Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 05.05.2020 – 2 WF 98/20
Titel:

Zur Einkommensqualität des Erziehungsbeitrages des Pflegegeldes

Normenketten:
FamFG § 76 Abs. 1
ZPO § 115 Abs. 1 S. 1
SGB VIII § 27, § 33, § 39 Abs. 6 S. 2
Leitsätze:
1. Nur der Erziehungsbeitrag des Pflegegeldes nach § 39 Abs. 2 S. 3 1. Alt., Abs. 4 - 6 SGB VIII ist Einkommen iSd § 115 Abs. 1 S. 1 ZPO. (Rn. 8 – 9)
2. Die fehlende Einkommensqualität des Erziehungsbeitrages des Pflegegeldes nach § 33 SGB VIII für ein erstes und zweites Pflegekind im Rahmen des SGB II-Verfahrens ist für die Einkommensermittlung in der Verfahrenskostenhilfe nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 ZPO unbeachtlich. (Rn. 9)
3. Die Einkommensbestimmung für die Verfahrenskostenhilfe richtet sich nach sozialhilferechtlichen Maßstäben. Dort sind die Regelungen zum Einkommensbegriff des SGB II nur bei der gemischten Bedarfsgemeinschaft zu beachten, also bei der Berücksichtigung des Sozialleistungsbezuges des Partners des Sozialhilfeempfängers, was bei der Verfahrenskostenhilfebewilligung nicht in Betracht kommt, weil hier nur auf das Einkommen des Gesuchstellers abzustellen ist. (Rn. 9)
Schlagworte:
Einkommen bei Bezug von Pflegegeld für ein Pflegekind, Einkommensermittlung, gemischte Bedarfsgemeinschaft, Kindergeld, Pflegekind, Erziehungsbeitrag, Pflegegeld
Vorinstanzen:
AG Aschaffenburg, Beschluss vom 24.04.2020 – 4 F 1476/19
AG Aschaffenburg, Beschluss vom 03.04.2020 – 4 F 1476/19
Weiterführende Hinweise:
Die zugelassene Rechtsbeschwerde wurde nicht eingelegt!
Fundstellen:
JurBüro 2020, 492
MDR 2020, 1086
FamRZ 2020, 1569
NJOZ 2020, 1381
LSK 2020, 13454
BeckRS 2020, 13454

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Aschaffenburg vom 03.04.2020 dahingehend abgeändert, dass die ab 01.06.2020 aus dem Einkommen der Antragsgegnerin zu zahlenden Monatsraten 146,00 Euro betragen.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
3. Die Zurückweisungsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Auf Antrag der Antragsgegnerin hat das Amtsgericht Aschaffenburg mit Beschluss vom 03.04.2020 der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren (Umgangsrecht) unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt und angeordnet, dass die Antragsgegnerin aus ihrem Einkommen Monatsraten von 278,00 Euro beginnend mit 01.06.2020 an die Landesjustizkasse Bamberg zu zahlen hat. Dabei hat das Amtsgericht als Einkommen der Antragsgegnerin das von dieser bezogene Kindergeld für ihr Pflegekind von 204,00 Euro monatlich, die Rente von 1.169,09 Euro monatlich und ein Pflegegeld von 973,00 Euro monatlich angerechnet und hiervon Unterkunftskosten von 280,00 Euro, eine Darlehensbelastung von insgesamt 650,00 Euro und den Beteiligtenfreibetrag von 501,00 Euro sowie einen Freibetrag für das Pflegekind von 358,00 Euro in Abzug gebracht. Mit dem verbleibenden Einkommen von 557,09 Euro hat das Amtsgericht Monatsraten von 278,00 Euro ermittelt. Bei dem Pflegekind der Antragsgegnerin handelt es sich um deren Enkelkind.
2
Im Übrigen wird auf den Beschluss vom 03.04.2020 verwiesen.
3
Der Beschluss vom 03.04.2020 wurde am 06.04.2020 an die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zugestellt. Mit am 14.04.2020 beim Amtsgericht eingegangenem Anwaltsschreiben hat die Antragsgegnerin gegen den Beschluss vom 03.04.2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wendet sich dabei ausschließlich gegen die Anordnung einer monatlichen Ratenzahlung aus ihrem Einkommen in Höhe von 278,00 Euro. Hierzu macht sie geltend, dass das Pflegegeld, das zwischenzeitlich 1.026,00 Euro betrage, nicht als Einkommen der Antragsgegnerin angerechnet werden dürfe, weshalb kein einzusetzendes Einkommen vorhanden sei.
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Nach dem Bescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 29.11.2019 setzt sich dieser Monatszahlbetrag wie folgt zusammen: Unterhaltsbedarf des Pflegekindes 374,00 Euro x 2 = 748,00 Euro, Erziehungsbeitrag 350,00 Euro, Beihilfepauschale 30,00 Euro, abzüglich halbes Kindergeld 102,00 Euro = 1.026,00 Euro. Der Bezug des Pflegegeldes beruht auf §§ 27, 33, 39 SGB VIII. Die Beihilfepauschale von 30,00 Euro wird für Individualleistungen für das Pflegekind wie Urlaub, Fahrrad, Klassenfahrten usw. gewährt.
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Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 24.04.2020 nicht abgeholfen, da vorliegend zu vermuten sei, dass die Gesamtleistung auch zur Schuldentilgung und allgemeinen Lebensführung der Pflegemutter verwendet werde.
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Mit Beschluss vom 5.05.2020 wurde die Entscheidung dem Senat übertragen.
II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Die gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 2 ZPO festzusetzende Rate beträgt vorliegend 146,00 Euro, da die Antragsgegnerin über ein monatliches einzusetzendes Einkommen (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1, Abs. 2 ZPO) von 292,09 Euro verfügt.
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In Abweichung von der angefochtenen Entscheidung ist der Antragsgegnerin nur der Erziehungsbeitrag der Pflegeleistung nach § 39 Abs. 2 S. 3 1. Alt., Abs. 4 - 6 SGB VIII in Höhe von 350,00 Euro als Einkommen zuzurechnen. Der in der Monatsleistung von 1.026,00 Euro beinhaltete Unterhaltsbedarf des Pflegekindes von 748,00 Euro + 30,00 Euro abzüglich 102,00 Euro halbes Kindergeld (§ 39 Abs. 6 S. 2 SGB VIII) ist eigenes Einkommen des Pflegekindes. Soweit die Antragsgegnerin diesem Pflegekind selbst Unterhalt gewährt, gehen die Einnahmen des Pflegekindes über den insoweit zu berücksichtigenden Freibetrag von vorliegend 358,00 Euro hinaus, so dass ein Freibetragsansatz für das Pflegekind zu unterbleiben hat.
9
Der Erziehungsbeitrag des Pflegegeldes ist Einkommen der Antragsgegnerin als Pflegemutter (OLG Bremen FamRZ 2013, 1755; OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1361). Soweit dies abgelehnt wird (OLG Stuttgart FamRZ 2017, 1587), weil nach § 11 a Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 SGB II diese Leistungen nicht beim Bezug von SGB II-Leistungen als Einkommen berücksichtigungsfähig sind, vermag sich dem der Senat nicht anzuschließen. Die Einkommensbestimmung für die Verfahrenskostenhilfe richtet sich nach sozialhilferechtlichen Maßstäben, nicht aber nach anderweitigen Einkommensbestimmungen, die für die Bewertung nach §§ 82 ff. SGB XII nicht relevant sind, so dass die fehlende Einkommensqualität des Erziehungsbeitrages des Pflegegeldes nach § 33 SGB VIII für ein erstes und zweites Pflegekind im Rahmen des SGB II-Verfahrens für die Einkommensermittlung in der Verfahrenskostenhilfe nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 ZPO unbeachtlich ist. Sozialhilfe nach SGB XII ist nicht mit der Grundsicherung für Arbeitssuchende gem. SGB II gleichzusetzen. Die Regelungen zum Einkommensbegriff des SGB II sind nur bei der gemischten Bedarfsgemeinschaft zu beachten (BSG NVwZ-RR 2012, 316; BSGE 119, 164), also bei der Berücksichtigung des Sozialleistungsbezuges des Partners des Sozialhilfeempfängers, was bei der Verfahrenskostenhilfebewilligung nicht in Betracht kommt, weil hier nur auf das Einkommen des Gesuchstellers abzustellen ist (Kintzel in Gerhardt/von Heintschel Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Aufl. 2018, Kap. 16 Rn. 81 „Pflegegeld“).
10
Damit ergibt sich folgende Berechnung:

Rente

1.169,09 €

Kindergeld

+ 204,00 €

Erziehungsbeitrag

+ 350,00 €

somit

1.723,09 €

Beteiligtenfreibetrag

- 501,00 €

Kinderfreibetrag

- 0,00 € (358,00 € - (748,00 € - 102,00 € + 30,00 €))

Unterkunft/Heizung

- 280,00 €

Darlehen

- 650,00 €

Ergibt einzusetzendes Einkommen von:

292,09 €;

davon 1/2:

146,00 € Monatsrate (abgerundet).

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Soweit mit der sofortigen Beschwerde darüberhinausgehend der vollständige Wegfall der Ratenzahlungspflicht begehrt wird, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.
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Aufgrund des Teilerfolgs ist die Ermäßigung der Zurückweisungsgebühr (Ziffer 1912 KV FamGKG) auf die Hälfte gerechtfertigt. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
13
Aufgrund der abweichenden Entscheidung des OLG Stuttgart (FamRZ 2017, 1587) ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zuzulassen, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 2. Altern., Abs. 3 Satz 1 ZPO.