Titel:
Nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen eines Bebauungsplans
Normenketten:
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2, § 16, § 23
BayBO Art. 6, Art. 66 Abs. 1, Art. 71 S. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans ist regelmäßig nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung anzunehmen (sog. Gebietserhaltungsanspruch). Nur durch diese Festsetzungen wird kraft Gesetzes ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Eigentümerinnen und Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet begründet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) sowie Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) haben in der Regel keine dementsprechende, ein Austauschverhältnis begründende Funktion. Deshalb vermitteln solche Festsetzungen Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich dafür ist die Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall, wobei sich ein entsprechender Wille nicht nur aus dem Bebauungsplan selbst, sondern auch seiner Begründung oder sonstigen Vorgängen in Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen einen Vorbescheid, drittschützende Belange, Rücksichtsnahmegebot, Bebauungsplan, Festsetzungen, Art der baulichen Nutzung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.07.2021 – 9 ZB 20.1567
Fundstelle:
BeckRS 2020, 14312
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung iHv 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung eines Wohngebäudes zugunsten der Beigeladenen.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks mit der FlNr. …, Gemarkung …, … … … in …, das mit einem Zweifamilien-Wohnhaus bebaut ist.
3
Mit Bescheid der Beklagten vom 2. August 2016 wurde dem Kläger für das beantragte Vorhaben „Umbau und Erweiterung des Einfamilienhauses-Doppelhaushälfte und Anbau eines Einfamilienhauses“ auf seinem oben genannten Anwesen die Genehmigung erteilt. In der Ziffer 2 des Bescheides wurde dem Kläger wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Osten eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … erteilt.
4
Das Baugrundstück mit der FlNr. …, Gemarkung …, …, …, liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Beklagten, der für den räumlichen Geltungsbereich als Art der baulichen Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ist in Ergänzung zu den im Plan getroffenen Festsetzungen in § 1 Nr. 1 des Bebauungsplans Nr. … festgesetzt:
„1. Maß der baulichen Nutzung:
Für die Baugrundstücke des Gemeinbedarfs gelten die im Planteil eingetragenen höchstzulässigen Werte der Grundflächen- und Geschoßflächenzahl. Für die übrigen Grundstücke ergibt sich das höchstzulässige Maß der baulichen Nutzung aus den überbaubaren Grundstücksflächen in Verbindung mit der Zahl der Vollgeschosse. In der Zone B und bei Grundstücken, deren Wohngebäude überwiegend in der Zone B liegen, können gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 BauNVO Gebäudeteile in einem Ausmaß von 30 qm Geschossfläche ausnahmsweise zugelassen werden, wenn diese Geschossfläche der Verbesserung der Wohnverhältnisse dient und dadurch nicht neue Wohneinheiten geschaffen werden.“
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Die Beigeladene beantragte am 8. März 2017 für das Bauvorhaben „Errichtung eines Einfamilienhauses-Doppelhaushälfte mit einem Carport und einer Garage“ den Erlass eines Vorbescheides auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, und stellte hierzu folgende Fragen:
„1. Sind das Maß und die Art der baulichen Nutzung für das geplante Bauvorhaben nach § 34 BGB zulässig?
2. Ist das geplante Bauvorhaben inklusive der Erschließung/Garagen planungsrechtlich zulässig?
3. Sind die dargestellten Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO planungsrechtlich zulässig?
4. Ist die geplante Gestaltung (Dachform/Fassaden) zulässig?“
6
Mit Bescheid der Beklagten vom 25. April 2017 wurde festgestellt, dass das Vorhaben „Errichtung eines Einfamilienhauses-Doppelhaushälfte mit einem Carport und einer Garage“ auf dem Grundstück der Beigeladenen mit der FlNr. … zulässig ist (Ziffer 1). In der Ziffer 2 des Bescheides wurde gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Westen eine Befreiung erteilt.
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Zur Begründung der im Vorbescheidsantrag gestellten Fragen 1 und 2 führte die Beklagte aus, Beurteilungsgrundlage für das Vorhaben sei der qualifizierte Bebauungsplan Nr. … (§ 30 Abs. 1 BauGB), der als Art der baulichen Nutzung Allgemeines Wohngebiet festsetze. Das Bauvorhaben entspreche dieser Festsetzung. Das Maß der baulichen Nutzung ergebe sich aus den überbaubaren Grundstücksflächen in Verbindung mit der Zahl der Vollgeschosse (I+D). Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 BauNVO könnten Gebäudeteile in einem Ausmaß von 30 qm Geschossfläche ausnahmsweise zugelassen werden, wenn diese Geschossfläche der Verbesserung der Wohnverhältnisse diene und dadurch nicht neue Wohneinheiten geschaffen würden. Das geplante Bauvorhaben befinde sich komplett außerhalb der festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche und schaffe neue Wohneinheiten. Der eingeleitete Bebauungsplan Nr. … sehe in seinem Rahmenplan für dieses Grundstück eine Nachverdichtungsmöglichkeit vor, sodass den Befreiungen bezüglich des Überschreitens der Baugrenze und Schaffung neuer Wohneinheiten zugestimmt werde, § 31 Abs. 2 BauGB. Hinsichtlich der Frage 3 sei auszuführen, dass der Bebauungsplan keine Regelungen über Abstandsflächen treffe, sodass insoweit die Abstandsflächensatzung gelte. Der Bebauungsplan setze I+D fest und führe in der Zeichenerklärung die vorgesehenen Hausquerschnitte auf. Obwohl das Vorhaben aufgrund des hohen Kniestocks nicht den vorgesehenen Hausquerschnitten entspreche, könne ihm planungsrechtlich zugestimmt werden, da sich die Traufe an der Attikahöhe des westlichen Nachbarn orientiere (Frage 4).
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Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 24. Mai 2017, am gleichen Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen, erhob der Kläger Klage und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom 10. November 2017, den Vorbescheid der Beklagten vom 25. April 2017 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass das klägerische Grundstück, das unmittelbar westlich an das streitgegenständliche Baugrundstück angrenze, sei mit einem Wohngebäude bebaut. In Richtung des klägerischen Grundstücks habe das geplante Bauvorhaben eine - bisher in der näheren Umgebung des Baugrundstücks nicht anzutreffende - Wandhöhe von 5,15 m bei einer Länge der in Richtung des klägerischen Grundstücks ausgerichteten Außenwand von 18 m. Der Abstand der westlichen Außenwand zur klägerischen Grundstücksgrenze solle rund 3 m betragen. Im Rahmen des Vorbescheidsverfahrens sei auch die abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt worden. Die grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet geltende Abstandsflächensatzung sehe auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 7 BayBO die Möglichkeit einer Abstandsflächenreduzierung auf 0,4 H, mindestens jedoch 3 m, vor. Das Bauvorhaben verstoße gegen das Abstandsflächenrecht, da in Richtung des klägerischen Grundstücks die Abstandsflächen nicht auf dem Baugrundstück selbst eingehalten werden könnten. Gemäß Art. 6 Abs. 1, 4 BayBO bemesse sich die einzuhaltende Abstandsfläche bei Gebäuden nach dessen Wandhöhe, damit sei bei dem Bauvorhaben der Beigeladenen eine Abstandsfläche mit einer Tiefe von 5,15 m einzuhalten, tatsächlich sei jedoch nur eine Abstandsfläche von 3 m Tiefe vorgesehen.
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Die Abstandsflächensatzung sei zudem als Rechtsgrundlage unwirksam. Es bestünden hinreichende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Abstandsflächensatzung in Art. 6 Abs. 7 BayBO. Ob eine Abstandsflächentiefe von lediglich 0,4 H den verfassungsrechtlich zu gewährleistenden, gesunden Wohnverhältnissen noch ausreichend Rechnung trage, werde bezweifelt. Nach dem üblichen Verständnis erforderten gesunde Wohnverhältnisse eine angemessene Belichtung, Besonnung und Belüftung von Aufenthaltsräumen. Gleiches gelte für einen hinreichenden Sozialabstand zwischen Gebäuden bzw. zwischen Gebäuden und der jeweiligen Grundstücksgrenze. Die ausreichende Belichtung von Aufenthaltsräumen könne bei einer pauschalen Reduzierung der Abstandsflächentiefe auf 0,4 H nicht gewährleistet werden. Auf die Anforderungen der DIN 5034 (Tageslicht in Innenräumen) und die Ausführungen in Simon/Busse zu Art. 6 BayBO werde verwiesen. Die Gemeinden hätten bei Erlass von entsprechenden Festsetzungen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO die betroffenen Interessen abzuwägen und sicherzustellen, dass die ausreichende Belichtung und Belüftung nicht beeinträchtigt und die Flächen für notwendige Nebenanlagen nicht eingeschränkt werde. Mit der „Experimentierklausel“ des Art. 6 Abs. 7 BayBO werde dies auf die kommunale Ebene verlagert. Dies sei mit den Anforderungen der Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar. Zudem erweise sich die Abstandsflächensatzung als systemfremd und widersprüchlich. Der in Art. 6 Abs. 8 und 9 BayBO getroffenen Regelung liege die Prämisse der Einhaltung einer Abstandsfläche mit einer Tiefe von 1 H durch das jeweilige Gebäude zugrunde. Werde die Abstandsfläche des Gebäudes nach Art. 6 Abs. 7 BayBO auf 0,4 H verkürzt, seien die in Art. 6 Abs. 8 und 9 BayBO genannten Bauteile und Anlagen trotz einer gegenüber der Normalsituation deutlich angespannten, abstandsflächenrechtlichen Situation pauschal innerhalb der Abstandsflächen des jeweiligen Gebäudes zulässig, obwohl diese lediglich eine Abstandsfläche von 0,4 H beinhalte. Der Kläger werde zum einen durch die Nähe des Hauptbaukörpers erheblich belastet, zum anderen schaffe der in Richtung des klägerischen Grundstücks grenzständig geplante Carport eine unzumutbare Mehrbelastung.
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Darüber hinaus leide die Abstandsflächensatzung an maßgeblichen Abwägungsfehlern, die zu deren Unwirksamkeit führten. Allein der vermeintlich dringende Bedarf an neuen Wohnungen für die Bevölkerung der Stadt sei in die Abwägung gestellt worden. Aus Gründen der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit für die Grundeigentümer gelte die Satzung für das ganze Stadtgebiet. Weitere Ausführungen enthalte die Entscheidungsvorlage bzw. das Sitzungsprotokoll des Stadtrates nicht. Diese auf einen einzigen öffentlichen Belang gestützten Überlegungen stellten keine ordnungsgemäße Abwägung dar. Es fehle an jeglicher Analyse der vorhandenen Stadtbilder und Siedlungsstrukturen sowie an Überlegungen, in welchem Umfang eine Abstandsflächenkürzung in Betracht komme. Die Auswirkungen auf nachbarliche Belange seien nicht in die Abwägung eingestellt worden, sodass von einem Abwägungsausfall bzw. einer fehlerhaften Abwägung auszugehen sei. Der Ortsteil …, zu dem die streitgegenständlichen Grundstücke gehörten, sei ein durch Waldflächen abgegrenzter Siedlungsbereich, der sich durch eine lockere Bebauung mit großen Gartengrundstücken auszeichne. Dieser Bereich sei durch die Lärmemissionen des Flughafens … stark geprägt. Die Abstandsflächensatzung lasse jede Auseinandersetzung für den Ortsteil … vermissen. Zudem setze die Satzung sich nicht damit auseinander, ob es bei einem bereits in hohem Maße lärmbelasteten Bereich gerechtfertigt sei, durch eine Nachverdichtung eine gesteigerte Lärmbelastung in Form von Verkehrslärm zuzulassen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 26. Mai 2017 wurde die Beigeladene zum Verfahren notwendig beigeladen.
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Die Beklagte erwiderte auf die Klage am 16. Januar 2018 und beantragte
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen. Das neue Einfamilienhaus auf dem Anwesen FlNr. …, Gemarkung …, solle zum klägerischen Grundstück hin traufseitig errichtet werden, wobei die Traufhöhe nach den Plänen 5,15 m betrage. Der Abstand des 18 m langen Baukörpers zur gemeinsamen Grundstücksgrenze betrage 3 m. Das westlich an das Baugrundstück angrenzende Grundstück des Klägers mit der FlNr. … sei mit einem Zweifamilienhaus bebaut. Im Jahr 2016 sei die Erweiterung zu dem Zweifamilienhaus genehmigt worden. Der zum Baugrundstück hin orientierte Gebäudeteil sei 3,55 m (Oberkante Attika) hoch. Der Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze betrage an der 13,5 m langen östlichen Außenwand ca. 4,3 m.
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Der Bauvorbescheid treffe zum Abstandsflächenrecht keine Aussage, vielmehr sei die Prüfung der Abstandsflächen dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten. Nachbarrechtsschutz könne allenfalls das Gebot der Rücksichtnahme gewähren. Jedoch bestünden keine Anhaltspunkte, etwa aufgrund einer einriegelnden Wirkung des Baukörpers. Auch der Kläger sei mit seinem Bauvorhaben 2016 unter Überschreitung der östlichen Baugrenze an das Grundstück der Beigeladenen herangerückt, sodass er sich gefallen lassen müsse, dass auch die Beigeladene ihr Wohngebäude hin zur gemeinschaftlichen Grundstücksgrenze erweitere.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen beantragte mit Schriftsatz vom 16. Februar 2018
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Es werde die Auffassung der Beklagten geteilt, dass im Vorbescheid nicht über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit Abstandsflächen zu entscheiden gewesen sei. Eine Nachbarrechtsverletzung des Klägers durch den Vorbescheid scheide aus. Vorsorglich werde ausgeführt, dass die Abstandsflächenrechtssatzung der Beklagten wirksam sei und die Abstandsflächen auch eingehalten seien. Auf die Urteile des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. November 2017 mit den Az. AN 9 K 16.00668, AN 9 K 16.00660 und AN 9 K 16.00651 werde verwiesen. Bislang habe der Kläger lediglich einen abstandsflächenrechtlichen Verstoß gerügt. Auch darüber hinaus verletze das Vorhaben, insbesondere in bauplanungsrechtlicher Hinsicht, nicht die nachbarlichen Rechte des Klägers. Insbesondere sei das Rücksichtnahmegebot beachtet worden. Eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens gegenüber dem klägerischen Anwesen liege nicht vor, zudem sei der Kläger - wie die Beklagte zutreffend ausgeführt habe - erst vor kurzem selbst an die gemeinsame Grundstücksgrenze herangerückt, so dass er sich wegen unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB nicht auf einen Rechtsverstoß berufen könne Mit Ergänzungsbescheid der Beklagten vom 27. Februar 2018 wurde der „Schnitt & Ansichten“-Plan mit der Plannr. * vom 8. Februar 2018 im Maßstab 1:100 Gegenstand des Vorbescheidsantrages. Aus dem im Nachgang zum Vorbescheidsantrag vom 24. Oktober 2016 nachgereichten „Schnitt & Ansichten“-Plan mit der Nr. * wurden die Ansichten von Osten und Westen ergänzt.
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Der Kläger beantragte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 27. März 2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach am 28. März 2018:
Der Vorbescheid vom 25. April 2017 und der Ergänzungsbescheid vom auf 27. Februar 2018 werden aufgehoben.
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In dem Termin der mündlichen Verhandlung am 18. September 2019 wurde mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert und die bereits schriftlich gestellten Anträge wiederholt.
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Auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtete die Beklagte mit Schreiben vom 5. März 2020, die Beigeladene am 12. März 2020 und der Kläger mit Schreiben vom 30. April 2020.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegenden Behördenakten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 25. April 2017 in Gestalt des Ergänzungsbescheides vom 27. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bauvorbescheid vom 25. April 2017 in Gestalt des Ergänzungsbescheides vom 27. Februar 2018 ist zulässig, insbesondere liegt die Klagebefugnis des Klägers gemäß § 42 Abs. 2 VwGO vor.
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Der Kläger ist Nachbar im Sinne des Baurechts, Art. 66 Abs. 1 BayBO. Sein Grundstück mit der FlNr. …, Gemarkung …, … in …, grenzt unmittelbar an das streitgegenständliche Grundstück der Beigeladenen an. Er hat die Bauantragsunterlagen im Rahmen des Verfahrens auf Erteilung eines Vorbescheides nicht unterschrieben, weshalb ihm durch die Beklagte der streitgegenständliche Vorbescheid vom 25. April 2017 sowie der Ergänzungsbescheid vom 27. Februar 2018 zugestellt wurden.
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2. Die Klage ist jedoch als unbegründet abzuweisen, da der Vorbescheid der Beklagten, soweit dieser Regelungen enthält, nicht gegen nachbarschützende Rechte des Klägers, auf die allein sich der Kläger berufen kann, verstößt. Eine Beeinträchtigung nachbarschützender Normen durch das geplante Vorhaben „Errichtung eines Einfamilienhauses - Doppelhaushälfte mit einem Carport und einer Garage“ - ist insoweit nicht ersichtlich. Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist planungsrechtlich zulässig und verstößt nicht gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung.
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Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung des Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erteilt werden. Ein Vorbescheid beinhaltet die verbindliche Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, dass dem Bauvorhaben hinsichtlich der zur Entscheidung gestellten Fragen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die vorweg entschiedenen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsfragen sind im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Der Umfang der Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bauvorbescheids richtet sich nach den gestellten Fragen und den zugrundeliegenden Plänen (BayVGH, B.v. 29.04.2019 - ZB 15.2606 - juris). Nach ständiger Rechtsprechung können sich Dritte gegen einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg wehren, wenn der angefochtene Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris; VG Ansbach, U.v. 17.4.2013 - 9 K 12.01176 - BeckRS 2013, 50835).
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Im vorliegenden Fall richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 Abs. 3 i. V. m. § 31 Abs. 2 BauGB, da das Bauvorhaben der Beigeladenen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Beklagten liegt, der als Art der baulichen Nutzung Allgemeines Wohngebiet festsetzt. In nicht zu beanstandender Weise hat die Beklagte in dem Vorbescheid vom 25. April 2017, ergänzt mit Bescheid vom 27. Februar 2018, der Beigeladenen in der Ziffer 2 eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Westen erteilt.
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Eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans ist regelmäßig nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung anzunehmen (sog. Gebietserhaltungsanspruch, grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 ff.; vgl. auch BVerwG, B.v. 27.8.2013 - 4 B 39.13 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, B.v. 18.6.2018 - 15 ZB 17.635 - juris; B.v. 6.2.2017 - 15 ZB 16.398 - juris Rn. 9). Nur durch diese Festsetzungen wird kraft Gesetzes ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Eigentümerinnen und Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet begründet. Das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) sowie Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) haben in der Regel keine dementsprechende, ein Austauschverhältnis begründende Funktion. Deshalb vermitteln solche Festsetzungen Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Maßgeblich dafür ist die Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall, wobei sich ein entsprechender Wille nicht nur aus dem Bebauungsplan selbst, sondern auch seiner Begründung oder sonstigen Vorgängen in Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (BayVGH, B.v. 29.7.2014 9 - CS 14.1171 - juris).
31
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Voraussetzungen ist die grundsätzlich als nachbarschützend einzustufende Art der baulichen Nutzung Allgemeines Wohngebiet durch die von der Beigeladenen geplante Errichtung eines Einfamilienhauses - Doppelhaushälfte mit einem Carport und einer Garage unproblematisch gewahrt und wurde auch seitens des Klägers nicht gerügt.
32
Darüber hinaus sind - entgegen den Ausführungen des Klägers - die Abstandsflächenvorschriften kein Prüfungsgegenstand im Vorbescheidsverfahren. Aus der Begründung des Vorbescheides der Beklagten vom 25. April 2017 ergibt sich, dass der vorliegende Bebauungsplan gerade keine Regelungen über Abstandsflächen trifft. Grundlage zur Ermittlung der Abstandsflächen bildet die Abstandsflächensatzung der Beklagten. Die Prüfung der Abstandsflächen ist dem sich anschließenden Baugenehmigungsverfahren vorbehalten. Der von der Beigeladenen eingereichte Abstandsflächenplan wurde dementsprechend von der Beklagten nicht genehmigt und ist damit nicht von der rechtlichen Bindungswirkung des Vorbescheides erfasst.
33
Ein Verstoß gegen das Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme (§ 15 BauNVO) ist vorliegend nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht erkennbar. Der Kläger wird durch das streitgegenständliche Vorbescheidsvorhaben nicht über das zumutbare Maß in ihren nachbarlichen Interessen beeinträchtigt.
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Nach gefestigter Rechtsprechung ist das Maß der gebotenen Rücksichtnahme jeweils von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig. Gegeneinander abzuwägen sind Schutzwürdigkeit des Betroffenen, Intensität der Beeinträchtigung, Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (vgl. BVerwG v. 10.1.2013 - 4 B 48.12 - juris Rn. 7 m.w.N.). Gemessen an diesen Vorgaben stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben entgegen den Ausführungen des Klägers weder im Hinblick auf die gerügte erdrückende Wirkung noch hinsichtlich anderer Gesichtspunkte als unzumutbar und damit rücksichtslos dar.
35
Eine optisch erdrückende Wirkung scheidet bereits mangels einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhaben der Beigeladenen und dem Wohngebäude des Klägers aus. Eine er-drückende Wirkung kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls in Ausnahmefällen bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu be-nachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B.v. 20.7.2010 - 15 CS 10.1151 - juris Rn. 18). Bejaht wurde eine solche Wirkung beispielsweise bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in Entfernung von 15 m zum zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - juris Rn. 33 f.) oder bei einer 11,5 m hohen Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - juris Rn. 2 und 15). Allein anhand dieser Beispielsfälle wird deutlich, dass es für die Rüge einer erdrückenden Wirkung auf ein krasses Missverhältnis zwischen Höhe und Nähe der jeweils betroffenen Gebäude an-kommt.
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Hier besteht zwischen den beiden Wohngebäuden keine nennenswerte Höhendifferenz, die im Sinne der oben genannten Rechtsprechung ein krasses Missverhältnis belegt. Dies zeigt sich deutlich aus dem im Nachgang zum Vorbescheidsantrag vom 24. Oktober 2016 nachgereichten Schnitt & Ansichten-Plan mit der Plannr., wodurch die Ansichten von Osten und Westen ergänzt wurden. Die westliche Außenwand des geplanten Baukörpers hat eine Länge von 18 m bei einer Traufhöhe von 5,15 m und einem Abstand von 3 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze. Demgegenüber hat der mit Bescheid der Beklagten im Jahr 2016 genehmigte Anbau des Klägers - unter Erteilung einer Befreiung wegen Überschreitung der Baugrenzen in Richtung Osten gemäß § 31 Abs. 2 BauGB - eine Länge von 13,5 m zum Grundstück der Beigeladenen hin und eine Höhe von 3,55 m (Oberkante Attika) bei einem Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze von 4,30 m. Dem Kläger ist zwar einzuräumen, dass durch die Verwirklichung des Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück ein massiver Baukörper entsteht, dennoch erreicht dieser nicht eine derartige Qualität und Größe, dass darin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots gesehen werden könnte Nach alledem ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich der Beigeladene durch die Stellung eines Antrags dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen aufzuerlegen, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.