Titel:
Keine Abschiebungsverbot für alleinerziehende Mutter aus Nigera
Normenketten:
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 3, § 4, § 24 Abs. 1 S. 6
Leitsatz:
In Nigeria steht alleinstehenden beziehungsweise alleinerziehenden Frauen eine große Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen zur Verfügung. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigeria, Teilweise Klagerücknahme, Abschiebungsverbote (verneint), Abschiebungsverbot, alleinerziehend, medizinische Versorgung, Entwicklungsverzögerung, Zwangsbeschneidung, Bini, Christ
Fundstelle:
BeckRS 2020, 11569
Tenor
I. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage zuletzt die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat. die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach Nigeria bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat.
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Der am ... 2017 in ... (Bundesrepublik Deutschland) geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Bini und christlichem Glauben.
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Für den Kläger wurde am 8. Januar 2019 ein Asylerstantrag durch seine gesetzliche Vertreterin gestellt. Eine Beschränkung des Asylantrages gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht.
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Zunächst wurden für den Kläger keine eigenen individuellen Gründe geltend gemacht. Von einer persönlichen Anhörung im Asylverfahren wurde gemäß § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG abgesehen, weil der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt wurde.
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Mit Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt vom 5. März 2019) wurde die gesetzliche Vertreterin des Klägers aufgefordert, schriftlich zu eigenen Asylgründen des Kindes Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme erfolgte am 21. März 2019. Die gesetzliche Vertreterin des Klägers erklärte, dass der Kläger entwicklungsverzögert und ein nicht belastbares Bein habe. Eine notwendige Behandlung für eine positive Entwicklung sei in seinem Herkunftsland nicht gewährleistet. Zudem habe der Kläger das Problem, dass er auf einem Ohr nicht gut höre, was seine Lebensqualität in Nigeria beschränke. Zudem sei ihr Sohn nach seiner Geburt nicht beschnitten worden. Bei einer Rückkehr drohe ihm daher eine zwangsweise Beschneidung. Für den Kläger wurden ärztliche Berichte vom 22. Juli 2019 vorgelegt, aus denen sich die Diagnosen „partielle Balkenagenesie mit zystischer Struktur im Interhermisphärenspalt“ und „Trinkschwäche“ gestellt wurden. Die Durchführung einer EEG-Untersuchung habe einen Normalbefund erbracht. Die Nahrungsaufnahme, die nicht selbstständig oral erreicht worden sei, habe durch eine Magensonde erfolgen müssen, worin die gesetzliche Vertreterin und Mutter des Klägers geschult worden sei.
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Eine kinderneurologische Untersuchung des Klägers am 21. November 2019 hat weiter ergeben, dass die Entwicklung des Klägers weiterhin verzögert sei. Der Kläger könne inzwischen frei sitzen und krabbeln, jedoch nicht stehen und laufen. Ein EEG an der Uniklinik ... am 21. November 2019 sei unauffällig gewesen. Auf die entsprechenden ärztlichen Befundberichte wird verwiesen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Januar 2020 wurden die Anträge des Klägers auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt (Nrn. 1. und 2. des Bescheids). Nr. 3. des Bescheids bestimmt, dass dem Kläger auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4.). In Nr. 5. wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Kläger die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass der Kläger auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Nr. 6. setzt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung fest.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Auch im Asylverfahren der Kindsmutter sei die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt worden. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) lägen nicht vor. Gleiches gelte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse können nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Für den Kläger sei kein Ausnahmefall anzuerkennen. Die Kindsmutter, mit der der Kläger nach Nigeria zurückkehren werde, sei volljährig, jung, gesund und erwerbsfähig. Die gesetzliche Vertreterin des Klägers habe in Nigeria 12 Jahre lang die Schule besucht und anschließend auf dem Markt und im Fußballgeschäft gearbeitet. Im Heimatland bestehe eine Großfamilie aus zwei erwachsenen Kindern, acht Geschwistern, die beiden Elternteile sowie sechs Tanten und Onkel väterlicherseits der Mutter des Klägers. Landesüblich könne Unterstützung erwartet werden. Die für den Kläger erforderliche Betreuung könne in der Familie bewerkstelligt werden. Bei zusätzlichem Bedarf könne sich die Mutter des Klägers auch an diverse Hilfsorganisationen für Frauen wenden. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Für den Kläger komme auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Betracht. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG sei vorliegend angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung aufgrund schutzwürdiger Belange sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien. Die Asylanträge der Mutter des Klägers und dessen Bruders seien bereits rechtskräftig abgelehnt. Der Vater des Klägers sei unbekannt.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 28. Januar 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde der Mutter des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 5. Februar 2020 bekannt gegeben.
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Die Mutter des Klägers hat für diesen am 11. Februar 2020, zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Klage erhoben und zunächst beantragt,
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Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,
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hilfsweise, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
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hilfsweise festzustellen, dass er die Voraussetzung des subsidiären Schutzstatus erfüllt,
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hilfsweise festzustellen, dass für ihn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen,
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hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben bzw. kürzer zu befristen.
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Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Januar 2020 mit dem Az: * wird aufgehoben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.
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Zur Begründung wurde zunächst auf den Asylantrag vom 8. Januar 2019 und auf die Stellungnahme der Mutter des Klägers vom 21. März 2019 verwiesen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 hat die gesetzliche Vertreterin des Klägers die Klage auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt. Im Übrigen wurde die Klage zurückgenommen.
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Die gesetzliche Vertreterin des Klägers beantragt,
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Januar 2020 (Gz.: *) wird in den Nrn. 4 bis 6 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Nigerias festzustellen.
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Die Beklagte hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. März 2020 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Mit Schreiben der gesetzlichen Vertreterin des Klägers vom 15. April 2020 wurde für diesen ein weiterer ärztlicher Bericht des Universitätsklinikums * vom 28. Januar 2020 vorgelegt, auf den ergänzend verwiesen wird.
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Am 4. Mai 2020 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll Bezug verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die Klage bleibt, soweit sie in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 noch aufrechterhalten wurde, ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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1. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 teilweise zurückgenommen wurde - dies betrifft die ursprünglich gestellten Anträge des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a Grundgesetz (GG), auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG und auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) - war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach teilweiser Klagerücknahme verbliebener Gegenstand des Verfahrens ist damit nur mehr der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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2. Die in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 noch aufrechterhaltene Klage insbesondere auf Feststellung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist zwar zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Dem Kläger steht kein diesbezüglicher Anspruch zur Seite.
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Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen zu Gunsten des Klägers nicht vor.
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a) Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Nigeria - hier leben immer noch ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum und sind von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria - Lagebericht - a.a.O. Nr. I.2.) - ebenso wie die Situation hinsichtlich der verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffe, z.T. auch durch die Sicherheitskräfte, und die damit zusammenhängenden Gefahren (s.o. und Lagebericht a.a.O. Nr. II.2. und 3.) grundsätzlich nicht zu einer individuellen, gerade dem Kläger drohenden Gefahr führt, sondern unter die allgemeinen Gefahren zu subsumieren ist, denen die Bevölkerung oder relevante Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG durch Anordnungen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind.
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Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage eines Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie zum Beispiel im Falle einer tödlichen Erkrankung in fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - BVerwGE 146, 12-31, juris, Rn. 23 ff. m.w.N.). Im Hinblick auf die Bewertung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK gelten dabei bei der Beurteilung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG die gleichen Voraussetzungen wie bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - a.a.O. - juris Rn. 22, 36).
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Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuellen Familiensituation des Klägers mit seiner alleinerziehenden Mutter und dem älteren Bruder. Insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass im Allgemeinen eine interne Relokation für alleinstehende Frauen nicht übermäßig hart ist. Selbst wenn die Mutter des Klägers nicht an ihren vormaligen Aufenthaltsort (*) zurückkehren wollte, steht ihr in Nigeria eine große Auswahl spezifische Hilfsorganisationen für Frauen zur Verfügung. Insoweit kann auf die ins Verfahren eingeführte Auflistung im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - BFA - Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 12.4.2019 (dort S. 41) verwiesen werden. Eine Rückkehr des Klägers mit seiner derzeit alleinerziehenden Mutter begründet insbesondere auch deshalb kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, da die gesetzliche Vertreterin des Klägers auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung ebenfalls erklärt hat, dass sich ihre Großfamilie nach wie vor im Norden Nigerias aufhält. Es seien zwar zwischenzeitlich mehrerer ihrer Brüder zu Tode gekommen, jedoch seien nach wie vor drei Geschwister und auch ihre Mutter ansässig. Insoweit dürfte es auch möglich sein, für eine Betreuungsmöglichkeit des Klägers bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch seine gesetzliche Vertreterin sicherzustellen. Die gesetzliche Vertreterin des Klägers ist nach Auffassung des Gerichts durchaus erwerbsfähig. So hat sie in der mündlichen Verhandlung erklärt, bereits auf einem Markt geringfügig tätig gewesen zu sein, als auch im Fußballgeschäft berufliche Erfahrungen gemacht zu haben. Auch liegt bei der Mutter des Klägers ein zumindest sechsjähriger Schulbesuch in Nigeria vor, der sich als überdurchschnittlich erweist. Unter Berücksichtigung, dass sich Teile der Großfamilie des Klägers nach wie vor in Nigeria (*) aufhalten und unter Berücksichtigung, dass die gesetzliche Vertreterin des Klägers durchaus arbeitsfähig ist, ist ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zugunsten des Klägers nicht zu erkennen.
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b) Für den Kläger besteht aber auch kein nationales Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemein bestehenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
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Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für die Betroffenen die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen den Betroffenen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (zum Ganzen BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., Rn. 38).
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Bei der Frage, ob einem Ausländer wegen einer Erkrankung bei einer Rückkehr in die Heimat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht, ist der richtige Gefahrenmaßstab anzuwenden. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers auf Grund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer Erkrankung ist gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - NVwZ 2007, 712). Es muss sich dabei grundsätzlich um eine lebensbedrohliche oder vergleichbar schwerwiegende Erkrankung handeln (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
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Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9). Dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig oder überall gewährleistet ist, ist hierbei nicht erforderlich (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG).
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Bei einer Geltendmachung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes muss die Erkrankung durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht werden (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG und BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris). Aus dem vorgelegten Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat, welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von dem Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte ein fachärztliches Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (vgl. BVerwG, B.v. 26.7.2012 - 10 B 21.12 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 22.8.2014 - 5 C 14.1664 - juris Rn. 5).
41
Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers nicht vor.
42
Ausweislich der insoweit im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen insbesondere des Universitätsklinikums * (zuletzt vom 28. Januar 2020) leidet der Kläger insbesondere an einer komplexen Fehlbildung des Os sacrums mit Tethereb-Cord und gekammerten Meningozelen, einer sprachlichen und motorischen Entwicklungsverzögerung sowie einer orthopädisch bedingten Entwicklungsverzögerung. Die vorgelegten ärztlichen Atteste zugrunde gelegt, ist bei einer Rückkehr des Klägers nach Nigeria nicht davon auszugehen, dass dieser alsbald von existenziellen Gesundheitsgefahren bedroht sein könnte. Ebenfalls ist nicht ersichtlich, dass der Kläger zwingend auf eine Weiterbehandlung in Deutschland angewiesen wäre, um alsbald eintretende erhebliche Gesundheitsgefahren des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzuwenden. Den ärztlichen Attesten ist ebenfalls nicht zu entnehmen, inwieweit sich ein Abbruch der in der Bundesrepublik Deutschland begonnenen Therapien auf den Gesundheitszustand des Klägers auswirken würde. Dem zuletzt vorgelegten Befundbericht des Universitätsklinikums * vom 28. Januar 2020 ist auf S. 4 zu entnehmen, dass der Kläger am 28. Januar 2020 in gutem Allgemeinzustand in die ambulante Weiterbehandlung entlassen wurde. Jedenfalls ist nicht zugunsten des Klägers belegt, dass für den Fall, dass eine Fortsetzung der entsprechenden zur Anwendung gebrachten Therapien bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht auf dem in Deutschland gegebenen Niveau fortgeführt werden kann, mit alsbald eintretenden erheblichen Gesundheitsgefahren zu rechnen wäre. Der bloße Wunsch, durch fortdauernde optimale medizinische Versorgung im Bundesgebiet eine höhere Lebensqualität als im Heimatland zu erreichen, kann kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Damit fehlt es nach Überzeugung des Gerichts aber bereits an einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt demnach nur vor bei lebensbedrohlichen oder so schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Letzteres wurde durch die im Verfahren vorgelegten ärztlichen Befundberichte bereits nicht aufgezeigt, so dass es auch am Vorliegen der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c AufenthG mangelt.
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Nach allem bleibt festzuhalten, dass der grundsätzliche Wunsch des Klägers nach einem Verbleib in Deutschland bzw. nach einer besseren Diagnostik und Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland zwar durchaus nachvollziehbar ist, jedoch keinen Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermittelt. Der Asylbewerber muss sich grundsätzlich auch den Behandlungs-, Therapie- und Medikamentationsstandard im Überstellungsstaat verweisen lassen, auch wenn dieser dem hiesigen Niveau nicht entspricht. Dies ist vom Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG deutlich zum Ausdruck gebracht worden, in dem es heißt, es sei nicht erforderlich - im Sinne der Begründung eines Abschiebungsverbots -, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig sei.
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Nach allem war der Antrag des Klägers auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots auf der Grundlage der §§ 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzulehnen.
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Das Gericht kann den im Verfahren vorgelegten Attesten insbesondere keine lebensbedrohliche oder so schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entnehmen, die sich bei einer Rückkehr des Klägers nach Nigeria umgehend dergestalt verschlechtern würde, dass sie bis oder schwersten gesundheitlichen Schäden des Klägers führen würde. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger sich nach den im Verfahren vorgelegten Unterlagen in einer Kontrollphase nach durchgeführten Herz-Operationen befindet. Die dem Kläger verordneten Medikamente sind in Nigeria durchaus erhältlich. Im Übrigen ist auf die überdurchschnittliche Ausstattung des Gesundheitssektors im Heimatort des Klägers (*) zu verweisen.
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3. Die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig, da die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
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Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Befristung der Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 AufenthG bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und im Rahmen der gerichtlich gem. § 114 Satz 2 VwGO beschränkten Prüfung ordnungsgemäß ausgeübt.
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4. Die Klage war mithin mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Für den zurückgenommenen Teil der Klage trägt der Kläger gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten. Soweit er seine Klage in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2020 noch aufrechterhalten hat, ist der Kläger im Verfahren unterlegen, so dass er die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen hat. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.