Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 30.03.2020 – Au 1 S 20.467
Titel:

Keine Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis

Normenketten:
AufenthG § 3, § 5, § 25 Abs. 5, § 81 Abs. 4, § 84
AufenthV § 31 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz:
Für einen Ausländer, der niemals im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war oder sich auch sonst nicht berechtigt in Deutschland dauerhaft aufgehalten hat, gilt die Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht.(Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnung, Abschiebung, Asylbewerber, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltstitel, Ausreise
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.05.2020 – 10 CS 20.883, 10 C 20.886
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14538

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein kosovarischer Staatsangehöriger, begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
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Er reiste erstmals als Jugendlicher 1991 in die Bundesrepublik ein und beantragte erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigter. In der Folgezeit trat er mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Im September 2008 wurde der Antragsteller erstmals in sein Heimatland abgeschoben. Bereits Ende 2008 reiste er wieder illegal in die Bundesrepublik ein, kurz darauf wurde er erneut abgeschoben. In den Folgejahren hielt sich der Antragsteller überwiegend in Deutschland auf. Er stellte mehrere Asylfolgeanträge, die sämtlich erfolglos blieben. Im März 2009 wurde der Antragsteller ausgewiesen, im November 2012 erneut abgeschoben. Der Antragsteller war zu keinem Zeitpunkt im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.
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Im ... 2011 wurde das deutsche Kind des Antragstellers geboren. Zwischen den Eltern besteht mittlerweile eine Umgangsregelung. Der Antragsteller soll danach sein Kind alle zwei Wochen bei einer Freundin der Mutter für zwei Stunden sehen.
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Am 29. Januar 2019 beantragte die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers, diesem eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Diesen Antrag lehnte die Regierung von ... mit Bescheid vom 28. Januar 2020 ab. In den Gründen ist ausgeführt, § 25 Abs. 5 AufenthG befreie nicht von der Beachtung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG. Diese müssten daher grundsätzlich erfüllt sein. Der Ausländer muss danach auch der Passpflicht nach § 3 AufenthG genügen. Der Antragsteller habe das Nichtvorliegen eines Passes oder Passersatzes und somit auch das Hindernis der Ausreise selber zu verschulden, da er sich weder nachweislich um die Korrektur des Geburtsdatums noch um die Beantragung des Reisepasses bemüht habe.
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Hiergegen ließ der Antragsteller am 27. Februar 2020 Klage erheben, über welche noch nicht entschieden ist (Au 1 K 20.348).
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Vorliegend begehrt der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 11. März 2020 einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung wird geltend gemacht, der Antragsteller sei Vater eines deutschen Kindes. Derzeit übe der Antragsteller sein Umgangsrecht im Rahmen einer Umgangsregelung aus. Der Antragsteller habe einen Pass beantragt. Nach Angaben des Konsulates solle dieser in spätestens drei Wochen vorliegen. Die Problematik beim Bezug des Passes liege beim Geburtsdatum des Antragstellers. Eine Korrektur dieser Differenz sei ihm bislang nicht möglich gewesen. Für dieses Verfahren begehrt der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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Der Antragsteller beantragt,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27.2.2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28.1.2020 wird angeordnet.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die ... trägt zur Begründung vor, der Antrag sei unzulässig und unbegründet. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Die Ausreise des Antragstellers sei tatsächlich möglich, da er über einen gültigen Reisepass verfüge und somit die erforderlichen Einreisedokumente vorliegen würden. Auch rechtliche Gründe stünden der Ausreise des Antragstellers nicht entgegen. Das vom Bevollmächtigten angeführte Umgangsrecht des Antragstellers mit seinem Sohn führe nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit seiner Ausreise. Der Sohn des Antragstellers sei am ... 2011 geboren worden und mittlerweile neun Jahre alt. Während dieser Zeit sei der Antragsteller weitgehend abwesend gewesen, weil er sich in seinem Heimatland aufgehalten habe. Er habe weder das Umgangs- noch das Sorgerecht ausgeübt, noch habe regelmäßiger Kontakt zu seinem Sohn bestanden.
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Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die kraft Gesetzes (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sofort vollziehbare Ablehnung des am 29. Januar 2019 gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
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Eine Duldung wurde im Rahmen des hier anhängigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes hingegen nicht begehrt. Der Antrag im Schriftsatz vom 3. März 2020 ist insoweit eindeutig und nicht auslegungsbedürftig.
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2. Der Antrag ist nicht zulässig.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
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Ein solcher Antrag ist dann statthaft, wenn der Ausländer auf Grund seines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde in den Genuss einer Fortgeltungs- oder Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 Satz 1 AufenthG gelangt war (Bergmann/Dienelt, Kommentar zum Ausländerrecht, Rn. 32 zu § 84 AufenthG).
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Diese Voraussetzungen ist vorliegend nicht erfüllt. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 29. Januar 2019 löste niemals die Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG aus. Die Regelung des § 81 Abs. 3 AufenthG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sich der Antragsteller nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Er war, soweit erkennbar, niemals im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und auch sonst nicht berechtigt, sich in Deutschland dauerhaft aufzuhalten. Er wurde zuletzt nur geduldet. Die am 4. Dezember 2019 erteilte Duldung wurde ausweislich der Behördenakten ungültig gestempelt. Ob der Antragsteller mittlerweile erneut im Besitz einer Duldung ist, lässt sich den Behördenakten nicht entnehmen. Auf § 81 Abs. 4 AufenthG kann sich der Antragsteller schon deshalb nicht berufen, weil er nie im Besitz eines Aufenthaltstitels war.
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3. Der Antrag wäre auch nicht begründet.
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Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
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Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers aus. Nach derzeitigem Kenntnisstand bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Die diesbezüglich in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos sein. Überwiegende Interessen des Antragstellers, die gleichwohl eine Entscheidung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen der alleine in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG sind nicht erfüllt. Die Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis überhaupt herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (siehe hierzu BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - Rn. 18), kann deshalb vorliegend offen bleiben.
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Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Ausreise des Antragstellers ist weder aus tatsächlichen noch rechtlichen Gründen unmöglich. Insbesondere führen die familiären Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet nicht dazu, dass seine Ausreise nicht durchgeführt werden kann.
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Von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung ist insbesondere auszugehen, wenn Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK der Entfernung des Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Art. 6 GG gewährt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Kind ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (…). Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (…). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich - nicht anders als jeder andere Ausländer - ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (…). Der Ausländer hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (…). Auch ein (kleines) Kind, selbst wenn es wie der Sohn des Antragstellers die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.).
27
All diese Anstrengungen hat der Antragsteller bisher aus eigenem Antrieb heraus unterlassen. Er hat keinerlei Schritte unternommen, das Visumverfahren familienverträglich und zeitlich kurz zu gestalten. Der Antragsteller hält sich seit vielen Jahren unberechtigt im Bundesgebiet auf. Er ist mehrfach illegal eingereist und hat sich auf eine besondere Art und Weise fast allen aufenthaltsrechtlichen Regelungen widersetzt. Er hat es gezielt unterlassen, in den Besitz eines gültigen, beanstandungsfreien Passes zu gelangen. Selbst wenn man von der Unmöglichkeit der Ausreise ausginge, stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG dessen Satz 3 entgegen, wonach eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist.
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Weiter kommt hinzu, dass eine intensive und schützenswerte Beziehung zwischen dem Antragsteller und seinem Kind kaum besteht. Das Kind wurde im Jahr 2011 geboren. In der Folgezeit bestand, soweit ersichtlich, kaum Kontakt zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn. In den ersten acht bis neun Lebensjahren hat sich der Antragsteller, der sich immer wieder außerhalb der Bundesrepublik aufgehalten hat, erkennbar kaum um seinen Sohn gekümmert. Erst jetzt wurde eine Elternvereinbarung für den Kontakt des Kindes zum Vater zwischen dem Antragsteller und der Mutter des Kindes getroffen. Ziel ist es, dass der Kontakt zwischen dem Kind und dem Vater zunächst freitags alle zwei Wochen von 14.00 bis 16.00 Uhr stattfindet. Angesichts dieses sich erst anbahnenden Kontakts zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn geht das Gericht davon aus, dass eine nennenswerte Beeinträchtigung der familiären Belange nicht damit verbunden ist, dass der Antragsteller vor Beginn dieses Umgangs das Visumverfahren durchführt.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Teil hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben der §§ 52 Abs. 2 GKG und 53 Abs. 2
Nr. 2 GKG. Die Kammer hat sich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (dort unter Nr. 8.1 und 1.5) orientiert.
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6. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers für dieses Verfahren konnte nicht entsprochen werden.
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Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Solche hinreichenden Erfolgsaussichten sind, wie oben ausgeführt, vorliegend nicht gegeben.