Titel:
Kein Bestandsschutz für Gebäudereste gegenüber bauaufsichtsrechtlicher Beseitigungsanordnung
Normenketten:
BayBO Art. 3, Art. 10, Art. 54 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz:
Der Bestandsschutz deckt allein die Erhaltung des vorhandenen Bestandes; dieser Bestand muss noch funktionsgerecht nutzbar sein. Ein Wiederaufbau von Ruinen oder verfallenen Gebäuden fällt nicht mehr unter den Bestandsschutz. Bestandsschutz ist auch nicht mehr gegeben, wenn der mit der Instandsetzung verbundene Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich macht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Bausicherheitsrechtliche Anordnung der Beseitigung von Gebäuderesten, Erhebliche konkrete Gefahrenlage, Verhältnismäßigkeit der Anordnung, Bestandsschutz, Wegfall
Vorinstanz:
VG München vom 06.11.2019 – M 1 S 19.4350
Fundstelle:
BeckRS 2020, 1180
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage des Antragstellers gegen die Anordnung der Antragsgegnerin, die auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung T* …, befindlichen Gebäudereste des ehemaligen Anwesens S* … Straße * vollständig zu beseitigen, im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben. Da die Beseitigungsanordnung zur Abwehr von konkreten Gefahren für gewichtige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit notwendig ist und damit eine konkrete Gefahrenlage vorliegt, ist das Interesse des Antragstellers an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der angefochtenen Beseitigungsverfügung nachrangig.
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An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beseitigungsanordnung bestehen nach summarischer Prüfung der Rechtslage keine durchgreifenden Zweifel. Zutreffend stützt der Antragsgegner die streitgegenständliche Anordnung auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO. Die Bauaufsichtsbehörden haben gemäß Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayBO die Aufgabe dafür zu sorgen, dass u.a. bei der Unterhaltung baulicher Anlagen die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die vorliegenden Lichtbilder und die Einschätzung des Sachverständigen vom 6. März 2019 umfangreich dazu ausgeführt, dass der nach dem Zusammenbruch des Anwesens im Februar 2019 noch vorhandene Bestand erhebliche statische, zur weiteren Einsturzgefahr führende Mängel aufweist und die dem Verfall, insbesondere der Witterung, preisgegebenen Gebäudereste ein erhebliches Gefahrenpotential für das Leben und die Gesundheit von Menschen darstellen, die sich in unmittelbarer Nähe zu dem Grundstück aufhalten sowie für die Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr auf der unmittelbar daneben liegenden Bundesstraße. Der verbliebene Bestand steht in einem nicht durch nachträgliche Genehmigung ausräumbaren Widerspruch zu den vom Verwaltungsgericht angeführten öffentlich-rechtlichen Belangen der Art. 3 Satz 1, Art. 10 und Art. 14 BayBO. Damit sowie mit der Feststellung des Veraltungsgerichts, dass weder die temporäre Sicherung durch die im Februar 2019 getroffenen Maßnahmen noch der provisorisch errichtete Bauzaun die Gefahrenlage dauerhaft entschärfen können, setzt sich der Antragsteller nicht ansatzweise auseinander (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22a zur Frage der ausreichenden Darlegung).
4
Darüber hinaus hat der Senat nach summarischer Prüfung auch keine durchgreifenden Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der vollständigen Beseitigung der noch vorhandenen Gebäudereste. Ein möglicherweise in der Vergangenheit vorhandener Bestandsschutz ist auch nach den Ausführungen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung jedenfalls nach dem Eingreifen der Sicherheitsbehörden und dem (teilweisen) Abbruch des Gebäudes erloschen. Denn der Bestandsschutz deckt allein die Erhaltung des vorhandenen Bestandes; dieser Bestand muss noch funktionsgerecht nutzbar sein. Ein Wiederaufbau von Ruinen oder verfallenen Gebäuden fällt nicht mehr unter den Bestandsschutz (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2017 - 1 ZB 14.68 - juris Rn. 3 m.w.N.). Bestandsschutz ist auch nicht mehr gegeben, wenn der mit der Instandsetzung verbundene Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2001 - 4 B 18.01 - NVwZ 2002, 92). Dass hier eine funktionsgerechte Nutzung der noch vorhandenen baulichen Anlage ausgeschlossen ist, belegen die vorliegenden Lichtbilder. Da kein Baurecht mehr besteht, ist ein schützenswertes Interesse des Antragstellers am Erhalt der Gebäudereste nicht mehr gegeben.
5
Gemessen an diesen Maßstäben ist das Beschwerdevorbringen, die berechtigten Interessen des Antragstellers als Gebäudeeigentümer seien nicht hinreichend berücksichtigt worden, nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat im Hinblick auf das Erlöschen des Bestandsschutzes das Interesse des Antragstellers am Erhalt des Gebäudes als gering eingestuft. Angesichts des durch die vorliegenden Lichtbilder dokumentierten ruinösen Gesamtzustands des Anwesens kann hier dahinstehen, in welchen Fällen das Kriterium des Nutzwertes des verbleibenden Restbestands nach Beseitigung der nicht mehr standsicheren Gebäudeteile in die allgemeine Dispositionsfreiheit des Antragstellers fällt (vgl. OVG NW, U.v. 3.2.1994 - 10 A 1149.91 - NVwZ-RR 1995, 247). Zudem benötigt der Antragsteller die noch vorhandenen Gebäudereste nicht zur Wahrung seiner Rechte, da er durch die Anordnung nicht an einer für erforderlich gehaltenen Beweissicherung gehindert ist.
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Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung im Wesentlichen unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags ausführt, dass die Antragsgegnerin über die infolge des Teileinsturzes des Gebäudes im Februar 2019 notwendigen Sicherungsmaßnahmen hinaus zu Unrecht den Abbruch des verbliebenen Restgebäudes veranlasst habe, insbesondere weil das in Renovierung befindliche Gebäude standsicher gewesen sei und er dadurch einen Vermögensschaden erlitten habe, wendet er sich gegen die Rechtmäßigkeit des von den Einsatzkräften vor Ort angeordneten Abbruchs. Diese ist nicht Gegenstand der angefochtenen Beseitigungsanordnung und muss gegebenenfalls von dem Antragsteller in einem gesonderten Verfahren überprüft werden. Allerdings spricht nach vorläufiger Auffassung des Senats viel dafür, dass die unter Bezugnahme auf den ausführlichen Bericht des Baufachberaters des THW vom 5. September 2019 gestützten Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach eine akute Einsturzgefährdung des Restgebäudes bestanden und die Einsatzleitung den (teilweisen) Abbruch des Gebäudes unter sachgerechter Abwägung der möglichen Alternativen veranlasst habe, nicht zu beanstanden sind.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).