Inhalt

VG München, Beschluss v. 27.04.2020 – M 24 K 19.6363
Titel:

Mangelnde Mitwirkung bei der Beschaffung eines Passes

Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114
BeschV § 32
AufenthG § 4a Abs. 4, § 60a Abs. 6, § 60b Abs. 5 S. 2, § 105
AsylG § 42
Leitsatz:
Der Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung kann der Ausländer keine verfolgungsbezogenen Gefahren durch den Herkunftsstaat entgegenhalten, wenn solche Gefahren im Asylverfahren verneint wurden.     (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Prozesskostenhilfe (abgelehnt), Duldung wegen Passlosigkeit, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Mangelnde Mitwirkung bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes, Erwerbstätigkeitsverbot, Prozesskostenhilfeantrag, Mitwirkungspflicht, Gefahr durch Herkunftsstaat
Fundstelle:
BeckRS 2020, 13725

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt von der Ausländerbehörde des Beklagten die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis.
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Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben iranischer Staatsangehöriger, reiste am … November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Bereits im Asylverfahren legte der Kläger eine iranische Geburtsurkunde als Identitätsnachweis vor (Behördenakte Blatt 83 ff.). Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom … Januar 2017 vollumfänglich ab. Rechtsbehelfe dagegen blieben ohne Erfolg. Der ablehnende Asylbescheid ist seit 2. August 2018 bestandskräftig.
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Laut einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom … Mai 2018 wurde der Kläger vom Amtsgericht … mit Strafbefehl vom ... März 2016 (rechtskräftig seit … Mai 2016) wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verurteilt (Behördenakte Blatt 219).
4
Mit Schreiben vom ... August 2018 wurde der Kläger von der Ausländerbehörde unter Hinweis auf die Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht ausführlich über seine Passpflicht und die Pflicht, bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken, belehrt und aufgefordert, bis spätestens … August 2018 bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung vorzusprechen, um ein gültiges Reisedokument zu beantragen und der Ausländerbehörde hierüber einen entsprechenden Nachweis vorzulegen (Behördenakte Bl. 236). Laut einer Aktennotiz vom ... September 2018 verweigerte der Kläger die Mitwirkung bei der Ausfüllung eines Antragsformulars für einen Pass oder ein Passersatzpapier mit Hinweis darauf, zunächst Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt halten zu wollen.
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In der Folgezeit wurde der Aufenthalt des Klägers wegen Passlosigkeit geduldet.
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Der Kläger wurde anschließend jeweils im Zusammenhang mit der Verlängerung seiner Duldungsbescheinigung umfänglich über seine Passpflicht und seine Pflicht zur Mitwirkung bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers belehrt und dabei auch auf die Folgen fehlender Mitwirkung unter anderem auch für die Beschäftigungserlaubnis hingewiesen (am … März 2019, … April 2019, ... Juni 2019, ... Juli 2019 und … August 2019, s. Behördenakte Blatt 316, 321, 323, 380, 388). Auf seinen Anträgen auf Verlängerung der Duldung gab der Kläger jeweils an, er besitze nicht das für die Rückkehr in sein Heimatland notwendige Reisedokument und habe auch keine Maßnahmen getroffen, um seine Identität nachzuweisen, da er auf Bescheid von seinem Anwalt warte.
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Am … August 2019 erstattete die Ausländerbehörde Anzeige gegen den Beklagten wegen Verstoßes gegen die Passpflicht. In der Beschuldigtenvernehmung durch die zuständige Polizeidienststelle (Behördenakte Blatt 410 ff.) gab der Kläger an, sich dann einen Pass ausstellen zu lassen, wenn er in Deutschland bleiben dürfe. Da er als Christ im Iran politisch verfolgt werde und deswegen Angst habe, in den Iran auszureisen, werde er auch weiterhin keine Bemühungen hinsichtlich der Passbeschaffung anstellen.
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Zu seinen Duldungen erhielt der Kläger vom ... Dezember 2017 bis zum … Oktober 2019 Beschäftigungserlaubnisse für die Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter bei der Firma … … … Am ... September 2019 beantragte der Kläger die Verlängerung der Beschäftigungserlaubnis für eine Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter bei der Firma … … … Dem Antrag lag unter anderem ein Führungszeugnis vom … April 2019 bei, das keine Eintragungen enthielt (Behördenakte Blatt 421).
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Mit Schreiben vom … September 2019 hörte die Ausländerbehörde den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung der beantragten Beschäftigungserlaubnis an (Behördenakte Blatt 431). Mit Schriftsätzen vom … Oktober und vom … November 2019 nahmen die jeweiligen Bevollmächtigten des Klägers dazu Stellung.
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Mit Bescheid vom 9. Dezember 2019, zugestellt am 12. Dezember 2019, lehnte die Ausländerbehörde des Beklagten den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis vom ... September 2019 ab. Es bestehe ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot aus § 60a Abs. 6 AufenthG, das der Erteilung einer Erlaubnis entgegenstehe. Die Abschiebung in den Heimatstaat habe bisher nur deswegen nicht durchgeführt werden können, weil der Kläger nicht über ein gültiges Heimreisedokument verfüge. Trotz mehrfacher Aufforderung habe er keinen gültigen Pass oder Passersatz vorgelegt oder an der Beschaffung von Heimreisepapieren mitgewirkt. Der Kläger habe das Ausreisehindernis daher zu vertreten. Der Kläger falle auch nicht unter die künftige Neuregelung einer sogenannten Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG), da er nicht über einen Pass verfüge und auch nicht alle erforderlichen Maßnahmen zur Erlangung eines Passes oder Passersatzpapieres ergriffen habe. Im Zuge der nächsten Vorsprache zur Verlängerung seiner Duldung werde ihm eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dem Vermerk „Person mit ungeklärte Identität“ ausgestellt, dann dürfe ihm die Erwerbstätigkeit gemäß § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht erlaubt werden.
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Am 18. Dezember 2019 ließ der Kläger Klage erheben mit dem Antrag,
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den Bescheid vom 9. Dezember 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Außerdem wurde sinngemäß beantragt,
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dem Kläger unter Beiordnung der Kanzlei seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz zu bewilligen.
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Zu Unrecht gehe der Beklagte vom Vorliegen eines Versagungsgrundes aus. Im vorliegenden Fall scheitere die Abschiebung nicht an der mangelnden Mitwirkung des Klägers, sondern daran, dass diesem aufgrund seiner christlichen Religionszugehörigkeit in seinem Heimatland ernsthafter Schaden drohe und er deshalb nicht in der iranischen Botschaft vorstellig werden könne. Im Übrigen bedürfe es keines Passes, da die Identität durch die iranische Geburtsurkunde des Klägers hinreichend belegt sei. Eine Duldung für Personen mit ungeklärte Identität nach § 60b AufenthG komme im Falle des Klägers nicht in Betracht. Der Kläger habe außerdem besondere Integrationsleistungen erbracht, die zu seinen Gunsten zu berücksichtigen seien. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2020 wurde ergänzend vorgetragen, nach § 105 Abs. 2 AufenthG finde § 60b AufenthG bis zum 1. Juli 2020 keine Anwendung, wenn der Ausländer sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinde und zwar auch dann, wenn bislang keine Beschäftigungs- oder Ausbildungsduldung erteilt worden sei. Dem Kläger sei zu Unrecht eine Duldung nach § 60b AufenthG erteilt worden, obwohl er sich in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma … … … befunden habe.
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Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2020 nahm der Beklagte zum Verfahren Stellung. Er beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Es liege ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor. Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG , § 5 Abs. 2 Nr. 2 Aufenthaltsverordnung sei ein Ausländer, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitze, verpflichtet, an der Beschaffung derartiger Papiere mitzuwirken und alle hierfür erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen vorzulegen sowie die geforderten Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Er sei im Rahmen der Mitwirkungspflichten auch gefordert, eigeninitiativ ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet seien, die Passlosigkeit zu beseitigen. Neben den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG genannten Fällen von Täuschung und Falschangaben könne auch in der unzureichenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung grundsätzlich ein Versagungsgrund zu sehen sein, der ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot begründe. Auch das bloße Unterlassen jeglicher Mitwirkung bei der Passbeschaffung stelle einen Versagungsgrund in diesem Sinne dar, weil die Weigerung, an der Passbeschaffung mitzuwirken, im Ergebnis eine Aufenthaltsbeendigung nicht weniger behindere als (aktive) Falschangaben oder Täuschungshandlungen über die eigene Identität. Mit Schriftsatz vom … Januar 2020 trug der Beklagte ergänzend vor, seit dem ... Januar 2020 sei der Vermerk gemäß § 60b Abs. 1 AufenthG (Duldung für Personen mit ungeklärter Identität) in die Duldung aufgenommen worden. § 105 Abs. 2 AufenthG komme nicht zum Tragen, da ein Beschäftigungsverhältnis seit ... November 2019 nicht mehr bestanden habe.
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Mit Beschluss vom … April 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurden die Beteiligten zur Möglichkeit einer Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheids angehört.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des Eilverfahrens sowie des Klageverfahrens und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten bleibt ohne Erfolg.
22
Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 VwGO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
23
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen der Partei ebenso wahrscheinlich ist wie ihr Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife oder - sofern für den Betroffenen günstiger - spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag (OVG BB, B.v. 11.9.2007 - 2 M 44/04 - NVwZ-RR 2008, 287, 288) als zumindest offen zu beurteilen sein (BayVGH, B.v. 23.10.2005 - 10 C 04.1205 - juris). Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu gewähren, wenn im gerichtlichen Verfahren schwierige Rechtsfragen zu klären oder hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage der zu treffenden Entscheidung Beweis zu erheben ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 23.11.2004 - 7 S 2219/04 - juris Rn. 4). Auch soll die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlegen (BVerfG, B.v. 4.2.2004 - 1 BvR 596/03 - NJW 2004, 1789). Schwierige oder noch nicht geklärte Rechtsfragen können deshalb nicht im Prozesskostenhilfe-Verfahren einer Klärung zugeführt werden (BVerfG, B.v. 4.2.2004, a.a.O.; BayVGH, B.v. 23.10.2005, a.a.O.).
24
Im vorliegenden Fall bestehen weder im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Gericht am …12.2019 - siehe unter 1.) noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag (siehe unter 2.) hinreichende Erfolgsaussichten für die in der Hauptsache erhobene Klage. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, über den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bei der Firma … … … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Erteilung der beantragten Beschäftigungserlaubnis steht sowohl im Zeitpunkt der Bewilligungsreife als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ein Erwerbstätigkeitsverbot entgegen.
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1. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (... Dezember 2019) ist die damals geltende Fassung des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG - siehe Beck-Texte im dtv, 34. Aufl. 2019, Nr. 6). Maßgeblich für die Sachlage im Zeitpunkt der Bewilligungsreife ist, dass der Kläger am … Dezember 2019 noch nicht Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ gewesen ist.
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Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Zeitpunkt der Bewilligungsreife ist § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 der Beschäftigungsverordnung (BeschV). Nach diesen Vorschriften kann die Ausländerbehörde einem geduldeten Ausländer mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit die Beschäftigung erlauben, wenn er sich seit drei Monaten erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält. Unter welchen Voraussetzungen es keiner Zustimmung der Bundesagentur bedarf, ist in § 32 Abs. 2 BeschV geregelt. Die Entscheidung über die Beschäftigungserlaubnis steht im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde.
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Im vorliegenden Fall lag aber bereits im Zeitpunkt der Bewilligungsreife ein Erwerbstätigkeitsverbot gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG vor, wonach die Ausländerbehörde kraft Gesetzes an einer für den Kläger positiven Ermessensentscheidung gehindert war. Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Erwerbstätigkeit insbesondere dann nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können (§ 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), wobei er solche Gründe insbesondere dann zu vertreten hat, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt (§ 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG).
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Entscheidend ist, dass die Abschiebung aus Gründen, die im Verantwortungsbereich des Ausländers liegen, nicht durchgeführt werden kann. Hinsichtlich der Kausalität zwischen der Verletzung von Mitwirkungspflichten und der Erfolglosigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen gilt eine tatsächliche widerlegbare Vermutung zulasten des Ausländers (BVerwG, U.v. 26. Oktober 2010 - 1 C 18/09 - juris Rn. 20). Es können nur solche Gründe der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis entgegengehalten werden, die aktuell den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen hindern. Gründe, die den Vollzug ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben, sind daher unbeachtlich (vgl. BayVGH Urt. v. 28.4.2011 - 19 ZB 11.875; NdsOVG Beschluss vom 8.11.2005 - ME 397/05). Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AufenthG können daher nur durch ein gegenwärtig an den Tag gelegtes schuldhaftes Mitwirkungsversäumnis erfüllt werden, das kausal zu einem - ebenfalls gegenwärtigen - Abschiebungshindernis führt. Wirkt der betreffende Ausländer daher im Laufe des Verfahrens wieder mit und legt z.B. aktuelle Dokumente zu seiner Identität vor, liegen die Voraussetzungen für eine Versagensentscheidung nicht - mehr - vor (Kluth/Breidenbach in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.11.2018, AufenthG § 60a Rn. 54).
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Im vorliegenden Fall ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife im Hinblick auf eine (absichtliche) Täuschung oder falsche Angaben hinsichtlich der Identität des Klägers nichts ersichtlich. Neben den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG beispielhaft aufgeführten Fällen der Täuschung und Falschangaben kann auch in der unzureichenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung grundsätzlich ein Versagungsgrund nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu sehen sein, der ein absolutes Erwerbstätigkeitsverbot und einen Versagungsgrund für die Ausbildungsduldung begründet (Kluth/Breidenbach in BeckOK, Ausländerrecht, Stand 1.11.2018, AufenthG § 60a Rn. 53).
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Im Hinblick auf den Umfang der Mitwirkungspflichten und die Vorwerfbarkeit eines Verstoßes gilt nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 - juris Rn. 25; B.v. 7.5.2018 - 10 CE 18.464 - juris Rn. 11 m.w:N.), der das erkennende Gericht folgt, im Wesentlichen Folgendes: Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer ist im Rahmen seiner ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (§ 48 Abs. 3 und § 82 Abs. 1 AufenthG) gefordert, bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit zutreffende Angaben zu machen, an allen zumutbaren Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangen, und darüber hinaus eigeninitiativ ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet sind, seine Identität und Staatsangehörigkeit zu klären und die Passlosigkeit zu beseitigen. Zu den denkbaren Schritten kann auch die Beschaffung von Identitätsnachweisen über Dritte (beispielsweise beauftragte Rechtsanwälte) im Herkunftsland gehören (vgl. OVG MV, U.v. 24.6.2014 - 2 L 192/10 - juris). Die Verletzung von gesetzlichen Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 und § 82 Abs. 1 AufenthG durch Unterlassen steht nicht per se eigenen Falschangaben oder Täuschungshandlungen gleich (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 17/12 - juris Rn. 17). Unter Berücksichtigung der genannten Regelbeispiele muss eine mangelnde Mitwirkung ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen und ein Bleiberecht zu versagen (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18/09 - juris Rn. 17). Wenngleich dem Ausländer mithin eine Initiativpflicht obliegt, ist diese durch die Ausländerbehörde dergestalt zu aktualisieren, dass sie den Ausländer unter konkreter Benennung des Abschiebungshindernisses zu dessen Beseitigung auffordert, wobei ein allgemeiner Hinweis auf die Passpflicht sowie allgemeine Belehrungen nur bei Offensichtlichkeit der einzuleitenden Schritte genügen dürften (vgl. Röder/Wittmann, Aktuelle Rechtsfragen der Ausbildungsduldung, ZAR 2017, 345/351). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss die Ausländerbehörde gesetzliche Mitwirkungspflichten beispielsweise zur Beschaffung von Identitätspapieren konkret gegenüber dem Betroffenen aktualisiert haben, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (vgl. für § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG BVerwG, U.v. 26.10.2010 - 1 C 18/09 - juris Rn. 17). Auch das bloße Unterlassen jeglicher Mitwirkung bei der Passbeschaffung stellt einen Versagungsgrund im Sinn von § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dar (OVG LSA, B.v. 9.7.2014 - 2 L 169/12 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 28.4.2011 - 19 ZB 11.875 - juris Rn. 4 zu § 11 Satz 1 BeschVerfV), weil die Weigerung, an der Passbeschaffung mitzuwirken, im Ergebnis eine Aufenthaltsbeendigung nicht weniger behindert als (aktive) Falschangaben oder Täuschungshandlungen über die eigene Identität (OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.8.2013 - OVG 3 M 39.13 - juris Rn. 8; BayVGH, B. v. 11.11.2016 - 10 C 16.1790 - juris Rn. 9).
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Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Abschiebung des Klägers kann gerade deswegen nicht durchgeführt werden, weil er nicht über einen Pass oder ein Passersatzpapier verfügt. Die Ausländerbehörde hat den Kläger bereits mit Schreiben vom ... August 2018 ausführlich über seine Passpflicht und die Pflicht, bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres mitzuwirken, belehrt. Konkret hat sie ihn unter Fristsetzung bis spätestens … August 2018 dazu aufgefordert, bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung vorzusprechen, um ein gültiges Reisedokument zu beantragen. Der Kläger blieb jedoch untätig und verweigerte zudem die Mitwirkung bei der Ausfüllung eines Antragsformulars für einen Pass oder ein Passersatzpapier mit dem Hinweis darauf, zunächst mit seinem Rechtsanwalt Rücksprache halten zu wollen. Zahlreiche weitere Belehrungen über seine Mitwirkungspflicht jeweils im Zusammenhang mit der Verlängerung der Duldung blieben erfolglos. Der Kläger wies jeweils darauf hin, keine Maßnahmen zur Beschaffung eines Identitätsdokuments getroffen zu haben, da er auf einen Bescheid von seinem Rechtsanwalt warte. Selbst eine Anzeige durch die Ausländerbehörde bei der zuständigen Polizeidienststelle wegen Verstoßes gegen die Passpflicht, vermochte den Kläger nicht zur Mitwirkung zu bewegen. Bei seiner Vernehmung hierzu gab der Kläger vielmehr an, auch weiterhin keine Bemühungen hinsichtlich der Passbeschaffung anstellen zu wollen, solange er nicht in Deutschland bleiben dürfe. Unter Würdigung aller Umstände liegt ein hinreichend gewichtiger Mitwirkungsverstoß vor, da sich der Kläger der ihm gegenüber hinreichend konkretisierte Pflicht, einen Pass oder ein Passersatzpapier zu beantragen, gänzlich verweigert hat.
32
Der Kläger kann sich auch nicht etwa mit Erfolg darauf berufen, eine Vorsprache bei Vertretern seines Heimatsstaats sei ihm unzumutbar, da er als Christ Verfolgungshandlungen seitens seines Heimatsstaats befürchte. Das BAMF hat sich im Asylverfahren ausführlich mit der Frage einer Verfolgung durch den Heimatstaat auseinandergesetzt und entschieden, dass für den Kläger seitens des Heimatstaates keine relevante Gefahr ausgeht. Diese Entscheidung ist unanfechtbar und gemäß § 42 AsylG für die Ausländerbehörde verbindlich. Die Ausländerbehörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger die Beantragung eines Passes oder Passersatzpapieres bei der Vertretung seines Heimatstaats zumutbar ist.
33
Das Fehlen eines Passes oder Passersatzpapieres ist auch kausal für die Unmöglichkeit der Abschiebung, da diese gerade wegen der Passlosigkeit des Klägers nicht durchgeführt werden kann. Auf die Tatsache, dass der Kläger eine Geburtsurkunde besitzt, aus der sich seine Identität ergibt, kommt es nicht an, da allein mit der Geburtsurkunde eine Abschiebung nicht möglich ist, es vielmehr eines Passes oder Passersatzes bedarf. Der Einwand des Klägers, seine Identität sei nicht ungeklärt, da sie sich aus der Geburtsurkunde ergebe, ist daher unbehelflich.
34
Nachdem der Kläger das aufgrund seiner Passlosigkeit bestehende Abschiebungshindernisses wegen zumutbarer, aber verweigerte Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu vertreten hat, durfte dem Kläger im Zeitpunkt der Bewilligungsreife wegen des gesetzlichen Erwerbstätigkeitsverbots aus § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG eine Beschäftigungserlaubnis nicht erteilt werden. Die auf Neubescheidung gerichtete Klage hatte im Zeitpunkt der Bewilligungsreife daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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2. Auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag hat die auf Bescheidung gerichtete Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
36
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage ist insoweit die derzeit gültige Fassung des AufenthG (siehe Beck-Texte im dtv, 34. Aufl. 2019, Nr. 6a). Maßgeblich für die Beurteilung der Sachlage ist im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag, dass der Kläger nunmehr Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ ist.
37
Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist § 4a Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 32 BeschV in der aktuell gültigen Fassung. Nach diesen Vorschriften kann die Ausländerbehörde einem geduldeten Ausländer mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit die Beschäftigung erlauben, wenn er sich seit drei Monaten erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhält. Unter welchen Voraussetzungen es keiner Zustimmung der Bundesagentur bedarf, ist in § 32 Abs. 2 BeschV geregelt. Die Entscheidung über die Beschäftigungserlaubnis steht im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde.
38
Im vorliegenden Fall liegt allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das Erwerbstätigkeitsverbot aus § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG vor, wonach dem Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden darf. Der Kläger besitzt seit dem ... Januar 2020 eine Duldung mit einem solchen Zusatz. Es handelt sich dabei um einen Verwaltungsakt mit belastender Nebenbestimmung. Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass die Nebenbestimmung nichtig oder vom Kläger mit Erfolg angefochten worden wäre, ist von der Wirksamkeit der Duldung mit Zusatz auszugehen. Die Frage, ob der Duldungszusatz zu Recht in die Duldung aufgenommen wurde, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht.
39
Die Anwendbarkeit des § 60b AufenthG auf den vorliegenden Fall ist auch nicht etwa gemäß § 105 Abs. 2 oder Abs. 3 AufenthG ausgeschlossen. § 105 Abs. 2 AufenthG ist nicht einschlägig, da sich der Kläger bereits seit ... November 2019 nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis befand. § 105 Abs. 3 AufenthG ist nicht einschlägig, da der Kläger die Voraussetzungen für eine Beschäftigungsduldung nach § 60d AufenthG nicht erfüllt.
40
Gemäß § 60d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist Voraussetzung für die Erteilung einer Beschäftigung u.a., dass der ausreisepflichtige Ausländer nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Verurteilungen im Sinne von § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) wegen Straftaten, die nach dem AufenthG oder dem AsylG nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs vom … Mai 2018 wurde der Kläger vom Amtsgericht … am ... März 2016 (rechtskräftig seit 11. Mai 2016) wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Diese Verurteilung steht einem Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung gemäß § 60 d AufenthG entgegen. Die Verurteilung kann dem Kläger auch noch entgegengehalten werden. Die Tilgungsfrist für Einträge in das Bundeszentralregister beträgt bei Verurteilungen zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen 10 Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Nicht maßgeblich für die Frage, ob dem Kläger die Straftat noch entgegengehalten werden kann, ist die Frage, ob die Straftat im Führungszeugnis erscheint, wo insoweit kürzere Streichungsfristen gelten (vergleiche § 34 BZRG), weil § 60d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht auf das Führungszeugnis abstellt.
41
Da dem Kläger wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht erteilt werden darf, findet die Übergangsvorschrift des § 105 Abs. 3 AufenthG, wonach § 60b AufenthG unanwendbar wäre, für den Kläger keine Anwendung. Es bleibt daher bei dem Erwerbstätigkeitsverbot des § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach Ausländern, die über eine Duldung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ verfügen, die Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden darf.
42
Auch zum derzeitigen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat daher die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
43
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten war daher abzulehnen.
44
Das Prozesskostenhilfeverfahren ist kostenfrei.