Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.06.2020 – 6 ZB 20.647
Titel:

Schadlosstellung wegen verspäteter Beförderung

Normenketten:
GG Art. 3
SLV § 41 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 4
BGB § 133, § 157
ZPO § 286
Leitsätze:
1. Aus einem unspezifizierten Vortrag „ins Blaue hinein“, die (derzeit) „gängige Praxis“, Soldaten nach der Anerkennung einer vorherigen Ausbildung 18 Monate früher in die Besoldungsgruppe A9 einzuweisen, sei bereits im Jahr 2007 angewendet worden, ergibt sich kein Hinweis auf eine einheitliche, ermessensleitende Verwaltungspraxis, durch die ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe des tatsächlichen Verwaltungshandelns erwachsen könnte. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Vorwurf der mangelnden Sachaufklärung durch das Gericht greift nicht durch, wenn der Soldat der ihn treffenden Darlegungslast nicht nachgekommen ist; das Gericht ist in einem solchen Fall nur dann gehalten, weitere Nachweise bei dem Dienstherrn einzuholen und damit die Darlegungslast auf diesen zu verschieben, wenn konkrete, über eine bloße Vermutung hinausgehende Anhaltspunkte für die Behauptung des Soldaten bestehen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter es in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Schadlosstellung wegen verspäteter Beförderung, Ausbildung zum Offizier des Militärfachlichen, Dienstes, Anrechnung von Studienzeiten auf die Beförderungszeit, Ständige Praxis, Grundsätze der Beweislast, Beweiswürdigung, Mangelnde Sachaufklärung (verneint), Mehrfachbegründung des Urteils, Beweislast, Klageverfahren, Verwaltungsprozess, Zulassungsgrund, Offizier
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 11.02.2020 – M 21 b K 18.1416
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14703

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. Februar 2020 - M 21 b K 18.1416 - wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 24.700,32 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO allein gemachte Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist, greift nicht durch (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
2
Der Kläger ist Berufssoldat im Dienstgrad eines Hauptmanns mit voraussichtlichem Dienstzeitende mit Ablauf 30. September 2033. Mit Bescheid vom 19. Januar 2007 erfolgte seine Zulassung für die Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes nach § 40 Soldatenlaufbahnverordnung (SLV). Auf entsprechenden Antrag vom 19. März/25. April 2007 hin wurde sein im Juli 2004 mit gutem Ergebnis abgeschlossenes Studium an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Cottbus auf die im Rahmen der Ausbildung zum Offizier geplante zweijährige Fachschulausbildung anerkannt, so dass der Kläger diese Lerneinheiten nicht erneut durchlaufen musste. Nach erfolgreichem Abschluss der Offiziersausbildung wurde er mit Wirkung zum 1. Oktober 2010 zum Leutnant (A9), mit Wirkung zum 1. April 2013 zum Oberleutnant und schließlich mit Urkunde vom 3. Juni 2016 zum Hauptmann ernannt. Unter dem 22. September 2017 beantragte er bei der Beklagten, ihn laufbahn- und besoldungsrechtlich so zu stellen, als wäre er bereits am 1. April 2009 in die Besoldungsgruppe A9 eingewiesen worden. Die spätere Beförderung des Klägers zum Leutnant erst zum 1. Oktober 2010 sei ermessensfehlerhaft gewesen, da es gängiger Verwaltungspraxis der Beklagten entspreche, auch außerhalb der Bundeswehr erbrachte Ausbildungs- oder Studienzeiten auf die Ausbildungs- und Beförderungszeiten nach § 41 Abs. 1 und 2 SLV anzurechnen und die betroffenen Soldaten 18 Monate früher in die Besoldungsgruppe A9 einzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat die nach Ablehnung dieses Antrags und erfolgloser Beschwerde erhobene Klage für unbegründet erachtet und mit Urteil vom 11. Februar 2020 aus zwei die Entscheidung jeweils für sich tragenden Gründen abgewiesen. Zum einen habe der Kläger bereits eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagen nicht substantiiert dargelegt. Es fehle insoweit schon an einem entsprechenden Nachweis dafür, dass es die behauptete Praxis der Beklagten entgegen der Aussage ihres Vertreters in der mündlichen Verhandlung auch bereits im Jahr 2007 gegeben habe. Der Kläger stütze sich hierzu lediglich auf die angebliche Aussage eines namentlich nicht genannten Untergebenen aus dem Jahr 2017, bei dem anzunehmen sei, dass er dienstjünger als der Kläger sei und dementsprechend im Jahr 2007 nicht in der Situation des Klägers gestanden habe. Demgegenüber habe der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, die angesprochene Praxis gebe es zwar derzeit tatsächlich; im Jahr 2007 sei dies jedoch noch nicht der Fall gewesen. Unabhängig davon lägen die Voraussetzungen für den behaupteten Anspruch auf Schadlosstellung auch aus dem Grund nicht vor, weil der Kläger es schuldhaft unterlassen habe, den aus seiner Sicht entstandenen Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels des Primärrechtsschutzes abzuwenden. Der Kläger habe schon keinen Antrag auf Anrechnung seiner Studienzeit auf die Beförderungszeit gestellt. Sollte ein solcher Antrag - wie der Kläger meint - in seinem Antrag vom 19. März/25. April 2007 auf Befreiung von der Teilnahme an der geplanten zweijährigen Fachschulausbildung „Betriebswirtschaft + Logistik“ mitenthalten gewesen sein, hätte der Kläger dessen Nichtverbescheidung nicht, wie geschehen, hinnehmen dürfen.
3
Ist die erstinstanzliche Entscheidung demnach selbständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2018 - 6 ZB 17.956 - juris Rn. 3 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (vgl. BVerwG, B.v. 21.8.2018 - 4 BN 44.17 - juris Rn. 3; B.v. 9.9.2009 - 4 BN 4.09 - juris Rn. 5). Es kann dahinstehen, ob - wofür aus Sicht des Senats vieles spricht - der zweite Begründungsstrang des Verwaltungsgerichts (vorwerfbarer Nichtgebrauch von zumutbaren Rechtsmitteln, § 839 Abs. 3 BGB) für sich betrachtet zutrifft. Denn jedenfalls im Hinblick auf den ersten Begründungsstrang zeigt der Kläger keinen Zulassungsgrund auf.
4
Die insoweit geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die der weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften, liegen nicht vor.
5
Die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zu seinen Ungunsten die Grundsätze der sekundären Darlegungs- und Beweislast verkannt, greift nicht durch. Eine formelle Beweislast in dem Sinne, dass ein Beteiligter - wie etwa im Zivilprozess - einen Beweis für einen behaupteten Umstand zu führen hat, existiert im Verwaltungsprozess infolge des hier geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht (Lang in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 98 Rn. 24). Dagegen gilt auch im Verwaltungsprozess der Grundsatz der materiellen Beweislast, wonach derjenige die nachteiligen Folgen der Unerweislichkeit („non liquet“) eines Sachverhalts trägt, dessen Anspruch oder Einwendung die streitige Tatsache zur Voraussetzung hat und der sich auf das Vorhandensein der Voraussetzungen einer ihm günstigen Norm beruft (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.1996 - 2 C 12.94 - juris Rn. 32 m.w.N.; Jacob/Wegner in: Brandt/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 4. Aufl. 2018, Teil O. Das Klageverfahren in erster Instanz Rn. 264). Von diesem Grundsatz können sich zwar dann Abweichungen ergeben, wenn bestimmte Vorgänge derart in die Sphäre eines Beteiligten fallen, dass der grundsätzlich Darlegungspflichtige vor unzumutbaren Beweisschwierigkeiten stünde. Eine Verletzung der Grundsätze der (materiellen) Beweislast kann allerdings nur dann in Betracht kommen, wenn beim Tatrichter Zweifel bezüglich des Vorliegens der behaupteten Tatsache geblieben sind. Das war hier aber gerade nicht der Fall.
6
Das Verwaltungsgericht hat vorliegend keine Beweislastentscheidung getroffen. Es hat vielmehr ausdrücklich dem Vortrag des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung Glauben geschenkt, wonach die derzeit geübte Praxis der Anrechnung von bestimmten Studienzeiten auf Ausbildungs- und Beförderungszeiten im Jahr 2007 noch nicht bestanden hat. Wenn der Kläger meint, dies sei wegen der seines Erachtens anzuwendenden Grundsätze der sekundären Beweislast nicht möglich gewesen, verkennt er den Inhalt der materiellen Beweislast. In Wahrheit wendet sich sein Zulassungsvorbringen insoweit gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
7
Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO, § 286 ZPO). Es hat freie Hand bei der Würdigung und Abwägung aller Tatsachen und Umstände, die für die Feststellung des Sachverhalts aus seiner Sicht maßgeblich sind. Gebunden ist es nur an die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die gesetzlichen Beweisregeln, die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze (Jacob/Wegner, a.a.O. Rn. 255 m.w.N.). Maßgebend ist allein die unter Berücksichtigung aller Umstände gewonnene richterliche Überzeugung. Dabei ist absolute Gewissheit nicht erforderlich; vielmehr kann bereits der schlüssige und glaubwürdige Vortrag eines Beteiligten genügen. Die Gründe, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind, sind in der Entscheidung anzugeben.
8
Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht vorliegend ohne weiteren Nachweis davon ausgegangen ist, dass der Vortrag des Beklagtenvertreters zutreffend ist. Der Kläger hat für seine Behauptung, die (derzeit) „gängige Praxis“ der Beklagten, Soldaten nach der Anerkennung einer vorherigen Ausbildung 18 Monate früher in die Besoldungsgruppe A9 einzuweisen, sei bereits im Jahr 2007 angewendet worden, keinerlei belastbare, hinreichend substantiierten Anhaltspunkte dargelegt. Vielmehr stellt der entsprechende - unspezifizierte - Vortrag des Klägers lediglich eine bloße Behauptung „ins Blaue hinein“ dar. Der Bezug auf den Fall eines - namentlich nicht genannten - Untergebenen gibt keine Hinweise auf eine einheitliche, in einer Mehrzahl gleichgelagerter Fälle nach Maßgabe einer ermessensleitenden Verwaltungspraxis, durch die nach ständiger Rechtsprechung ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe des tatsächlichen Verwaltungshandelns erwachsen könnte. Vielmehr ist die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts nicht abwegig, dass der - unbekannte - Untergebene des Klägers dienstjünger sein dürfte und somit im Jahr 2007 nicht in der Situation des Klägers gestanden haben dürfte.
9
Der Kläger kann dem Verwaltungsgericht auch nicht mit Erfolg mangelnde Sachaufklärung vorwerfen. Der Kläger ist der ihn treffenden Darlegungslast nicht nachgekommen. Die Anforderung weiterer Nachweise bei der Beklagten musste sich daher dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. Eine solche Verschiebung der Darlegungslast wäre allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn konkrete, über eine bloße Vermutung hinausgehende Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers bestanden hätten (vgl. OVG NW, B.v. 6.7.2014 - 8 E 532/14 - juris Rn. 9).
10
Im Übrigen kann eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter, wie hier der Kläger, es in der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Denn die Rüge unzureichender Sachaufklärung ist kein Mittel, um insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen in der mündlichen Verhandlung zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 16.4.2012 - 4 B 29.11 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 4.9.2017 - 6 ZB 17.1325 - juris Rn. 6).
11
Da somit gegen den ersten, das Urteil selbständig tragenden Begründungsstrang kein durchgreifender Zulassungsgrund dargelegt wird, muss die Zulassung der Berufung von vornherein ausscheiden, ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den im Hinblick auf den zweiten Begründungsstrang geltend gemachten Zulassungsgründen erforderlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.8.2018 - 4 BN 44.17 - juris Rn. 3; B.v. 9.9.2009 - 4 BN 4.09 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.8.2017 - 6 ZB 17.31024 - Rn. 4; B.v. 3.1.2006 - 9 ZB 05.30959 - juris Rn. 5; Kraft in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 138 Rn. 37 m.w.N.).
12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47‚ § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 und 3 GKG.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).