Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 05.06.2020 – AN 18 E 20.01056
Titel:

Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 7, § 123 Abs. 1
4. BayIfSMV § 11 S. 1
Leitsätze:
1. Dem Gesetzeswortlaut nach knüpft das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO an die Entscheidung in einem vorangegangenen Eilverfahren an; aufgrund dieser Akzessorietät zum ursprünglichen Verfahren sind die Beteiligten eines solchen Verfahrens automatisch und notwendig dieselben Beteiligten wie in dem ursprünglichen Verfahren. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grundsätzlich erfolgt die Abänderung oder Aufhebung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren in analoger Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO; dies gilt allerdings nicht, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Bezugnahme auf die fehlende Antragsbefugnis bzw. auf ein fehlendes Feststellungsinteresse als unzulässig abgelehnt wird, da einer derartigen Ablehnung des Antrags als unzulässig - vergleichbar einer Klageabweisung durch Prozessurteil - eine nur beschränkte Bindungswirkung zukommt, die sich alleine auf die Entscheidung, dass dem geltend gemachten Anspruch das für die Antragsablehnung maßgebliche prozessuale Hindernis - hier die fehlende Antragsbefugnis bzw. das mangelnde Feststellungsinteresse im Verhältnis zum Freistaat Bayern - entgegensteht, erstreckt. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die für einen Abänderungsantrag analog § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO notwendige Antragsbefugnis ist allgemein dann gegeben, wenn sich die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte derart geändert haben, dass objektiv eine andere Beurteilung der Erfolgsaussichten möglich oder zumindest eine neue Interessenabwägung erforderlich ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässige subjektive Antragsänderung (Parteiwechsel) im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO, Unzulässiger Antrag analog § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO, wenn ein vorangegangener Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO als unzulässig abgelehnt wurde, Antragsbefugnis, Bindungswirkung, Feststellungsinteresse, einstweiliges Anordnungsverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2020, 15421

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Gestritten wird um die Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. Mai 2020 (AN 18 E 20.01019).
2
Die Antragstellerin betreibt eine Trampolinhalle mit einer Gesamtfläche von rund 4.000 m² in … Aufgrund der vom Freistaat Bayern im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Corona-Virus erlassenen Infektionsschutzmaßnahmen ist der Betrieb seit dem 16. März 2020 geschlossen.
3
Am 28. Mai 2020 beantragte die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Freistaat Bayern. Sie verfolgte dabei im Hauptantrag das Ziel, auf Grundlage der seinerzeit gültigen Regelungen der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) eine Genehmigung zur Öffnung der Trampolinhalle zu erhalten. Die daneben gestellten Hilfsanträge zielten - jeweils mit unterschiedlichem Wortlaut - im Ergebnis allesamt auf die gerichtliche Feststellung ab, dass § 11 Satz 1 4. BayIfSMV der Öffnung und dem Betrieb der Trampolinhalle nicht entgegenstünden. Diesen Antrag lehnte das Gericht mit Beschluss vom 29. Mai 2020 (AN 18 E 20.01019) als unzulässig ab, da es der Antragstellerin hinsichtlich des Hauptantrags an der notwendigen Antragsbefugnis fehle und hinsichtlich der Hilfsanträge das erforderliche Feststellungsinteresse nicht gegenüber dem Freistaat Bayern als Verodnungsgeber, sondern allein im Verhältnis zur Stadt … als Sicherheitsbehörde bestehe. Es wird insoweit ergänzend auf die dortigen Ausführungen (S. 6 bis 8 des Beschlusses vom 29.5.2020) Bezug genommen.
4
Am 4. Juni 2020 hat die Antragstellerin das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach um die Abänderung des am 29. Mai 2020 in dem Verfahren AN 18 E 20.01019 ergangenen Beschlusses ersucht und dazu im Wesentlichen auf die Änderung der materiellen Rechtslage durch die am 29. Mai 2020 erlassene Fünfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (5. Bay-IfSMV) abgestellt. Noch am selben Tag hat sie - unter Bezugnahme auf die Gründe des Beschlusses vom 29. Mai 2020 - außerdem erklärt, den Antrag im Wege der subjektiven Antragsänderung in Gestalt eines Parteiwechsels fortan gegen die Stadt … zu richten.
5
Die Antragstellerin beantragt daher zuletzt sinngemäß,
1. den im zugrundeliegenden Eilverfahren nach § 123 VwGO ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. Mai 2020 (AN 18 E 20.01019) analog § 80 Abs. 7 VwGO dahingehend abzuändern, dass die Stadt … im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, der Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu genehmigen, ihre Trampolinhalle unter den Vorgaben der 5. BayIfSMV zu öffnen;
hilfsweise:
2. den im zugrundeliegenden Eilverfahren nach § 123 VwGO ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. Mai 2020 (AN 18 E 20.01019) analog § 80 Abs. 7 VwGO dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass § 11 Abs. 5 5. BayIfSMV dem Betrieb der Trampolinhalle der Antragstellerin nicht entgegensteht, sofern die jeweils geltenden Vorgaben der gültigen und derzeit aktuellsten 5. BayIfSMV sowie des sonstigen öffentlichen Infektionsschutzes eingehalten werden;
3. den im zugrundeliegenden Eilverfahren nach § 123 VwGO ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. Mai 2020 (AN 18 E 20.01019) analog § 80 Abs. 7 VwGO dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass die Trampolinhalle der Antragstellerin nicht unter die „vergleichbaren Freizeiteinrichtungen“ im Sinne von § 11 Abs. 5 5. BayIfSMV fällt und somit unter den dort genannten Voraussetzungen - spätestens zum 8. Juni 2020 - eröffnen darf;
4. den im zugrundeliegenden Eilverfahren nach § 123 VwGO ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. Mai 2020 (AN 18 E 20.01019) analog § 80 Abs. 7 VwGO dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass es sich bei der Einrichtung der Antragstellerin um eine Einrichtung handelt, welche § 9 5. BayIfSMV unterfällt und somit unter den dort genannten Voraussetzungen - spätestens zum 8. Juni 2020 - eröffnen darf;
5. festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, der in der 5. BayIfSMV enthaltenen Schließungsverfügung Folge zu leisten.
6
Der Antragsgegner beantragt,
den Abänderungsantrag abzulehnen.
7
Gegenüber der Stadt … fehle es, da diese an dem ursprünglichen Verfahren nicht beteiligt gewesen sei, an der Statthaftigkeit des Abänderungsverfahrens analog § 80 Abs. 7 VwGO. Im Verhältnis zum Freistaat Bayern stehe einer Abänderung entgegen, dass es der Antragstellerin sowohl an der Antragsbefugnis, als auch an einem Feststellungsinteresse fehle.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in dem Verfahren AN 18 E 20.01019 verwiesen.
II.
9
Der Antrag war abzulehnen; er ist bereits unzulässig.
10
1. Der in Ermangelung einer zulässigen und damit wirksamen Auswechslung der Antragsgegnerin (noch immer) gegen den Freistaat Bayern gerichtete Antrag analog § 80 Abs. 7 VwGO erweist sich mangels Statthaftigkeit als unzulässig.
11
a) Eine zulässige und damit wirksame subjektive Antragsänderung dergestalt, dass sich der ursprünglich gegen den Freistaat Bayern gerichtete Abänderungsantrag nunmehr gegen die Stadt … richten würde, ist nicht erfolgt. In entsprechender Anwendung des § 91 Abs. 1 VwGO ist eine Antragsänderung zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Da der Freistaat Bayern als bisheriger Antragsgegner der Antragsänderung nicht zugestimmt hat, käme eine solche nur im Fall der Sachdienlichkeit in Betracht. Der vorliegend erklärte Parteiwechsel war jedoch nicht als sachdienlich anzusehen; er wäre nicht geeignet gewesen, den Streitstoff zwischen den Beteiligten auszuräumen, denn der so geänderte Antrag analog § 80 Abs. 7 VwGO hätte sich als unzulässig erwiesen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 3.7.1987 - 4 C 12.84 - juris Rn. 7). Ein Abänderungsverfahren analog § 80 Abs. 7 VwGO kommt im Verhältnis zur Stadt … nicht in Betracht. Dem Gesetzeswortlaut nach knüpft das Abänderungsverfahren an die Entscheidung in einem vorangegangenen Eilverfahren an. Aufgrund dieser Akzessorietät zum ursprünglichen Verfahren sind die Beteiligten des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO automatisch und notwendig dieselben Beteiligten wie in dem ursprünglichen Verfahren (Kopp/Schenke, 25. Aufl. 2019, VwGO, § 80 Rn. 200). Dem vorliegenden Verfahren vorausgegangen ist aber ein Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO, in welchem der Freistaat Bayern Antragsgegner war. Als Antragsgegner des hiesigen Abänderungsverfahrens analog § 80 Abs. 7 VwGO kommt damit ebenfalls nur der Freistaat Bayern in Betracht.
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b) Im Verhältnis zum Freistaat Bayern fehlt es an der Statthaftigkeit des Abänderungsverfahrens analog § 80 Abs. 7 VwGO.
13
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO haben auch die Beteiligten die Möglichkeit, wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände eine solche Änderung oder Aufhebung zu beantragen. Auch wenn § 123 VwGO keine Vorschrift für die gerichtliche Abänderung von Entscheidungen im einstweiligen Anordnungsverfahren enthält, besteht inzwischen weitgehende Einigkeit darüber, dass ein Abänderungsverfahren auch im System der einstweiligen Anordnung angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit statthaft sein muss. Überwiegend wird daher angenommen, dass die Abänderung oder Aufhebung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren in analoger Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO geschieht (so etwa: BVerfG, B.v. 23.3.2001 - 2 BvR 492/95 - juris Rn. 67; VGH BW, B.v. 6.12.2001 - 13 S 1824/01 - juris Rn. 4; OVG Hamburg, B.v. 24.2.2009 - 3 Nc 258/08 - juris Rn. 4; Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 37. EL Juli 2019, VwGO, § 123 Rn. 174).
14
Im Hinblick auf die Besonderheiten der hier zu entscheidenden Fallkonstellation fehlt es aber an einem solchen - den Analogieschluss zu § 80 Abs. 7 VwGO rechtfertigenden - dringenden Bedürfnis nach einer Abänderung bzw. Aufhebung der im Verfahren AN 18 E 20.01019 ergangenen gerichtlichen Entscheidung. Dort nämlich wurde der von der Antragstellerin erhobene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Bezugnahme auf die fehlende Antragsbefugnis bzw. das im Verhältnis zum Freistaat Bayern als Antragsgegner fehlende Feststellungsinteresse als unzulässig abgelehnt (s. S. 6 ff. des Beschlusses vom 29.5.2020). Einer derartigen Ablehnung des Antrags als unzulässig kommt damit - vergleichbar einer Klageabweisung durch Prozessurteil - eine nur beschränkte Bindungswirkung zu; diese erstreckt sich alleine auf die Entscheidung, dass dem geltend gemachten Anspruch das für die Antragsablehnung maßgebliche prozessuale Hindernis - hier die fehlende Antragsbefugnis bzw. das mangelnde Feststellungsinteresse im Verhältnis zum Freistaat Bayern - entgegensteht. Eine darüber hinausgehende sachliche Bindungswirkung, auf die letztlich auch die Existenz des § 80 Abs. 7 VwGO und die dort vorgesehene - auf die Beseitigung dieser Bindungswirkung zielende - Änderungsbefugnis zurückzuführen sind (Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 37. EL Juli 2019, VwGO, § 123 Rn. 529), kommt dem Beschluss aber gerade nicht zu. Es wäre der Antragstellerin somit losgelöst von den einschränkenden Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 VwGO eine jederzeitige erneute Antragstellung möglich gewesen.
15
Selbst wenn man vorliegend die Statthaftigkeit des Abänderungsverfahrens gleichwohl bejahen wollte, fehlt es der Antragstellerin jedenfalls an der für einen Abänderungsantrag analog § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO notwendigen Antragsbefugnis. Diese ist allgemein dann gegeben, wenn sich die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte derart geändert haben, dass objektiv eine andere Beurteilung der Erfolgsaussichten möglich oder zumindest eine neue Interessenabwägung erforderlich ist (VGH BW, B.v. 29.1.1992 - 11 S 1995/91 - juris Rn. 4; B.v. 14.2.2007 - 13 S 2969/06 - juris Rn. 3). Die Geltendmachung derart veränderter Umstände setzt dabei einen schlüssigen Vortrag des Antragstellers zur Änderung der Sach- oder Rechtslage, auch der Prozesslage, voraus (Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 37. EL Juli 2019, VwGO, § 123 Rn. 576). Daran fehlt es hier. Geänderte Umstände, die nunmehr zur Zulässigkeit der in dem Verfahren AN 18 E 20.01019 gestellten Anträge führen würden, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Die von ihr angeführten „neuen“ Umstände beziehen sich vielmehr auf eine mit der Schaffung der 5. BayIfSMV eingetretene Änderung der materiellen Rechtslage und damit letztlich auf die Frage der Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs. Neue Aspekte hingegen, welche nunmehr zu einer Zulässigkeit des gegenüber dem Freistaat Bayern gestellten Antrags führen könnten, hat die Antragstellerin hingegen nicht geltend gemacht. Vielmehr besitzen die im dem Beschluss vom 29. Mai 2020 angeführten Gründe gegen die Zulässigkeit des dort gestellten Antrags weiterhin volle Gültigkeit. Es vermögen ihr an dieser Stelle auch ihre Ausführungen, wonach sie weiterhin an ihrer Auffassung festhalte, dass es sich bei dem Freistaat Bayern um den zutreffenden Antragsgegner handele, nicht weiter zu helfen. Insoweit hat die Antragstellerin nämlich keine geänderten Umstände vorgetragen, sondern lediglich ihre bereits im Ausgangsverfahren geäußerte Rechtsansicht erneut bekräftigt.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Da den Ausführungen der Antragsschrift - auch im Verfahren AN 18 E 20.01019 - valide Angaben über die wirtschaftliche Bedeutung des Antragsbegehrens nicht entnommen werden können (es werden dort die Begriffe „Umsatz“ und „Gewinn“ vermengt), zieht das Gericht den Auffangstreitwert von 5.000 EUR heran. Es macht dabei außerdem von der durch Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt.