Titel:
Rückforderung des Familienzuschlags
Normenketten:
BayBesG Art. 15 Abs. 2 S. 1, S. 2, S. 3
BayBesG aF Art. 36 Abs. 1 S. 3
BGB § 818 Abs. 3, Abs. 4, § 819 Abs. 1
Leitsätze:
1. Unterlässt die Dienststelle eine Rückfrage, die sich aufgrund einer Formulierung der Beamtin im Zusammenhang mit einer früheren Erklärung aufdrängt, so liegt die rechtswidrige Fortzahlung des Familienzuschlags in überwiegender behördlicher Verantwortung. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Billigkeitsentscheidung der Dienststelle, nach der die Überzahlung trotz überwiegender behördlicher Verantwortung in voller Höhe zurückgefordert wird, ist ermessensfehlerhaft. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Billigkeitsentscheidung hat die Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheids zur Folge. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückforderung überzahlter Bezüge, Familienzuschlag der Stufe 1, Eigenmittelgrenzbetrag (Kind) überschritten, Verschärfte Haftung, Billigkeitsentscheidung fehlerhaft, Kindergeld, Besoldung, Familienzuschlag, Kindesunterhalt, Wohnung, Fürsorgepflicht, Rückfrage, Verantwortung, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 12095
Tenor
I. Der Rückforderungsbescheid des Landesamts für Finanzen vom … August 2017 und dessen Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung des Familienzuschlags der Stufe 1 durch den Beklagten.
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In einer FO-Erklärung vom … Mai 2010 teilte die Klägerin dem Landesamt für ... (Landesamt) mit, dass sie von ihrem geschiedenen Ehegatten für die am … Januar 1997 geborene Tochter und den am … November 2000 geborenen Sohn, die sie seit deren Geburt in ihre Wohnung aufgenommen habe, 420,- EUR bzw. 345,- EUR Kindesunterhalt erhalte. Der Klägerin wurde daraufhin der Familienzuschlag Stufe 1 entsprechend ihrer Teilzeitbeschäftigung anteilig gewährt (zunächst 60%, ab *.2.2013 85%, ab 1.12.2015 80%).
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In weiterer FO-Erklärung vom 27. November 2013 machte sie folgende Angabe: „Tochter lebt beim Vater, Sohn lebt bei mir, Vater zahlt mir Ausgleich von monatlich 86,00 EUR“. Der Familienzuschlag Stufe 1 wurde wegen der Haushaltsaufnahme des Sohnes unverändert fortgezahlt.
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In nachfolgender FO-Erklärung vom … November 2016 gab die Klägerin an, dass sie für den unverändert in ihre Wohnung aufgenommenen Sohn „Unterhalt durch Kindsvater 553,- EUR“ erhalte. Das Landesamt teilte der Klägerin mit Schreiben vom *. März 2017 daraufhin mit, dass die für den Sohn zur Verfügung stehenden Mittel (Unterhalt 553 + Kindergeld 192 + Kinderanteil im Familienzuschlag 88,30 EUR) den Eigenmittelgrenzbetrag in Höhe von 774,48 EUR überschritten. Die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 werde vorerst zum … April 2017 eingestellt. Die Klägerin wurde um Angabe und Nachweis der monatlichen Unterhaltszahlungen für den Zeitraum … Januar 2014 bis … März 2017 gebeten.
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Mit Schreiben vom … März 2017 erklärte die Klägerin, dass Ihre Angabe eines Ausgleichs von monatlich 86 EUR in der FO-Erklärung vom … Februar 2013 (richtig: …11.2013) nur so habe verstanden werden können, dass sich nach Verrechnung der gegenseitigen Unterhaltspflichten ein Saldo zugunsten des Sohnes in Höhe von 86 EUR ergeben habe. Letztlich sei nur dieser Differenzbetrag geblieben, um ihren Sohn zu ernähren etc. Davon seien noch die Beiträge für die Kranken- und Pflegepflichtversicherung abgegangen. Da - wie sich jetzt für sie herausgestellt habe - nicht nur das überschießende Saldo, sondern der gesamte für den Sohn gezahlte Unterhalt maßgeblich sei, würde im Rahmen der den Arbeitgeber treffenden Fürsorgepflicht eine entsprechende Nachfrage angezeigt gewesen sein. In Ermangelung einer entsprechenden Nachfrage habe sie davon ausgehen dürfen, dass die Angabe von 86 EUR Differenz/Ausgleichszahlung genügt habe. Da dieser Betrag wegen nahezu gleichwertigen Erhöhungen auf beiden Seiten im Wesentlichen unverändert geblieben sei, habe sich für sie kein Anlass ergeben, eine Veränderung der Verhältnisse mitzuteilen. Da ihre Tochter nach Differenzen mit dem Vater gewollt habe, dass das Geld (für jedes Kind gesondert) hin- und herüberwiesen werde, habe man die Unterhaltsverpflichtungen auseinander „gedröselt“. Durch die nun tatsächlich getätigten Überweisungen in voller Höhe habe sie in der letzten Abfrage vom … November 2016 nun den in der Urkunde festgelegten Betrag angegeben, nämlich 553 EUR. Unter den gegebenen Umständen bitte sie, von einer Rückforderung - notfalls aus Billigkeitsgründen - abzusehen. Hilfsweise mache sie die Einrede der Entreicherung geltend. Eine Berufung hierauf sei ihr nicht verwehrt, da sie nicht davon habe ausgehen müssen, dass ihr der Zuschlag für den Sohn gar nicht zustehe und eventuell zurückverlangt werden könne. Der Familienzuschlag habe weniger als 10% der ihr zustehenden Besoldung betragen. Von diesem Geld seien Ausgaben finanziert worden, die sie sich bzw. ihrem Sohn sonst nicht geleistet hätte (Mofa, Zimmerumbau nach Auszug der Tochter - zwei kleine Kinderzimmer zu einem Großen, neuer Fernsehschrank). Sie habe keinerlei finanzielle Ressourcen und lebe auch in keiner Partnerschaft oder ähnliches. Eine Rückzahlung des Familienzuschlages sei ihr daher nicht möglich.
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Nach Anhörung der Klägerin zur beabsichtigten Rückforderung der Überzahlung und Aufforderung zur Unterbreitung eines Vorschlags zur Ratenzahlung mit Schreiben vom … Mai 2017 erließ das Landesamt am *. August 2017 einen Rückforderungsbescheid, mit dem die Klägerin verpflichtet wurde, an den Beklagten 3.721,88 EUR zurückzuzahlen. Es räumte der Klägerin eine Ratenzahlung in Höhe von 300 EUR monatlich ein und erklärte die Aufrechnung. Die Raten von 300 EUR würden ab Zahltag September 2017 bis zur Tilgung der Forderung (von den Bezügen der Klägerin) einbehalten.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin legte mit Schreiben vom … August 2017 dagegen Widerspruch ein, den er nachfolgend begründete. Insbesondere sei die Rückforderung rechnerisch nicht nachvollziehbar.
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Das Landesamt verwies mit Schreiben vom … Dezember 2017 und … Januar 2018 für die Berechnung der Überzahlung auf eine „beiliegende Bezügemitteilung vom Zahltag September 2017“.
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Mit Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018, zugestellt am … Mai 2018, wies das Landesamt den Widerspruch zurück.
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Bei der Berechnung der zur Verfügung stehenden Mittel sei der tatsächlich zustehende Unterhalt auch dann anzusetzen, wenn z.B. durch die Aufnahme je eines Kindes in die Wohnung des jeweils sorgeberechtigten Elternteils die gegenseitigen Unterhaltsansprüche aufgehoben seien. Krankenversicherungsbeiträge könnten bei der Berechnung des Eigenmittelgrenzbetrags nicht in Abzug gebracht werden.
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In den Bezügemitteilungen sei die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 und des Kinderanteils für ein Kind, für das die Zahlungsempfängerin Kindergeld erhalte, getrennt aufgelistet. Falls die Klägerin hier Fragen gehabt hätte, hätte sie durch Nachfrage bei der Bezügestelle den Unterschied erkennen können. Die vorgelegten Belege über erfolgte Anschaffungen könnten auch nicht berücksichtigt werden, da hier noch Vermögenswerte vorhanden seien (Einrichtungsgegenstände, Motorroller).
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Anhaltspunkte dafür, wie gefordert, von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen abzusehen, seien nicht ersichtlich. Solches komme nur in Betracht, wenn schwerwiegende Billigkeitsgründe gegeben seien und diese die für die Rückforderung sprechenden Gründe deutlich überwiegten. Unter Beachtung der Einwendungen und der Interessen des Beklagten erscheine ein Festhalten an der Rückforderung nicht als unerlaubte Rechtsausübung bzw. als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
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Bereits durch die Einräumung einer Ratenzahlung könnten die bestehenden Härten genügend abgemildert werden. Denn an sich seien zu viel erhaltene Bezüge in einer Summe und sofort zu zahlen. Ein Fehlverhalten des Dienstherrn sei ebenfalls in die Entscheidung über die Bewilligung von Ratenzahlung mit eingeflossen und berücksichtigt. Um eine für den Beklagten zumutbare, für die Klägerin tragbare und damit den Umständen des Falles angemessene Lösung zu erreichen, erscheine es angebracht, eine Ratenzahlung in Höhe von 300 EUR monatlich einzuräumen und die Raten von den laufenden Bezügen ab September 2017 einzubehalten. Dass die Rückzahlung von Geldbeträgen stets mit einer Härte verbunden sei, liege in der Natur der Sache.
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Am 18. Juni 2018 hat der Bevollmächtigte der Klägerin für diese Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,
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I. den Rückforderungsbescheid vom … August 2017 und den Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 aufzuheben und
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II. seine Hinzuziehung im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Es sei richtig, dass die Klägerin 3.271,88 EUR zu Unrecht erhalten habe.
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Allerdings sei die Klägerin entreichert. Die monatlich zu viel gezahlten Beträge hätten 3,1% der monatlichen Gesamtbezüge ausgemacht. Bei Überzahlungen bis 10% der Bezüge sei ohne nähere Darlegung davon auszugehen, dass die zu viel empfangenen Beträge für den Lebensunterhalt ausgegeben worden seien und eine Bereicherung nicht mehr vorhanden sei.
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Die Klägerin sei nicht deswegen bösgläubig gewesen, weil sie - so das Landesamt in seinem Schreiben vom … März 2017 - in der FO-Erklärung vom … November 2013 mitgeteilt habe, der Unterhalt für ihren Sohn betrage 86 EUR. Sie habe diesen Betrag unmissverständlich als Saldo deklariert. Die richtige Berechnung und Auszahlung der Vergütung sei Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Das Landesamt hätte daher das unbeabsichtigt entstandene, aber erkennbare Auskunftsdefizit zum Anlass nehmen müssen, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass der tatsächliche zustehende Unterhalt auch dann anzusetzen sei, wenn z.B. durch die Aufnahme je eines Kindes in die Wohnung des jeweils sorgeberechtigten Elternteils die gegenseitigen Unterhaltsansprüche aufgehoben seien. Tatsächlich sei dieser Hinweis aber erst im Widerspruchsbescheid erfolgt. Die Verantwortung für die Überzahlung liege daher beim Landesamt. Inzwischen sei der völlig intransparente Eigenmittelgrenzbetrag aus Vereinfachungsgründen abgeschafft worden.
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Hilfsweise wäre unter den gegebenen Umständen aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise von einer Rückforderung abzusehen gewesen.
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Das Landesamt hat für den Beklagten die Bezügeakte vorgelegt und mit Schriftsatz vom 13. August 2018 beantragt,
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Die Klägerin habe die Überzahlung durch unzutreffende Angaben bzw. fehlende Mitteilungen verursacht; ein schutzwürdiges Vertrauen bestehe insoweit nicht.
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Die FO-Erklärung frage explizit die zur Verfügung stehenden Mittel ab. Eine Saldierung werde nicht erwähnt. Wirtschaftlich führe eine Saldierung nur zu einem vereinfachten Zahlungsweg. Dem Kind stehe dennoch der gesamte Betrag zur Verfügung.
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Zweifel hätten sich für das Landesamt aus den Angaben der FO-Erklärung vom … November 2013 nicht ergeben müssen. Vielmehr habe es auf die Richtigkeit der Angaben vertrauen dürfen. Hätten sich Zweifel ergeben, würden - gemäß der üblichen Praxis - entsprechende Nachfragen erfolgt sein. Zudem hätte eine Überzahlung auch vermieden werden können, wenn eine unverzügliche Mitteilung / Übersendung des Unterhaltstitels (der jeweiligen Jugendamtsurkunde) erfolgt wäre.
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Mit Beschluss vom 18. September 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schriftsätzen vom 23. April 2020 bzw. 27. April 2020 haben die Klagepartei und die Beklagtenpartei jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegte Akte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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2. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom … August 2017 und der Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der vorliegenden Anfechtungsklage der der letzten Behördenentscheidung, als des Widerspruchsbescheids vom … Mai 2018, zugestellt am … Mai 2018. Relevant ist daher als Rechtsgrundlage für die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 noch Art. 36 Abs. 1 Bayerisches Besoldungsgesetz (BayBesG) in der bis 30. Juni 2018 geltenden Fassung. Deswegen ist es vorliegend irrelevant, dass der damals in Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BayBesG geregelte Eigenmittelgrenzbetrag im Falle der Aufnahme eines Kindes in die eigene Wohnung in der ab dem 1. Juli 2018 geltenden Fassung des Art. 36 BayBesG nicht mehr enthalten war.
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a) Zunächst ist davon auszugehen, dass der Rückforderungsbetrag in Höhe von 3.721,88 EUR zutreffend errechnet worden ist. Jedenfalls hat der Bevollmächtigte der Klägerin dies im Schriftsatz vom … Juli 2018 zugestanden. Dem Gericht wäre eine eigene Nachberechnung mangels entsprechender Unterlagen in der vom Landesamt vorgelegten Bezügeakte ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht möglich gewesen. Insbesondere fehlt darin die in den Schreiben des Landesamts vom … Dezember 2017 und … Januar 2018 genannte Bezügemitteilung für September 2017, aus der die Berechnung des Rückforderungsbetrags ersichtlich sein soll.
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b) Auch folgt das Gericht dem Landesamt in seiner im Widerspruchsbescheid vom … Mai 2018 geäußerten Rechtsauffassung, dass der Rückforderungsanspruch nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBesG dem Grunde nach entstanden ist.
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Die Klägerin haftet gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG i.V.m. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verschärft und kann sich deswegen auf die Einrede der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB nicht berufen. Es war ihr anhand des Formulars der von ihr am … November 2013 ausgefüllten FO-Erklärung (Nr. 1.3) deutlich erkennbar, dass zur Ermittlung des Eigenmittelgrenzbetrags nach Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BayBesG nach den gesamten für ein Kind zur Verfügung stehenden Mitteln gefragt wurde und nicht etwa nach einem sich z.B. im Falle mehrerer Kinder unter Umständen ergebenden Gesamtbetrag oder Saldierungsbetrag. Ohnehin hätte es nahegelegen, die tatsächlichen Umstände gegenüber ihrem Dienstherrn transparent zu machen, indem sie jeweils zeitnah die entsprechenden Unterhaltstitel (Jugendamtsurkunden vom …1.2009 und …7.2014) offengelegt hätte.
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c) Die vom Landesamt im Rahmen des angegriffenen Bescheides getroffene Billigkeitsentscheidung nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG hält einer rechtlichen Überprüfung jedoch nicht stand.
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aa) Nach dieser Vorschrift kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden. Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit aus Billigkeitsgründen von der Rückforderung abgesehen wird oder ob Ratenzahlung oder sonstige Erleichterungen zugebilligt werden, steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Sie hat die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalles Rechnung tragen, die formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken. Sie ist vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung (BVerwG U.v. 26.4.2012 - 2 C 4/11 - juris Rn. 18).
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Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung hat die Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheids zur Folge. Denn eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch und betrifft nicht lediglich die Vollziehung oder Vollstreckung eines Rückforderungsbescheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs. Sie ist daher zwingend vor der Rückforderung zu treffen. Die Billigkeitsentscheidung ist damit notwendiger und untrennbarer Bestand der Rückforderungsentscheidung (BVerwG U. v. 26.4.2012 - 2 C 15/12 - juris Rn. 23).
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Von der Rückforderung ist in der Regel dann teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. In diesem Fall ist ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30% des überzahlten Betrages im Regelfall angemessen (BVerwG U. v. 26.4.2012 - 2 C 4/11 - juris Rn. 20).
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bb) Die vom Landesamt getroffene Billigkeitsentscheidung, wonach die entstandene Überzahlung in Höhe von 3.721,88 EUR in voller Höhe zurückgefordert und in monatlichen Raten von 300,00 EUR ab September 2017 von den Bezügen der Klägerin einbehalten wird, erweist sich nach Maßgabe dieser Grundsätze als ermessenfehlerhaft.
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(1) Das Landesamt hat im Bescheid und im Widerspruchsbescheid ausgeführt: „Ein Fehlverhalten des Dienstherrn ist ebenfalls in die Entscheidung über die Bewilligung von Ratenzahlung mit eingeflossen und berücksichtigt.“
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Sofern man dabei nicht nur von einer Standardfloskel ohne wirklichen Inhalt ausgeht, ist nicht erkennbar, worin das Landesamt selbst ein Fehlverhalten des Dienstherrn gesehen hat. Nach Aktenlage kann es nur darin gelegen haben, nach der FO-Erklärung der Klägerin vom … November 2013 nicht „gemäß der üblichen Praxis“ eine Erläuterung des von der Klägerin erklärten „Ausgleichs“ durch den Kindsvater in Höhe von 86 EUR verlangt zu haben. Solches hat sich jedoch anhand der von der Klägerin gewählten Formulierung und wegen des zuvor in der FO-Erklärung vom … Mai 2010 angegebenen Unterhalts für den Sohn in Höhe von 345 EUR geradezu aufgedrängt. Aufgrund dieses Unterlassens ist es in überwiegender behördlicher Verantwortung zur Fortzahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 an die Klägerin bis inklusive März 2017 gekommen. Diese konnte ihren Bezügemitteilungen zwar entnehmen, dass dieser und auch der Familienzuschlag für ein Kind (Unterschiedsbetrag der Stufe 1 zur Stufe 2) gezahlt werden. Aus ihrer Perspektive erfolgte das jedoch zu recht. Ein diesbezüglicher Anlass zur Nachfrage ergab sich für die Klägerin nicht. Dies ist von der oben dargestellten verschärften Haftung der Klägerin wegen ihrer Angaben in der FO-Erklärung streng zu unterscheiden.
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(2) Außerdem entspricht es in der Regel der Billigkeit, bei wiederkehrenden Überzahlungen in jeweils geringer Höhe über einen längeren Zeitraum Ratenzahlungen einzuräumen, die dem Überzahlungszeitraum entsprechen (BVerwG U. v. 26.4.2012 - 2 C 4/11 - juris Rn. 22).
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Hier hingegen sollte der Überzahlungsbetrag von 3.721,88 EUR in monatlichen Raten von 300 EUR, also mithin binnen knapp 13 Monaten getilgt werden. Die Überzahlungen des Familienzuschlags der Stufe 1 - noch dazu anteilig entsprechend der Teilzeitbeschäftigung der Klägerin - erfolgten jedoch unter Zugrundelegung des Rückforderungszeitraums von Juni 2014 bis zur Einstellung der Zahlung zum 1. April 2017 über einen Zeitraum von 34 Monaten (was - ausgehend vom vollen Rückforderungsbetrag - eine monatliche Rate von rund 109 EUR bedeutet hätte). Diese Zeiträume stehen in einem krassen Missverhältnis zueinander. Zudem dürften monatliche Raten von 300 EUR für die Klägerin nach ihren individuellen Verhältnissen eine erhebliche Belastung dargestellt haben. Insoweit wird jedoch wohl bereits Erledigung eingetreten sein, nachdem die mit September 2017 beginnenden Einbehaltungen der Raten mit Ablauf Oktober 2018 geendet haben dürften. Der Akte des Landesamts lässt sich jedenfalls nichts Gegenteiliges entnehmen.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Wegen der Schwierigkeit der Sache für die Klägerin war auch die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.