Titel:
Keine Teilprivilegierung der Nutzungsänderung eines ehemaligen Altenwohnheimes
Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Wohnheim zeichnet sich dadurch aus, dass diesbezüglich eine Regelung der Voraussetzungen und der Berechtigung zum Wohnen besteht und dies durch einheitliche Verträge mit dem Heimbetreiber geregelt ist. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein Bauwerk, das für einen nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegierten Zweck genutzt worden ist, für einen anderen Zweck genutzt, liegt darin nicht nur eine Nutzungsänderung, sondern zugleich auch eine Funktionsänderung, die zu einer Entprivilegierung führt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Keine Teilprivilegierung der Nutzungsänderung eines ehemaligen Altenteilhauses, Außenbereich, Baugenehmigung, Einvernehmen, Ferienwohnung, Gemeinde, Nutzungsänderung, Wohnhaus, Wohnheim
Fundstelle:
BeckRS 2020, 11265
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 31. Oktober 2018,
Az: 4.1-0056/18/N, wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladenen je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich als Gemeinde gegen die Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Wohn-/Austragshauses im Außenbereich zu drei Wohneinheiten für insgesamt 19 Personen, die der Beklagte unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens mit dem angefochtenen Bescheid den Beigeladenen erteilt hat.
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Auf dem hier verfahrensgegenständlichen Grundstück FlNr. ..., das vormals Teil des Nachbargrundstücks FlNr. ... war, wurde mit Baugenehmigung vom 14. Januar 1976 ein Wohn-/Austragshaus mit 413,68 m² im Zusammenhang mit der Hofstelle genehmigt. Nach übereinstimmender Auskunft in der mündlichen Verhandlung wohnte dort bis zum Jahre 2008 der Vater des Eigentümers der FlNr. ..., bevor er in ein Pflegeheim kam und dort verstarb. Im Jahre 2017 erfolgte der Verkauf an die jetzigen Eigentümer der FlNr. ....
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Ausweislich der Planunterlagen befand sich auf der Hofstelle auf FlNr. ... ein Wohnhaus, auf dem Lageplan vom 20. Februar 1975 als altes Wohnhaus bezeichnet (Bl. 186 Gerichtsakte - GA).
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Die drei landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude auf der Hofstelle FlNr. ... wurden (zum Teil nach Neuerrichtung) mit Nutzungsänderungsgenehmigungen vom 7. September 2004 und 3. Januar 2019 in Lagerhallen für Bilderrahmen, für Gartenmöbel und für Bauelemente/Fenster umgenutzt. Keine Nutzungsänderung beantragt wurde für das Wohnhaus, den südlichen Anbau der Lagerhalle für Fenster und Gartenmöbel sowie für einen untergeordneten nördlichen und südlichen Teil der Lagerhalle für Bilderrahmen im Osten. Zur Verdeutlichung wird auf den vom Beklagten vorgelegten Auszug aus dem Liegenschaftskataster mit den darin vorgenommenen Einzeichnungen (Bl. 174 GA) Bezug genommen.
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Das Wohnhaus auf FlNr. ... wird nicht mehr von einem Mitglied der Eigentümerfamilie bewohnt. Der jetzige Eigentümer Josef B. ist mit Hauptwohnsitz unter einer anderen Adresse gemeldet und ausweislich der Bauantragsunterlagen dort auch erreichbar. Nach Angaben der Beteiligten wohnte dort zuletzt die Mutter des jetzigen Eigentümers bis zu ihrem Tode. Nach Angaben der Klägerseite und bestätigt durch einen von diesen vorgelegten Auszug aus dem Melderegister, waren die letzten Familienmitglieder die dort wohnten Kreszenz B. bis Dezember 1996 und Peter Andreas B. bis Anfang 2008 (Bl. 151 GA). Ausweislich seiner Angaben gegenüber dem Landratsamt und den Beigeladenen, niedergelegt in einem von diesen vorgelegten Protokoll, nutzt der jetzige Eigentümer Josef B. das Wohnhaus für die im Zusammenhang mit dem Betrieb anfallenden Büroarbeiten. Ausweislich dieses Protokolls über das Gespräch mit dem nach der mündlichen Verhandlung des Gerichts erschienenen Eigentümer der FlNr. ... gab dieser an, eine Nebenerwerbslandwirtschaft mit eigenen Maschinen auf nördlich angrenzenden selbstgenutzten Flächen (Ackergras/Heu) zu betreiben. Außerdem habe bis zum 23. Dezember 2019 ein Hofverkauf von Eiern und Kartoffeln (Automat) stattgefunden. Er sei ab nachmittags auf dem Hof, habe einen Sachkundenachweis für Pflanzenschutz und sei Mitglied der Berufsgenossenschaft. Vorgelegt wurden in diesem Zusammenhang Bilder der landwirtschaftlichen Maschinen (u.a. drei Traktoren, ein Erntewagen, ein Pflug). Auf die Fotos und den Vermerk zum Treffen mit Herrn Josef B. (Bl. 127 f. GA, Anlage BE 4 f.) wird verwiesen.
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Die Beigeladenen beantragten am 27. Dezember 2017 zuletzt die Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung zur Nutzungsänderung des Wohnhauses-/Austragshauses zu einem Wohnheim mit drei Einheiten, FlNr. ..., im Bestand. In drei Wohneinheiten sollten insgesamt 19 vollmöblierte, verschieden große Zimmer geschaffen werden. Für jede Wohneinheit sei ein Aufenthaltsraum mit vollausgestatteter Küchenzeile sowie gemeinschaftliche Sanitäreinrichtungen, getrennt nach Geschlechtern, geplant. In einem Bereich, der aktuell noch Wiese ist, sollen zehn Stellplätze entstehen. Ursprünglich war eine Nutzungsänderung in drei gewerbliche Ferienwohnungen geplant gewesen.
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Mit Beschluss des Gemeinderats vom 18. Januar 2018 verweigerte die Klägerin das gemeindliche Einvernehmen zu der ursprünglichen Planung, da drei gewerbliche Ferienwohnungen die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f BauGB nicht einhielten.
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In der Folgezeit legten die Beigeladenen auf Anforderung des Landratsamts eine Betriebsbeschreibung, datiert vom 28. März 2018, über die Nutzungsänderung von einem Wohn-/Austragshaus zu einem Wohnheim mit drei Einheiten vor (Bl. 45 Behördenakte - BA). Danach solle das Wohnheim zur kurz- bis mittelfristigen Unterbringung von Personen dienen, die in der Region München-Nord, voraussichtlich insbesondere mit Bezug zum Flughafen und dem Universitäts- und Forschungsstandort Garching, einer Beschäftigung nachgingen. Es würden drei in sich abgeschlossene Wohnbereiche zum Wohnen in wohngemeinschaftlicher Form zur Verfügung gestellt, die jeweils über unterschiedlich viele Einzel-Schlafzimmer für eine Person verfügten sowie über einen gemeinschaftlichen Wohnbereich mit integrierter Essküche und gemeinschaftlichen, nach Geschlecht getrennten Sanitäranlagen. Im Keller gäbe es einen Wasch- und Trockenraum sowie Lagervorrichtungen. Die Schlafzimmer seien vollumfänglich möbliert und böten aufgrund ihrer angenehmen Größe jedem Bewohner die Möglichkeit der unabhängigen Gestaltung seines häuslichen Wirkungskreises sowie der eigenständigen Haushaltsführung. Die gemeinschaftlichen Wohnbereiche und Essküchen seien vollständig, einschließlich Küchenutensilien und Geschirr, mit abschließbaren Küchenschränken und mehreren Kühlschränken, Sofas und Gemeinschaftsfernsehen, Elektrogeräten, Esstisch- und Stühlen ausgestattet. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Bewohner betrage in der Regel ungefähr sechs Monate entsprechend der Zeitspanne die man benötige, um neu in München eine längerfristige Wohnmöglichkeit zu finden; dies entspräche auch der Dauer eines Universitätssemesters. Längere Belegungen seien im Einzelfall möglich. Der Betreiber des Wohnheims reinige die gemeinschaftlichen Wohn-Essbereiche und die Sanitärbereiche täglich. Die Schlafzimmer würden zweiwöchentlich vom Betreiber gereinigt. Ein Wäscheservice für Handtücher und Bettwäsche sei optional. Im Übrigen versorgten sich die Bewohner selber. Eine konkrete Mietanfrage betreffe einen großen Arbeitgeber am Flughafen, der für seine Arbeitskräfte ein Wohnheim suche und aktuell viele einzelne individuelle Wohnungen angemietet habe.
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Nach erneuter Beteiligung lehnte der Gemeinderat der Klägerin mit Beschluss vom 20. September 2018 (Bl. 70 BA) erneut die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ab. Es bleibe bei der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens, da die Umformulierung des Bauantragbetreffs nicht zu einem anderen baurechtlichen Ergebnis führen könne. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen könne der Gemeinderat zu keinem anderen Ergebnis kommen.
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Mit Datum vom 19. Oktober 2018 gaben die Beigeladenen als Eigentümer des Grundstücks FlNr. ... eine Verpflichtungserklärung ab, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen. Eine entsprechende Erklärung des Voreigentümers für die Hofstelle lag beim Gerichtstermin ebenfalls vor.
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Mit Bescheid vom 31. Oktober 2018 erteilte das Landratsamt den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gemäß Art. 67 BayBO. Das Vorhaben sei als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB zulässig. Deshalb sei das gemeindliche Einvernehmen rechtswidrig versagt worden. Planungsrechtliche Ablehnungsgründe lägen nicht vor. Es handle sich um ein Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB, das die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Nr. 1 BauGB erfülle. U.a. stehe bzw. stand das Gebäude im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle, § 35 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. e BauGB. Die grundbuchmäßige Eigenständigkeit des Baugrundstücks sei dafür unbeachtlich. Auch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. f BauGB seien erfüllt. Da nicht mehr als drei Einheiten entstehen, könne offenbleiben, ob die beantragten drei Einheiten Wohneinheiten im Sinne der Vorschrift seien. Die Zahl der Schlafzimmer sei nicht entscheidungsrelevant, da diese mangels eigener Sanitär- und Kochgelegenheiten nicht als eigenständige Wohneinheiten anzusehen seien.
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Mit am 28. November 2018 eingegangenen Schriftsatz erhob die Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragte,
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Aufhebung des Bescheids vom 31. Oktober 2018, zugestellt am 6. November 2018.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsätzen vom 14. Januar 2019 und 6. Februar 2020 vorgetragen, dass das Vorhaben dem Bauplanungsrecht widerspräche und deshalb das rechtmäßig verweigerte Einvernehmen zu Unrecht ersetzt worden sei. Fraglich sei bereits, ob § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB anwendbar sei, da die Privilegierung den Strukturwandel in der Landwirtschaft erleichtern solle und hier nicht der Landwirt, sondern ein Immobilienunternehmen nach Erwerb des einzelnen Gebäudes den Antrag gestellt habe. Es handle sich bei der Errichtung eines Beherbergungsbetriebs für bis zu 19 Personen nicht mehr um eine zweckgemäße Verwendung der vorhandenen Bausubstanz, § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BauGB, da die Nutzung des Außenbereichs um ein Vielfaches intensiviert würde. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f BauGB sei nicht einschlägig, da es sich bei der geplanten Nutzungsänderung nicht um eine Wohnnutzung handele. Wenn eine Wohnnutzung vorläge, seien die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f BauGB nicht eingehalten, da dann mehr als drei Wohneinheiten je Hofstelle entstünden; im ehemaligen Wirtschaftsgebäude auf FlNr. ... befinde sich bereits eine nach Aufgabe der Landwirtschaft entprivilegierte Wohnnutzung mit der Folge, dass maximal zwei weitere Wohneinheiten entstehen dürften. Der landwirtschaftliche Betrieb auf FlNr. ... sei ausweislich einer Anhörung zu einer Nutzungsuntersagung durch das Landratsamt aus dem Jahre 2017 bereits 2013 aufgegeben worden; das Schreiben des Landratsamts vom 16. November 2017 sei beigefügt (Bl. 149 GA). Es genüge nicht, einige Hühner zu halten. Die Erteilung des Einvernehmens sei bei einer echten, reduzierten Wohnnutzung möglich.
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Der Beklagte beantragte,
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Mit Schreiben vom 4. Dezember 2019 und vom 3. April 2020 wurde unter Bezugnahme auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid ausgeführt, dass die Klägerin nach Mitteilung vom 2. August 2018 über die Änderung des Antragsgegenstands erneut zur Entscheidung über das bauplanungsrechtliche Einvernehmen aufgefordert worden sei. Außerdem sei sie zur beabsichtigten Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens angehört worden. Das Vorhaben der Beigeladenen sei bauplanungsrechtlich zulässig, da die erleichterten Voraussetzungen für ein sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB vorlägen. Das verfahrensgegenständliche Gebäude sei im Zusammenhang mit dem privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb auf FlNr. ... (Wohn- und Austragshaus) errichtet worden, diente einem landwirtschaftlichen Betrieb und habe bisher keine Änderung der Nutzung erfahren. Das Vorhaben diene der zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz. Umbauarbeiten seien nur in geringem Umfang erforderlich (Fenster und Türen, Außentreppe). Die Zahl der nutzenden Personen sei unerheblich. Vielmehr sei auf die vorhandene, sehr großzügig bemessene Nutz- und Wohnfläche des Gebäudes abzustellen. Eine bauliche Vergrößerung werde nicht vorgenommen. Die verfahrensgegenständliche Nutzung sei kein Beherbergungsbetrieb. Der Genehmigungsentscheidung sei die Betriebsbeschreibung vom 28. März 2018 zugrunde gelegt worden. Die Ausstattungsmerkmale ermöglichten eine Wohnnutzung im Sinne einer auf Dauer angelegte Häuslichkeit und der Eigengestaltung der Haushaltsführung des häuslichen Wirkungskreises. Die privaten Zimmer der Bewohner seien wohnartig dementsprechend ausgestattet worden. Es sei den Bewohnern nach dem Betriebskonzept auch nicht verwehrt, weitere persönliche Einrichtungsgegenstände in den Zimmern unterzubringen und den eigenen Wohnbereich privat zu gestalten. Es handle sich nicht lediglich um eine Schlafstätte. Vielmehr gäbe es Rückzugsmöglichkeiten in die Privatsphäre wie in einer Wohngemeinschaft. Das der Hofstelle zugehörige privilegierte Wohnhaus auf dem Grundstück FlNr. ... stehe der Privilegierung nicht gem. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f BauGB entgegen, da zusätzlich drei Wohneinheiten erlaubt seien. Das Gebäude stehe auch in einem räumlich funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle, da es ungeachtet der unterschiedlichen Flurstücke zu den übrigen Gebäuden der Hofstelle eine Betriebseinheit bildet bzw. gebildet hat. Eine Verpflichtungserklärung des Inhabers des landwirtschaftlichen Betriebs, Herrn Josef B., liege ebenfalls vor. Dieser betreibe eine Nebenerwerbslandwirtschaft und erledige im Betriebsleiterwohnhaus der Hofstelle die Büroarbeiten für den landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Die Hofstelle müsse nicht fortbestehen. Ein Wohnheim sei Wohnnutzung und die Erschließung sei gesichert.
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Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragte,
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Die Hofstelle sei bis heute nicht aufgegeben worden. Maßgeblich für die Anwendbarkeit des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB sei die bei Aufgabe der Hofstelle zuletzt ausgeübte und insoweit auch genehmigte Nutzung. Dies sei ein Altenteilerhaus gewesen.
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Es sei gesetzgeberisch nicht gewollt, dass solche Gebäude, für die ergänzend eine weitere Nutzung, hier Wohnhaus und Altenteilerhaus genehmigt sei und die bis zuletzt landwirtschaftlich privilegiert genutzt worden seien, hinsichtlich ihrer Weiterverwendung schlechter gestellt seien, als nur landwirtschaftlich privilegierte Gebäude.
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Am 18. Dezember 2019 wurde ein Augenschein mit anschließender mündlicher Verhandlung durchgeführt; auf das Protokoll wird Bezug genommen.
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Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden. Unter Berücksichtigung der pandemiebedingten Verzögerungen erklären sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid der Kammer einverstanden.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Nach Anhörung und mit Zustimmung der Beteiligten konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da nach dem Ergebnis des Augenscheins, der mündlichen Verhandlung und der weiteren vorgelegten Unterlagen die Sach- und Rechtslage hinreichend geklärt und einfach ist, § 84 Abs. 1 VwGO.
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Die zulässige Klage hat Erfolg.
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Der Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2018 war aufzuheben, da er die Klägerin in ihren eigenen Rechten als Trägerin der Planungshoheit verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Die Klägerin durfte daher das gemeindliche Einvernehmen verweigern. Die Ersetzung des Einvernehmens im Baugenehmigungsbescheid war rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten als Trägerin der Planungshoheit.
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Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann das Landratsamt als die nach Landesrecht zuständige Behörde das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gemeinde ersetzen, wenn es von dieser rechtswidrig verweigert worden ist. Die Gemeinde darf ihr Einvernehmen nur aus den in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB genannten Gründen versagen. Deshalb sind die Voraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB im Rahmen einer Anfechtungsklage der Gemeinde in vollem Umfang nachzuprüfen, wobei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des zugrundeliegenden Verwaltungsakts maßgeblich ist (BVerwG, U.v. 09.08.2016 - 4 C 5.15).
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Da im vorliegenden Fall eine Nutzungsänderung auf der Grundlage des § 35 BauGB für ein Vorhaben im Außenbereich genehmigt wurde, bestehen gegen die Zulässigkeit der auf Verletzung der bauplanungsrechtlichen Planungshoheit gestützten Klage gegen die Ersetzung des Einvernehmens keine rechtlichen Bedenken.
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Das Landratsamt hat das gemeindliche Einvernehmen im verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 31. Oktober 2018 zu Unrecht ersetzt, da es die Klägerin aus Gründen, die sich aus § 35 BauGB ergeben, versagen durfte. Die genehmigte Nutzungsänderung ist nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB teilprivilegiert.
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Unstrittig handelt es sich um ein Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB. Die beabsichtigte Nutzungsänderung des Wohn- und Altenteilhauses in drei Wohnungen mit Gemeinschaftseinrichtungen für insgesamt 19 Personen ist nach der Betriebsbeschreibung allerdings kein Wohnheim, sondern ein Boardinghouse, dessen Zuordnung als Wohnnutzung oder als Beherbergungsbetrieb vom Nutzungskonzept abhängt. Im vorliegenden Fall steht für die potentiellen Bewohner nicht die eigenständige Haushaltsführung und unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises im Vordergrund, sondern die vorübergehende Unterbringung in vollausgestatteten Einheiten mit einigen hoteltypischen Serviceleistungen. Bettwäsche wird bei Bedarf gestellt. Sanitäreinrichtungen und Küche werden täglich geputzt. Die Küche ist mit Geschirr voll ausgestattet. Benutzerkreis und Aufenthaltsdauer sind variabel und auf einen vorübergehenden Aufenthalt ausgelegt. Die Gestaltung eines häuslichen Wirkungskreises ist nur sehr eingeschränkt möglich (VGH Baden-Württemberg v. 17.01.2017 - 8 S 1641/16 (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.04.2019 - OVG 5 S 24.18). In Abgrenzung dazu liegt Wohnen dann vor, wenn nach Ausstattung und Nutzungskonzept in einem privaten Rahmen die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts objektiv verbundene Tätigkeiten möglich sind. Die eigenständige Haushaltsführung und unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises „wie zu Hause“ muss möglich sein. Davon kann hier nicht ausgegangen werden, da dem jeweiligen Bewohner nur sein vollständig möbliertes Zimmer als private Sphäre zur Verfügung steht und er im Übrigen die Gemeinschaftseinrichtungen mit ihm unbekannten Personen teilen muss. Die Einordnung als Wohnheim für 19 Personen in drei Wohneinheiten ist unzutreffend, da der Benutzerkreis sowie Zweck und Dauer des Aufenthalts beliebig ist. Ein Wohnheim zeichnet sich dadurch aus, dass diesbezüglich eine Regelung der Voraussetzungen und der Berechtigung zum Wohnen besteht und dies durch einheitliche Verträge mit dem Heimbetreiber geregelt ist (Hornemann in Spanowski/Hornemann/Kemper, BauNVO, § 3 Rn. 96 f). Losgelöst von der Bezeichnung ist deshalb im vorliegenden Fall eine Nutzungsänderung nicht zu Wohnzwecken, sondern nach der Betriebsbeschreibung als Boardinghouse zu gewerblichen Zwecken eines Beherbergungsbetriebs geplant.
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Das Vorhaben ist nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB teilprivilegiert, da das Bestandsgebäude bereits vor Aufgabe der Landwirtschaft nicht mehr nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert war. Nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 setzt die Teilprivilegierung voraus, dass die bisherige Nutzung eines Gebäudes im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 geändert werden soll. Gebäude im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sind nur solche, die einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienen. Ein Betriebsleiter- und Altenteiler-Wohnhaus dient einem landwirtschaftlichen Betrieb.
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Im vorliegenden Fall hat die Beendigung der Nutzung als Altenteilerhaus durch den Vater des Voreigentümers im Jahre 2008 zu einer dauerhaften Entprivilegierung als Altenteilerhauses geführt. Wird, wie hier ein Bauwerk, das für einen nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegierten Zweck genutzt worden ist, für einen anderen Zweck genutzt, liegt darin nicht nur eine Nutzungsänderung, sondern zugleich auch eine Funktionsänderung, die zu einer Entprivilegierung führt (BVerwG, B.v. 09.09.2002 - 4 B 52/02 m.w.N.). Diese Entprivilegierung fand bereits 2008 statt. Der Vater des Voreigentümers ist Ende 2008 ins Pflegeheim gekommen und hat dieses nicht mehr verlassen. Es handelte sich hier auch nicht um eine lediglich vorübergehende Unterbrechung der genehmigten Nutzung als Altenteilerhaus, da eine entsprechende Nutzung tatsächlich und rechtlich nicht wieder aufgenommen werden kann und konnte. Zum einen befand sich auf der Hofstelle nach Angaben der Beteiligten eine weitere Wohneinheit, die von der Mutter des Voreigentümers als Altenteil genutzt wurde; eine zweite Altenteilerwohneinheit ist nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als der Landwirtschaft dienend privilegiert. Zum anderen ist als Folge der Betriebsaufgabe eine erneute Nutzung als Altenteilerhaus auch zukünftig nicht mehr möglich. Es gibt vor Ort seit Jahren keinen Landwirt mehr, der nach der Hofübergabe an den Nachfolger dort einziehen könnte.
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Da seit 2008 die privilegierte Nutzung entfallen ist, besteht wegen dieser Funktionsänderung nur noch die genehmigte Nutzung als Wohnhaus fort, die ausweislich der Baugenehmigungen vom 14. Januar 1976 damals ausdrücklich mitgenehmigt wurde. Die Nutzung als Wohnhaus unterliegt dem Bestandsschutz, da es sich um eine rechtmäßige Nutzung nach Art und Umfang wie genehmigt handelt (BVerwG, a.a.O.). Keinen Bestandsschutz hat wegen der Funktionsänderung die ursprüngliche Genehmigung als Altenteilerhaus, da diese Nutzung nach Art und Umfang bereits vor Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs nicht mehr bestand.
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Die bestandsgeschützte Nutzung als Wohnhaus ist nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als Betriebsleiterwohnung privilegiert, da sich auf der landwirtschaftlichen Hofstelle FlNr. ... bereits eine genehmigte Betriebsleiterwohnung befand, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass jemals eine entsprechende Privilegierung im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorlag. Eine baurechtlich genehmigte Wohnnutzung im Außenbereich, die keinem landwirtschaftlichen Betrieb dient, fällt nicht unter den Teilprivilegierungstatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB.
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Vorliegend fehlt es außerdem an der Voraussetzung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e BauGB, wonach das Gebäude im räumlich-funktionalem Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs stehen muss. Dahinstehen kann vorliegend, ob - wie es der Wortlaut darlegt - der landwirtschaftliche Betrieb noch existieren muss (offengelassen BayVGH, U.v. 27.07.2018 - 15 B 17.1169) oder ob dies auch gilt, wenn der ursprüngliche landwirtschaftliche Betrieb vollständig aufgegeben wurde (OVG Koblenz, U.v. 27.02.2018 - 8a 11535/17). Im vorliegenden Fall fehlt der räumlich-funktionale Zusammenhang zwischen dem zur Nutzungsänderung vorgesehenen Gebäude und der Hofstelle des landwirtschaftlichen Betriebes bereits deshalb, weil die privilegierte Nutzung als Altenteilerhaus bereits vor der Aufgabe der Landwirtschaft nicht mehr bestand. Nach Aktenlage wurde die Landwirtschaft durch den heutigen Eigentümer der FlNr. ..., Josef B., bis spätestens 2013 aufgegeben und besteht seitdem auch als Nebenerwerbslandwirtschaft nicht mehr fort. Von der ursprünglich genehmigten und vorhandenen Hofstelle ist nichts mehr übrig. Die Existenz einiger Hühner und die Bewirtschaftung einer Wiese genügen dafür nicht. Bereits 2004 wurde mit Bescheiden vom 7. September 2004 eine Nutzungsänderung der drei landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude in Lager genehmigt. Ausweislich eines Schreibens des Landratsamtes vom 16. November 2017 (Bl. 149 GA) wurde seit 2013 im Hinblick auf die nördliche Maschinenhalle eine Nutzungsuntersagung geprüft, da die genehmigte Nutzung geändert worden war; die Genehmigung dieser faktisch seit mehreren Jahren bestehenden Nutzungsänderung erfolgte mit Bescheid vom 3. Januar 2019 in eine Lagerhalle für Bauelemente (Fenster). Die verbleibenden untergeordneten Anbauten bzw. Bereiche der drei ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude, für die keine Nutzungsänderung genehmigt wurde, rechtfertigen nicht die Einschätzung einer verbleibenden Hofstelle eines Nebenerwerblandwirts. Eine Hofstelle im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt außerdem ein Wohnhaus voraus, das vom Landwirt als Betriebsleitergebäude bewohnt wird. Der Eigentümer Josef B. ist mit Hauptwohnung unter einer anderen Adresse gemeldet. Ausweislich der Angaben der Beteiligten erledigt er im ehemaligen alten Wohnhaus ab nachmittags lediglich die Büroarbeiten für den Betrieb; dies genügt nicht. Unter Berücksichtigung dessen, dass sowohl das Betriebsleiterwohnhaus als auch die drei Wirtschaftsgebäude nicht mehr einem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dienen, besteht die landwirtschaftliche Hofstelle spätestens seit Aufgabe der Nutzung der Maschinenhalle im Norden seit 2013 nicht mehr.
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Da im vorliegenden Fall ab 2004 die drei (einzigen) landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude in Lagerhallen umgenutzt wurden, an der Hofstelle auf FlNr. ... bereits ein Wohnhaus vorhanden war, die Mutter des heutigen Eigentümers ein Altenteil auf der Hofstelle FlNr. ... bewohnte, der Eigentümer selbst dort nicht mehr seinen Hauptwohnsitz hatte und ab Ende 2008 die Nutzung des hier verfahrensgegenständlichen Bestandsgebäudes als Altenteilerhaus mit dem endgültigen Auszug des Vaters Peter B. aufgegeben wurde, liegen die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine teilprivilegierte Nutzungsänderung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB nicht vor. Die Baugenehmigung als Altenteilerhaus ist funktionslos geworden und die miterteilte Genehmigung als weiteres Wohnhaus nimmt an der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht teil.
39
Die Klägerin durfte nach dieser Sachlage die Erteilung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 BauGB versagen. Bei der Nutzungsänderung in drei Wohneinheiten für insgesamt 19 Personen mit Gemeinschaftseinrichtungen handelt es sich um ein sonstiges Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB, dem mangels einer Teilprivilegierung nach Abs. 4 BauGB die Beeinträchtigung öffentlicher Belange entgegengehalten werden kann. Vorliegend ist dies insbesondere die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und die Entstehung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung, § 35 Abs. 3 Nr. 5 und Nr. 7 BauGB.
40
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 VwGO stattzugeben.
41
Die Beigeladenen haben sich aufgrund ihrer Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.