Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 28.05.2020 – RN 5 K 19.1911
Titel:

Widerruf der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger

Normenketten:
AltPflG § 2 Abs. 1, Abs. 2
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Garantenpflicht nach § 13 Abs. 1 StGB stellt das strafrechtliche Pendant zur berufsrechtlichen Fürsorgepflicht des Altenpflegers dar. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn ein Altenpfleger sich einer Drucksituation ausgesetzt sieht und in einem Loyalitätskonflikt befindet, entbindet dies nicht von den erforderlichen Berufspflichten. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf/Erlaubnis, Berufsbezeichnung Altenpfleger, Medikamentenverwechselung, Untätigkeit, sofortige Vollziehung, Berufsbezeichnung, Altenpfleger, Widerruf der Erlaubnis, berufsrechtliche Zuverlässigkeit, Medikamentenverwechslung, Garantenpflicht, Verurteilung, Loyalitätskonflikt, Drucksituation
Fundstelle:
BeckRS 2020, 12438

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig aufgehoben.

Tatbestand

1
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheides der Regierung von ... vom 11.09.2019, mit welchem ihm u.a. die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ widerrufen wurde.
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Der Kläger war seit September 2006 staatlich geprüfter Altenpfleger und arbeitete seitdem als Pflegefachkraft in dem Alten- und Pflegeheim … in …; 2017 wurde er dort zum Wohnbereichsleiter befördert. Die Regierung von ... erließ am 11.09.2019 folgenden Bescheid:
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1. Die Ihnen von der Regierung von ... am 01.09.2006 erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Altenpfleger wird mit sofortiger Wirkung widerrufen.
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2. Sie werden verpflichtet, das Original der Urkunde vom 01.09.2006 über die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ einschließlich aller in Ihrem Besitz befindlichen beglaubigten Ablichtungen, Abschriften und Ausfertigungen an die Regierung von ... herauszugeben.
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3. Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 dieses Bescheids wird angeordnet.
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4. Falls Sie die unter Nr. 2 genannte Verpflichtung nicht binnen einer Woche nach Zugang dieses Bescheids erfüllen, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,- Euro zur Zahlung fällig.
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5. Sie haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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6. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr in Höhe von 150,- Euro festgesetzt. Auslagen sind in Höhe von 3,45 Euro entstanden.
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Anlass für diese Maßnahme war das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Landshut vom 21.05.2019 (Az.: Ks 101 Js 16927/17) mit welchem der Kläger wegen versuchten Mordes u. a. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.
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Am 07.05.2016 erhielt der Geschädigte P. von der ebenfalls durch das Landgericht Landshut verurteilten Angeklagten D. versehentlich Medikamente, welche für eine Mitpatientin bestimmt waren. Diese Medikamente waren in der Lage, den ohnehin schon kritischen Krankheitszustand des Patienten P. zu verschärfen und letztendlich auch lebensbedrohliche Komplikationen herbeizuführen. Herr P. litt an unheilbaren Beschwerden, wie einer schweren Herzinsuffizienz, einem fortgeschrittenen Karzinom der Schilddrüse mit diffuser Knochenmetastasierung, einer Schädigung von Nieren und Lunge sowie einer schwersten Einschränkung des Bewegungsapparats. Daraufhin informierte Frau D. die Wohnbereichsleiterin - gleichfalls durch das Landgericht Landshut verurteilt - Frau N.. Obwohl den Angeklagten D. und N. bekannt und bewusst war, dass bei der vorliegenden Medikamentenverwechslung sofort ein Arzt hätte informiert werden müssen, damit dieser das Risiko einschätzen und ggf. Gegenmaßnahmen nach Einwilligung des Patienten in die Wege leiten konnte, unterblieb von beiden bewusst eine solche Benachrichtigung. Als es noch am gleichen Tag zum Schichtwechsel zwischen Frau D. und dem Kläger kam, wurde der Kläger von Frau N. und Frau D. über die Medikamentenverwechslung informiert. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Landgerichts Landshut merkte der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt an, dass man diesen Vorfall eigentlich melden müsse. Auf S. 17 des Urteils heißt es wörtlich:
„Demgegenüber erwiderte der Angeklagte P., dass das eigentlich der Wahnsinn sei, was da passiert sei und dass das unbedingt gemeldet werden müsse, wohingegen die Angeklagte N. anführte, dass sie das nicht wolle, da das der Angeklagten Dauer schaden würde, da sie ja auch noch in der Probezeit sei.“
11
Dennoch unternahm der Kläger zunächst nichts. Als der Kläger um 15:00 Uhr am selben Tage feststellte, dass es dem Patienten merklich sehr schlecht geht, ging er erneut auf die Wohnbereichsleiterin zu und erhielt erneut eine abweisende Antwort. Frau N. äußerte nun auch die Sorge, selbst strafrechtlich belangt zu werden. Ergänzend bemerkte sie, dass sie hoffe, der Patient P. könne aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustandes endlich sterben. Am 7.5.2016 um 15:21 Uhr benachrichtigte der Kläger die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), welche für die Versorgung von Palliativpatienten zuständig war (Bl. 16/17 des Urteils). Dabei berichtete er jedoch nicht von der Medikamentenverwechslung. Am 09.05.2016 informierte der Kläger den zuständigen Hausarzt Dr. … über den schlechten Gesundheitszustand des Patienten P., wiederum erneut ohne auf die Medikamentenverwechslung hinzuweisen. Als Dr. … am 11.05.2016 zur Visite in das Altenheim kam, erwähnte der Kläger diesem gegenüber erstmals die Medikamentenverwechslung (Bl. 18 des Urteils). Zu diesem Zeitpunkt konnte dem Geschädigten jedoch nur noch eine Palliativversorgung zukommen gelassen werden; am 14.05.2016 verstarb dieser. Zwar konnte die genaue Todesursache nicht aufgeklärt werden, jedoch lässt sich den Feststellungen des Landgerichts Landshut entnehmen, dass es naheliegend ist, dass die fehlerhaft verabreichten Medikamente maßgeblich Einfluss auf den Tod des Patienten P. hatten.
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Die Regierung von ... stützt den erlassenen Bescheid vom 11.09.2019 auf § 2 Abs. 2 S. 2 AltPflG, § 2 Abs. 2 S. 4 AltPflG i.V.m. Art. 49 BayVwVfG und § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG mit nachfolgender Begründung:
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Danach sei die Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung „Altenpfleger“ zu widerrufen, wenn sich der Erlaubnisinhaber eines Verhaltens schuldig mache, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufes des Altenpflegers ergibt. Für den Begriff der Unzuverlässigkeit existiere keine Legaldefinition, so dass für deren Beurteilung maßgeblich sei, ob der Betroffene in Zukunft weiterhin die Gewähr bietet, die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Hierbei seien v.a. Art, Schwere und Zahl der Verstöße sowie eine darauf beruhende und zu begründende Prognose entscheidend. Zudem könne die Verwaltungsbehörde auf die Feststellungen des Strafgerichts zurückgreifen, wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen gegeben seien.
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Für die Regierung von ... stehe aufgrund der Straftat ein Verhalten fest, welches nach seiner Art und Schwere den Widerruf der Erlaubnis rechtfertige. Der versuchte Mord führe zu einer Schädigung des Lebens des betroffenen pflegebedürftigen Patienten und stelle einen massiven Eingriff in ein besonders wichtiges Individualrechtsgut dar, welches vom Grundgesetz geschützt sei. Die Straftat stehe auch in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit als Altenpfleger. Der Kläger habe um die möglichen Folgen der Medikamentenverwechslung sowie die möglichen Risiken, diese nicht zu offenbaren und ärztliche Hilfe zu holen, gewusst. Dabei sei es als besonders schwerwiegend anzusehen, dass der Kläger erst nach vier Tagen die Medikamentenverwechslung offenlegte, nachdem sich der Gesundheitszustand des Geschädigten schon erheblich verschlechtert hatte, obwohl dem Kläger die Verwechslung bekannt gewesen sei.
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Aufgrund der begangenen Verfehlungen biete der Kläger auch nicht die Gewähr, in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Es sei zu besorgen, der Kläger werde bei weiteren Tätigkeiten als Altenpfleger erneut die Verpflichtung zum Schutz von Leben, aber auch von Körper und Gesundheit schutzbedürftiger Personen verfehlen sowie seinem Verantwortungsbewusstsein bei der Pflege von Menschen nicht pflichtbewusst und konsequent nachkommen. Schon der hohe Rang des Individualrechtsguts des Lebens gebiete zum Schutze der Allgemeinheit, dass dem Kläger die Erlaubnis entzogen werde.
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Durch diese Verfehlung seien nachträglich Tatsachen eingetreten, die die Regierung von ... berechtigt hätte, die Erlaubnis nicht zu erteilen. § 2 Abs. 2 S. 2 AltPflG räume insoweit keinen Ermessenspielraum ein.
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Der Widerruf stelle zwar einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, allerdings handele es sich nicht um ein lebenslanges Berufsverbot. Der Kläger könne - sofern er das Wiedererlangen der nötigen Zuverlässigkeit nachweise - die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ erneut beantragen. Zudem werde nur die Erlaubnis hinsichtlich dieser spezifischen Berufsbezeichnung widerrufen. Dem Kläger stehe es aber nach wie vor frei, altenpflegerische Tätigkeiten auszuüben. Diesbezüglich habe der Landrat als Vertreter des aktuellen Arbeitgebers auch ausgesagt, er habe nicht vor, das Gehalt nach einem möglichen Entzug der Erlaubnis und der Urkunde zu kürzen. Dem Landrat seien Wege aufgezeigt worden, wie der Kläger weiterhin die Anforderungen an die höhere Bezahlung erfüllen könne, nämlich indem er Aufgaben im Bereich Qualitätsmanagement, im Bereich Organisation oder kaufmännische Aufgaben wahrnehmen könne.
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Die Herausgabe der Urkunde ergebe sich aus Art. 52 BayVwVfG, da die Voraussetzungen für den Widerruf vorlägen.
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Die Kostenentscheidung stützt die Regierung von ... auf Art. 1, 2 Abs. 1 Art. 5, 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 KG i.V.m. Tarifnr. 3.III.3/2.4 Kostenverzeichnis, wonach eine Gebühr in Höhe von 50,- Euro angemessen sei. Die Auslagen seien durch die Postzustellung entstanden, Art. 10 Abs. 1 Nr. KG.
20
Gegen den Bescheid erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 22.10.2019 Klage, mit der er beantragt,
den Bescheid der Regierung von ... vom 11.09.2016 (Az.:RNB-44-5225-1-10) in den Ziffern 1, 2, 5 und 6 aufzuheben.
21
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:
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Der angefochtene Bescheid befasse sich lediglich mit der Schwere des Vorwurfs. Es erschließe sich allerdings nicht, aus welchen Gründen die Prognose der Regierung von ... gerechtfertigt sein soll, dass der Kläger künftig gegen berufliche Pflichten verstoßen werde. Darüber hinaus sei auch rechtsfehlerhaft, dass die Regierung von ... es als „besonders schweren Verstoß“ werte, dass der Kläger erst nach vier Tagen die Medikamentenverwechslung offenbarte. Der Kläger habe sich zudem freiwillig bemüht, die Medikamentenverwechslung aufzudecken. Hierbei sei auf die Strafzumessung des Landgerichts Landshut hinzuweisen, wo auf S. 115/116 aufgeführt wird:
„Auch wertete die Kammer zugunsten des Angeklagten …, dass er - getrieben von dem schlechten Gewissen - zumindest zeitnah den SAPV informierte, wenngleich er auch von der Medikamentenverwechslung erst berichtete, als es schon zu spät war“
23
Die Einschüchterung des Klägers durch Frau N. sei entlastend zu werten und nicht belastend. Des Weiteren sei für eine Beurteilung der gesamten Persönlichkeit des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser stets in einem tadellosen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Der Umstand, dass der Kläger trotz der gegen ihn aufgenommenen Ermittlungen wegen der Medikamentenverwechslung im Juni 2017 zum Wohnbereichsleiter befördert worden sei, zeige, welches Vertrauen der Träger des Alten- und Pflegeheims … in ihm gehabt habe. Bei der vorzunehmenden Bestimmung der Schwere des Verstoßes sei insbesondere auf den Grad der objektiven Pflichtwidrigkeit und der subjektiven Vorwerfbarkeit einzugehen. Die begangene Pflichtverletzung sei auch in ein Verhältnis mit den beanstandungsfreien Berufsjahren zu setzen (vgl. VG München, Urt. v. 04.03.2008 - M 16 K 06.3357).
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
25
Für den Beklagten sei die Einflussnahme von Frau N. nicht entlastend, sondern belastend zu werten. Dieser Umstand sei der Beleg dafür, dass der Kläger nicht die nötige Zuverlässigkeit besitze sowie sich nicht an den in der Ausbildung gelernten moralischen und berufsständischen Maßstäben orientiert habe. Im Übrigen verweist der Beklagte auf die Argumente des Bescheides vom 11.09.2019.
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Das Gericht hat die Behördenakten der Regierung von ... sowie das strafrechtliche Urteil des Landgerichts Landshut (Az.: Ks 101 Js 16927/17) beigezogen.
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Beide Parteien waren mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
28
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenunterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

29
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid der Regierung von ... vom 11.09.2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.
I.
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1. Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 S. 2 AltPflG, § 2 Abs. 2 S. 4 AltPflG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 5 BayVwVfG und § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG sind gegeben.
32
Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG ist die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ zu erteilen, wenn sich die antragstellende Person nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Gem. § 2 Abs. 2 S. 2 ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzungen nach Abs. 1 Nr. 2 weggefallen sind, vgl. auch Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayVwVfG. Diese Voraussetzungen sind vorliegend für den Kläger entfallen, da nachträglich die Zuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs des Altenpflegers weggefallen ist. Die Unzuverlässigkeit setzt ein Verhalten voraus, das nach Art, Schwere und Zahl von Verstößen gegen Berufspflichten die zu begründende Prognose rechtfertigt, der Betroffene biete aufgrund der begangenen Verfehlungen nicht die Gewähr, in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Dabei sind die gesamte Persönlichkeit des Betroffenen und seine Lebensumstände im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 26.09.2002 - 3 C 37/01 und BayVGH, U. v. 02.03.2010 Az. 21 B 08.3008).
33
Für die Überprüfung der berufsrechtlichen Zuverlässigkeit kann auf die Feststellungen des Strafgerichts zurückgegriffen werden, wenn keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen gegeben sind (BVerwG, Beschluss vom 06.03.2003 - 3 B 10/03).
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Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger in dem Verfahren vor dem Landgericht Landshut umfassend und geständig eingelassen. Insoweit liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts unrichtig sein könnten. Das Gericht legt diese den Entscheidungsgründen folglich zugrunde.
35
Aufgrund des durch das Landgericht Landshut festgestellten Sachverhalts konstatiert das Gericht in concreto ein Verhalten, das nach seiner Art und Schwere einen Verstoß gegen einschlägige Berufspflichten begründet. Der Kläger unterließ es wissentlich und willentlich, sofort einen Arzt zu informieren, nachdem er von der Medikamentenverwechslung hinsichtlich des Patienten P. beim Schichtwechsel am 07.05.2016 erfuhr. Die Garantenpflicht gem. § 13 Abs. 1 StGB, auf welcher u.a. die Verurteilung fußt, stellt das strafrechtliche Pendant zur berufsrechtlichen Fürsorgepflicht des Altenpflegers dar. Diese hätte es geboten, sofort Maßnahmen zu ergreifen, welche zur Rettung des Patienten beigetragen hätten. Der Kläger klärte am 11.05.2016 den Hausarzt des Patienten Dr. … erstmals über die Medikamentenverwechslung auf, wartete demnach vier Tage ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung, bis er eigeninitiativ tätig wurde. Zwar mag diese Eigeninitiative auf autonome Motive zurückzuführen sein, allerdings ist der Handlungszeitpunkt der maßgebliche Aspekt. Bereits am 07.05.2016, als der Kläger sich dafür entschied, zunächst nichts zu unternehmen, verstieß er bereits gegen seine berufsspezifischen Pflichten. Dies war bedingt durch die Einflussnahme der Wohnbereichsleiterin Frau N. auf den Kläger. Diese hielt ihm insbesondere vor, welche möglichen beruflichen und strafrechtlichen Konsequenzen dies für sie selbst und die anderweitig Verurteilte Frau D. haben könnte. Darüber äußerte Frau N. die Hoffnung, der Geschädigte könne aufgrund seines unheilbaren und schlechten Zustandes endlich sterben. Zwar mag sich der Kläger einer Drucksituation ausgesetzt gesehen und in einem Loyalitätskonflikt momentan befunden haben. Dieser Umstand entbindet jedoch nicht von den erforderlichen Berufspflichten. Den Kläger hätte das Berufsethos, welches die Tätigkeit als Altenpfleger mit sich bringt, schon dazu veranlassen müssen, umgehend zum Wohle des Patienten tätig zu werden. Insoweit ist auch die Äußerung der Wohnbereichsleiterin, der Patient könne so nun endlich sterben, rechtlich und moralisch - ethisch. Die Selbstbestimmung über das eigene Leben ist ein hohes Verfassungsgut. Kein Mensch darf sich anmaßen, in einem solch gelagerten Fall, dem Betroffenen die Disposition über sein Leben und seine Willensentschließung zu nehmen. Folglich konnte der möglicherweise morbide Zustand des Patienten kein tragfähiges Argument für den Kläger bei seiner zögerlichen Entscheidungsfindung hinsichtlich der Ergreifung sofortiger Maßnahmen sein.
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Im Bereich der Alten- und Krankenpflege sind die betroffenen Patienten sehr schutzbedürftig. Darauf aufbauend muss auch ein gewisses Vertrauen der Patienten und deren Angehörigen in die einwandfreie Funktionsfähigkeit der Altenpflege bestehen. Dieses Vertrauen würde jedoch erschüttert, würden die Grenzen hinsichtlich der Handlungsbereitschaft des Einzelnen nicht restriktiv gehandhabt. Das Gericht wertet diese Umstände dementsprechend entgegen der Ansicht des Klägers als belastend und nicht als entlastend. Durch das Verhalten wurde das Leben und die Selbstbestimmungsfreiheit des Patienten verletzt, mithin Verfassungsgüter von höchstem Rang; dies allein indiziert schon eine gewisse Schwere des Verstoßes.
37
Als Altenpfleger wusste der Kläger zudem um die möglichen Folgen, die eine Medikamentenverwechslung gerade bei älteren und krankheitsbedingt geschwächten Personen mit sich bringen kann. Dies zeigt auch die Äußerung des Klägers auf Seite 17 des Urteils gegenüber Frau N., dass „das doch Wahnsinn sei, was da passiert ist und umgehend gemeldet werden müsse“. Auch nachdem der Kläger erkannte, dass sich der Gesundheitszustand des Patienten stark verschlechterte, unternahm er - eingeschüchtert von den Aussagen der Wohnbereichsleiterin - nichts. Es sind keine Umstände ersichtlich, die dafürsprechen, dass es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen wäre, unverzüglich eigenmächtig tätig zu werden und den Vorfall weiterzuleiten. Der Kläger hatte nämlich auch Kontaktmöglichkeiten zu der SAPV oder dem Hausarzt des Patienten P., nutzte diese jedoch (zunächst) nicht zur Meldung der Medikamentenverwechslung. Wie oben bereits dargelegt, mindert auch die Einflussnahme der Wohnbereichsleiterin auf den Kläger nicht die Zumutbarkeit etwaiger Handlungsalternativen. Aus dem Urteil des Landgerichts Landshut ergibt sich überdies, dass der Kläger und sein Verteidiger eine Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers zur Tatzeit ausdrücklich verneint haben. Dem Kläger wäre ein sofortiges Handeln dementsprechend sowohl objektiv als auch subjektiv möglich und zumutbar gewesen.
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Trotz eines einmaligen Verstoßes rechtfertigt dieser nach Art und Schwere und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Persönlichkeit des Klägers die Prognose, er biete auch zukünftig nicht die Gewähr, seine berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Bei dem Leben eines Menschen handelt es sich um ein besonders hohes Individualrechtsgut. Der bisherige Arbeitseinsatz und das einsichtige sowie reumütige Verhalten des Klägers nach der Tat sind zwar Indizien dafür, dass der Kläger sich zukünftig bemühen werde, seinen Berufspflichten mit höchster Sorgfalt nachzukommen. Auch hat das Gericht berücksichtigt, dass der Kläger seiner Beschäftigung als Altenpfleger augenscheinlich in tadelloser Weise nachgegangen ist und auch das Vertrauen des Trägers des Alten- und Pflegeheimes … genoss. Allerdings berechtigt der in Rede stehende Verstoß zur Annahme, dass sich ein solches Szenario wiederholen könnte, sobald der Kläger in eine vergleichbare Drucksituation durch einen Vorgesetzten oder andere Beteiligte gelangt. Eine solche Wiederholungsgefahr ist - und möge sie noch so klein sein - ein entscheidender Faktor für die zu bestimmende Prognose. Das Gericht hat i.R.d. Gesamtabwägung von Tatumständen und Persönlichkeit des Täters durchaus die vorliegenden in der Person des Klägers liegenden positiven Aspekte bedacht. Allerdings ergibt sich hieraus nicht automatisch, der Kläger werde mit Sicherheit nicht mehr so handeln, sollte er in eine vergleichbare Situation kommen, in der Druck von außen auf ihn ausgeübt wird. Auch die durch den Kläger zitierte Entscheidung des VG München, wonach u.a. die subjektive Vorwerfbarkeit zu berücksichtigen sei, veranlasst das Gericht zu keiner anderen Entscheidung. Gerade wenn der Kläger wie vorliegend solch gute Berufsjahre aufzuweisen hat, erscheint es in besonderer Weise als vorwerfbar, dass er in der konkreten Situation nicht entsprechend seiner Berufspflichten handelte.
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Weiterhin spielt es keine Rolle, dass der Kläger seine staatliche Prüfung zum Altenpfleger mit einem guten Ergebnis abgelegt und während seiner Tätigkeit an Weiterbildungen teilgenommen hat (VG München, Beschluss vom 02.08.2016 - M 16 S 16.2504). In Anbetracht des hohen Ranges des zu schützenden Rechtsguts, kann eine solche Prognose nur dann zugunsten des Klägers ausfallen, wenn mit Sicherheit auszuschließen wäre, dass sich ein etwaiges Verhalten nicht mehr wiederholt. Gesamtbetrachtend ist dies für den konkreten Fall folgerichtig zu verneinen.
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An dieser Beurteilung ändert auch die Tatsache nichts, dass der Strafausspruch des Landgerichts Landshut von einem Jahr und sechs Monaten für den Kläger zur Bewährung ausgesetzt wurde. Anders als im Strafrecht basiert die in Frage stehende berufsrechtliche Prognose auf sicherheitsrechtlichen Erwägungen. Ausschlaggebend ist, ob eine weitere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu besorgen ist. Die öffentliche Sicherheit umfasst sowohl den Schutz des Lebens als auch die Einhaltung der Rechtsordnung. Insoweit gibt es eine Parallele zwischen sicherheitsrechtlichen Erwägungen und § 56 Abs. 1 StGB, der darauf abstellt, dass sich der Angeklagte die Verurteilung als Warnung dienen lassen und keine weiteren Straftaten begehen werde. Primäres Ziel der berufsrechtlichen Prognose i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 2 AltPflG ist jedoch der Schutz des Lebens und nicht die Beurteilung, ob ein Altenpfleger erneut eine mit der berufsspezifischen Verfehlung verbundene Straftat begehen werde. Das berufsrechtliche Verfahren und das Strafverfahren verfolgen somit unterschiedliche Zwecke, so dass auch der Maßstab der Prognose jeweils ein anderer ist.
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Art. 49 BayVwVfG ist zwar über § 2 Abs. 2 S. 4 AltPflG im Übrigen anwendbar. Liegen die Voraussetzungen für die Zuverlässigkeit so wie im konkreten Fall jedoch nicht mehr vor, ist die Erlaubnis zu widerrufen, § 2 Abs. 2 S.2 AltPflG. Der Gesetzgeber hat der Behörde in diesem Fall keinen Ermessensspielraum eingeräumt.
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2. Der Widerruf der Erlaubnis stellt zwar einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Dieser ist jedoch gerechtfertigt. Fraglich ist, ob es sich schon um einen Eingriff auf der Stufe der Berufswahl handelt, wenn der Kläger weiter als Pflegekraft - nur ohne Führung der Bezeichnung als Altenpfleger - tätig bleiben darf, wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt, oder lediglich um eine Beschränkung der Berufsausübung. Das BVerfG stellt Eingriffe in die Arbeitsplatzwahl Berufswahlbeschränkungen dabei weitgehend gleich (NZA 1995, 619 - 1 BvR 1397/93). Dies kann jedoch dahinstehen, da es sich vorliegend um den Schutz von wichtigen Gemeinschaftsgütern handelt. Neben dem Schutz des Einzelnen sind hierunter auch die Funktionsfähigkeit der Gesundheitspflege, das Vertrauen der Patienten in das Pflegepersonal, die Wertschätzung der Pflegeberufe in der Gesellschaft und die Integrität des krankenpflegerischen Berufsstandes zu fassen. Auf dieser Stufe muss die Berufsfreiheit des Klägers hinter der körperlichen Integrität der Patienten (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und den aufgeführten Gemeinschaftsgütern zurückstehen. Insofern genügt die Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Art und Schwere des Verstoßes auch den Anforderungen an einen Eingriff in die Berufswahl des Klägers. I.R.d. Verhältnismäßigkeit hat das Gericht ebenfalls berücksichtigt, dass es dem Kläger wie bereits angedeutet durch den Widerruf nicht verwehrt ist, weiterhin einen pflegerischen Beruf auszuführen. Des Weiteren ist es dem Kläger möglich, erneut die Bezeichnung zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ zu beantragen, sofern er die nötige Zuverlässigkeit wiedererlangt und ihm ein diesbezüglicher Nachweis gelingt.
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3. Die Verpflichtung zur Herausgabe der Urkunde vom 01.09.2006 über die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger im Original ergibt sich aus Art. 52 S. 2 BayVwVfG. Dies bezieht sich auch auf die im Besitz des Klägers befindlichen Ablichtungen, Abschriften und Ausfertigungen.
44
4. Mit der Klage begehrte der Kläger u.a. die Aufhebung von Ziffer 6 des Bescheids der Regierung von ... vom 11.09.2019, in welchem dem Kläger eine Gebühr für die Erhebung des Bescheids in Höhe von 150,- Euro auferlegt wurde. Der klägerische Vortrag enthielt zwar rechtlich keine Monierung hierzu, jedoch musste das Gericht diesen Antrag auslegen, §§ 86 Abs. 3, 88 Hs. 2 VwGO. In seinem Bescheid erhebt die Regierung von ... Kosten in Höhe von 150,- Euro, gestützt auf Art. 1, 2 Abs. 1 Art. 5, 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 KG i.V.m. Tarifnr. 3.III.3/2.4 des Kostenverzeichnisses. Die vorbezeichnete Tarifnummer sieht allerdings für Rücknahme oder Widerruf einer Anerkennung oder Erlaubnis nur eine Kostenerhebung zwischen 15,- und 50,- Euro und nicht von 150,- Euro vor. In der Begründung ihres Bescheides vom 11.09.2019 geht die Regierung von ... jedoch nicht über einen Betrag von 50,- Euro hinaus, will also nur 50,- Euro als Gebühr erheben.
II.
45
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung (§ 167 Abs. 2 VwGO) beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Alt. 2 ZPO.