Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 19.06.2020 – AN 11 K 18.01242
Titel:

Kein Anspruch auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 4, § 54 Abs. 2 Nr. 9
GG Art. 6
Leitsatz:
Die Durchführung eines Visumverfahrens in Vietnam für die Dauer von acht bis zwölf Wochen führt auch bei einem kleinen Kind zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls, insbesondere da die Möglichkeit besteht, die Ausreisemodalitäten mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienfreundlich wie möglich zu gestalten. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Null Befristung, vietnamesischer Staatsangehöriger, Einreiseverbot, Aufenthaltsverbot, Visumverfahren, Familiennachzug, deutsches Kind, Kindeswohl, Zumutbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 15413

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der … 1992 geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Am 14. September 2014 beantragte er die Erteilung eines Visums, um in Deutschland einen Sprachkurs in Vorbereitung auf eine Berufsausbildung zum Altenpfleger zu absolvieren. Der Antrag wurde am 30. Januar 2015 von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in … abgelehnt. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in … vom 13. Mai 2015 zurückgewiesen.
2
Am 30. November 2016 wurde der Kläger von Beamten des Hauptzollamts … bei einer unerlaubten Erwerbstätigkeit in einem Nagelstudio in … aufgegriffen. Der Kläger gab bei seiner Vernehmung an, dass er im Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, um hier zu arbeiten. Er wohne am Hauptbahnhof … Mit Schreiben der Beklagten vom 15. Dezember 2016 wurde der Kläger zu einer beabsichtigten Ausweisung angehört.
3
Mit bestandskräftigem Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2017 wurde der Kläger in Ziffer 1 aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. In Ziffer 2 wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Zeitdauer von fünf Jahren ab Ausreise befristet. In Ziffer 3 wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids zu verlassen. In Ziffer 4 wurde die Abschiebung insbesondere nach Vietnam angedroht. Aufgrund des unbekannten Aufenthalts des Klägers wurde der Bescheid durch Aushang vom 15. Dezember 2016 bis 3. Januar 2017 öffentlich zugestellt.
4
Am 26. April 2017 stellte der Kläger einen förmlichen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Juli 2017 wurde in Ziffer 1 festgestellt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und dass das Asylverfahren eingestellt ist. In Ziffer 2 wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen. In Ziffer 3 wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Es wurde die Abschiebung insbesondere nach Vietnam angedroht. In Ziffer 4 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
5
Mit Schreiben vom 7. Mai 2017 teilte die damalige Bevollmächtigte des Klägers dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit, dass der Kläger in Kürze Vater eines deutschen Kindes werde. Es werde darum gebeten, den Kläger nach … in die Nähe der Kindsmutter umzuverteilen. Am 30. Mai 2017 wurde in … ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren, für das der Kläger bereits am 18. April 2017 die Vaterschaft anerkannt hatte. Am 27. Juni 2017 gaben der Kläger und die Kindsmutter eine Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge ab. Am 12. Juli 2017 wurde der Kläger von der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung … nach unbekannt abgemeldet; am 2. August 2017 wurde er wieder in der zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf angemeldet. Mit Zuweisungsbescheiden der Regierung … vom 17. August 2017 und 23. August 2017 wurde der Kläger im Einvernehmen mit der Zentralen Ausländerbehörde der Regierung … der Stadt … zugewiesen.
6
Mit Schreiben vom 27. März 2018 beantragte die damalige Bevollmächtigte des Klägers bei der Beklagten die „nachträgliche zeitliche Befristung der Abschiebung des Herrn … gemäß Bescheid der Stadt … vom 4. Januar 2017“; mit Schreiben vom 2. Mai 2018 wurde der Antrag dahingehend konkretisiert, die Einreisesperre bis 30. Mai 2018 zu befristen.
7
Mit Schreiben vom 28. März 2018 beantragte die damalige Bevollmächtigte des Klägers bei der Stadt … die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (gemeint war wohl: § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG).
8
Mit Anhörungsschreiben vom 18. Mai 2018 teilte die Beklagte der damaligen Bevollmächtigten des Klägers im Wesentlichen mit, dass dem Antrag nach aktuellem Kenntnisstand nicht im vollen Umfang stattgegeben werden könne. Vorstellbar wäre allenfalls eine Befristung auf den Tag der Ausreise unter der Bedingung, dass der Nachweis der Ausreise gegenüber der Stadt … erbracht werde. Der Kläger könne dann die Ausreise durchführen und nachweisen, womit das Einreise- und Aufenthaltsverbot wegfiele. Ihm stünde in der Folge die Option der Beantragung eines nationalen deutschen Visums bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung offen, mit dem Ziel der ordnungsgemäßen und vor allem rechtmäßigen Wiedereinreise zum angestrebten Aufenthaltszweck. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben Bezug genommen.
9
Mit Bescheid vom 12. Juni 2018 wurde in Ziffer 1 das Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen den Kläger nachträglich zeitlich befristet auf den Tag der Ausreise. In Ziffer 2 wurde eine Gebühr in Höhe von 169 EUR erhoben.
10
Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 5 ZustVAuslR für die Entscheidung zuständig sei. Der Kläger habe mit seiner Festnahme in …, auf welche seine Ausweisung erfolgt sei, einen sogenannten „Aufgriffsfall“ etabliert, für den die Beklagte nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZustVAuslR zuständig gewesen sei und hinsichtlich nachfolgender Korrektiventscheidungen nach Abs. 2 Nr. 5 (gemeint ist wohl Abs. 3 Nr. 5) der Vorschrift auch zuständig bleibe. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde nachträglich auf der Rechtsgrundlage nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Maßgaben zur Fristlänge aus § 11 Abs. 3 AufenthG befristet. Der Kläger habe die Versagung seines Einreisevisums aus dem Jahr 2015 ignoriert und sei ohne Pass und Visum nach Deutschland gereist, um in … „schwarz“ zu arbeiten. Er sei untergetaucht und habe nach einiger Zeit einen erfolglosen Asylantrag gestellt, der für die Beklagte ersichtlich lediglich aufenthaltssichernden, nicht jedoch den Zweck gehabt habe, Schutz vor politischer Verfolgung zu erlangen. In pädagogischer Hinsicht sei die Einsicht beim Kläger, dass auch er sich an die inländischen Einreise- und Aufenthaltsvorschriften zu halten habe, aus Sicht der Beklagten entweder überhaupt nicht, jedenfalls aber noch nicht vollständig angekommen. Allerdings könne der Kläger schutzwürdige Belange für sich ins Feld führen, als er die Personensorge für ein minderjähriges Kind im Bundesgebiet ausüben wolle. Es sei nicht die Aufgabe der Beklagten, im Rahmen des Befristungsverfahrens zu prüfen, ob der Kläger tatsächlich einen Anspruch auf Erteilung eines familiären Aufenthaltstitels habe, den er anstrebe. Im Befristungsverfahren entscheidend sei vielmehr allein die mögliche Option, dass ein solcher vorhanden sein könnte. Würde dem Kläger die Befristung verweigert, so stünde ihm für längere Zeit die Möglichkeit nicht zur Verfügung, diesen Anspruch behördlich prüfen zu lassen. Daher verbiete sich das Aufrechterhalten einer über Gebühr langen Frist. Eine Zu-Null-Befristung scheide indessen aus Sicht der Beklagten nicht nur schon deshalb hier aus, weil der Kläger noch lernen müsse, dass auch er sich an inländische Einreise- und Aufenthaltsvorschriften zu halten habe. Sie scheide bereits aus rechtlichen Gründen aus, weil der Kläger selbst im Fall einer Zu-Null-Befristung sein Ziel des Erwerbs einer familiären Aufenthaltserlaubnis voraussichtlich nicht werde umsetzen können. Er bleibe nämlich vollziehbar ausreisepflichtig. Als vietnamesischer Staatsangehöriger sei er nicht im Sinne von § 15 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit, sondern bedürfe für die Einreise vielmehr eines zustimmungspflichtigen nationalen Visums. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV befreie den Kläger hiervon nicht, denn dessen Voraussetzungen lägen hier nicht vor. So fehle es dem Kläger nach Kenntnis der Beklagten am Besitz der Duldung, die von dieser Vorschrift gefordert werde. Selbst wenn davon ausgegangen werden könnte, erfülle der Kläger eine weitere Voraussetzung der Vorschrift nicht, weil er keinen Anspruch auf den begehrten Aufenthaltstitel geltend machen könne. Wohl berufe sich der Kläger zwar auf die Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet, könne aber jedenfalls derzeit keinen durchschlagenden Anspruch im Sinne dieser Vorschrift für sich ins Feld führen, der eine Qualität im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2014, Az. 1 C 15.14, Randnummern 19 ff. aufweise. Es müsse sich um einen sogenannten strikten Anspruch handeln. Dazu müsse der Ausländer die Erfüllung aller erforderlichen Tatbestandsmerkmale nachweisen können, sodass die Ausländerbehörde ohne weitere Ermessenserwägungen entscheiden könne. Gerade Letzteres sei hier jedoch nicht gegeben, weil der Beklagten die vorgetragenen Familienverhältnisse nach wie vor zweifelhaft erschienen, denn die familiäre Lebensgemeinschaft bestehe gemäß Sachvortag lediglich in der Nebenwohnung der Kindsmutter, wo die Personensorge ausgeübte werden solle. Einem Anspruch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe schließlich auch noch die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht … entgegen, so dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - Abwesenheit von Ausweisungsinteressen - nicht vorliege, denn mit dieser Verurteilung habe der Kläger ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse aus § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gegen sich etabliert. Dies habe zur Folge, dass die Ausländerbehörde bei der Titelerteilung entscheiden müsse, ob hier ein Regel- oder Ausnahmefall vorliege, was seinerseits zum Nichtvorliegen eines „strikten Anspruchs“ führe. Sinn und Zweck der Regelung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV sei es, so das Bundesverwaltungsgericht sinngemäß, zu vermeiden, dass die unerlaubte Einreise durch Erteilung eines Aufenthaltstitels honoriert werde, sobald nach der unerlaubten Einreise Tatbestände für eine Aufenthaltserlaubnis etabliert würden. Einer gesteuerten Zuwanderung sei hier ein höheres Gewicht beizumessen. Zusammenfassend erscheine es der Beklagten sinnvoll und keineswegs unzumutbar, wenn der Kläger das Bundesgebiet nachweislich verlasse, damit den Wegfall seines Einreise- und Aufenthaltsverbots herbeiführe und anschließend vom Ausland aus das für solche Aufenthaltszwecke vorgesehene Visumverfahren durchlaufe. Aus Sicht der Beklagten spräche zudem nichts dagegen, offene Fragen mit der Landeshauptstadt München schon vor der Ausreise anzusprechen und plausibel zu erklären, was sich im Sinne des Kindeswohls positiv auswirken würde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
11
Mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten vom 22. Juni 2018 an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, eingegangen am selben Tag, ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 12. Juni 2018 erheben und zunächst beantragen,
I. Der Bescheid der Stadt … vom 12. Juni 2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
12
Zudem wurde von der damaligen Bevollmächtigten ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, der mit Schriftsatz vom 17. August 2018 zurückgenommen wurde. Mit Schriftsatz vom 15. September 2018 wurde von der damaligen Bevollmächtigten nochmals ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, der damit begründet wurde, dass die Rücknahme des ersten Eilantrags ein Kanzleiversehen gewesen sei. Dieser Eilantrag wurde schließlich mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 16. Juni 2020 zurückgenommen und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 17. Juni 2020 (AN 11 S 18.01813) eingestellt.
13
Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2018 führte die damalige Bevollmächtigte des Klägers zur Begründung der Klage im Wesentlichen aus, dass nach Ansicht des Klägers der Schutzbereich des Art. 6 GG durch seine … 2017 geborene Tochter, diese habe die deutsche Staatsangehörigkeit, eröffnet sei. Die Mutter des Kindes sei laut ärztlichen Angaben mit der alleinigen Erziehung der Tochter überfordert und bei der Versorgung dringendst auf Unterstützung des Kindsvaters angewiesen. Es bestünden bei der Mutter bezüglich des tatsächlichen Verlustes ihres Ehemannes durch eine etwaige Abschiebung nach Vietnam suizidale Gedanken. Das Kind leide an einer emotionalen Störung mit extremer Trennungsangst. Eine Rückkehr des Vaters nach Vietnam wäre laut den behandelnden Ärzten für die gemeinsame Tochter desaströs und würde einen physisch und psychisch erneuten Verschlechterungsschub auslösen. Den Vater von seinem deutschen Kind zu trennen sei ein starker Eingriff in das Grundrecht von Ehe und Familie, Art. 6 GG, der nicht zu befürworten sei und auch nicht gerechtfertigt werden könne. Es werde bereits jetzt mitgeteilt, dass die für eine Aufenthaltserteilung notwendigen sonstigen Voraussetzungen vorhanden seien. Der Kläger verfüge über ausreichende Sprachkenntnisse, es seien ausreichender Wohnraum sowie ausreichende Einkünfte vorhanden.
14
Die Beklagte beantragte,
Klageabweisung.
15
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. Mai 2020 wurde ausgeführt, dass die bisherigen unbehelflichen Klageanträge wie folgt zu konkretisieren seien:
I.
Ziffer 2 des Bescheids der Stadt … - Ausländerbehörde vom 4. Januar 2017 wird aufgehoben.
II.
Ziffer 1 des Bescheids der Stadt … - Ausländerbehörde vom 12. Juni 2018 wird aufgehoben.
III.
Die Wirkungen der Ausweisung des Klägers sind mit sofortiger Wirkung zu befristen.
IV.
Der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis zugunsten des Klägers wird zurückgenommen.
16
Mit weiterem Schriftsatz vom 16. Mai 2020 stellte der Bevollmächtigte des Klägers den Antrag,
den Befristungsbescheid der Beklagten vom 22. Juni 2018 aufzuheben.
17
Zur Begründung wurde in den Schriftsätzen vom 16. Mai 2020 im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Rechtswidrigkeit des Befristungsbescheids bereits aus der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der Beklagten ergebe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehe keine Annexzuständigkeit der eine Abschiebung anordnenden Ausländerbehörde für eine spätere Entscheidung über die Befristung ihrer Wirkung nach § 11 Abs. 1 AufenthG. In materieller Hinsicht wurde ausgeführt, dass das Hauptargument der Beklagten, wonach der Kläger noch lernen müsse, sich an inländische Einreise- und Aufenthaltsvorschriften zu halten, angesichts der Zäsurwirkung infolge der Geburt des deutschen Kindes und des daraus resultierenden straffreien Verhaltens vorliegend keine Berücksichtigung finden könne. Wegen verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen sei eine Befristung auf den Jetzt-Zeitpunkt geboten. Die Beklagte habe die Ausübung des elterlichen Sorgerechts zugunsten eines deutschen Kindes bei der Fristbemessung nicht bzw. nicht hinreichend berücksichtigt. Die Beklagte habe die sehr emotional enge Vater-Kind-Beziehung, die Ausübung des gemeinsamen elterlichen Sorgerechts, die Ausübung des regelmäßigen Umgangsrecht und die monatliche finanzielle Unterstützung in Form des Kindesunterhalts in Höhe von 100 EUR noch nicht berücksichtigen können. Die derzeit gerade einmal zweijährige Tochter des Klägers werde einen nur vorübergehenden Charakter der räumlichen Trennung nicht begreifen, sondern diese rasch als endgültigen Verlust erfahren. Die Verfahrensdauer eines Visumsverfahrens betrage mehrere Monate, zudem nehme die Botschaft zum jetzigen Zweitpunkt wegen der unbefristeten Einreisebeschränkungen keine Anträge auf Familienzusammenführung an. Es werde die Beteiligung des Jugendamts und eines Psychologen im Hinblick auf die Feststellung der nachteiligen Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung der zweijährigen Tochter für den Fall einer mehrmonatigen Trennung beantragt. Sofern aus medizinischer und pädagogischer Sicht keine nachteiligen Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung des betreffenden Kindes festzustellen seien, beabsichtigte der Kläger, freiwillig auszureisen.
18
Mit Schreiben vom 15. Mai 2020 legte die Beklagte eine Niederschrift der Landeshauptstadt München vom 14. Mai 2020 vor. Dieser Niederschrift ist zu entnehmen, dass die Kindsmutter bei einer Vorsprache im Wesentlichen vorgetragen hat, dass der Kläger nicht ihr Freund sei und dass sie in keiner Beziehung lebten. Es sei der Vater des Kindes und kümmere sich um das Kind. Er besuche das Kind zwei bis drei Mal die Woche für ein paar Stunden, am Wochenende besuche er sie und das Kind auch. Sie seien noch nicht zusammen beim Kinderarzt gewesen. Der Kläger habe das Kind noch nie in die Kinderkrippe gebracht oder abgeholt. Er verbringe keine Zeit mit dem Kind alleine. Er bezahle keinen Unterhalt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
19
Aufgrund eines richterlichen Hinweises vom 19. Mai 2020 konkretisierte der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20. Mai 2020 die Klageanträge und beantragte zuletzt,
I. Es wird lediglich die Aufhebung des Bescheids der Stadt … vom 12. Juni 2018 beantragt.
II.
Der Bescheid der Stadt … vom 4. Januar 2017 soll nicht Gegenstand der Klage sein.
III.
Der Schriftsatz vom 16. Mai 2020 beinhaltet den Antrag auf Aufhebung des verfahrensgegenständlichen Bescheids der Stadt … vom 12. Juni 2018. Dem Unterzeichner ist bei der Erhebung des Schriftsatzes ein Flüchtigkeitsfehler hinsichtlich des Datums des verfahrensgegenständlichen Bescheids unterlaufen.
IV.
Die beiden Schriftsätze vom 16. Mai 2020 stehen in einem kumulativen Verhältnis zueinander. Die Aufhebung des verfahrensgegenständlichen Bescheids beruht somit auf formellen und materiellen Gründen.
20
Mit Schreiben vom 28. Mai 2020 führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass weiterhin kein so tiefgreifendes Vater-Kind-Verhältnis zu erkennen sei, das es rechtfertigen würde, in dieser Sache wie beantragt auf „zu Null“ zu befristen. Es bestehe ganz klar kein sozial-familiärer Zusammenhang zwischen dem Kläger und der Kindsmutter, kein gemeinsamer familiärer Haushalt des Klägers mit dem Kind und der Umgang des Klägers könne aus Sicht der Beklagten allenfalls als Begegnungsgemeinschaft bezeichnet werden, die eine weitere Hinnahme des Aufenthalts des Klägers nicht zu begründen vermöge. Mit Schreiben vom 8. Juni 2020 führte die Beklagte ergänzend aus, dass sich die örtliche Zuständigkeit der Beklagten aus der ZustVAuslR ergebe.
21
Daraufhin erklärte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 16. Juni 2020, dass die Rechtsauffassung der Beklagten bezüglich der örtlichen Zuständigkeit geteilt werde. Die landesrechtliche Spezialregelung des § 6 Abs. 3 Nr. 5 ZustVAuslR sei schlicht übersehen worden.
22
Bereits mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 beteiligte sich die Regierung … als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
24
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerseite über die Sache verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25
Nach sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) begehrt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, unter Aufhebung des Bescheids vom 12. Juni 2018 das Einreise- und Aufenthaltsverbot aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 4. Januar 2017 aufzuheben, hilfsweise über die beantragte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
B.
26
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsakts, noch einen Anspruch auf Neuverbescheidung. Die Ablehnung der Befristung „auf Null“ bzw. die Ablehnung der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots war nicht rechtswidrig und verletzte den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 12. Juni 2018 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
27
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass der Bescheid vom 12. Juni 2018 auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Insbesondere ist die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat den maßgeblichen familiären Belang, die deutsche Tochter des Klägers, gesehen und entsprechend gewürdigt, indem sie das ursprünglich auf fünf Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den Tag der Ausreise verkürzt hat. Ein „Soll-Anspruch“ auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist vorliegend nicht gegeben, da nach Aktenlage nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen vorliegen. Im Übrigen wurde dies auch nicht vorgetragen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten besteht mit Blick auf eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auch keine Ermessensreduzierung auf Null, da die Ausreise des Klägers und die Durchführung eines Visumverfahrens nicht unzumutbar sind und nicht zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohls führen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat hierzu mit Beschluss vom 16. März 2020 (10 CE 20.326 - juris Rn. 20) wie folgt ausgeführt:
„Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich - nicht anders als jeder andere Ausländer - ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 - 10 C 16.818 - juris Rn. 11). Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993 - juris Rn. 5). Auch ein kleines Kind, selbst wenn es wie die Tochter des Antragstellers die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 3.9.2019 - 10 C 19.1700 - juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993 - juris Rn. 5). Allerdings muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar sein. Dies setzt u.a. voraus, dass geklärt ist, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, B.v. 30.08.2018 - 10 C 18.1497 - juris Rn. 26 f.; B.v. 22.1.2019 - 10 CE 19.149 - juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.06.2017 - 10 C 17.733 - juris Rn. 10; OVG Saarl, B.v. 14.2.2018 - 2 B 734/17 - juris Rn. 14).“
28
Die Kammer macht sich die überzeugenden Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu eigen. Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Maßstäbe ist die Durchführung eines Visumverfahrens für den Kläger zumutbar, insbesondere ist die Dauer eines solchen Verfahrens vorliegend absehbar. Zuständig für die Zustimmung nach § 31 AufenthV ist - wie auch der Klägerbevollmächtigte zutreffend erkannt hat - die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München, wobei im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden muss, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG tatsächlich gegeben sind. Nach Auskunft der Deutschen Vertretung in Vietnam (abrufbar unter https://vietnam.diplo.de/vn-de/service/05-VisaEinreise/-/2187642) dauert die Bearbeitung eines nationalen Visums in der Regel acht bis zwölf Wochen. Ein solcher Zeitraum führt auch bei einem kleinen Kind zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung des Kindeswohls, insbesondere da es der Kläger in der Hand hat, die Ausreisemodalitäten mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienfreundlich wie möglich zu gestalten.
29
Die Klage war somit vollumfänglich abzuweisen.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
31
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt geht zurück auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.