Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 07.04.2020 – AN 17 E 20.50127
Titel:

Keine Pflicht zur Übernahme der Zuständigkeit für das Asylverfahren eines 14-jährigen, sich in Griechenland aufhaltenden afghanischen Asylbewerbers, dessen Onkel in der Bundesrepublik ein Asylverfahren betreibt

Normenketten:
Dublin III-VO Art. 8 Abs. 2, Art. 17 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 S. 3
VwGO § 52, § 123
Leitsätze:
1. Hält sich der Antragsteller eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, mit dem er die Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik erstrebt, in Griechenland auf, greift nicht die für asylrechtliche Streitigkeiten regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1 VwGO ein, sondern richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Antragsgegnerin gem. § 52 Nr. 2 S. 3, Nr. 5 VwGO (BVerwG BeckRS 2019, 17740). Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Sitz in Nürnberg hat, ist das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zur Entscheidung zuständig. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Angesichts sprachlicher Ungenauigkeiten erweist es sich als offen, ob ein noch nicht bestands- bzw. rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber in der Bundesrepublik einen "rechtmäßigen" Aufenthalt iSv Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO besitzt. (Rn. 24 – 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Reagiert das Bundesamt auf eine Remonstration des Mitgliedstaats, in dem sich der Asylbewerber aufhält, nicht innerhalb der Frist des Art. 5 Abs. 2 S. 3 Dublin-Durchführungs-VO, bewirkt die fehlende Antwort keinen Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland bzw. keine Zustimmungsfiktion. Vielmehr ist das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren mit Ablauf dieser Frist und gleichzeitigem Ablauf der Frist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO als abgeschlossen anzusehen (vgl. EuGH BeckRS 2018, 28173). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO findet auch bei Familienzusammenführungsfällen Anwendung; der Fristablauf darf insoweit auch zulasten des Asylantragstellers wirken. Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion der Vorschrift liegen nicht vor (vgl. BVerwG BeckRS 2019, 4557). (Rn. 28 – 29) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Die Annahme einer Ermessensreduktion auf Null iRv Art. 17 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO ist nur dann geboten, wenn über das regelmäßig bestehende Interesse von Minderjährigen an einer Familienzusammenführung konkret und im Einzelfall Umstände vorliegen, die die Annahme einer besonderen Härte begründen und jede andere Entscheidung als eine Zusammenführung der genannten Personen als unvertretbar erscheinen lassen. Dabei sind insbes. das Alter des Kindes, die Bindungen des Kindes zu dem Familienmitglied, zu dem nachgezogen werden soll, sowie der Umstand, ob das Kind unabhängig von seiner Familie eingereist ist, zu berücksichtigen (EGMR BeckRS 2014, 80974). (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Nachzug von 14jährigem Asylbewerber in Griechenland zu Verwandten (Onkel) in Deutschland (abgelehnter Asylbewerber mit offener Klage, mit dem nie eine Lebensgemeinschaft oder ein persönliches Verhältnis bestanden hat), Fristversäumung nach Art. 21 Abs. 1 Satz 3 Dublin III-VO bei Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, Keine Ermessensreduktion auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, minderjähriger Asylbewerber, Afghanistan, asylrechtliche Streitigkeit, örtliche Zuständigkeit, Bundesrepublik Deutschland, Onkel, abgelehnter Asylbewerber, rechtmäßiger Aufenthalt, Familienzusammenführung, Griechenland, Dublin-Verfahren, Aufnahmeersuchen, Fristablauf, besondere Härte, Ermessenreduzierung auf Null, VO (EU) 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2020, 12785

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der minderjährige Antragsteller begehrt von Griechenland aus den Nachzug zu seinem in Deutschland lebenden Onkel bzw. die Durchführung seines Asylverfahrens in Deutschland aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/13 (Dublin III-VO).
2
Der … 2005 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste über die Türkei nach Griechenland ein und stellte dort am 19. Februar 2019 einen Asylantrag. Er floh nach seinen Angaben vor seinem gewalttätigen, drogenabhängigen Vater aus Afghanistan und reiste über Pakistan, den Iran (wo er sich acht Monate aufgehalten habe und seinen Lebensunterhalt als Helfer eines Schneiders verdient habe) und die Türkei nach Griechenland ein, erreichte Griechenland aber erst beim dritten Grenzübertrittsversuch.
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Der Onkel des Antragstellers (Bruder des Vaters), …, geb. … 1990, ist wohnhaft in …, Deutschland. Er ist Inhaber einer Aufenthaltsgestattung für die Bundesrepublik Deutschland, wo er einen Asylantrag gestellt hat. Dieser wurde mit Bescheid vom 3. März 2017 abgelehnt. Hiergegen ist eine Klage zum Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein anhängig. Er wohnt in einer angemieteten Wohnung (Mietvertrag vom 1.3.2016) und ist als Bohr- und Sondierhelfer bei einem Bohrunternehmen mit einem Stundenlohn von 11,50 EUR seit 1. November 2017 angestellt.
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Am 17. Mai 2019 richtete die griechische Dublin-Einheit ein Übernahmeersuchen an die Antragsgegnerin und legte dar, dass der Antragsteller keine Personaldokumente vorlegen könne, weil diese auf der Flucht gestohlen worden seien. Er habe, um die Flucht zu realisieren, zunächst auch falsche Personalangaben in Griechenland gemacht. Mit Herrn … … lebe ein Onkel des Antragstellers in Deutschland, zu dem er den Nachzug wünsche. Die Aufenthaltsgestattung des Onkels und Fotos wurden vorgelegt. Am 20. Mai 2020 wurde der Mietvertrag des Onkels nachgereicht.
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Die Antragsgegnerin lehnte das Übernahmeersuchen am 31. Mai 2019 mit der Begründung ab, dass mangels Personal-Dokumenten die Verwandtschaftsbeziehung nicht ausreichend überprüft werden könne.
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Daraufhin reichte die griechische Dublin-Einheit mit Schreiben vom 20. Juni 2019 die Einwilligung des Onkels des Antragstellers zum Nachzug, ein „Best Interest Assessment“ mit persönlichen Erklärungen des Antragstellers und des Onkels ein. Es wurde informiert, dass der Antragsteller und der Onkel eine DNA-Untersuchung in Auftrag gegeben hätten. Hierauf antwortete die Antragsgegnerin nicht.
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Ein DNA-Untersuchungs-Bericht des Molecular Genetics Department vom 13. Dezember 2019 bestätigt die Verwandtschaft zwischen … … … …, geb. …2004 und … …, geb. …1990 („… strong indications of sibship…“). Das erneute Ersuchen der griechischen Behörden vom 14. Januar 2020 unter Vorlage dieses Untersuchungsergebnisses lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Schreiben vom 23. Januar 2020 mit der Begründung ab, dass die Fristen nach der Dublin III-VO abgelaufen seien.
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Mit am 13. März 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10. März 2020 stellte der Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO und beantragte,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Übernahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Ministerium für Citizen Protection - Nationales Dublin-Referat für den Asylantrag des Antragstellers für zuständig zu erklären.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Antragsteller in Griechenland zunächst im Camp Moria auf der Insel Lesbos untergebracht gewesen sei, wo er Opfer eines gewaltvollen Übergriffs geworden sei, bei dem er schwere Verletzungen davon getragen habe und seinen besten Freund verloren habe. Nach einem Krankenhausaufenthalt und Operationen sei er dann in einem Heim für minderjährige Asylsuchende untergebracht worden.
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Der Anordnungsgrund für den Antrag nach § 123 VwGO liege in dem Umstand, dass aufgrund der Ablehnung der Antragsgegnerin die Entscheidung über das Asylgesuch des Antragsstellers in Griechenland unmittelbar bevorstehe und nach einer Entscheidung durch die griechischen Behörden der Antragsteller nicht mehr der Dublin III-VO unterfiele. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO i.V.m. Art. 8 EMRK und Art. 7 und 24 GRCh. Eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Onkels in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Sinne liege vor. Er halte sich seit über sechs Jahren in Deutschland auf, arbeite seit vier Jahren, habe eine unbefristete Festanstellung, wohne in einer eigenen Wohnung, spreche die deutsche Sprache und sei gut integriert. Er sei seit der Geburt des Antragstellers dessen Hauptansprechperson und habe sich trotz der zehnjährigen räumlichen Trennung um den Antragsteller gekümmert und ihm Halt und Rat geboten. Die Fristen der Dublin III-VO seien eingehalten worden. Auf einen Fristablauf könne sich die Antragsgegnerin aber auch nicht berufen. Fristabläufe könnten nicht zu Lasten des Asylbewerbers gehen, sondern nur zu seinen Gunsten wirken. Hilfsweise ergebe sich bei einer Ermessensreduzierung auf Null ein Anspruch aus
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Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 25. März 2020, den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen und trug zur Begründung vor, dass angesichts der Restriktionen im internationalen Verkehr aufgrund der COVID-19-Pandemie schon kein Anordnungsgrund vorliege. Ein Anordnungsanspruch nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO scheitere jedenfalls an der Fristüberschreitung der griechischen Behörden gem. Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO. Eine Ermessensreduzierung auf Null nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO wegen des verwandtschaftlichen Verhältnisses mit seinem Onkel liege nicht vor, wie sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des Art. 16 Dublin III-VO ergebe.
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Die Antragstellerseite begründete den Antrag weiter mit Schriftsatz vom 26. März 2020.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakte mit den Schriftätzen und deren Anlagen verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zwar zulässig (2), aber unbegründet (3) und deshalb abzulehnen. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber zuständig (1).
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1. Da sich der Antragsteller in Griechenland aufhält, greift nicht die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO ein, sondern richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Antragsgegnerin, § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 5 VwGO (BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 6). Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Sitz in Nürnberg hat, ist das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zur Entscheidung zu ständig. Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
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2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig. Der Antragssteller ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich ist hierfür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eines subjektiven Rechts. In Frage kommen und vom Antragsteller geltend gemacht sind sowohl ein Anspruch nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO als auch nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Beide Ansprüche kommen in Betracht, was für die die Zulässigkeit des Antrags ausreichend ist. Ein Berufen vom Ausland aus auf die Regelungen der Dublin III-VO ist dabei anzuerkennen. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen dies nicht aus, die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO sprechen vielmehr dafür. Auch Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG streiten für dieses Ergebnis (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 19.7.2019 - AN 18 E 19.50355; VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 21).
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Dem Antrag fehlt auch nicht das allgemeine Rechtschutzbedürfnis aufgrund einer teilweisen allgemeinen Aussetzung von Abschiebungen und Überführungen von Personen durch die Nationalstaaten wegen der aktuellen Gefahrenlage bzw. zur Eindämmung der pandemischen Ausbreitung des COVID 19-Virus. Ebenso wenig stehen die aktuellen tatsächlichen Einschränkungen im Flug- und im sonstigen Reiseverkehr und nationale Einreisebestimmungen, die eine Zusammenführung der Personen in der Bundesrepublik derzeit möglicherweise verhindern, dem Antrag entgegen. Der Antrag ist nicht auf die tatsächliche Überführung des Antragstellers in die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, so dass es auf die derzeitige eventuelle Unmöglichkeit der Durchführung nicht ankommt, sondern auf die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für eine Überführung, nämlich auf die Zustimmung der Antragsgegnerin zur einer - auch später noch möglichen, und nicht auf Dauer unmöglichen - Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland.
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3. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da zwar wohl von einem Anordnungsgrund auszugehen ist, weil nach Entscheidung über den Asylantrag in Griechenland ein Nachzug zum Onkel nach den Regularien der Dublin III-VO ausgeschlossen ist; dies kann aber letztlich offenbleiben. Jedenfalls ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden ist.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache aber dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3/13 - juris).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Antragsteller hat weder einen Anspruch nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO noch nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO glaubhaft gemacht.
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a) Zwar handelt es sich beim Antragsteller ohne Zweifel um einen unbegleiteten Minderjährigen i.S.v. Art. 2g) und Art. 8 Dublin III-VO und ist der Onkel des Antragstellers auch Verwandter i.S.v. Art. 2h) und Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO. Die verwandtschaftliche Beziehung ist zwischenzeitlich mit dem DNA-Test belegt. Sie bestand naturgemäß auch bereits zum grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) in Griechenland. Nach Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO sind verwandtschaftliche Beziehungen bzw. die Indizien, aus denen sich diese ergeben, auch prinzipiell noch bis zur Entscheidung über den Asylantrag, zu dem es noch nicht gekommen ist, zu berücksichtigen.
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Fraglich ist allerdings, ob der Onkel über einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne dieser Vorschrift verfügt, nachdem er abgelehnter (wenn auch noch nicht bestands- bzw. rechtskräftig abgelehnter) Asylbewerber ist. Mit Art. 2l) Dublin III-VO lässt sich der rechtmäßige Aufenthalt jedenfalls nicht begründen, da die deutsche Aufenthaltsgestattung während des Asylverfahrens gerade nicht als Aufenthaltstitel nach der Dublin III-VO gilt. Andererseits nimmt Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO auch nicht unmittelbar Bezug auf Art. 2l) Dublin III-VO und definiert den „rechtmäßigen“ Aufenthalt nicht. Aufgrund der auch von der Antragstellerseite dargelegten sprachlichen Ungenauigkeit bzw. Unklarheit der deutschen Übersetzung der Dublin III-VO, die im Gegensatz zur englischen Fassung keinen Unterschied in der Formulierung von Art. 16 und Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO macht, kann auch nicht ohne Weiteres auf die Rechtsprechung zu Art. 16 Dublin III-VO zurückgegriffen werden.
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Die Fragestellung kann letztlich offen gelassen werden, da ein Nachzug nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO jedenfalls am Ablauf der Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO scheitert.
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Die Zuständigkeit ist zwar nicht schon deshalb auf Griechenland übergegangen, weil das Übernahmeersuchen vom 17. Mai 2019 zu spät erfolgte. Dieses musste gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO innerhalb von drei Monaten nach der Asylantragstellung des Antragstellers in Griechenland, also nach dem 19. Februar 2019 erfolgen. Der Asylantrag wurde vom Antragsteller nicht bereits am 19. Februar 2018 gestellt, wovon die Antragsgegnerin möglicherweise ausgeht. Zwar wird im Übernahmeersuchen durch Griechenland an einer Stelle des Formulars der Antrag fälschlich als Antrag vom 19. Februar 2018 bezeichnet, an anderer Stelle jedoch korrekt mit 19. Februar 2019. Aus den Gesamtumständen, insbesondere dem Vortrag des Antragstellers und den Zeitabläufen geht klar hervor, dass der Asylantrag tatsächlich erst am 19. Februar 2019 gestellt wurde.
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Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 31. Mai 2019 hierauf fristgerecht innerhalb von drei Monaten, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO, und lehnte ihre Zuständigkeit ab, so dass die Wirkung der Annahmefiktion nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO nicht eintrat. Ebenfalls fristgerecht innerhalb von drei Wochen nach des Art. 5 Abs. 2 Satz 1, 2 Dublin-Durchführungs-VO remonstrierte Griechenland mit Schreiben vom 20. Juni 2019. Hierauf reagierte das Bundesamt zwar nicht innerhalb der vorgesehenen Zwei-Wochen-Frist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungs-VO, die fehlende Antwort bewirkte jedoch keinen Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin bzw. keine Zustimmungsfiktion, vielmehr ist das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren mit Ablauf dieser Frist und gleichzeitigem Ablauf der Frist des Art. 21 Abs. 1 Untersabs. 1 Dublin III-VO als abgeschlossen anzusehen (vgl. EuGH, U.v. 13.11.2018 - 1-C 47/17 und 48/17 - juris Rn. 86 - 90) mit der Konsequenz, dass Deutschland nicht nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig (geworden) ist, sondern die grundsätzliche Zuständigkeit Griechenlands (weiter) besteht.
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Das Gericht folgt nicht der Auffassung, dass der Fristablauf im Falle des Art. 8 Dublin III-VO nicht zu Lasten des Asylantragstellers wirken und die Familienzusammenführung nicht verhindern darf (etwa VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris). Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO darf auch bei Familienzusammenführungsfällen der vorliegenden Art nicht außer Acht gelassen werden. Diese wäre nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 21 Abs. 1
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Unterabs. 3 Dublin III-VO nur möglich bei einer teleologischen Reduktion der Vorschrift, was aber voraussetzen würde, dass die Familienzusammenführungsfälle vom Regelungskonzept des Verordnungsgebers eigentlich nicht erfasst werden sollten (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 - 1 C 14/18 - juris Rn. 18). Die kann gerade nicht festgestellt werden (s. hierzu im einzelnen VG Ansbach, U.v. 10.7.2019 - AN 18 E 19.50571 - juris Rn. 14). Diese Rechtslage setzt sich auch nicht in Widerspruch zum nach Art. 8 EMRK, Art. 7 und 24 GRCh gebotenen Schutz der Familieneinheit, wie er auch in den Erwägungsgründen 13 bis 18 der Dublin III-VO angesprochen ist. Zum einen kann dem Schutz gegebenenfalls über Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ausreichend Rechnung getragen werden (vgl. hierzu im folgenden), zum anderen ist weiteres Ziel der Dublin III-VO die klare und zügige Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (vgl. Erwägungsgrund 5 der Dublin III-VO), dem das Fristenregime dient. Der EuGH hat den absoluten Charakter der Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO in anderer Konstellation auch bereits bestätigt (vgl. U.v. 26.7.2017 - C-670/16 - juris Rn. 63 ff.). Ein Absehen von der Fristenregelung ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts somit nicht möglich (so auch VG Ansbach, U.v. 10.7.2019, - AN 18 E 19.50571 - juris Rn.18; VG Berlin, B.v. 17.6.2019 - 23 K L 293.19.A; VG Gießen, B.v. 8.4.2019 - 2 L 1027/19.Gl.A; VG Oldenburg, B.v. 4.12.2018 - 11 B 4236/18 - jeweils juris). Ein Anspruch nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO scheidet damit aus.
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b) Ein Anspruch auf Zuständigerklärung ergibt sich vorliegend auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Hierzu wäre neben dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen auch eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft zu machen, woran es hier scheitert.
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Zu einem Entfallen des Anspruchs aufgrund von Fristversäumnissen kommt hierfür allerdings nicht. Die Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO gilt insoweit nicht. Dies ergibt sich gesetzestechnisch daraus, dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in den Unterabsätzen 2 und 3 eigene Verfahrensregeln und Fristen (und größtenteils eben keine Fristen) aufstellt. Für den Ablauf der Frist von zwei Monaten nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 Dublin III-VO ist anders als in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3, Art. 23 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO keine Folge vorgesehen.
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Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 Dublin III-VO nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Bei den genannten humanitären Gründen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auszulegen ist. Im Kontext der Dublin III-VO ist dabei eine Auslegung geboten, die dem Grundgedanken der Wahrung der Einheit der Familie und der Wahrung des Kindeswohls verpflichtet ist. Dies lässt sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 der Dublin III-VO entnehmen.
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Zwar hat die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt, weil sie sich zu Unrecht pauschal - nämlich zu Unrecht auch in Bezug auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO - auf den Ablauf von Fristen berufen hat und die schließlich durch DNA-Test nachgewiesenen verwandtschaftlichen Beziehungen nicht einer Abwägung unterzogen hat. Jedoch führt ein Antrag nach § 123 VwGO nicht schon dann zum Erfolg, wenn ein Ermessensfehler der Behörde vorliegt, sondern nach herrschender Meinung erst und nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft gemacht ist. Diese ist nicht der Fall.
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Dies wäre nur anzunehmen, wenn über das regelmäßig bestehende Interesse von Minderjährigen an einer Familienzusammenführung konkret und im Einzelfall Umstände vorliegen, die die Annahme einer besonderen Härte begründen und jede andere Entscheidung als eine Zusammenführung der genannten Personen als unvertretbar erscheinen ließen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte spielen dabei insbesondere das Alter des Kindes, der Umfang der Bindung des Kindes zum Familienmitglieder, zu dem nachgezogen werden soll, sowie der Umstand, ob das Kind unabhängig von seiner Familie eingereist ist, eine Rolle (vgl. EGMR, U.v. 30.7.2013 - Nr. 948/12 - BeckRS 2014, 80974 Rn. 56 [engl.]). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Schutzwürdigkeit eines minderjährigen Kindes aufgrund seines Lebensalter sowie die Frage, wie lange dieses in einem anderen Staat als seine Familienangehörigen gelebt hat (EuGH, U.v. 27.6.2006 - C-540/03 - BeckRS 2006, 80974 Rn. 73-75), zu werten, wobei der EuGH hat in diesem Zusammenhang eine Altersgrenze von zwölf Jahren gebilligt hat.
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Als Jugendlicher mit 14, fast 15 Jahren kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller noch auf die Fürsorge von Erwachsenen angewiesen ist. Er begehrt hier allerdings den Nachzug zu einem Onkel, mit dem nie eine Lebensgemeinschaft bestanden hat und zu dem seit geraumer Zeit nur ein Kontakt auf die Ferne besteht. Der 30jährige … … hat in seinem Asylverfahren (s. Anlage 4 des Antragsschriftsatzes) vorgebracht, sein Heimatland bereits als Kind verlassen zu haben, so dass ein nennenswerter persönlicher Kontakt bereits in Afghanistan zum Antragsteller nicht bestanden haben kann. Im Schriftsatz der Antragstellerseite wird von einer räumlichen Trennung von zehn Jahren gesprochen. Auch aus dem Best Interests Assessment geht hervor, dass der Onkel den Antragsteller (nur) aus der Ferne mittels Telefongesprächen und finanziellen Hilfen unterstützt hat, das Verhältnis zwar gut und nahe ist, aber bislang nur auf räumlicher Distanz bestanden hat. Hinzu kommt und gegen eine Ermessensreduzierung auf Null in Feld zu führen ist, dass der Antragsteller im griechischen Asylverfahren vorgetragen hat, acht Monate allein im Iran verbracht zu haben und dort seinen Lebensunterhalt selbst bestritten zu haben. Damit kann zum einen weder festgestellt werden, dass der Antragsteller besonders dringend auf eine Betreuungsperson angewiesen ist, noch dass er dies gerade auf seinen Onkel … … ist. Der Onkel verfügt außerdem zwar über Arbeit und Unterkunft, nicht aber über ein gesichertes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Stand seines Asylverfahrens ist vielmehr davon auszugehen, dass er ein solches auch nicht erlangen wird. Damit kann nicht festgestellt werden, dass der Zuzug zu seinem Onkel eine langfristige und gesichert gute und für das Kindeswohl alternativlose Lösung für den Antragsteller darstellt. Das gilt auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen Asylgründe des Antragstellers (Probleme mit dem gewalttätigen und drogenabhängigen Vater, der der Bruder des Onkels ist) und seiner Fluchtgeschichte, die zudem im Best Interests Assessment von Juni 2019 und im gerichtlichen Schriftsatz vom 10. März 2020 nicht identisch dargestellt wird und damit im Dunklen bleibt. Dass die Überstellung des Antragstellers in die Bundesrepublik zum Onkel die für sein Wohl einzige und beste Lösung darstellt, begegnet Zweifeln und ist damit nicht glaubhaft gemacht.
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Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
37
Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.
gez.
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