Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 23.06.2020 – RO 14 E 20.1057
Titel:

Schankwirtschaft

Normenketten:
GastG § 1 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2, § 78, § 122 Abs. 1, § 123 Abs. 1 S. 2, § 154 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf vorläufige Feststellung, dass einer Öffnung einer Schankwirtschaft unter gewissen Auflagen die Vorschriften der 6. BayIfSMV nicht entgegenstehen, ist unzulässig, da damit ein Verfahren auf Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 VwGO umgangen werden würde. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch bei sogenannten self-executing Normen ist grundsätzlich der Rechtsträger der Behörde passivlegitimiert, welcher die Einhaltung der fraglichen Norm überwacht. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnungsanspruch, allgemeine Feststellungsklage, Atypische Feststellungsklage, Ausnahmegenehmigung, berechtigtes Interesse, Inzidente Normenkontrolle, Klärungsbedürftigkeit, Mindestabstand
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14775

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung, dass einer Öffnung des Innenbereiches ihrer Schankwirtschaft in R. die Regelungen der aktuell gültigen 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) bei Beachtung geltender infektionsschutzrechtlicher Anforderungen nicht entgegenstehen, hilfsweise ab dem 6.7.2020 nicht entgegenstehen.
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Die Antragstellerin betreibt in der H2.straße, R. unter dem Namen „A.“ eine Schankwirtschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gaststättengesetzes (GastG), welche sowohl im Innen- als auch im Außenbereich über Sitzplätze verfügt. In der Schankwirtschaft werden ausschließlich Getränke zum Verzehr angeboten. Der Betrieb der Freischankflächen wurde auf der Grundlage der Regelung des § 13 Abs. 4 S. 1 der 5. BayIfSMV bereits wieder aufgenommen.
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Die 6. BayIfSMV vom 19.6.2020, die am 22.6.2020 in Kraft getreten ist, enthält auszugsweise folgende Regelungen, die für den von der Antragstellerin begehrten Rechtsschutz relevant sind:
§ 13 Gastronomie
(1) Gastronomiebetriebe jeder Art sind vorbehaltlich der folgenden Absätze untersagt.
(2) Zulässig ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken.
(3) (…)
(4) Zulässig ist die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Freien, insbesondere in Wirtsoder Biergärten und auf Freischankflächen, wenn gewährleistet ist, dass zwischen allen Gästen, die im Verhältnis zueinander nicht zu dem in § 2 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis gehören, entweder ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird oder geeignete Trennvorrichtungen vorhanden sind. (…) Der Betreiber hat ein Schutzund Hygienekonzept auf der Grundlage eines von den Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und für Gesundheit und Pflege bekannt gemachten Rahmenkonzepts für die Gastronomie auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen.
(5) Zulässig ist die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle durch Speisewirtschaften nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gaststättengesetzes, soweit der Verzehr nicht im Freien erfolgt, wenn gewährleistet ist, dass zwischen allen Gästen, die im Verhältnis zueinander nicht zu dem in § 2 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis gehören, ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird oder geeignete Trennvorrichtungen vorhanden sind. Abs. 4 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
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Diese Regelung ist mit Ausnahme der vom BayVGH mit Beschluss vom 19.6.2020 (20 NE 20.1127) für unwirksam erklärten zeitlichen Beschränkung der Abgabe von Speisen und Getränken auf die Zeit zwischen 6 und 22 Uhr wortgleich mit der Vorgängerregelung in § 13 der 5. BayIfSMV vom 29.5.2020, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 16.6.2020.
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Am 19.6.2020 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Regensburg um Eilrechtschutz nach § 123 VwGO nachgesucht und ging dabei von der Geltung der 5. BayIfSMV aus. Zur Begründung hat sie angeführt, nach § 13 Abs. 5 der 5. BayIfSMV sei die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle durch Speisewirtschaften nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG unter Einhaltung weiterer infektionsschutzrechtliche Anforderungen erlaubt, die Verabreichung lediglich von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle, mithin der Betrieb einer Schankwirtschaft gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GastG, sei dagegen verboten. Die Antragstellerin könne jedoch mit einem Hygieneschutzkonzept auch ihre Schankwirtschaft ohne Selbst- bzw. Fremdgefährdung betreiben. Der Antragstellerin sei die Einhaltung der geltenden infektionsschutzrechtlichen Anforderungen ohne weiteres möglich. Sie habe ein im Einklang mit dem „Corona-Pandemie: Hygienekonzept Gastronomie“ stehendes ausreichendes Hygieneschutzkonzept erarbeitet, das auch entsprechend umgesetzt werde. Der bereits im Einklang mit der Regelung des § 13 Abs. 4 Satz 1 der 5. BayIfSMV laufende Betrieb der Freischankflächen der Schankwirtschaft der Antragstellerin sei trotz zahlreicher Kontrollen durch das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr, Abteilung für öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie Gewerbewesen der Stadt R. zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise beanstandet worden. Der Antragstellerin sei durch die getroffenen Maßnahmen sowie die baulichen Gegebenheiten ihrer Schankwirtschaft ohne weiteres ein Betrieb in den Innenräumen ihrer Schankwirtschaft möglich. Insbesondere könne sichergestellt werden, dass die notwendigen Abstände zwischen den Gästen durch räumlich getrennte Tische eingehalten würden, die Gäste ausreichend auf die einzuhaltenden Infektionsschutzmaßnahmen hingewiesen würden und benutzte Oberflächen von Einrichtungen wie auch laminierte Getränkekarten desinfiziert werden könnten. Um potentielle Infektionsketten nachvollziehen zu können, werde ein Ordner zur Gästeregistrierung geführt.
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Der Antrag sei zulässig, insbesondere statthaft. Im einstweiligen Anordnungsverfahren könne gemäß der einschlägigen Rechtsprechung zulässigerweise ein Antrag auf vorläufige Feststellung mit einem bestimmten Inhalt gestellt werden. Ein feststellender Ausspruch des Gerichts scheitere insbesondere nicht am Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. Auch die grundsätzliche Subsidiarität eines lediglich auf Feststellung gerichteten Rechtsbehelfs stehe der Zulässigkeit des vorliegen Antrags nicht im Wege. Die Antragstellerin könne ihr Begehren nicht im Wege einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen. Insbesondere stehe der Antragstellerin keine Möglichkeit offen, den Betrieb ihrer Schankwirtschaft etwa durch eine Ausnahmegenehmigung durch die zuständige Behörde wieder aufzunehmen. Auch die Möglichkeit eines Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 VwGO schließe wegen dessen unterschiedlicher Zielsetzung den vorliegenden Antrag nicht aus. Die inzidente Kontrolle einer Verordnung stelle wegen der inter partes wirkenden Entscheidung keine Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO dar. Allein die gesetzgeberische Entscheidung, von der in § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eröffneten Möglichkeit durch Art. 5 Abs. 1 AGVwGO Gebrauch zu machen, könne nicht die Unzulässigkeit eines unabhängig von dieser gesetzgeberischen Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht als zulässig erachteten Rechtsmittels bewirken. Es obläge dem Gesetzgeber, durch obergerichtliche Rechtsprechung anerkannte Rechtsmittel ggf. nachträglich durch Einführung einer einfachgesetzlichen Regelung ihrer Statthaftigkeit zu berauben, wenn dies gewollt sei. Die Argumentation des BayVGH in seiner Entscheidung vom 18.6.2020 (20 CE 20.1388), dass der angeblich zu erwartenden „Vielzahl von Gerichtsverfahren“ hinsichtlich der Statthaftigkeit eines Rechtsbehelfs erhebliche Bedeutung zukäme, erscheine äußerst bedenklich. Die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs sei ausschließlich aus rechtlichen Gesichtspunkten heraus zu bewerten und nicht von einer potentiellen Auslastung der Gerichte abhängig zu machen. Der verfahrensgegenständliche Antrag nach § 123 VwGO sei neben einem Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO zulässig.
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Es liege auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor. Es sei klärungsbedürftig, ob die öffentlich-rechtliche Regelung der 5. BayIfSMV dem Betrieb der Schankwirtschaft der Antragstellerin bei Beachtung geltender infektionsschutzrechtlichen Anforderungen jedenfalls vorläufig nicht entgegenstehe. Aus der Regelung des § 13 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 der 5. BayIfSMV ergebe sich ein jedenfalls faktisches Verbot des Betriebs der Schankwirtschaft der Antragstellerin, insbesondere in deren Innenraum. Mithin liege ein hinreichend konkretes und streitiges Rechtsverhältnis im Spannungsverhältnis der Grundrechte der Antragstellerin und der entsprechenden Regelungen der 5. BayIfSMV vor.
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Die Antragstellerin habe auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung. Sie erleide durch die bestehende Regelung persönliche wirtschaftliche Nachteile, da ihre hauptberufliche Einnahmequelle durch die Untersagung des Betriebs der Innenräume ihrer Schankwirtschaft in erheblicher Weise beeinträchtigt sei.
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Der Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergebe sich aus der Grundrechtsverletzung der Antragstellerin durch die einschlägigen Regelungen des § 13 der 5. BayIfSMV, insbesondere deren Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG. Die streitgegenständlichen Normen seien nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 32 S. 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gedeckt. Die vollständige Betriebsuntersagung von Schankwirtschaften verstoße im Vergleich zu anderen geöffneten Einrichtungen gegen den Gleichheitsgrundsatz. Ein sachlicher Differenzierungsgrund aus infektionsschutzrechtlichen Gründen sei nicht ersichtlich.
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Auch ein Anordnungsgrund nach § 123 Abs. 1 VwGO liege vor, da der Antragstellerin ein weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten sei. Eine einstweilige Anordnung sei zwingend nötig, um wesentliche Nachteile für die Antragstellerin abzuwenden.
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Mit Schreiben vom 22.6.2020 hat die Antragstellerin klargestellt, dass sich ihr Anträge vom 19.6.2020 in gleicher Weise auf die im Kern wortidentischen Regelungen in der 6. BayIfSMV beziehen sollen.
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Die 6. BayIfSMV trete gemäß § 24 der 6. BayIfSMV am 22.6.2020 in Kraft und mit Ablauf des 5.7.2020 außer Kraft. Für den Fall, dass das Gericht zu der Entscheidung kommen sollte, dass der Hauptantrag unbegründet sei, werde als Hilfsantrag die vorläufige Feststellung jedenfalls ab dem 6. 7. 2020 begehrt.
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Für die Antragstellerin wird zuletzt sinngemäß beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass § 13 Abs. 1, Abs. 5 der 6. BayIfSMV vom 19.6.2020 dem Betrieb der Schankwirtschaft „A.“, H2.straße, R., bei Beachtung geltender infektionsschutzrechtlicher Anforderungen, insbesondere § 13 Abs. 4 Satz 2 und 3 der 6. BayIfSMV, nicht entgegensteht,
hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass § 13 Abs. 1, Abs. 5 der 6. BayIfSMV dem Betrieb der Schankwirtschaft „A.“, H2.straße, R., bei Beachtung geltender infektionsschutzrechtliche Anforderungen, insbesondere § 13 Abs. 4 Satz 2 und 3 der 6. BayIfSMV ab dem 6.7.2020 nicht entgegensteht.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Der Antrag sei mangels Statthaftigkeit bereits unzulässig. Die Anträge seien als unzulässig abzulehnen, da vorliegend die falsche Antragsart gewählt worden sei und infolgedessen ein unzuständiges Gericht angerufen worden sei. Auch wenn die Anträge vom 19.6.2020 durch die Antragstellerin als „Antrag nach § 123 VwGO“ bezeichnet worden seien, sei für das begehrte Rechtsschutzziel - die Feststellung, dass § 13 Abs. 5 der 6. BayIfSMV dem Betrieb der Schankwirtschaft der Antragstellerin nicht entgegenstehe - nur ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO statthaft. Dies habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18.6.2020 (20 CE 20.1388) in einem vergleichbaren Fall insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Prüfungsmaßstab zutreffend ausgeführt. Richtigerweise wäre daher ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO bei dem dafür zuständigen Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu stellen gewesen. Die Anträge der anwaltlich vertretenen Antragstellerin könnten aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung als Anträge nach § 123 VwGO auch nicht in Anträge nach § 47 Abs. 6 VwGO ausgelegt oder umgedeutet werden.
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Zudem seien die Anträge auch unbegründet, da der Freistaat Bayern nicht passivlegitimiert i.S.d. § 78 VwGO sei. Richtige Antragsgegnerin wäre vorliegend die Stadt R. als Kreisverwaltungsbehörde sowie als allgemeine Sicherheitsbehörde. Auch bei sogenannten self-executing Normen sei grundsätzlich der Rechtsträger der Behörde passivlegitimiert, welcher die Einhaltung der fraglichen Norm überwache. Folglich wären die Anträge gegen die Stadt R. zu richten gewesen.
17
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
18
Die Anträge nach § 123 Abs. 1 VwGO haben keinen Erfolg. Sie sind bereits unzulässig.
19
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Regelungsanordnung).
20
Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme.
21
Vorliegend ist schon ein Anordnungsanspruch- also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme nicht geltend gemacht.
22
Die Antragstellerin begehrt bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens die Feststellung der mangelnden Verbindlichkeit der sich aus § 13 Abs. 5 der 6. BayIfSMV mittelbar ergebenden Beschränkungen für ihren Betrieb.
23
Nach § 88 VwGO, der nach § 122 Abs. 1 VwGO entsprechend für Beschlüsse gilt, ist das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden, darf allerdings über das Klagebegehren nicht hinausgehen. Das Gericht hat das im Klageantrag und im gesamten Parteivorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen (BVerwG, U. v. 23.2.1993 - 1 C 16/87 - juris, Rn. 13). Das Klageziel ist nicht allein dem Klageantrag zu entnehmen, sondern dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere auch der Klagebegründung. Maßgeblich kommt es insoweit auf das erkennbare Klageziel an, so wie sich dieses dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts aufgrund des gesamten Parteivorbringens und Akteninhalts darstellt.
24
Dem Vorbringen und Verhalten der Antragstellerin ist zu entnehmen, dass sie die Feststellung der Unverbindlichkeit der sich mittelbar aus § 13 Abs. 5 der 6. BayIfSMV enthaltenen Einschränkungen für ihren Betrieb begehrt. Mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO kann die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel nicht erreichen. Eine einstweilige Anordnung kann nur auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet sein, der auch in der Hauptsache erreicht werden könnte bzw. auf ein Weniger dazu, nicht dagegen auf ein Aliud. Das Gericht ist an die Entscheidungsmöglichkeiten der Hauptsache gebunden. Es kann einem Antragsteller durch einstweilige Anordnung nicht mehr zusprechen, als er mit einer Hauptsacheklage erreichen könnte.
25
Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin wäre in der Hauptsache mit einer allgemeinen Feststellungsklage nicht durchsetzbar. Der eigentliche Zweck des Antrags ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit bzw. die Außervollzugsetzung einer untergesetzlichen Norm. Der von der Antragstellerin begehrten Öffnung ihrer Schankwirtschaft steht unzweifelhaft § 13 Abs. 5 der 6. BayIfSMV entgegen.
26
Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Verfahren der Hauptsache als Mittel der inzidenten Normenkontrolle ist problematisch (vergleiche OVG Schleswig, U. v. 28.2.2000 - 4 K 6/99 - juris, Rn. 38). Eine Klage mit dem alleinigen Ziel der Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm kann grundsätzlich nicht auf § 43 VwGO gestützt werden, da eine solche Klage auf kein Rechtsverhältnis abzielt, sondern eine Umgehung des § 47 VwGO ermöglichen würde (so ausdrücklich BVerwG, U. v. 23.8.2007 - 7 C 13/06 - juris, Rn. 20; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, B. v. 30.4.2020 - 1 B 70/20 - juris, Rn. 3).
27
Ob § 47 VwGO gegenüber der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung im Wege der Feststellungsklage Sperrwirkung entfaltet, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu BayVGH, U. v. 25.11.2019 - 3 BV 17.1857 - juris, Rn. 17). Das Bundesverwaltungsgericht tendiert wohl dazu, die Möglichkeit der Einleitung eines Normenkontrollverfahrens der in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO erwähnten - durch die Zulässigkeit der Feststellungsklage ausschließenden - Möglichkeit, seine Rechte durch eine Gestaltungsklage zu verfolgen, gleichzustellen, was zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage führen würde (BVerwG, B. v. 21.3.1974 - VII B 97.73 - juris, Rn. 9). Andererseits lässt sich dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht entnehmen, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein sollte. Auch wenn der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 25.11.2019 (3 BV 17.1857, a.a.O.) zu dem Ergebnis kam, dass eine Inzidentkontrolle einer Rechtsverordnung im Wege der Feststellungsklage möglich ist, betraf diese Entscheidung einen Fall, in dem die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 VwGO für die Erhebung der Normenkontrolle bereits abgelaufen war und daher de facto anderweitig kein Rechtsschutz mehr zu erlangen war. Eine derartige Rechtsschutzlücke besteht im vorliegenden Fall allerdings nicht. Dem Anspruch der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz wird durch die Möglichkeit einer Normenkontrollklage und eines Eilantrags nach § 47 Abs. 6 VwGO hinreichend Rechnung getragen. Der Antrag auf die begehrte vorläufige Feststellung, dass einer Öffnung ihrer Schankwirtschaft unter gewissen Auflagen die Vorschriften der 6. BayIfSMV nicht entgegenstehen, ist unzulässig, da damit ein Verfahren auf Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 VwGO umgangen werden würde.
28
Der VGH führt zu dieser Problematik in seinem Beschluss vom 18.6.2020 (20 CE 20.1388, noch nicht veröffentlicht) folgendes aus:
„Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich jedoch nicht die Notwendigkeit, einem Antragsteller aus Rechtsschutzgründen die Möglichkeit zu eröffnen, einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO beim Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) und einen Antrag nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht ggf. auch parallel zu stellen. Nur wenn eine untergesetzliche Norm nicht der Umsetzung durch einen Vollzugsakt bedarf und die Möglichkeit einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO landesrechtlich nicht nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eröffnet ist, ist eine solche einstweilige Rechtsschutzmöglichkeit im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unerlässlich (OVG NRW, B.v. 26.3.2012 - 5 B 892/11− NVwZ-RR 2012, 516; B.v. 10.6.2016 - 4 B 504/16 - NVwZ-RR 2016, 868). Dies ist in Bayern aufgrund der Möglichkeit einen Antrag über die Gültigkeit von Rechtsvorschriften, die im Range unter dem Landesgesetz stehen, zu erheben (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, Art. 5 Satz 1 AGVwGO) jedoch nicht der Fall.
Allein der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 28.6.2000 - 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276-284; U.v. 28.1.2010 - 8 C 19/09 - juris Rn. 24 f.) die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO nicht grundsätzlich durch die Möglichkeit einer Normenkontrollklage nach § 47 VwGO ausgeschlossen sein soll, führt nicht zur Statthaftigkeit eines einstweiligen Rechtsschutzantrags nach § 123 VwGO mit dem Ziel, im Wege einer vorläufigen Feststellung die Wirksamkeit einer Norm zu suspendieren.
Für dieses Ergebnis spricht, dass der Prüfungsmaßstab im Rahmen des § 47 Abs. 6 VwGO von dem bei der Entscheidung über eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO abweicht. (…) Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (BVerwG, B. v. 30.4.2019 - 4 VR 3/19 - juris). Ein solches deutliches Überwiegen ist im Rahmen der Folgenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten bei einer Entscheidung nach § 123 VwGO nicht erforderlich.
Jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation erscheint es angesichts des landesweiten Geltungsbereichs der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen, ihrer jeweils kurzen Geltungsdauer und der Vielzahl von Gerichtsverfahren aus den oben genannten Gründen geboten, Verfahren, die zum Ziel haben, dass eine untergesetzliche Norm ganz oder teilweise nicht angewendet werden soll, ausschließlich nach § 47 Abs. 6 VwGO einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Anderes ist nur denkbar, wenn der Normadressat - unter Weitergeltung der Norm - lediglich die Feststellung begehrt, ein bestimmter Sachverhalt falle (ggf. auch nach Auslegung der Norm) nicht in ihren Anwendungsbereich.“
29
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die zur Entscheidung berufene Kammer vollumfänglich an. Gegen die Zulässigkeit einer atypischen Feststellungsklage in diesem Fall spricht auch der Wille des Gesetzgebers der Verwaltungsgerichtsordnung. Der Zweck der prinzipalen Normenkontrolle gegen untergesetzliche Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 VwGO liegt für diesen darin, durch eine einzige Entscheidung eine Reihe von Einzelklagen zu vermeiden und dadurch die Verwaltungsgerichte zu entlasten. Dies ist auch im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Nur so ist zu erreichen, dass hinsichtlich ein und desselben Lebenssachverhalts nicht unterschiedliche Entscheidungen der einzelnen Verwaltungsgerichte ergehen.
30
Die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO sind daher bereits unzulässig.
31
Zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin besteht überdies auch kein feststellungsfähiges konkretes streitiges Rechtsverhältnis. Die Frage der Zulässigkeit der Öffnung der Schankwirtschaft der Antragstellerin lässt sich eindeutig anhand der Regelungen in der derzeit geltenden 6. BayIfSMV beantworten. Dies sieht auch die Antragstellerin selbst offenbar so, nachdem sie sich in ihrer Begründung darauf stützt, dass die Regelungen in der 6. BayIfSMV wegen Verstoßes gegen die Grundrechte nicht angewendet werden dürfen und sie sich vor Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Gericht mit ihrem konkreten Begehren offensichtlich auch gar nicht an die örtlich zuständige Ordnungsbehörde gewandt hat. Gibt es um das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits aber keinen Streit, so fehlt regelmäßig auch ein rechtliches Interesse auf Feststellung.
32
Die Anträge wurden außerdem gegen die falsche Antragsgegnerin gerichtet, der Freistaat Bayern ist nicht passivlegitimiert im Sinne des § 78 VwGO. Richtige Antragsgegnerin wäre vorliegend die Stadt R. als Kreisverwaltungsbehörde und allgemeine Sicherheitsbehörde gewesen. Auch bei sogenannten self-executing Normen ist grundsätzlich der Rechtsträger der Behörde passivlegitimiert, welcher die Einhaltung der fraglichen Norm überwacht (Eyermann-Happ, VwGO, 15. Auflage 2019, § 43 Rn. 45).
33
Soweit die Antragstellerin mit ihrem Antrag eine Öffnung ihrer Schankwirtschaft ab dem 6.7.2020 begehrt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal absehbar, welche Regelungen zu diesem Zeitpunkt gelten werden. Die 6. BayIfSMV tritt mit Ablauf des 5.7.2020 außer Kraft. Für den Zeitraum ab dem 6.7.2020 ist kein konkretes streitiges Rechtsverhältnis ersichtlich, das derzeit einer Klärung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugänglich wäre.
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Der Anträge gem. § 123 VwGO waren deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuweisen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, den Streitwert im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, weil die Anträge im Hinblick auf das Außerkrafttreten der angegriffenen Verordnung am 5.7.2020 inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielen.