Inhalt

VG München, Beschluss v. 23.06.2020 – M 25 S 20.1345
Titel:

Keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines türkischen Staatsangehörigen 

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 19c Abs. 3, § 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 31, § 36 Abs. 2, § 81 Abs. 4, § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
ARB 1/80 Art. 6, Art. 13
Leitsätze:
1. Eine "ordnungsgemäße Beschäftigung" im Sinne des Art. 13 Abs. 1 ARB 1/80 setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus. Eine Beschäftigung während eines Aufenthalts aufgrund einer Titelfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG führt daher nicht zur Anwendbarkeit der Stillhalteklausel. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein "begründeter Einzelfall" im Sinne des § 19c Abs. 3 AufenthG muss sich hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation von anderen Fällen unterscheiden. Der Bedarf darf nicht allgemeiner Natur sein, sondern nur in einer singulären Konstellation auftreten und anderweitig nicht gedeckt werden können. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkischer Staatsangehöriger, eheliche Lebensgemeinschaft, Stillstandklausel ARB 1/80, Ordnungsgemäße Beschäftigung, systemrelevante Beschäftigung, Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, Beendigung, deutsche Stiefkinder, Warenverräumer
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.08.2020 – 10 CS 20.1632
Fundstelle:
BeckRS 2020, 13995

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
2
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und reiste erstmals am 24. Juni 2016 mit einem Visum zur Eheschließung in das Bundesgebiet ein und meldete sich in Hamburg an. Am 28. Juni 2016 erfolgte die Eheschließung mit seiner deutschen Ehefrau. Im Hinblick auf die Eheschließung wurde dem Antragsteller eine bis zum 3. Januar 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erteilt.
3
Am 1. Februar 2018 zog der Antragsteller nach München- … um und meldete seinen Wohnsitz an. Zum 1. März 2018 meldete der Antragsteller diesen Wohnsitz wieder ab und zog zurück zu seiner Ehefrau im Hamburg. Die Aufenthaltserlaubnis wurde bis zum 20. Dezember 2018 verlängert. Am 13. Dezember 2018 beantragte der Antragsteller eine erneute Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
4
Zum 27. Februar 2019 zog der Antragsteller wieder nach München und meldete seinen Wohnsitz in … an. Seine Ehefrau lebt weiterhin in Hamburg.
5
Der Antragsteller hat von 31. August 2017 bis 19. Januar 2018 als Küchenhilfe bei … … GmbH in Hamburg gearbeitet und ist seit 1. Juni 2019 bei der … M. GmbH als Warenverräumer beschäftigt.
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Mit Bescheid vom 21. Februar 2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1), forderte den Antragsteller zur Ausreise innerhalb von 15 Tagen auf (Ziffer 2), drohte ihm die Abschiebung in die Türkei, für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise, an (Ziffer 3) und ordnete ein auf zwei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung an (Ziffer 4).
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Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nicht vorlägen. Die eheliche Lebensgemeinschaft bestehe nicht mehr (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und habe keine drei Jahre bestanden (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Auch aus Art. 6 und Art. 13 ARB 1/80 ergebe sich kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis.
8
Am 26. März 2020 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte,
1.
den Bescheid vom 21. Februar 2020 aufzuheben;
2.
den Antragsgegner zu verpflichten dem Antragsgegner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen;
3.
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
9
Zur Begründung führte sie aus, dass die eheliche Gemeinschaft zwar zur Zeit nicht bestehe, jedoch eine Annäherung und Versöhnung nicht ausgeschlossen sei. Weiterhin bestehe eine sehr enge Verbindung zwischen dem Antragsteller und den Kindern seiner Ehefrau aus ihrer vorherigen Ehe. Ferner stehe dem Antragsteller ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 3 AufenthG zu. Angesichts der Corona-Krise sei die Beschäftigung des Antragstellers als Warenverräumer systemrelevant und es bestehe ein öffentliches Interesse. Aufgrund der Tatsache, dass der Beruf der Warenverräumer niedrig entlohnt, mit Anstrengung und ungünstigen Arbeitszeiten verbunden sei, handele es sich um einen Sektor, bei welchem stets Personalmangel bestehe.
10
Mit Schriftsatz vom 22. April 2020 beantragte der Antragsgegner,
1.
die Klage abzuweisen;
2.
den Antrag abzulehnen.
11
Der Antragsgegner führte aus, dass der Bescheid rechtmäßig sei und daher das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiege. Es bestehe auch kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 3 AufenthG, da kein öffentliches Interesse an der Beschäftigung des Antragstellers bestehe. Die Corona-Krise sei am Abklingen und der Einzelhandel habe Strategien entwickelt um „Hamsterkäufen“ entgegenzuwirken.
12
Am 9. Juni 2020 erteilte die Bundesagentur für Arbeit ihre Zustimmung zu der Beschäftigung des Antragstellers als Warenverräumer. Die Zustimmung erfolgte aufgrund der Corona Pandemie in einem systemrelevanten Bereich längstens für sechs Monate.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 25 K 20.1344 sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
14
1. Der Antrag ist zulässig.
15
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 1) statthaft, da auf Grund der Ablehnung des Antrages auf Verlängerung des Aufenthaltstitels die Klage von Gesetzes wegen gem. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis die richtige Klageart wäre und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist trotz der Regelung des § 113 Abs. 5 VwGO ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis führt zum Erlöschen der Fiktionswirkung des Verlängerungsantrags. Der Antragsteller ist auf Grund der Versagung der Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Ablehnung stellt damit für den Antragsteller eine belastende Regelung dar.
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Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziffer 3) ist der Antrag ebenfalls statthaft, weil dies eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung ist und die Klage daher keine aufschiebende Wirkung entfaltet, Art. 21a BayVwZVG.
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2. Der Antrag bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
18
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 1.1.2009 - 1 C 32/08 - juris) überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
19
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, § 21a Bay VwZG) oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessensabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1993 - 1 ER 301/92 - juris). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
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Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Recht erfolgt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Insbesondere steht dem Antragsteller derzeit kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen.
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a) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Voraussetzung hierfür ist das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft. Die bloße Tatsache des Verheiratetseins genügt nicht. Die Ehe zwischen einem Deutschen und einem Ausländer hat daher in der Regel kein ein Aufenthaltsrecht auslösendes Gewicht, wenn sie nicht eine eheliche Gemeinschaft begründen. Das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft ist nicht erst dann zu verneinen, wenn die bürgerlich-rechtlichen Voraussetzungen für eine Ehescheidung erfüllt sind (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.1992 - 1 B 48/92, BeckRS 1992, 8151).
22
Der Antragsteller hat Ende Januar 2019 die eheliche Wohnung in Hamburg verlassen und sich Ende Februar 2019 in Garching angemeldet. Laut den Angaben der Bevollmächtigten des Antragstellers kann von einer dauerhaften Trennung der Eheleute ab Anfang März ausgegangen werden.
23
Im Ergebnis besteht seit spätestens Anfang März keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr. Das Weiterbestehen der Ehe hat keine aufenthaltsrechtliche Wirkung. Ebensowenig ändert die Tatsache, dass eine Versöhnung und Annäherung nicht ausgeschlossen ist - wie von der Bevollmächtigten vorgetragen - nichts an dem Ergebnis, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht besteht und folglich kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft besteht.
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b) Ebensowenig ergibt sich ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund der deutschen Stiefkinder des Antragstellers. Da er keine Personensorge für die Kinder ausübt, scheidet ein Anspruch aus § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG aus. Als Stiefvater fiele der Antragsteller grundsätzlich unter den Anwendungsbereich der § 28 Abs. 4, § 36 Abs. 2 AufenthG. Jedoch lebt der Antragsteller nicht mehr mit seinen Stiefkindern in familiärer Gemeinschaft. Darüberhinaus liegt kein Fall der außergewöhnlichen Härte vor. Der Kontakt zwischen dem Antragsteller und seinen Stiefkindern beschränkt sich zur Zeit auf Telefonate und Videoübertragungen. Diese Form des Kontakts ist dem Antragsteller auch aus der Türkei möglich. Insoweit der Antragsteller anführt, dass auch persönliche Besuche in Zukunft wieder stattfinden sollen, so erscheint dies ebenfalls möglich, wenn der Antragsteller in der Türkei wohnt. Im Ergebnis erscheint es - unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK - zur Herstellung und Wahrung des Kontakts zu den Stiefkindern nicht zwingend, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
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c) Der Antragsteller hat auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht auf Grund der früheren ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen erlangt (§ 31 AufenthG).
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Die eheliche Lebensgemeinschaft hat nicht die erforderlichen drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden. Der Antragsteller und seine Ehefrau haben am 28. Juni 2016 geheiratet und leben seit spätestens Anfang März 2019 nicht mehr in einer ehelichen Lebensgemeinschaft.
27
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf Grund von Art. 13 ARB 1/80 auf eine verkürzte Ehebestandszeit von zwei Jahren berufen. Art. 13 ARB 1/80 ist anwendbar auf türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen. Die Ehefrau des Antragstellers ist deutsche Staatsangehörige. Folglich ist der Antragsteller kein Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers. Der Antragsteller ist selbst auch kein türkischer Arbeitnehmer i.S.d. Art. 13 ARB 1/80. Es kommt nicht auf die Frage an, zu welchem Zeitpunkt die Arbeitnehmereigenschaft vorliegen muss (vgl. VGH Hessen, B.v. 10.10.2013 - 9 B 1648/13), da der Antragsteller zu keinem der relevanten Zeitpunkte die Voraussetzung erfüllt hat. Bei seiner Antragstellung am 13. Dezember 2018 hat der Antragsteller nicht gearbeitet; sein Arbeitsvertrag bei der … … GmbH endete mit Aufhebungsvertrag vom 19. Januar 2018. Bei der behördlichen Entscheidung über seinen Antrag und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung arbeitet der Antragsteller zwar wieder, jedoch handelt es sich nicht um eine ordnungsgemäße Beschäftigung i.S.d Art. 13 Abs. 1 ARB 1/80. Eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus. Die Ausübung einer Beschäftigung durch einen türkischen Arbeitnehmer im Rahmen einer Erlaubnis zum vorläufigen Aufenthalt, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht gilt, kann nicht als „ordnungsgemäß“ eingestuft werden (EuGH, U. v. 7.11.2013 - C-225/12 - Demir, Rn 46, 47). Dementsprechend führt eine Beschäftigung während eines Aufenthalts auf Grund einer Titelfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG nicht zur Anwendbarkeit der Stillhalteklausel (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, ARB 1/80 Art. 13 Rn. 25).
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Es sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, dass von der Ehebestandszeit von drei Jahren zur Vermeidung einer besonderen Härte abzusehen ist (§ 31 Abs. 2 AufenthG). Eine besondere Härte in Gestalt einer erheblichen Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung kann sich nur aus solchen Beeinträchtigungen ergeben, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen; sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrbelastungen wie die typischerweise jeden Rückkehrpflichtigen treffenden Beeinträchtigungen fallen nicht unter § 31 Abs. 2 AufenthG (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 31 Rn. 59; BVerwG, U. v. 9.6.2009 - 1 C 11.09; BayVGH, B. v. 14.6.2016 - 10 CS 16.638 - juris, Rn 10). Beeinträchtigungen, die sich (zumindest mittelbar) auf die Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft zurückführen lassen, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Die typischen Rückkehrbelastungen wie der Verlust einer Arbeitsstelle oder die Erschwerung der Kontaktaufnahme zu Verwandten und Bekannten bleiben in Bezug auf § 31 Abs. 2 AufenthG außer Betracht.
29
d) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis gemäß Art. 6 ARB 1/80, da er bisher noch kein Jahr ordnungsgemäß beschäftigt war. In Hamburg war der Antragsteller nur von 31. August 2017 bis 19. Januar 2018 beschäftigt. Auch steht dem Antragsteller diese Arbeitsstelle nicht weiter zur Verfügung. Seit 1. Juni 2019 - und folglich seit mehr als einem Jahr - arbeitet der Antragsteller bei der REWE Markt GmbH in Eching. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine ordnungsgemäße Beschäftigung (s.o.). Auf Grund der nur vorläufigen Position auf dem Arbeitsmarkt fehlt es einer Beschäftigung während eines Aufenthalts basierend auf einer Titelfiktion an der notwendigen gesicherten Rechtsstellung (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, ARB 1/80 Art. 6 Rn. 64, 65; BVerwG, U.v. 30.3.2010 - 1 C 6/09 - Rn. 22; EuGH, U. v. 20.9.1990 - C-192/89 - Sevince).
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e) Ein Anspruch des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus § 19 c Abs. 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer im begründeten Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn an seiner Beschäftigung ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht.
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Die Voraussetzung des begründeten Einzelfalls zeigt, dass die Norm auf besondere Einzelfälle zugeschnitten ist. Der begründete Einzelfall muss sich hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation von anderen Fällen unterscheiden. Der Bedarf darf nicht allgemeiner Natur sein, sondern nur in einer singulären Konstellation auftreten und anderweitig nicht gedeckt werden können. Nicht ausreichend ist zum Beispiel die Feststellung eines jahrelangen Engpasses in einem bestimmten Beruf. Der Bedarf muss vereinzelt, nicht flächendeckend in einer Branche, einem Beruf oder einer ganzen Wirtschaftsregion auftreten. Ebenso müssen die öffentlichen Interessen eine atypische Arbeitsmarktsituation widerspiegeln. Es muss ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung des konkreten Ausländers bestehen, das mit den sonst zur Verfügung stehenden Mitteln nicht befriedigt werden kann. Sowohl das öffentliche Interesse wie auch der begründete Einzelfall stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar, die gerichtlich voll überprüfbar sind (zum Ganzen Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 19c Rn. 13-16).
32
Der Antragsteller hat geltend gemacht, dass an seiner Tätigkeit als Warenveräumer in einem Supermarkt aufgrund der Corona-Pandemie, ein öffentliches Interesse besteht. Die Bevollmächtigte hat ausgeführt, dass aufgrund der geringen Bezahlung, der ungünstigen Arbeitszeiten und der mit der Tätigkeit verbunden körperlichen Anstrengung stets Personalmangel in dem Beruf der Warenverräumer besteht. Die Bundesagentur für Arbeit hat eine befristete Zustimmung zur Beschäftigung des Antragstellers erteilt und die Tätigkeit - aufgrund der Corona-Pandemie - als systemrelevant eingestuft. Der Antragsgegner hat ein öffentliches Interesse an der Beschäftigung des Antragstellers verneint.
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Es kann offen bleiben, ob im Allgemeinen - aufgrund der Corona-Pandemie - ein öffentliches Interesse an der Beschäftigung von Warenveräumern besteht. Wie sich aus den Ausführungen des Bevollmächtigten des Antragstellers ergibt, besteht generell ein Personalmangel bei Warenverräumern. Zumindest eine befristete arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit an Warenverräumern ergibt sich auch aus der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Jedoch besteht ein genereller Engpass und Bedarf in diesem Beruf. Es handelt sich nicht um eine singuläre Konstellation und es ist nicht ersichtlich, wie sich die arbeitsmarktpolitische Situation des Antragsstellers von anderen Warenveräumern unterscheidet. Es ist auch nicht ersichtlich - noch wurde es vorgetragen - dass ein öffentliches Interesse gerade an der Beschäftigung des Antragstellers - und nicht einer anderen Person - als Warenverräumer besteht.
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Nach alledem liegen die - gerichtlich voll überprüfbaren - Voraussetzungen des § 19c Abs. 3 AufenthG bereits nicht vor und es kommt auf ein Ermessen des Antragsgegners nicht an.
35
f) Da Aufenthaltstitel für die angestrebten Aufenthaltszwecke des Antragstellers (Familiennachzug, Beschäftigung) im Aufenthaltsgesetz vorgesehen sind, kommt ein Rückgriff auf den Erteilungstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht in Betracht.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
37
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.