Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 18.06.2020 – AN 17 E 20.50166
Titel:

Nachzugsanspruch zu minderjährigen Familienangehörigen aus Griechenland im Dublin-Verfahren

Normenketten:
VwGO § 52 Nr. 2 S. 3, Nr. 5, § 123 Abs. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 10, Art. 21 Abs. 1, Art. 22 Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein Berufen vom Ausland aus auf die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO zur Familienzusammenführung ist möglich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach Art. 10 Dublin III-VO ist ein Mitgliedsstaat für weitere Familienmitglieder zuständig, wenn über den Asylantrag eines sich in diesem Mitgliedstaat befindenden anderen Familienmitglieds noch nicht in der Sache entschieden ist und dieses Familienmitglied diesen Wunsch schriftlich geäußert hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
rechtswidrig ergangene Ablehnung des Übernahmeersuchens durch das Bundesamt, Nachzug von (wiederverheiratetem) Vater (mit seiner neuen Familie) zu 10jähriger Tochter aus erster Ehe nach Art. 10 Dublin III-VO, Griechenland, Familiennachzug, Dublin-Verfahren, Vorlage einer deutschen Übersetzung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 13897

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs und der Wiedervorlagen des griechischen Ministeriums für Citizen Protection - Nationales Dublin-Referat -, für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller für zuständig zu erklären.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren von Griechenland aus den Nachzug zur minderjährigen in Deutschland lebenden Tochter des Antragstellers zu 1) bzw. die Durchführung ihrer Asylverfahren in Deutschland aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/13 (Dublin III-VO).
2
Die Antragsteller zu 1) und zu 2), ein Ehepaar, und ihr am … 2017 geborener Sohn, der Antragsteller zu 3) sind iranische Staatsangehörige. Sie reisten nach den Angaben der griechischen Behörden am 29. März 2018 zusammen nach Griechenland ein und stellten dort am 16. April 2018 Asylanträge.
3
Der Antragsteller zu 1) ist außerdem der Vater der am …2009 geborenen … …, die seit Januar 2016 bei ihrer Tante, der Schwester des Antragstellers zu 1) und deren Familie in … in Deutschland wohnt. Sie ist die Tochter aus erster Ehe des Antragstellers zu 1), die 2015 im Iran geschieden wurde.
4
Für … stellte in Deutschland ihre Tante, die zum Vormund bestellt worden war, am 19. Dezember 2016 einen Asylantrag. Bei der Anhörung nach § 25 AsylG am 26. September 2018 erklärte …, dass sie im Iran bei ihren Eltern gelebt habe. Ihre Eltern seien derzeit in Griechenland und wollten nach Deutschland kommen. Sie sei 2015 mit ihrer Tante und ihrem Vater aus dem Iran ausgereist. Da sie im Ausweis der Tante eingetragen gewesen sei, sei sie mit dieser im Januar 2016 nach Deutschland weitergereist, während ihr Vater auf der Flucht damals an der mazedonischen Grenze gestoppt worden sei.
5
Der Antragsteller zu 1) erklärte den griechischen Behörden gegenüber, er sei nach dem fehlgeschlagenen Fluchtversucht in den Iran zurückgekehrt. Nach seiner Wiederverheiratung habe er den Iran erneut verlassen und habe mit seiner neuen Familie, den Antragstellern zu 2) und zu 3) Griechenland am 29. März 2018 erreicht.
6
Am 13. Juli 2018 richtete die griechische Dublin-Einheit unter Vorlage von Einverständniserklärungen des Antragstellers zu 1) und von …, unterzeichnet von deren Vormund, und der Kopie einer Urkunde in persischer Sprache ein Übernahmeersuchen nach Art. 10 Dublin III-VO an die Antragsgegnerin. Diese lehnte dies mit Schreiben vom 25. Juli 2018 ab, weil ein EURODAC-Treffer zeige, dass der Asylantrag bereits am 29. März 2018 gestellt worden sei, so dass die dreimonatige Frist nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO abgelaufen und Griechenland zuständig sei. Auch seien keinerlei Dokumente zu den Verwandtschaftsverhältnissen vorgelegt worden.
7
Am 13. August 2018 wendeten sich die griechischen Behörden unter Vorlage von weiteren Dokumenten erneut an die Antragsgegnerin und legten dar, dass die Antragsteller am 29. März 2018 illegal nach Griechenland eingereist seien, ihnen an diesem Tag Fingerabdrücke abgenommen worden seien und sie ihre Absicht, einen Asylantrag stellen zu wollen, bekundet hätten. In die EURODAC-Datenbank sei ein Treffer der Kategorie 2 (illegale Einreise) eingepflegt worden. Die Familie sei aber erst am 16. April 2018 zur zuständigen Stelle gebracht worden, wo sie ihre Asylanträge gestellt hätten. Vor dem 16. April 2018 sei es zu keinem schriftlichen Dokument („certification“) und zu keinem Interview gekommen. Hierauf reagierte die Antragsgegnerin nicht.
8
Am 3. Dezember 2018 stellte die Antragsgegnerin selbst ein Rückübernahmeersuchen an Griechenland für … Dieses beschied Griechenland am 1. Februar 2019 abschlägig. Auf das Remonstrationsersuchen der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2019 rührte sich Griechenland nicht. Mit Bescheid vom 11. März 2019 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für … daraufhin im nationalen Verfahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG fest, nachdem ein Einstellungsbescheid des Bundesamtes vom 4. Juli 2017 vom Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2017 zuvor aufgehoben worden war.
9
Am 15. Februar 2019 erinnerte Griechenland an seine Anfrage hinsichtlich der Antragsteller, woraufhin das Bundesamt am 19. Februar 2019 mitteilte, dass die Antragsteller nicht übernommen würden. Ein weiteres Nachhaken der griechischen Behörden vom 8. März und 8. Juli 2019 und 14. Februar 2020 blieb von der Antragsgegnerin unbeantwortet, ein weiteres Ersuchen vom 13. November 2019 lehnte das Bundesamt ausdrücklich ab und verwies erneut auf die nicht nachgewiesenen Familienverhältnisse; ein Familienbuch sei nicht vorgelegt worden. Es erging der Hinweis, dass weitere Überprüfungen nicht erfolgen würden.
10
Mit am 15. Mai 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten stellten die Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO und beantragten,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Übernahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Ministerium für Citizen Protection - Nationales Dublin-Referat - für die Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 3) für zuständig zu erklären und auf ihre Überstellung hinzuwirken.
11
Zur Begründung wurde auf den bisherigen Verfahrensgang verwiesen und vorgetragen und belegt, dass … im Besitz einer bis zum 27. März 2020 gültigen Aufenthaltserlaubnis sei. Die Verlängerung sei beantragt, aber aufgrund der Maßnahmen zum Schutz vor Covid-19 noch nicht erfolgt. Die Antragsteller hätten einen Anspruch auf Durchführung der Asylverfahren in Deutschland nach Art. 10 Dublin III-VO sowie nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO jeweils i.V.m. Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCh aufgrund der engen familiären Verbundenheit und des Wohls von … Die Trennung der Familie sei im Jahr 2016 unfreiwillig erfolgt. Zwischen dem Antragsteller zu 1) und … bestehe täglicher Kontakt und trotz der räumlichen Trennung eine enge Verbundenheit und eine emotionale Nähebeziehung. Zum Anordnungsgrund trägt die Antragstellerseite vor, dass die Anhörung der griechischen Asylbehörden ab dem 15. Mai 2020 wieder stattfänden und wegen der finalen Ablehnung durch die Antragsgegnerin mit einer baldigen Anhörung und anschließenden Entscheidung in Griechenland zu rechnen sei.
12
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020,
den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
13
Zum weiteren Vorbringen der Parteien und wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakte, insbesondere die weiteren Schriftsätze vom 10. und 15. Juni 2020, verwiesen.
II.
14
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und begründet. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber auch zuständig.
15
1. Da sich sämtliche Antragsteller in Griechenland aufhalten, greift nicht die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO ein, sondern richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Antragsgegnerin, § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 5 VwGO (BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 6). Da das Bundesamt seinen Sitz in Nürnberg hat, ist das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zur Entscheidung zu ständig. Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragstellerin auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
16
2. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig. Die Antragssteller sind entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich hierfür ist die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eines subjektiven Rechts. In Betracht kommt für den Antragsteller zu 1) der Nachzug aufgrund von Art. 10 Dublin III-VO sowie nach der humanitären Ermessens-Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Hierauf kann sich der Antragsteller zu 1) als Vater und damit Familienangehöriger von … (vgl. Art. 2 Buchs. g Dublin III-VO) berufen. Für die Antragsteller zu 2) und zu 3) als Familienangehörige des Antragstellers zu 1) kommt in der Folge eine Zuständigkeit nach Art. 11 bzw. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in Betracht. Nicht berufen können sich die Antragsteller hingegen auf Art. 8 Dublin IIIVO; dies könnte allenfalls … selbst, die allerdings nicht als Antragstellerin im vorliegenden Verfahren auftritt.
17
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts und der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung allgemein ist ein Berufen vom Ausland aus auf die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO zur Familienzusammenführung möglich. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen dies nicht aus, die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO sprechen vielmehr dafür. Auch Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG streiten für dieses Ergebnis (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 19.7.2019 - AN 18 E 19.50355; B.v.6.4.2020 - AN 17 E 20.50103; VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 21).
18
Dem Antrag fehlt auch nicht das allgemeine Rechtschutzbedürfnis aufgrund einer teilweisen allgemeinen Aussetzung von Abschiebungen und Überführungen von Personen durch die Nationalstaaten wegen der aktuellen Gefahrenlage bzw. zur Eindämmung der pandemischen Ausbreitung des Corona-Virus. Ebenso wenig stehen die aktuell zum Teil noch bestehenden tatsächlichen Einschränkungen im Flug- und im sonstigen Reiseverkehr und nationale Einreisebestimmungen, die eine Zusammenführung der Familie in der Bundesrepublik derzeit möglicherweise noch verhindern könnten, dem Antrag entgegen. Der Antrag ist nicht auf tatsächliche Überführung der Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, so dass es auf die derzeitige eventuelle Unmöglichkeit der Durchführung nicht ankommt, sondern auf die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für eine Überführung, nämlich auf die Zustimmung der Antragsgegnerin zur einer - auch später noch möglichen, und nicht auf Dauer unmöglichen - Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland.
19
3. Der Antrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
20
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3/13 - juris).
21
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Antragsteller haben die besondere Eilbedürftigkeit - den Anordnungsgrund - (a) ebenso glaubhaft gemacht wie ihren Nachzugsanspruch (b) - den Anordnungsanspruch. Auch ist hier ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache möglich und geboten (c).
22
a) Die Dringlichkeit der Entscheidung besteht in der Gefahr des unmittelbar drohenden Rechtsverlustes. Durch den Fortgang des Asylverfahrens in Griechenland ist für die Antragsteller ein zeitnaher und dauerhafter Verlust des geltend gemachten Nachzugsrecht zur Tochter des Antragstellers zu 1) ernsthaft zu befürchten. Wenn das Asylverfahren in Griechenland durchgeführt und abgeschlossen ist, greifen in der Folge die Regelungen der Dublin III-VO nicht mehr ein (vgl. Art. 1 Dublin III-VO) und die Familienzusammenführung nach Art. 10 oder Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO wird auf Dauer ausgeschlossen (vgl. auch VG Münster, B. v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 69; VG Berlin, B. v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 36; VG Wiesbaden, B. v. 25.4.2019 - 4 L 478/19.WI.A). Da die Antragsgegnerin ihre Zuständigkeit gegenüber der griechischen Dublin-Einheit inzwischen mehrfach und auch eindeutig und definitiv abgelehnt hat, ist aus Sicht der griechischen Behörden realistischerweise nicht mehr mit der Übernahme durch die Antragsgegnerin zu rechnen und es muss mit einem Fortgang des nationalen griechischen Asylverfahrens und einer baldigen Entscheidung über den Asylantrag der Antragsteller gerechnet werden. Zwar sind konkret anstehende Verfahrensschritte der griechischen Asylbehörden wie eine Terminierung eines Anhörungstermins der Antragsteller nicht benannt und belegt worden. Hierzu kann es jedoch jederzeit, auch kurzfristig kommen, so dass von einer Dringlichkeit der Entscheidung auszugehen ist und der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht verfrüht ist.
23
b) Glaubhaft gemacht ist auch ein Anordnungsanspruch für alle Antragsteller. Für den Antragsteller zu 1) ergibt sich der Anspruch auf Zuständigkeitserklärung bereits aus Art. 10 Dublin III-VO. Das Eingreifen von 17 Abs. 2 Dublin III-VO kann damit dahinstehen.
24
Nach Art. 10 Dublin III-VO ist ein Mitgliedsstaat für weitere Familienmitglieder zuständig, wenn über den Asylantrag eines sich in diesem Mitgliedstaat befindenden anderen Familienmitglieds noch nicht in der Sache entschieden ist und dieses Familienmitglied diesen Wunsch schriftlich geäußert hat. Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO kommt es für die Beurteilung der Voraussetzungen auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Nachzugswilligen an. Damit ist hier auf den 16. April 2018 abzustellen. An diesem Tag stellten die Antragsteller in Griechenland schriftliche Asylanträge, worauf es nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO maßgeblich ankommt.
25
Zu diesem Zeitpunkt, am 16. April 2018, war über das Verfahren von … noch nicht in der Sache entschieden. Die Sachentscheidung erfolgte erst mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. Februar 2019. Die zuvor mit Bescheid vom 4. Juli 2017 erfolgte Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG stellte noch keine Sachentscheidung in diesem Sinn dar. Es handelt sich dabei lediglich um eine formelle Verfahrensbeendigung, die zudem auch keinen Bestand hatte, sondern vom Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2017 aufgehoben wurde. Am 16. April 2018 war das Verfahren von … auf jeden Fall wieder offen und nicht in der Sache entschieden.
26
Es bestand und steht auch umgekehrt nicht die Zuständigkeit Griechenlands für den Asylantrag von … Eine unvereinbare Kollision von Zuständigkeitsnormen liegt nicht vor. Weitergehende Überlegungen, welche Konsequenz dies für die Zuständigkeitsfrage gegebenenfalls hat, erübrigen sich damit. Für … richtete sich die Zuständigkeit nach den Verhältnissen am 16. Dezember 2016, dem Tag ihrer Asylantragstellung, Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich der Antragsteller zu 1) höchstwahrscheinlich nicht mehr in Griechenland, sondern mit großer Sicherheit wieder in Syrien auf. Zwar macht die Antragstellerseite keine genauen Angaben zum Zeitablauf der Rückreise des Antragstellers zu 1) nach Syrien, allerdings ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) am … 2016 in Syrien geheiratet haben. Der Antragsteller zu 3) ist am …2017 in Syrien geboren. Die Rückreise von Griechenland nach Syrien dürfte damit unmittelbar nach der gescheiterten Weiterreise von Griechenland nach Deutschland bzw. nach Nordmazedonien erfolgt sein, so dass Griechenland für den Asylantrag von … nicht nach Art. 8 bis 11 zuständig war und ist und auch am 16. Dezember 2016 kein anderes Mitgliedsland für … in Frage kam. Mangels eines entsprechenden EURODAC-Treffers für … bzw. den Antragsteller zu 1) aus dem Jahr 2015 oder 2016, schied auch eine Zuständigkeit aus Art. 13 Dublin III-VO aus. Die beigezogenen Behördenakten für die Antragsteller und für … weisen keinen Auszug aus der EURODAC-Datei auf, sondern lediglich griechische Registerauszüge in griechischer Sprache, die einen ersten EURODACEintrag für das Jahr 2018 nahelegen, aber keinen Treffer für 2015/2016 (s. S. 17/18 der Akte der Antragsteller). Die Antragsgegnerin ist der Aufforderung des Gerichts, einen aktuellen und vollständigen EURODAC-Auszug vorzulegen nicht nachgekommen. Der Aktenlage und dem Vortrag der Antragsteller folgend, ist - bei nur summarischer Prüfung des Gerichts - demnach davon auszugehen, dass für das Asylverfahren von … die Bundesrepublik Deutschland (stets) zuständig war.
27
Eine Erklärung von …, unterzeichnet von ihrer zum Vormund bestellten Tante, dass sie den Nachzug ihres Vaters wünscht, liegt als weitere Voraussetzung des Art. 10 Dublin III-VO vor. Daran, dass der Antragsteller zu 1) der Vater von … ist, bestehen für das Gericht keine vernünftigen Zweifel (s. Ausführungen im Folgenden).
28
Die Zuständigkeit nach Art. 10 Dublin III-VO für den Antragsteller zu 1) scheitert auch nicht am Ablauf der Frist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO. Danach ist das Übernahmeersuchen an den für zuständig erachteten Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten nach Asylantragstellung zu stellen, wobei sich die Frage der Asylantragstellung nach Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO richtet. Ist die Frist versäumt, ergibt sich die Zuständigkeit des ersuchenden Staates, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO. Ausgehend vom 16. April 2018 als Tag der Asylantragstellung in Griechenland war das Übernahmeersuchen Griechenland vom 13. Juli 2018 jedoch noch rechtzeitig.
29
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist nicht auf den 29. März 2018 abzustellen. Die von Griechenland vorgelegten Unterlagen (insbes. S. 17/18 der Asylakte der Antragsteller) geben keinen Hinweis darauf, dass ein Asylantrag im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO bereits am 29. März 2018 gestellt worden ist. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO liegt eine Asylantragstellung im Sinne der Dublin-Regularien erst vor, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Es muss demnach ein schriftliches Dokument abgefasst werden, ein mündlichen Gesuch genügt nicht bzw. nur bei Aufnahme eines schriftlichen Protokolls einer Behörde. Dies ergibt sich aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO, wonach bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein sollte (weil erst mit dem schriftlichen Protokoll eine Asylantragstellung im Sinne der Dublin III-VO vorliegt, vgl. zum Ausreichen und damit aber auch zur Notwendigkeit eines Schriftstücks EuGH, U.v. 26.7.2017 - C-670/16 - juris LS 3, Rn. 84 ff). Dass es am 29. März 2018 bereits zu einem Schriftstück i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO gekommen ist, wird von Griechenland verneint. Entgegen der Ausführungen der Antragsgegnerin existiert für den 29. März 2018 auch gerade kein EURODAC-Treffer der Kategorie 1, ein solcher liegt nach den Unterlagen Griechenlands vielmehr erst für den 26. April 2018 vor. Für den 29. März 2018 wurde von Griechenland vielmehr lediglich ein Treffer der Kategorie 2 in die EURODAC-Datei eingepflegt, der lediglich die illegale Einreise der Antragsteller an diesem Tag dokumentiert und gerade nicht die Asylantragstellung (vgl. Art. 9, Art. 14 und Art. 24 Abs. 4 Eurodac-VO). Diesen Sachverhalt hat Griechenland auch substantiiert und widerspruchsfrei dargelegt, er entspricht außerdem dem Vortrag der Antragsteller, während die Antragsgegnerin den Vortrag lediglich pauschal bestreitet und die eigene Auffassung auch nicht z. B. durch einen eigenen EURODAC-Treffer-Auszug dem Gericht gegenüber belegt hat, obwohl sie hierzu vom Gericht aufgefordert worden ist. Dass eine Asylantragstellung erst zwei Wochen nach der Einreise in Griechenland erfolgte, erscheint angesichts des hohen Flüchtlingsaufkommens in Griechenland auch nicht unglaubhaft. Die Asylantragstellung in Griechenland am 16. April 2018 ist den griechischen Behörden demnach abzunehmen und dieser Entscheidung zugrunde zu legen.
30
Das Aufnahmeersuchen Griechenlands vom 13. Juli 2018 enthielt auch die notwendigen Angaben und Beweismittel bzw. Indizien zur Feststellung des Vater-Tochter-Verhältnisses. Dem Gesuch lag eine Urkunde bei über die Abstammung von … Der Antragsteller zu 1) ist darin unter dem Namen „…“ und der „ID-Nummer …“ als Vater von … eingetragen (vgl. S. 22 der Behördenakte der Antragsteller). Noch nicht beigefügt war lediglich die deutsche Übersetzung der Urkunde; diese wurde erst mit dem Remonstrationsschreiben vom 13. August 2018 beigefügt (s. S. 62 der Akte). Auf die Vorlage einer deutschen Übersetzung innerhalb der Frist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1, UAbs. 3 Dublin III-VO kommt es jedoch nicht an. Es genügt, wenn die Original-Urkunde fristgerecht vorgelegt wurde. Die Vorlage einer Übersetzung fordern die hierfür maßgeblichen Vorschriften der Art. 22 Abs. 2 bis Abs. 5 Dublin III-VO gerade nicht, vielmehr bestimmt Art. 22 Abs. 4 Dublin III-VO, dass das Beweiserfordernis nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen soll. Auch Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO verlangt lediglich kohärente, nachprüfbare und hinreichend detaillierte Beweismittel oder Indizien. Vorliegend durfte Griechenland auch davon ausgehen, dass die Urkunde mit deutscher Übersetzung der Antragsgegnerin bereits bekannt war, weil zu erwarten war, dass sie im Verfahren von … bereits vorgelegt worden ist. Das Übernahmegesuch von Griechenland vom 13. Juli 2018 war somit vollständig und somit fristwahrend.
31
Nach der vorgelegten Kopie der Abstammungsurkunde mit - zulässig nachgereichter - Übersetzung und der Kopie des iranischen Personalausweises des Antragstellers zu 1) mit dessen Übersetzung bestehen für das Gericht auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass es sich beim Antragsteller zu 1) tatsächlich um den Vater von … handelt. Durch die Angabe der ID-Nummer in der Abstammungsurkunde, die auch in dem vom Antragsteller zu 1) vorgelegten Personalausweis auftaucht, ist ausreichend belegt, dass der Antragsteller zu 1) der tatsächliche Vater von … ist und kein Dokument einer dritten Person zur Vortäuschung einer Vater-Kind-Beziehung vorgelegt wurde.
32
Griechenland hat auf die Ablehnung der Antragsgegnerin vom 25. Juli 2019 auch die dreiwöchige Remonstrationsfrist nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1, 2 Dublin-Durchführungs-VO eingehalten, so dass es auch insofern nicht zu einer Zuständigkeitsverschiebung auf Griechenland gekommen ist. Ob eine Versäumung dieser Frist gegebenenfalls überhaupt zu einem Zuständigkeitsübergang führen kann, kann damit offenbleiben.
33
Nach alledem ist die Antragsgegnerin für den Antragsteller zu 1) nach Art. 10 Dublin III-VO zuständig. Auf weitergehende Erwägungen, insbesondere Kindeswohlaspekte, kommt es für Art. 10 Dublin III-VO nicht an, so dass die Überprüfung der Tragfähigkeit der familiären Verhältnisse entbehrlich ist.
34
Für die Antragsteller zu 2) und zu 3) folgt die Zuständigkeit der Antragsgegnerin daraus, dass diese Familienangehörige des Antragstellers zu 1) sind (vgl. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO) und damit zusammen mit dem Antragsteller zu 1) ein Familienverfahren durchzuführen ist. Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus Art. 11 Dublin III-VO. Eine Trennung der Antragsteller zu 1) bis 3) widerspräche jedoch der klaren Intention der Dublin III-VO, nach der die Familieneinheit zu wahren ist (vgl. Art. 9 bis 11, Art. 16 und 17 Dublin III-VO und die Erwägungsgründe 13 bis 17 zur Dublin III-VO). Ein Nachzugsanspruch der Antragstellerin zu 2) und des Antragsstellers zu 3) zum Antragsteller zu 1) ergibt sich damit jedenfalls nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Eine Ermessensreduzierung auf null ist innerhalb einer Kernfamilie mit Kleinkind und gemeinsamer Reise ohne Weiteres gegeben (vgl. zur Ermessensreduktion auf null hinsichtlich minderjährigem jüngeren Kind auch VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 - AN 17 E 20.50103 - juris).
35
c) Die mit dieser Anordnung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache ist vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise zulässig, da ansonsten ein nicht umkehrbarer Übergang der Zuständigkeit auf Griechenland zu befürchten ist und die Familieneinheit der Antragsteller mit … und untereinander - jedenfalls basierend auf der Dublin III-VO - nicht mehr herbeigeführt werden könnte.
36
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
37
5. Diese Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.