Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.06.2020 – 15 N 19.1537
Titel:

Beschlussverfahren im Normenkontrollverfahren von Plannachbarn gegen Bebauungsplan

Normenkette:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1 Alt. 2
Leitsatz:
Über einen Normenkontrollantrag, mit dem sich der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung in einem Bebauungsplan wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist. Über Normenkontrollanträge von Plannachbarn kann aber selbst dann im Beschlussweg entschieden werden, wenn diese wegen einer möglichen Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung aus § 1 Abs. 7 BauGB antragsbefugt sind.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollklage, Entscheidung durch Beschluss, Plannachbar, Antragsbefugnis (verneint), Bebauungsplan
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14597

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 20.000,- Euro festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die am 15. Februar 2019 bekannt gemachte Änderung des Bebauungsplans „B…“ (Deckblatt Nr. 11) der Antragsgegnerin. Diese Änderung betrifft ausschließlich die FlNrn. … (jetzt FlNrn. … und …8), …7 und …6 Gemarkung V… Das Grundstück FlNr. … grenzt östlich an die P…Straße (FlNrn. …5 und …6 Gemarkung V…) und westlich an den Kindergarten … … an. Die Antragsteller sind Eigentümer des westlich der P…Straße gelegenen Grundstücks FlNr. …1 Gemarkung V…, das im Norden an die S…straße angrenzt. Auf dem Grundstück der Antragsteller ist ein Allgemeines Wohngebiet und ein Baufenster für ein Einfamilienhaus mit zwei Vollgeschossen festgesetzt, das schon errichtet worden ist. Vor der Änderung des Bebauungsplans mit Deckblatt Nr. 11 waren im südlichen Bereich der FlNr. … zwei Baufenster für Einfamilienhäuser und im mittleren Bereich der FlNr. … eine Vorbehaltsfläche für die Erweiterung des städtischen Kindergartens festgesetzt. Der nördliche Bereich des Grundstücks, der mit einem Einfamilienhaus bebaut ist, war nicht vom Bebauungsplan umfasst. Durch die Änderung befindet sich nunmehr das gesamte Grundstück FlNr. … im Geltungsbereich des Bebauungsplans. Im nördlichen Bereich ist ein Baufenster für ein weiteres Einfamilienhaus und im mittleren und südlichen Bereich zwei Baufenster für zwei Mehrfamilienhäuser (U+E+1, insgesamt 24 Wohneinheiten) festgesetzt. Auf den FlNrn. …7 und …6 ist eine öffentliche Grünfläche festgesetzt.
2
Die Antragsteller und andere Anwohner haben im Verfahren zur Änderung des Bebauungsplans Einwendungen erhoben und geltend gemacht, die straßenbauliche Situation sei ungeeignet, um weiteren Verkehr aufzunehmen. Die An- und Abfahrt von der P…Straße zur R…straße sei eine Fehlplanung, da sie sehr steil sei. Es sei mit erheblichem Verkehr und Folgeerscheinungen wie Lärm, Abgasen, Staub und Feinstaub zu rechnen. Die P…Straße sei als Stich straße nicht geeignet, den zusätzlichen Verkehr aufzunehmen. Die Situierung der Baukörper führe zu erheblichem Rangierverkehr mit negativen Folgeerscheinungen. Die Planung scheine im Wesentlichen vom Ziel getragen, aus den Baugrundstücken schlicht noch mehr Baurecht „herauszuholen“. Dies überfordere jedoch die Kapazitäten der vorhandenen Erschließung. Die Parkplatzlärmstudie sei nicht konsultiert worden.
3
In der Begründung zur Änderung des Bebauungsplans wird ausgeführt, dass die Wendemöglichkeit am Ende der P…Straße schon gebaut und eine fußläufige Verbindung vom Wendehammer zum Grüngürtel geschaffen werde. Durch die Umwandlung des bestehenden Baurechts (2 Einfamilienhäuser und Kindergartenerweiterung) in reine Wohnbebauung entstehe bei der rechnerischen Flächenaufstellung eine positive Bilanzierung. Die Vorbehaltsfläche für den Kindergarten sei nicht mehr erforderlich, da ein zweiter städtischer Kindergarten gebaut worden sei. Aufgrund der angespannten Parksituation des Kindergartens während der Bring- und Holzeiten könnten lokale Verkehrsprobleme nicht ausgeschlossen werden. Um ein erhöhtes Verkehrsaufkommen im Gegensatz zum Bestand zu bewältigen, solle die angrenzende S…straße geöffnet werden. Damit biete sich eine Alternative zum Steilstück bei der Einmündung der P* …Straße in die R* …straße. Aufgrund des zu erwartenden Anwohnerverkehrs und der geplanten Entlastungen werde davon ausgegangen, dass das übliche Maß an Verkehr im Wohngebiet nicht überschritten werde. Die mit dem Betrieb der Wohnbauvorhaben üblicherweise verbundenen Belastungen durch zu- und abfahrende Kfz des Anwohnerverkehrs seien grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. Wäre eine Erweiterung des städtischen Kindergartens, wie im derzeit rechtskräftigen Bebauungsplan vorgesehen, umgesetzt worden, so hätte dies zu den Bring- und Holzeiten ein wesentlich höheres Verkehrsaufkommen verursacht.
4
Die Antragsteller machen geltend, sie seien antragsbefugt, da sie durch den zu erwartenden Verkehr mehr als nur unerheblich in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt würden. Die Antragsgegnerin räume selbst ein, dass lokale Verkehrsprobleme nicht ausgeschlossen werden könnten. Ihr Anspruch auf gerechte Abwägung sei verletzt, da keine Untersuchung zur Verkehrsbelastung durchgeführt worden sei. Dabei handele es sich um ein Ermittlungsdefizit. Zudem sie die Planung unfertig, da es heiße, die Ein- und Ausfahrt von der S…straße zur P…Straße solle wieder geöffnet werden. Es mache aber einen großen Unterschied, ob man das Geviert mit oder ohne S* …straße plane.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Bebauungsplan „B…“ (Deckblatt Nr. 11) für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie macht geltend, die Antragsteller seien nicht antragsbefugt, da die abwägungsrelevante Bagatellgrenze hinsichtlich der Verkehrslärmbelastung nicht überschritten werde. Der Antrag könne aber auch materiell keinen Erfolg haben. Die S* …straße sei mit verkehrsrechtlicher Anordnung vom 28. März 2019 für den Anliegerverkehr geöffnet worden.
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Demgegenüber machen die Antragsteller geltend, gegen die Öffnung der S* …straße hätten sie Klage erhoben, über die noch nicht entschieden sei. Die Verkehrsteilnehmer ignorierten die Verkehrsregelung und würden einfach durchfahren. Darüber hinaus wäre eine Belastung mit Erschließungsbeiträgen nur dann abwägungsirrelevant, wenn die Übernahme der Erschließungskosten durch einen Erschließungsträger sichergestellt sei und damit für die Antragsteller keine Erschließungsbeiträge anfielen. Das könne hier nicht angenommen werden.
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Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 hörte der Senat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO an.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Planaufstellungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
13
Der Senat kann nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens über den Normenkontrollantrag ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 47 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO), da er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Beschluss mangels Antragsbefugnis in Betracht kommt, die Antragsteller haben sich zur Frage der Antragsbefugnis geäußert und keine Einwände gegen eine Entscheidung durch Beschluss erhoben. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK steht einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht entgegen. Aus dem Zusammenwirken von § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO und dieser Vorschrift folgt der Grundsatz, dass über einen Normenkontrollantrag, mit dem sich der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung in einem Bebauungsplan wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1999 - 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203). Über Normenkontrollanträge von Plannachbarn kann aber selbst dann im Beschlussweg entschieden werden, wenn diese wegen einer möglichen Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung aus § 1 Abs. 7 BauGB antragsbefugt sind (BVerwG, B.v. 25.3.2019 - 4 BN 14.19 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 20.2.2020 - 15 N 20.198 - juris Rn. 14). Die Antragsteller sind Plannachbarn in diesem Sinne, da ihr Grundstück von der Änderung des Bebauungsplans durch das Deckblatt Nr. 11 nicht betroffen ist (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 29.11.2018 - OVG 2 A 19.15 - juris Rn. 16).
14
Unabhängig davon, dass die Änderungen des Bebauungsplans „B…“ mit Deckblatt Nr. 11 nicht direkt das Grundstück der Antragsteller betreffen, kann von einer mündlichen Verhandlung hier auch deshalb abgesehen werden, weil der Normenkontrollantrag (offensichtlich) unzulässig ist, da den Antragstellern die Antragsbefugnis fehlt. Nur die Entscheidung über einen zulässigen Normenkontrollantrag kann das Grundeigentum der Antragsteller berühren (vgl. BVerwG, U.v. 16.1.2003 - 4 CN 8.01 - BVerwGE 117, 313).
15
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für die Bejahung der Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren sind im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt. Danach kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist die antragstellende Person nicht Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB folgen (BVerwG, B.v. 9.11.1979 - 4 N 1.78, 4 N 2.79, 4 N 3.79, 4 N 4.79 - BVerwGE 59, 87 = juris Ls und Rn. 44 ff; U.v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 = juris Ls 2 und Rn. 15 bis 21). Die Antragsteller müssen dabei hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in ihren Rechten verletzt werden (BVerwG, B.v. 10.7.2012 - 4 BN 16.12 - BauR 2012, 1771 = juris Rn. 2, 3; B.v. 17.12.2012 - 4 BN 19.12 - BRS 79 Nr. 65 = juris Rn. 3). Sind keine oder nur nicht abwägungserhebliche Interessen der Antragsteller betroffen, scheidet eine Verletzung des Rechts auf fehlerfreie Abwägung von vorneherein aus (König, Baurecht Bayern, 5. Aufl. 2015, Rn. 1012). Für die Prüfung der Antragsbefugnis kommt es grundsätzlich auf die Darlegungen der Antragsteller im Normenkontrollverfahren an. Enthalten sie keine Tatsachen, die die Missachtung eines abwägungserheblichen Belangs als möglich erscheinen lassen, ist die Antragsbefugnis zu verneinen. Die bloße verbale Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung genügt im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinn von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet.
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Gemessen daran fehlt die Antragsbefugnis der Antragsteller. In der vorliegenden Situation waren nur die Lage sowie die Größe der vom Bebauungsplan in unmittelbarer Nähe zu ihrem Grundstück für zulässig erklärten Wohngebäude und der durch die Änderung des Nutzungszwecks zusätzlich verursachte Verkehrslärm prinzipiell abwägungserheblich. Selbst wenn die von den Antragstellern für die Verkehrszunahme genannten Zahlen zutreffen sollten, läge diese unterhalb der Bagatellgrenze und wäre abwägungsirrelevant (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 - 15 N 15.1485 - BayVBl 2018, 307 = juris Rn. 23 m.zahlr.w.N.). Die hier geplante Größenordnung von insgesamt 23 hinzukommenden Wohneinheiten (24 Wohnungen und 1 EFH gegenüber 2 EFH) ist von vorneherein nicht geeignet, eine über die Bagatellgrenze von bis zu rund 200 Verkehrsbewegungen pro Tag hinausgehende Belastung des Grundstücks der Antragsteller durch Verkehrslärm herbeizuführen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch durch die bisherige Festsetzung einer Vorrangfläche für die Kindergartenerweiterung zahlreiche Verkehrsbewegungen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Lieferverkehr und Bring- und Holvorgänge zu erwarten waren. Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Umplanung zu kleinen Mehrfamilien-Wohnhäusern eine nennenswerte Verkehrszunahme gegenüber einer Kindergartennutzung auf FlNr. … entsteht.
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Soweit die Antragsteller geltend machen, die Planung sei unfertig, da nicht ersichtlich sei, ob mit oder ohne S* …straße geplant werde, führt auch dies nicht dazu, dass eine Antragsbefugnis angenommen werden könnte. Hinsichtlich der Verkehrsproblematik ist auch diesbezüglich kein Unterschied zur Kindergartenerweiterung zu erkennen. Die Kindergartenerweiterung hätte die Probleme in den Hol- und Bringzeiten des angrenzenden städtischen Kindergartens eher noch mehr verstärkt als eine reine Wohnnutzung.
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Eine Belastung der Antragsteller mit Erschließungsbeiträgen durch die angefochtene Änderung des Bebauungsplans ist weder dargelegt noch ersichtlich. Die P* …Straße ist von der angefochtenen Planänderung nicht umfasst und schon durch die bisherige Planung mit einem Wendehammer im Süden dargestellt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1. § 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 8 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang).
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Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.