darauf hingewiesen, dass dessen Belastbarkeit durch die jüngste Vergangenheit dramatisch geschädigt worden sei. Die starke Bindung der Antragsteller sei für seine Genesung angesichts der traumatischen Erlebnisse wesentlich.
10
Auch dies überzeugte die Antragsgegnerin nicht (vgl. ablehnendes Schreiben vom 06.05.2019); sie verwies auf den fehlenden Nachweis der verwandtschaftlichen Beziehungen.
11
Ein weiteres Übernahmeersuchen Griechenlands vom 24.05.2019 wurde von der Antragsgegnerin erneut abgelehnt (Schreiben vom 03.06.2019); darin berief sie sich auf einen Fristablauf am 22.04.2019. Trotzdem sei eine erneute Prüfung am 06.05.2019 durchgeführt worden. Das Verfahren sei hiermit beendet.
12
Auch die weiteren Schreiben Griechenlands (vom 24.06. und 17.07.2019) lehnte die Antragsgegnerin ab (Schreiben vom 26.06.2019) bzw. beantwortete diese nicht.
13
Mit Email vom 05.09.2019 übermittelte Griechenland die Testergebnisse zum Y Chromosom, das den identischen Y Haplotyp aufweise; aus diesem Grund sei mit Sicherheit anzunehmen, dass die Antragsteller den gleichen Vater hätten. Auch die weiteren Untersuchungen hätten ergeben, dass die beiden Antragsteller Geschwister seien. Das Schreiben der Vormündin des Antragstellers zu 1 in Griechenland vom 02.09.2019, das u.a. auf diese Ergebnisse Bezug nahm, lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 09.09.2019 unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 13.11.2018 - C-47/17 und C-48/17 - erneut ab. Ein weiteres Schreiben Griechenlands vom 30.09.2019 wurde nicht mehr beantwortet.
14
Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22.11.2019 beantragen die Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Ministerium für Citizen Protection - Nationales Dublin Referat für den Asylantrag des Antragstellers zu 1 für zuständig zu erklären und auf seine Überstellung hinzuwirken.
15
Ein Obsiegen in der Hauptsache sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Den Antragstellern entstünden ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei deshalb unumgänglich.
16
Aufgrund der langen Verfahrensdauer drohe nun die Familieneinheit dauerhaft verhindert zu werden. Es stehe wegen der Ablehnung des Aufnahmegesuchs durch die Antragsgegnerin unmittelbar eine Entscheidung in der Sache über den Asylantrag des Antragstellers zu 1 bevor. Mit dieser Entscheidung unterfiele der Antragsteller zu 1 nicht länger dem Anwendungsbereich der VO (EU) 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO). Durch die Trennung werde der Grundsatz des Wohls des Kindes missachtet und die Rechte der Antragsteller verletzt. Schließlich sei die lange Verfahrensdauer unzumutbar und mit dem Zweck der Dublin III VO nicht in Einklang zu bringen.
17
Die Antragsteller hätten unter Zugrundelegung der in Art. 8 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK- und Art. 7 und Art. 24 Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EU-GRCharta - niedergelegten Grundrechtsgarantien zum Schutz des Kindeswohles und zur Wahrung der Familieneinheit gegen die Antragsgegnerin und gegen die Hellenische Republik einen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zu 1 im zuständigen Mitgliedsstaat Deutschland gemäß Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO. Die genannten Normen verliehen subjektive Rechte gegen den Mitgliedsstaaten auf Einhaltung dieser Vorschriften. Die subjektiven Rechte habe der Europäische Gerichtshof in mehreren Urteilen gestärkt, selbst bezüglich reiner Verfahrensfristen wie der des Art. 24 Abs. 1 Dublin III-VO. Die Nichteinhaltung von Vorschriften, die der Achtung der Familieneinheit dienen, müsse justiziabel sein. Art. 47 EU-GRCharta garantiere das Grundrecht auf gerichtlichen Schutz, der durch das Unionsrecht garantierten Rechte. Effektiven Rechtsschutz garantiere auch Art. 19 Abs. 4 GG. Die o.g. Normen entfalteten zudem drittschützende Wirkung zugunsten des sich in Deutschland befindlichen Antragstellers zu 2. Der Minderjährigenschutz sei zentral und prioritär zu prüfen, wie sich dem 13., 14. und 19. Erwägungsgrund und v.a. Art. 7 und 8 der o.g. Dublin III-VO entnehmen lasse. Daraus ergebe sich ein Anspruch der Antragsteller auf Durchführung des Asylverfahrens des Antragsteller zu1 in der Bundesrepublik Deutschland.
18
Ausweislich der DNA-Analyse seien die Antragsteller leibliche Geschwister. Der Antragsteller zu 2 halte sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Antragsteller zu 1 sei minderjährig und entgegen der ursprünglichen Auffassung der Antragsgegnerin unbegleitet. Dies sei nach griechischem Gesetz zu beurteilen. Danach sei ein Minderjähriger dann unbegleitet, wenn er nicht von einem Erwachsenen begleitet wird, der die elterliche Sorge nach griechischem Gesetz ausübt. Seinem Bruder … in Griechenland sei solche nicht übertragen worden. Vielmehr habe dieser schwere psychische Probleme und seine Frau und Kinder seien wegen wiederholter häuslicher Gewalt in einer andere Unterkunft verbracht worden, um sie schützen. Dieser sei wegen der häuslichen Gewalt zu 6 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt worden und befinde sich nach Einlegung einer Berufung in einem griechischen Camp. Griechenland habe deswegen einen temporären Vormund bestallt.
19
Die Zusammenführung der Antragsteller diene auch dem Kindeswohl des Antragstellers zu 1. Statt allein in einer Unterkunft zu leben, sei es für diesen besser, zusammen mit seinem Bruder in Deutschland zu wohnen. Dies entspreche auch dem gemeinsamen ausdrücklichen Wunsch der Antragsteller.
20
Die Zuständigkeit Deutschland sei auch nicht wegen Fristablaufs entfallen. Griechenland habe die Frist von 3 Monaten nach Art. 21 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO eingehalten: der Asylantrag sei am 20.12.2018 aufgenommen und das Aufnahmegesuch am 19.03.2019 abgesendet worden.
21
Nach Erhalt der Ablehnung durch die Antragsgegnerin vom 01.04.2019 habe das griechische Dublin Referat das Gesuch am 19.04.2019 innerhalb der dreiwöchigen Frist des Art. 5 Abs. 2 Dublin VO (EG) Nr. 1560/2003 vom 02.09.2003 i.d.F. der Verordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 (im Folgenden: Durchführungsverordnung) gestellt und Nachweise zur Unfähigkeit des Bruders …, sich um den Antragsteller zu 1 zu kümmern, nachgereicht sowie darauf hingewiesen, dass zwar keine Beweise aber ausreichend Indizien für das Geschwisterverhältnis vorhanden seien.
22
Unabhängig davon, ob die Möglichkeit einer Wiedervorlage nur einmalig bestehe, sei die Ablehnung durch die Antragsgegnerin rechtswidrig gewesen; diese würden den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofes an die Ablehnung eines Aufnahmegesuchs nicht gerecht. Auch wegen des Verhaltens der Antragsgegnerin, die keinerlei eigene Nachforschungen angestellt oder veranlasst und deshalb den Fristablauf verursacht habe, könne der Fristablauf keinen Zuständigkeitsübergang auf Griechenland zur Folge haben, bzw. könne sich die Antragsgegnerin darauf nicht berufen. Die Rechte des Minderjährigen würden vielmehr konterkariert.
23
Hilfsweise ergebe sich ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO; das Ermessen der Antragsgegnerin sei nicht zuletzt wegen Art. 8 EMRK (Recht auf Familienleben) auf Null reduziert. Diese Norm vermittle den Antragstellern ein subjektives Recht. Ein darauf gestützter Antrag sei jederzeit - unabhängig von Fristen - möglich. Entsprechende humanitäre Gründe, zu denen auch das Kindswohl und familiäre Gründen zählten, lägen vor: der unbegleitete minderjährige Antragsteller zu 1 lebe seit über einem Jahr von seiner Familie getrennt und die gewaltsam erfolgte Trennung sei für ihn traumatisierend gewesen. Dagegen führe eine buchstabengetreue Anwendung zu einer Trennung von Familienmitgliedern. Die erforderlichen schriftlichen Zustimmungserklärungen lägen vor.
24
Ein Anordnungsgrund sei gegeben (Schriftsatz vom 02.12.2019). Nach der für den 26.06.2020 terminierten Anhörung des Antragstellers zu 1 drohe eine asylrechtliche Entscheidung Griechenlands. Danach sei Art. 8 Dublin III-VO nicht mehr anwendbar. Zudem sei nicht vorstellbar, dass ein Hauptsacheverfahren vor Juni 2020 rechtskräftig abgeschlossen werden könnte, zumal - mangels obergerichtlicher oder europäischer Rechtsprechung - eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof geboten wäre. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bestehe dagegen keine Vorlagepflicht. Aus diesem Grund sei wegen Art. 47 EU-GRCharta und Art. 19 Abs. 4 GG eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz geboten. Andernfalls sei gerichtlicher Rechtsschutz gegen die rechtswidrige Ablehnung von familienbezogenen Aufnahmeersuchen nicht möglich.
25
Die Antragsgegnerin beantragt im Schriftsatz vom 27.11.2019,
den Antrag abzuweisen.
26
Es sei kein Anordnungsanspruch gegeben. Die Zuständigkeit sei auf Griechenland übergegangen. Die Ablehnungen der Übernahmeersuchen seien innerhalb der in Art. 5 Durchführungsverordnung vorgegebenen Frist und rechtmäßig erfolgt, da in dem ersten Übernahmeersuchen als auch im Remonstrationsverfahren nicht genügend Beweise vorgelegt worden seien. Diesbezüglich wurde auf die Entscheidung des EUGH, U.v. 13.11.2018 - C-47/17 und C-48/17 - juris Bezug genommen. Im vorliegenden Zuständigkeitsstreitverfahren führe das Einhalten von Fristen nach dem Willen der Verordnungsgeber - auch angesichts des Interesses von Familienzusammenführungen und unabhängig davon, dass die Antragsteller den Fristablauf nicht zu vertreten hätten - zur Bestimmung von (abschließenden) Zuständigkeiten.
27
Weiterhin handele es sich beim Antragsteller zu 1 nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen im Sinne des Art. 8 Dublin III-VO.
28
Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus Art. 17 Dublin III-VO. Ein Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO könne zulässigerweise nur für Antragsteller erfolgen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vermittele den Antragstellern keine Ansprüche gegen die Antragsgegnerin. Zudem liege keine Ermessensreduzierung auf Null vor. Mit Blick auf die Regelung des Art. 16 Dublin III-VO sei anzunehmen, dass neben der familiären Konstellation und der im Einzelfall bejahten humanitären Gründe weitere Aspekte hinzukommen müssten, um im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zu einer Ermessensreduzierung auf Null zu kommen. Wenn aber bei Art. 16 Dublin III-VO die Trennung eines minderjährigen Kindes von seinen Eltern allein kein ausreichender Grund für eine Zusammenführung sei und noch nicht einmal die Tatbestandsvoraussetzungen vorlägen, so sei kein Grund ersichtlich, warum bei Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO das Vorliegen verwandtschaftlicher Beziehungen zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen solle. Zudem folge aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 der Dublin III-VO gerade nicht, dass den Belangen Kindeswohl, Achtung des Familienlebens und Familieneinheit im Konfliktfall stets über den Wortlaut der Verordnung hinaus Vorrang einzuräumen wäre. Von den Antragstellern bewusst geschaffene Schieflagen fielen nicht unter den Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.
29
Einer Ermessensreduzierung auf Null stehe zudem entgegen, dass andere Möglichkeiten der Familienzusammenführung bestünden. Im Falle einer Flüchtlingsanerkennung bestehe das Recht auf Freizügigkeit. Außerhalb des Dublinverfahrens bestehe die Möglichkeit, ein Visum bei der Botschaft in Athen zur Familienzusammenführung zu beantragen.
30
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
31
Die zulässigen Anträge haben keinen Erfolg. Die Antragsteller verfügen über keinen Anspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für zuständig zu erklären und auf die Überstellung des Antragstellers zu 1 in die Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken. Einer Aufhebung der ablehnenden Entscheidung der Antragsgegnerin bedarf es ebenso wenig wie einer Verpflichtung, auf eine Überstellung hinzuwirken.
32
1. Die Anträge sind zulässig.
33
Die örtliche Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichtes Bayreuth ist gegeben. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, da die Klärung der Zuständigkeit einen essentiellen Teil des Asylverfahrens darstellt (vgl. auch VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris S. 6 f. m.w.N.). Anknüpfungspunkt der begehrten Zuständigkeit der Antragsgegnerin ist der in Deutschland lebende Antragsteller zu 2, für den die Voraussetzungen des § 52 Nr. 2 Satz 3, 2. Halbsatz i.V.m. Nr. 3 Satz 2 VwGO und damit - wegen dessen Wohnsitzes im Regierungsbezirk Oberfranken - die Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth gegeben sind. Für den Antragsteller zu 1 ist als einfachen Streitgenossen im Sinne von § 64 VwGO i.V.m. §§ 59, 60 ZPO in Ermangelung einer originären gerichtlichen Zuständigkeit (für ihn wäre gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 2. Halbsatz, Nr. 3 Satz 3 und Nr. 5 VwGO das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Beklagte (hier Antragsgegnerin) ihren Sitz hat), vorrangig auf die bereits bestehende gerichtliche Zuständigkeit für den Antragsteller zu 2 abzustellen (s.o.); die Begründung unterschiedlicher Zuständigkeiten ist bei der Gleichartigkeit der geltend gemachten Ansprüche bzw. bei dem gleichen rechtlichen Grund (Familieneinheit) nicht zielführend.
34
Beide Antragsteller sind analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.
35
Sie machen Rechtsverletzungen von Art. 7 und 8 Dublin III-VO sowie Art. 8 Abs. 1 (Schutz des Familienlebens) EMRK und einen daraus resultierenden Anordnungsanspruch sowie hilfsweise einen solchen nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO geltend. Als Minderjähriger ist der Antragsteller zu 1 vom Schutzbereich der genannten Normen, die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienen, erfasst. Eine Rechtsverletzung des Antragstellers zu 2 ist nicht ausgeschlossen, da Geschwister zumindest in Art. 8 Dublin III-VO ausdrücklich erwähnt sind.
36
Dass die Antragsteller vor Anrufung des Gerichts bei der Antragsgegnerin keinen entsprechenden Antrag auf Übernahme der Zuständigkeit gestellt haben, kann ihnen vorliegend nicht entgegengehalten werden. Eine solche Vorgehensweise erscheint angesichts der Vorgeschichte entbehrlich, da die Antragsgegnerin bereits mehrmals ein entsprechendes Gesuch des Mitgliedsstaates Griechenland abgelehnt hat und auch im gerichtlichen Verfahren gegenüber den Antragstellern eine Zuständigkeitserklärung für das Asylverfahren des Antragstellers zu 1 mit ausführlicher Begründung abgelehnt hat.
37
Der Zulässigkeit des einstweiligen Rechtsschutzersuchens steht ausnahmsweise die (endgültige) Vorwegnahme der Hauptsache nicht entgegen.
38
Eine auch nur teilweise Vorwegnahme der Hauptsache ist nur in besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Führt im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 47 EU-GRCharta und Art. 19 Abs. 4 GG) allerdings die einstweilige Anordnung - wie vorliegend die letztlich begehrte Zuständigkeitserklärung der Antragsgegnerin für das Asylverfahren des Antragsteller zu 1 - faktisch zu einer irreversiblen Vorwegnahme der Hauptsache, muss nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache zu erwarten sein, sondern es muss die Anordnung auch notwendig sein, um den Eintritt schwerer und unzumutbarer Nachteile zu vermeiden, die nachträglich durch die Hauptsachenentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.06.1984 - BVerwG 1 ER 310.84 -, juris Rn. 3).
39
Angesichts des bedeutenden Minderjährigenschutzes und der Möglichkeit einer Zusammenführung mit seinem Bruder ist vorliegend die Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise gerechtfertigt.
40
2. Die Anträge haben in der Sache allerdings keinen Erfolg.
41
Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint, vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Sowohl die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch das Vorliegen eines entsprechenden Anordnungsanspruchs sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
42
2.1 Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Dringlichkeit einschließlich drohenden Rechtsverlustes glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund kann z.B. angenommen werden, wenn eine Entscheidung in der Sache über das Asylbegehren der Antragsteller unmittelbar bevorstünde, womit die Zuständigkeit Griechenlands feststünde.
43
Zwar ist nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten beider Antragsteller ein Termin zur Anhörung erst für den 26.06.2020 vorgesehen; doch steht dieser nicht unmittelbar bevorstehende Zeitpunkt dem Begehren der Antragsteller nicht entgegen. Denn auch wenn eine asylrechtliche Entscheidung Griechenlands denknotwendig erst nach diesem Termin erfolgen kann, erscheint angesichts der endgültigen Ablehnung der Antragsgegnerin auch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren (vgl. Stellungnahme vom 27.11.2019) ein Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes zur raschen Klärung der Zuständigkeit - und damit der Abwendung eines weiteren (möglicherweise unzulässigen) Aufenthalts des minderjährigen Antragstellers zu 1 in Griechenland ohne familiäre Begleitung - geboten.
44
2.2 Ein Anordnungsanspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für zuständig zu erklären, wurde jedoch weder für den Antragsteller zu 1 noch für den Antragsteller zu 2 dargelegt.
45
2.2.1 Die Zuständigkeit Griechenlands ist nach den Regularien der Dublin III-VO in Verbindung mit der Durchführungsverordnung gegeben. Die Antragstellerin erteilte weder ihr Einverständnis zur Übernahme (Art. 22 Abs. 1 bis 6 Dublin III-VO) noch wurde sie wegen fehlender Antwort innerhalb der Fristen in Art. 22 Abs. 7 bzw. Art. 17 Abs. 2 UAbs. 4 Dublin III-VO zuständig.
46
Griechenland ersuchte nach der am 20.12.2018 erfolgten Asylantragstellung des Antragstellers zu 1 mit Schreiben vom 19.03.2019 innerhalb der Frist von drei Monaten nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO die Antragsgegnerin um Aufnahme des Antragstellers zu 1. Diese lehnte das Aufnahmeersuchen mit Schreiben vom 01.04.2019 innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO (bzw. bei Dringlichkeitsverfahren innerhalb von einem Monat, Art. 22 Abs. 6 Dublin III-VO) ab und wiederholte ihre ablehnende Haltung auch nach den weiteren Anfragen Griechenlands - im Rahmen von Art. 5 der Durchführungsverordnung mit mehreren Schreiben, zuletzt am 09.09.2019.
47
Nach Ablauf der in der Dublin III-VO vorgesehenen Fristen (einschließlich der des zusätzlichen Verfahrens nach Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung) und ohne einer Übernahmezusage des befragten Mitgliedsstaates wird der ersuchende Mitgliedsstaat (hier Griechenland) für die Prüfung des betreffenden Antrags auf internationalen Schutz zuständig (vgl. EuGH, U.v. 13.11.2018 - C-47/17 - Rn. 86 - 88 juris). Diese Zuständigkeit bestimmt sich nach den Regularien der Dublin III-VO unabhängig von der Begründung der Ablehnung.
48
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzung des Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO zur Begründung der Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht vorliegen. Gleiches gilt hinsichtlich Art. 17 Abs. 2 UAbs. 4 Dublin III-VO, soweit die weiteren Anfragen Griechenlands auf Übernahme als entsprechende Anfragen verstanden werden.
49
Damit verbleibt es bei der Zuständigkeit Griechenlands. Die Bearbeitung des Asylantrags durch den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedsstaat ist damit gewährleistet.
50
2.2.2 Eine Überprüfung und Kassation einer nach Ablauf dieses Verfahrens feststehenden Zuständigkeit und eine darüber hinaus gehende Feststellung einer abweichenden Zuständigkeit durch ein Gericht eines Mitgliedsstaates ist nur in den engen Grenzen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO möglich. Für die gerichtliche Prüfung, ob die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin rechtswidrig gewesen ist, fehlt eine entsprechende Rechtsgrundlage.
51
Diese Einschätzung beruht auf folgenden Erwägungen:
52
Die Dublin III-VO sieht - außerhalb der in Art. 27 Dublin III-VO normierten Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung - kein Rechtsmittel für den Asylantragsteller oder eine andere Person auf eine gerichtliche Feststellung der Zuständigkeit bzw. gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer ablehnenden Übernahmeentscheidung vor. Obwohl sich die Kommission bereits ausweislich ihres Berichts zur Bewertung des Dublin-Systems (SEK (2007) 742) vom 06.06.2007 umfänglich bewusst war, dass auch das damalige Dublin-System keine Regelungen enthielt, ob die humanitäre Klausel auf Ersuchen eines Asylbewerbers angewendet werden kann (vgl. dort Nr. 2.3.1 „Einheitliche Anwendung“) wurde dies in der darauf folgenden Neufassung und weiteren Änderungen der Dublin Verordnung nicht nachgeholt. Vielmehr wurde in Art. 27 Dublin III-VO ausdrücklich nur ein Rechtbehelf für Antragsteller gegen eine Überstellungsentscheidung aufgenommen.
53
Diese Entscheidung entspricht dem Sinn und Zweck des Dublin-Verfahrens zur schnellstmöglichen Feststellung des zuständigen Mitgliedsstaates. Die Zuständigkeit von Mitgliedsstaaten bestimmt sich nach dem Verfahren und den Kriterien in Kapitel III der Dublin III-VO. Die dort normierten Fristen tragen maßgeblich zur Verwirklichung des im Erwägungsgrund Nr. (5) der Dublin III-Verordnung erwähnten Ziels einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz bei, indem sie bei einer verzögerten Durchführung des Aufnahmeverfahrens gewährleisten, dass der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat geprüft wird, in dem er gestellt wurde, damit die Prüfung nicht durch den Erlass und den Vollzug einer Überstellungsentscheidung weiter aufgeschoben wird (EuGH, U.v. 26.07.2017 - C-670/16 - juris Rn. 54). Würde innerhalb des vorgesehenen Verfahrens mit dem Ablauf normierter Fristen keine Zuständigkeit feststehen, wären die in der Dublin III-VO und in der Durchführungsverordnung festgelegten Fristen zur raschen Klärung des zuständigen Mitgliedsstaates höchst überflüssig und entbehrlich.
54
Eine sich nach den Regularien der Dublin III-VO nach Zeitablauf ergebende Zuständigkeit steht damit fest und erwächst damit nach dem Willen des Normgebers gleichermaßen in „Bestandskraft“.
55
Wegen des in Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 47 Abs. 2 EU-GRCharta normierten Verbotes eines Rechtswegausschlusses bedarf dieses Ergebnis allerdings einer Korrekturmöglichkeit. In diesem Rahmen ist zu beachten, dass vom Verbot eines Rechtswegausschlusses Zugangsbeschränkungen allerdings nicht erfasst sind und zulässigerweise normiert werden dürfen, soweit sie nicht unzumutbar und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen sind (Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, 88. EL August 2019, Kommentar zum Grundgesetz Art. 19 Abs. 4 Rn. 233). Die Prüfung solcher Zugangsbeschränkungen von Rechtschutzmöglichkeiten wiederum ist zum einen abhängig vom Umfang der der Sonderbehandlung unterstellten Fehler und zum anderen von der Existenz und der gesetzlichen Ausgestaltung einer Rechtschutzmöglichkeit. Eine solche Rechtschutzmöglichkeit wäre das gemäß § 19 Abs. 4 GG und Art. 47 Abs. 2 EU-GRCharta notwendige Gegenmittel, einer einmal feststehenden Zuständigkeit entgegenwirken und sie gegebenenfalls korrigieren zu können (vgl. dazu Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, 88. EL August 2019, GG Art. 19 Abs. 4 Rn. 241).
56
Eine hinreichende gerichtliche Rechtschutzmöglichkeit stellt nach Ansicht des Gerichts die entsprechende Anwendung von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO für betroffene Asylantragsteller dar (vgl. dazu VG Berlin, B.v. 15.03.19 - 23 L 706.18 A - juris). Sie eröffnet diesen die notwendige Rechtsschutzmöglichkeit, eine nach der Dublin III-VO bereits feststehende Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates nachträglich zu korrigieren. Damit wird dem Verbot des Rechtswegausschlusses Genüge getan (s.o.).
57
Zwar eröffnet der Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO eine nur dem Mitgliedsstaat zustehende Befugnis, die Zuständigkeit entgegen der Regularien der Dublin III-VO an sich zu ziehen. Doch ist diese Norm nach Überzeugung des Gerichts gemäß den Grundsätzen aus § 19 Abs. 4 GG und Art. 47 EU-GRCharta - entgegen dieses Wortlauts - auf betroffene Asylantragsteller in entsprechender Anwendung auszudehnen und kann deshalb zumindest vom Antragsteller zu 1 in entsprechender Anwendung mit dem Ziel, eine Zuständigkeitszusage des gewünschten Mitgliedsstaates zu erreichen, in Anspruch genommen werden. Andernfalls blieben Asylbewerber in Verfahren wie dem vorliegenden ohne jegliche Rechtsschutzmöglichkeit (vgl. dazu Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 17 K 21; VG Berlin B.v. 17.06.2019 - 23 K L 293.19.A - juris).
58
Die für eine analoge Anwendung jenseits des eindeutigen Wortlauts einer Norm erforderliche (unbeabsichtigte) echte, planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage liegen vor, da aufgrund der gesamten Umstände nach Überzeugung des Gerichts davon auszugehen ist, dass der Normgeber die von ihm eröffnete Rechtschutzmöglichkeit zumindest in besonderen Härtefällen auch auf Asylantragsteller erstreckt hätte (stRspr BVerwG, vgl. etwa U.v. 20.09.2018 - 2 A 9/17 - BVerwGE 163, 112-129 Rn. 30 m.w.N.).
59
Nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kann - bevor eine Entscheidung in der Sache ergangen ist - ein Mitgliedsstaat einen anderen Mitgliedsstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen; dies kann aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehungen zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedsstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 Dublin III-VO nicht zuständig ist. Der ersuchte Mitgliedsstaat beantwortet das Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung ist zu begründen (Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin III-VO). Gibt der ersuchte Mitgliedsstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen Art. 17 Abs. 2 UAbs. 4 Dublin III-VO.
60
Der Formulierung in Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO („bevor eine Entscheidung in der Sache ergangen ist“ und „jederzeit“) ist zu entnehmen, dass dem Normgeber die Problematik der zeitlichen Überholung (Fristablauf nach Kapitel VI. Abschnitt II. und III. der Dublin III-VO) sehr wohl bewusst ist und trotzdem (nur) in den in Art. 17 Dublin III-VO normierten Ausnahmefällen eine Abweichung von einer bereits eingetretenen Zuständigkeit nach dem hierfür vorgesehenen Verfahren zugelassen hat.
61
Eine unzumutbare Beschränkung ist mit der Beschränkung einer Rechtsschutzmöglichkeit auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht verbunden. Denn dem in Art. 8 EMRK, Art. 7, 24 EU-GRCharta und Art. 6, 8 und 16 Dublin III-VO, geschützten sowie im Erwägungsgrund Nr. (16) der Dublin III-VO betonten Minderjährigenschutz und Achtung des Familienlebens kann mit einem entsprechenden Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zumindest in atypischen, in besondere Weise herausragenden Fällen hinreichend Rechnung getragen werden, ohne den Sinn und Zweck der Dublin III-VO, nämlich die rasche endgültige Klarheit über die Zuständigkeit, zu vernachlässigen. Er lässt eine ausreichende Abwägung sowie den erforderlichen Ausgleich zwischen konträren Rechtsschutzinteressen von betroffenen Asylantragstellern und dem Interesse an einer raschen Klärung der Zuständigkeiten von Mitgliedsstaaten erkennen. Damit ist außerhalb des in der Dublin III-VO geregelten Verfahrens zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates einschließlich des Remonstrationsverfahrens nach Art. 5 der Durchführungsverordnung sowohl den Mitgliedsstaaten als auch betroffenen Asylantragstellern eine Möglichkeit zur Abänderung einer bestehenden Zuständigkeit gegeben.
62
Nichts anderes lässt sich dem von den Antragstellern in Bezug genommenen Urteil des EuGH vom 07.06.2016 - C-63/15 - juris, Rdnr. 60, entnehmen. Klagegegenstand des o.g. Urteils war der Prüfungsumfang des kodifizierten Rechtsbehelfs (nach Art. 27 Dublin III-VO i.V.m. dem Erwägungsgrund Nr. (19)) gegen eine Überstellungsentscheidung. Diese Entscheidung klärt deshalb keineswegs die Frage nach einer (in der Dublin III-VO nicht vorgesehenen) Anspruchsnorm, die eine Überstellungsentscheidung in einen anderen Mitgliedsstaat zum Ziel hat, deren Voraussetzung - eine Zuständigkeitserklärung des angestrebten Mitgliedsstaates - erst noch zu erwirken ist.
63
Ähnliches gilt für die Urteile des EuGH vom 26.07.2017 - C-670/16 -, juris und 25.10.2017 - C-201/16 - juris. Danach kann sich ein Asylantragsteller zu seinen Gunsten auf den Ablauf der in der Dublin III-VO vorgesehenen Fristen berufen und sich bezugnehmend darauf gegen eine Überstellungsentscheidung zur Wehr setzen, während im Gegensatz dazu die Antragsteller im vorliegenden Verfahren sich gerade nicht auf einen Fristablauf berufen, sondern entgegen des Ablaufs der vorgesehenen Fristen (und der deshalb feststehenden Zuständigkeit) eine davon abweichende Zuständigkeit für sich geltend machen.
64
Auch die Entscheidungsgründe im Urteil des EuGH, U.v. vom 23.01.2019 - C-661/17 - juris) lassen sich nicht auf das vorliegende Verfahren übertragen. Nach diesem Urteil ist ein Mitgliedsstaat gemäß Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO nicht verpflichtet, einen Rechtsbehelf eines Asylbewerbers gegen eine Entscheidung eines Mitgliedsstaates - von der in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen - vorzusehen, denn nach einer entsprechenden ablehnenden Entscheidung steht dem Antragsteller - im Gegensatz zum vorliegenden Verfahren - ein Rechtsmittel gegen eine sich daran anschließende Überstellungsentscheidung nach Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO noch zur Verfügung (vgl. EuGH a.a.O. juris RNr. 78).
65
Das in Art. 19 Abs. 4 und Art. 47 EU-GRCharta normierte Verbot eines Rechtswegausschlusses gebietet deshalb in Verfahren wie dem vorliegenden eine Zugangsmöglichkeit zu den Gerichten, wie sie Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in entsprechender Anwendung ermöglicht.
66
2.2.3 Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 27.11.2019 den Sachverhalt umfassend gewürdigt und ist der Begründungspflicht in entsprechender Anwendung von Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 Satz 2 Dublin III-VO nachgekommen.
67
2.2.4 Einen Anordnungsanspruch nach Art. 17 Abs. 2 der Dublin III-VO haben die Antragsteller jedoch nicht dargelegt.
68
Im Rahmen des Verfahrens nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist insbesondere nicht die bisherige ablehnende Entscheidung des ersuchten Mitgliedsstaates (hier die Bundesrepublik Deutschland) auf Rechts- bzw. Ermessensfehler zu überprüfen, da Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gerade kein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung darstellt (siehe oben). Vielmehr stellt der geltend gemachte Anspruch gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auf Abgabe einer Übernahmeerklärung eine eigenständige Rechtsschutzmöglichkeit auf nachträgliche Abänderung einer bereits festgestellten Zuständigkeit unabhängig vom vorhergehenden und abgeschlossenen Verfahren gemäß dem Kapitel VI Abschnitt I und II der Dublin III-VO dar.
69
Im Hinblick auf den Charakter dieser Vorschrift als Ermessensnorm (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 65) steht einem Antragsteller - auch im Rahmen einer analogen Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO - allenfalls ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 40 VwVfG zu (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Dezember 2015, § 27a Rn. 52). Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein (EuGH, U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208-211 und juris Rn. 57).
70
Der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für zuständig zu erklären, hat demgemäß nur Erfolg, wenn das Ermessen der Antragsgegnerin auf Null reduziert ist und sich daraus eine Pflicht zum Selbsteintritt ergibt.
71
Im Rahmen dieser Prüfung ist dem Charakter des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO als Auffangvorschrift Rechnung zu tragen. Der Verordnungsgeber hat im Interesse eines geordneten und funktionsfähigen Asylsystems mit der Dublin III-VO ein System zur schnellen und klaren Zuweisung von Zuständigkeiten geschaffen und bereits innerhalb dieses Zuweisungssystems der Einhaltung grundrechtlicher Belange Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund soll Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in erster Linie Härtefälle erfassen, bei denen, würde man dem Interesse an der schnellen und klaren Feststellung der Zuständigkeit den Vorrang einräumen, grundrechtliche Positionen des Antragstellers in nicht gerechtfertigter Weise beeinträchtigt wären. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO bildet deshalb als Auffangtatbestand ein Korrektiv für Situationen, in denen im konkreten Einzelfall der nach EMRK und der EU-GRCharta gebotene Schutz in nicht zu rechtfertigender Weise beeinträchtigt ist. Sein Zweck besteht mithin nicht darin, dem Antragsteller das gleiche Schutzniveau einzuräumen, wie es z.B. im Rahmen des Art. 8 Dublin III-VO zur Gewährleistung eines einerseits funktionierenden und andererseits zugleich die Grundrechte wahrenden Systems zur Feststellung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats vorgesehen ist. Vielmehr bezweckt Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, den Antragsteller vor einer konkreten Verletzung seiner Grundrechte im Einzelfall (humanitärer Härtefall) zu bewahren. Der humanitäre Härtefall muss sich aus einem familiären Gesamtkontext ergeben, ist insofern nicht mit einem solchen gleichzusetzen, sondern setzt ihn als Grundlage voraus. Entscheidend kommt es also nicht nur auf das Vorliegen einer familiären Beziehung an, sondern hinzukommen muss ein Beistands-, Schutz- oder ähnliches Verhältnis, das die persönliche Nähe zwischen Antragsteller und Familienangehörigen auch bereits während des Asylverfahrens gebietet (vgl. VG Ansbach, B.v. 10.07.2019 - AN 18 E 19.50571 und AN 18 E 19.50573 - juris Rn. 18; anders wohl VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 67).
72
Dies lässt sich im Übrigen auch einer Parallelwertung in Art. 16 Dublin III-VO entnehmen: denn wenn bereits im regulären Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates eine verwandtschaftliche Beziehung allein nicht ausreicht, um den zuständigen Mitgliedsstaat zu bestimmen, so spricht sehr viel dafür, dass diese allein erst recht nicht ausreichend ist, um einen Grundrechtsverstoß oder einen Verstoß gegen die Grundrechtecharta anzunehmen.
73
Das Ermessen kann sich dann zu einer Pflicht zum Selbsteintritt verdichten, wenn jede andere Entscheidung unvertretbar wäre. Eine solche Fallkonstellation ist anzunehmen, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel verletzt würden, die Lage des Antragstellers durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer noch verschlimmert würde (EuGH, U.v. 14.11.2013 - C-4/11 juris Rn. 35 und vom 21.12.2011 a.a.O. Rn. 98; BVerwG, B.v. 27.10.2015 a.a.O.). Eine Pflicht zum Selbsteintritt kann dann bestehen, wenn eine in den persönlichen Umständen des Betroffenen wurzelnde Grundrechtsverletzung gegeben wäre (BayVGH, U.v. 03.12.2015 - 13a B 15.50124 - juris Rn. 22: dort im Fall einer drohenden Überstellung).
74
Sind minderjährige ledige Kinder betroffen, liegt wegen deren besonderen Schutzbedürftigkeit die Annahme eines humanitären Härtefalles i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zumindest nahe. Der Minderjährigenschutz ist an den Maßstäben von Art. 8 und 16 Dublin III-VO, und Art. 24 EU-GRCharta zu messen, wenn auch das Schutzniveau ein anderes ist (s.o.).
75
Dabei sind - im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte (EGMR) und des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) - im Rahmen des den Mitgliedsstaaten zustehenden Ermessens und der Prüfung einer zur Feststellung der Intensität der grundrechtlichen Betroffenheit insbesondere das Alter des Kindes und die bestehenden familiären Bindungen in den Blick zu nehmen, da diese Aspekte den humanitären Gründen je nach Sachverhaltskonstellation ein unterschiedliches Gewicht geben und damit im Einzelfall durch einen strikten Vorrang der Zuständigkeitsvorschriften eine Grundrechtsverletzung begründen können.
76
So werden vom EGMR regelmäßig für die Prüfung einer Verletzung des Kindeswohls das Alter eines Kindes, der Umstand, dass es unabhängig von seiner Familie eingereist ist, und Bindungen des Kindes zu Mitgliedern seiner Familie in seinem Herkunftsstaat herangezogen (siehe etwa EGMR, U.v. 30.07.2013 - Berisha/Switzerland, Nr. 948/12 - BeckRS 2014, 80974 (engl.) Rn. 56); U.v. 19.02.1996 - Gül/Schweiz, Nr. 23218/94 - InfAuslR 1996, S. 245 ff.).
77
Auch der EuGH erkennt im Rahmen des Familiennachzugs eine unterschiedliche Schutzwürdigkeit des Kindeswohls in Abhängigkeit vom Lebensalter an (vgl. EuGH, U.v. 27.06.2006 - Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union, C-540/03 - Slg. 2006, I-5809 = NVwZ 2006, 1033 Rn. 63 und 73).
78
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 24.06.2014 - 1 BvR 2926/13 - juris) kann der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich auch über die „Kernfamilie“ hinaus gehen und die Beziehung zwischen nahen Verwandten, insbesondere zwischen Großeltern und Enkelkind umfassen. Insofern kann auch der Verwandtschaftsgrad eine Rolle spielen. Dies setzt allerdings voraus, dass tatsächlich eine engere familiäre Bindung zum Kind besteht.
79
Den aus Griechenland übermittelten Unterlagen und Angaben kann in der Gesamtschau jedoch nicht entnommen werden, dass entsprechende besondere Umstände der Schutzwürdigkeit beim minderjährigen Antragsteller zu 1 vorliegen, die das der Antragsgegnerin zustehende Ermessen auf Null reduzieren und eine Pflicht zum Selbsteintritt entstehen lassen.
80
Da die besondere Schutzwürdigkeit des Antragstellers zu 1 in Abhängigkeit zu seiner Lebensalter (geb. am 01.01.2003) steht und er zum Zeitpunkt der Antragstellung (am 20.12.2008) bereits kurz vor Vollendung des 17. Lebensjahres stand und dieses zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung vollendet hat, ist davon auszugehen, dass allein sein Alter noch keine Ermessensreduzierung auf Null zu bewirken vermag. Dass der Antragsteller zu 1 keine altersgemäße Entwicklungsreife aufweist, ist den Angaben der griechischen Behörden nicht zu entnehmen.
81
Eine „Zusammenführung“ mit dem volljährigen Bruder in der Bundesrepublik Deutschland erreicht im Übrigen nicht das Schutzniveau einer Familienzusammenführung mit Familienmitgliedern im Sinne von Art. 2 g Dublin III-VO; Brüder zählen nicht dazu. Gleichzeitig ist nicht ausreichend nachvollziehbar dargelegt, dass der Antragsteller zu 1 trotz seines bereits erreichten Lebensalters in einem besonderen Maße auf die Fürsorge seines in Deutschland befindlichen Bruders angewiesen ist bzw. ein besonderes Beistands- oder Schutzbedürfnis zu diesem besteht. Immerhin ist der Antragsteller zu 1 unabhängig von jeglicher familiärer Hilfe offenbar auf dem Landweg über die Türkei nach Griechenland eingereist. Ihm gelang dieses nicht unproblematische Unterfangen ohne jegliche familiäre Begleitung, auch wenn dies so nicht geplant gewesen ist. Auch die seitens der Antragsteller in diesem Zusammenhang geltend gemachte, seit frühester Kindheit bestehende persönliche Beziehung, in der der Antragsteller zu 2 eine väterliche Rolle eingenommen habe, ist nicht hinreichend dargelegt. Denn immerhin verließ der Antragsteller zu 2 zusammen mit seiner Familie bereits etwa im September 2015 sein Heimatland, während der Antragsteller zu 2 noch bis zu seiner Ausreise im Jahr 2018, mithin etwa mindestens drei Jahre ohne seinen Bruder bei seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder verblieb. Die Trennung von seinem Bruder bestand damit bereits mehrere Jahre. Eine noch bestehende enge familiäre Bindung des Antragstellers zu 1 zum Antragsteller zu 2 im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist damit nicht mehr ersichtlich.
82
Den Ausführungen Griechenlands lässt sich im Wesentlichen entnehmen, dass der Antragsteller zu 1 Vertrauen zum Antragsteller zu 2 habe und diesen liebe und dass seine Belastbarkeit schwer beeinträchtigt sei. Für das zukünftige seelische Wohlbefinden des Antragstellers zu 1 sei eine Zusammenführung der Brüder wichtig. Auch zusammen mit den weiteren Angaben, dass der Antragsteller zu 1 etliche traumatische Erfahrungen und schmerzvolle Erfahrungen habe machen müssen, weshalb er sehr emotional und gestresst sei, sind diese Ausführungen verhältnismäßig unbestimmt und lassen Angaben über konkrete und damit bewertbare Auswirkungen - auch einer etwaigen Traumatisierung auf die Person des Antragstellers zu 1, auf sein Verhalten oder sonstige Besonderheiten vermissen. Vielmehr ist sinngemäß erwähnt, dass er sich in der Unterbringung typisch verhalte. Ein besonderes Schutzbedürfnis im Sinne eines besonderen Härtefalles ist deshalb nicht dargelegt.
83
Er ist darüber hinaus nach den Angaben Griechenlands in einer Einrichtung/einem Hotel untergebracht und hat einen Vormund erhalten, der seine Rechte offensichtlich verfolgt, so dies dem Kindeswohl nicht entgegensteht.
84
Da der Antrag des minderjährigen Antragstellers zu 1 schon keinen Erfolg hat (s.o.), kann der Antrag des Antragstellers zu 2 erst recht nicht erfolgreich sein. Deshalb kann offen bleiben, ob ein entsprechender Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO sich überhaupt auf den Antragsteller zu 2 erstreckt.
85
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
86
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).