Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 05.03.2020 – 3 TaBV 108/19
Titel:

Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats im Rahmen der Eingruppierung eines Arbeitnehmers

Normenketten:
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 99 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4
TVG § 1
Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 6.7.1994 (LRTV) § 3, § 4
Leitsatz:
Da es sich bei der Eingruppierung eines Arbeitnehmers nicht um Rechtsgestaltung, sondern um Rechtsanwendung handelt, hat die - ggf. im Einvernehmen mit dem Betriebsrat getroffene - Entscheidung des Arbeitgebers nur deklaratorische Bedeutung. Hält der Arbeitgeber die ursprüngliche Eingruppierung für unzutreffend, ist er deshalb grundsätzlich berechtigt, eine fehlerhafte, der Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht entsprechende Eingruppierung auch nach unten durch eine sog. korrigierende Rückgruppierung zu ändern. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eingruppierung, Druckindustrie, Helfer, Rotationsmaschine, Betriebsrat, Entgeltgruppe, Tarifauslegung, Überwiegensprinzip, Rückgruppierung
Vorinstanz:
ArbG Augsburg, Beschluss vom 25.06.2019 – 7 BV 23/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 11100

Tenor

1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 25.06.2019 - 7 BV 23/18 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die zutreffende Eingruppierung eines Arbeitnehmers.
2
Die Beteiligte zu 1. betreibt eine Druckerei (im Folgenden: Arbeitgeberin); der Beteiligte zu 2. ist der bei ihr gebildete Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat). Im Betrieb der Arbeitgeberin gilt der am 01.10.1984 in Kraft getretene Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der F. einschließlich Y. vom 06.07.1994 (im Folgenden. LRTV). Er lautet auszugsweise wie folgt:
㤠3 Lohngruppen
1. Zur Eingruppierung der Arbeitnehmer werden nachstehende Lohngruppen vereinbart. Die Vergütungssätze der einzelnen Lohngruppen werden in einem gesonderten Lohntarifvertrag geregelt.
Lohngruppe I 80,0% des Facharbeiter-Wochenecklohnes
Lohngruppe II 83,5% des Facharbeiter-Wochenecklohnes
Lohngruppe III 87,0% des Facharbeiter-Wochenecklohnes
Lohngruppe IV 90,0% des Facharbeiter-Wochenecklohnes
2. Lohngruppen-Beschreibungen
Lohngruppe IV
Tätigkeiten,
- die Vorkenntnisse aufgrund aufgabenbezogener Unterweisung oder Einarbeitung, fallweise längerer Berufspraxis voraussetzten,
- die erhöhte Anforderungen an Genauigkeit oder Gewissenhaftigkeit stellen,
- die mit erhöhten, fallweise großen Belastungen unterschiedlicher Art, insbesondere infolge maschinenabhängiger Arbeit,
- die mit erhöhter Verantwortung für Betriebsmittel und/oder Arbeitsprodukt verbunden sind.
Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Bewertungskriterien sind nicht in jedem Fall kumulativ zu verstehen. Im Zweifel wird die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als Auslegungshilfe herangezogen.
3. Anspruch auf Eingruppierung in die Lohngruppe I - IV besteht nach einer sechsmonatigen Einarbeitungszeit in den Tätigkeiten der jeweiligen Lohngruppe.
Während der Einarbeitungszeit erhaltenen Arbeitnehmer der Lohngruppe I - IV den Tariflohn der jeweils niedrigeren Lohngruppe bzw. in der Lohngruppe I den Lohn der Eingangsstufe (74%).
Die in einer anderen Lohngruppe ganz oder teilweise geleistete Arbeit wird angerechnet.
4. Bei Neueinstellungen ist Art und Dauer der nachgewiesenen bisherigen Tätigkeit in der Druckindustrie bei der Eingruppierung zu berücksichtigen.
5. Facharbeiter der Druckindustrie im 1. Gehilfenjahr erhalten 95% des Facharbeiter-Wochenecklohns.
Rotationshelfer (Helfen beim Einrichten - einschließlich Einziehen der Papierbahn - und Umrüsten sowie beim Bereitstellen und Nachfüllen von Druckfarben an Rotationen) und Rolleure (Wechseln von Papierrollen an Rotationsmaschinen) erhalten dieselbe Entlohnung.
§ 4 Eingruppierung
1. Jeder Arbeitnehmer ist aufgrund der von ihm vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3 einzugruppieren. Für die Eingruppierung sind die abstrakten Merkmale entscheidend. Erweiterte Arbeitsaufgaben sind entsprechend zu berücksichtigen.
2. Übt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten aus, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, so erfolgt die Eingruppierung nach der überwiegenden Tätigkeit. …“
3
Der Tarifvertrag enthält eine Anlage Richtbeispiele, die auszugsweise wie folgt lautet:
Lohngruppe IV
1. Manuelles Abnehmen und Absetzen an Rotationen
3. Einrichten und Bedienen von einfachen Einzelmaschinen und Geräten der Weiter verarbeitung.
5. Durchführen von Transportarbeiten (z.B. Transport von Papierstapeln/Druckgut mit Gabel-, Drehgabelstaplern, Transportwagen, Hubwagen usw.).
9. Einrichten, Bedienen und Überwachen von Produktabnahmeautomaten an Rotati onen.
4
Mit Schreiben vom 04.09.2017 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung zur befristeten Einstellung des Mitarbeiters X. als Helfer vom 11.09.2017 bis 31.08.2018 bei einer Eingruppierung in die Gruppe H 31, die unstreitig der Lohngruppe III im Sinne des § 3 Nr. 3 LRTV, Anl. K3, entspricht. Mit Schreiben vom 06.09.2017 stimmte der Betriebsrat der Einstellung, jedoch nicht der Eingruppierung zu. Der Mitarbeiter X. sei als Rotationshelfer im Sinne des § 3 Nr. 5 LRT mit 95% des Facharbeiter-Wochenecklohnes zu vergüten (Anl. K4).
5
Der Mitarbeiter X. wurde als Helfer ausschließlich im Bereich der Offset-Rotationsmaschine 665 eingesetzt. Dabei oblag es ihm, den sog. Stangenbildner bzw. Stangenstapler zu bedienen und zu überwachen. Der Stangenstapler für die Offset-Rotationsmaschine 665 wird als ST 80 DS bezeichnet und ist eine Maschine, die den Schuppenstrom von Falzbogen in der Rotationsdruckmaschine durch ein Transportband übernimmt. Die Exemplare werden sodann ausgerichtet, gepresst und zu einer vertikalen Stange gestapelt. Die Stange wird dann mit einem Plastumreifungsband zugebunden (vgl. Betriebsanleitung, Anl. K12 = Bl. 342 d. A.). Schließlich wird die Stange auf eine Palette abgesetzt. Neben der Tätigkeit am Stangenstapler half der Mitarbeiter X. u.a. im Fall von Störungen an der Rotation. Zuarbeiten beim Papiereinzug oder beim Wechseln der Gummitücher obliegt an der Offset-Rotationsmaschine 665 dem zweiten dort eingesetzten Drucker. Die als Zeugen vernommenen, an der Rotationsmaschine 665 eingesetzten Drucker W. und V. erklärten den Umfang der Tätigkeiten des Mitarbeiters X. am Stangenbildner mit 85% bzw. 90 - 95% der Tätigkeit eines Helfers. Seit dem 01.04.2018 übte der Mitarbeiter X. die Tätigkeiten eines Rolleurs aus, weshalb er seit diesem Zeitpunkt nach § 3 Nr. 5 LRTV umgruppiert worden ist.
6
Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass der Mitarbeiter X. zutreffend in die Lohngruppe III LRTV eingruppiert sei. Zwar lägen an sich die Voraussetzungen der Lohngruppe IV LRTV vor. Im Hinblick auf die Regelung in § 3 Ziffer 3 LRTV sei der Mitarbeiter jedoch in den ersten sechs Monaten in die niedrigere Lohngruppe III LRTV einzugruppieren. Die Voraussetzungen des § 3 Ziff. 5 LRTV lägen nicht vor. Der Mitarbeiter X. sei nicht als Rotationshelfer tätig gewesen. Die Tätigkeiten am Stangenstapel würden dem Richtbeispiel 9 der Lohngruppe IV LRTV entsprechen, da es sich bei dem Stangenstapler um einen Produktionsabnahmeautomat handeln würde. Die Arbeitgeberin habe bislang alle Helfer im Tätigkeitsbereich der Offset-Rotationen nach einer Anlernzeit von bis zu sechs Monaten nach § 3 Nr. 5 LRTV eingruppiert. Diese Praxis würde jedoch nicht dem Tarifvertrag entsprechen. Aus der fehlerhaften Anwendung des LRTV könne kein Anspruch auf Eingruppierung entstehen.
7
Die Arbeitgeberin hat zuletzt erstinstanzlich beantragt,
1.
2.
Die mit Schreiben vom 06.09.2017 vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung von Herrn X. in Lohngruppe III nach dem Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie ab dem 11.09.2017 wird ersetzt.
3.
8
Der Betriebsrat hat beantragt,
die Anträge abzuweisen, und hat hierzu gemeint, dass der Mitarbeiter X. von Anfang an gem. § 3 Ziffer 5 LRTV einzugruppieren sei. Die Helfertätigkeit bringe es mit sich, dass die in § 3 Nr. 5 LRTV genannten Beispiele nicht überwiegend erfüllt sein müssten. Das Einrichten und Umrüsten sei nur am Anfang eines Druckauftrages und/oder bei Wechsel des Druckauftrages notwendig. Die Tätigkeit des Umrüstens (Hilfe beim Wechsel von Druckplatten) und des Papiereinzugs würden die Mitarbeiter bei der Wäsche der sog. Gummitücher verrichten. Das Bereitstellen und Nachfüllen von Druckfarben an Rotationen entfalle, da die Maschinen nunmehr über eine automatisierte Farbzuführung verfügten. Die Farbcontainer mit einem Inhalt von ca. 1.000 kg Farbe würden einmal monatlich gewechselt werden, wozu mindestens drei Personen unter Einschluss der Helfer erforderlich seien. Das Richtbeispiel Nr. 9 zur Lohngruppe IV LRTV sei nicht einschlägig. Bei den sog. Stangenbildner handle es sich nicht um einen Produktabnahmeautomaten. Aufgrund der jahrelangen Eingruppierung aller Rotationshelfer gemäß § 3 Ziffer 5 LRTV läge zudem ein betriebliches Entlohnungsschema vor, dem sich die Arbeitgeberin nur mit Zustimmung des Betriebsrats entziehen könne. Auch insoweit läge ein Verstoß gemäß § 99 Abs. 2 Nr.2 BetrVG vor.
9
Das Arbeitsgericht Augsburg hat durch Beschluss vom 25.06.2019 - 7 BV 23/18 - den Anträgen entsprochen und zur Begründung, soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung ausgeführt: Der Antrag hinsichtlich der Eingruppierung des Mitarbeiters X. sei begründet. Die Zustimmung des Betriebsrats sei gemäß § 99 Abs. 1 und 4 BetrVG zu ersetzten, da der vom Betriebsrat behauptete Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG nicht gegeben sei. Die Arbeitgeberin habe den Mitarbeiter X. zutreffend in die Lohngruppe III des § 4 Abs. 5 LRTV eingruppiert. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats lägen die Voraussetzungen des § 3 Nr. 5 LRTV nicht vor. Danach erhielten Rotationshelfer (Helfen beim Einrichten - einschließlich Einziehen der Papierbahn - und Umrüsten sowie beim Bereitstellen und Nachfüllen von Druckfarben an Rotationen) dieselbe Entlohnung. Wie die Wörter „und“ und „sowie“ deutlich machten, müssten die in der Klammer genannten Tätigkeiten kumulativ vorliegen. Daran fehle es im vorliegenden Fall, weil unstreitig die Offset-Rotationsmaschine 665 über eine automatisierte Farbzuführung verfüge. Der Wechsel des Farbcontainers ca. einmal monatlich könne nicht mit dem Bereitstellen und Nachfüllen von Druckfarben gleichgesetzt werden. Darüber hinaus mache die Tätigkeit als Stangenstapler mindestens 85% der gesamten Arbeitstätigkeit als Helfer aus. Es liege auch kein betriebliches Eingruppierungsschema vor, das eine Zustimmungsverweigerung begründen könnte. Die Arbeitgeberin korrigiere eine offensichtlich unzutreffende Eingruppierungspraxis aus der Vergangenheit. Die Arbeitgeberin habe demgegenüber zutreffend den Mitarbeiter X. in die Entgeltgruppe III eingruppiert. Sie habe nachvollziehbar dargelegt, dass der Mitarbeiter an sich die Voraussetzungen der höchsten Helfergruppe, der Lohngruppe IV LRTV, erfülle. Gemäß § 3 Ziffer 3 LRTV sei in den ersten sechs Monaten die niedrigere Lohngruppe, also die Lohngruppe III, einschlägig.
10
Gegen diesen, seinen Verfahrensbevollmächtigten am 29.08.2019 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 27.09.2019 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 29.11.2019 am 29.11.2019 begründet. Der Mitarbeiter X. sei als Rotationshelfer nach der Eingruppierungsvorschrift des § 3 Abs. 5 LRTV einzugruppieren. Ein Helfer am Stangenstapler müsse den Stangenstapler für jeden Auftrag neu einrichten bzw. umrüsten. Hierzu müsse er eigenverantwortlich die Größe der Stange wegen der erforderlichen Fläche der Palette errechnen und den Zähler einstellen. Sei der Stangenstapler nicht korrekt ein- bzw. für den neuen Auftrag umgestellt, könne kein Druckprodukt die Maschine verlassen. Bei dem Stangenstapler handle es sich um ein Element an der Druckmaschine, das die gefalteten Druckprodukte sammle und zu einer Art Stapel bilde. Darüber hinaus seien die Mitarbeiter, die den Stangenstapler bedienten, mit den sonstigen Helfertätigkeiten, die beim Auftragswechsel oder Störungen an der Rotation anfielen, betraut. An den betreffenden Maschinen könne ein Umrüsten, d. h. ein Wechsel der Druckplatten, nur mit zwei Personen erfolgen, weshalb ein Helfer benötigt werde. Je nach Auftragslage sei ein Umrüsten bis zu viermal je Schicht erforderlich. Auch bei den Störungen im Vordruck und der Notwendigkeit, Papier einzuziehen, sei der Einsatz eines Helfers notwendig. Bei Materialproblemen könne der Papiereinzug auch 80% einer Schicht in Anspruch nehmen. Als Helfer wurde der Mitarbeiter X. außerdem für den Wechsel des Farbcontainers der Rotation ca. einmal monatlich herangezogen. Die Facharbeiter und die Helfer an der Maschine arbeiteten im Team. Jede Person an der Maschine trage ihren Teil dazu bei, wenn die Maschine umgerüstet wird, damit der nächste Auftrag produziert werden könne. Die im Klammerzusatz genannten Tätigkeiten müssten nicht kumulativ erfüllt sein. Auch gelte für die Sondervorschrift des § 3 Nr. 5 LRTV gerade nicht das Überwiegensprinzip des § 4 Nr. 2 LRTV. Es handle sich bei den in § 3 Nr. 5 LRTV beschriebenen Tätigkeiten des Einrichtens und Umrüstens naturgemäß um Tätigkeiten, die nur sporadisch anfielen. Gleichwohl handle es sich um unerlässliche Tätigkeiten, damit der Produktionsfluss und -ablauf gewährleistet sei. Daher sollten diese naturgemäß nur sporadisch anfallenden Tätigkeiten auch gesondert vergütet werden. Dies entspreche der besonderen Bedeutung des Rotationshelfers. Eine Eingruppierung in die Lohngruppe IV LRTV führe zu einem Verstoß gegen die im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze. Bei der Anwendung des LRTV seien sich die Betriebsparteien bislang einig gewesen, dass sämtliche Helfer in der Rotation der Eingruppierungsregelung des § 3 Nr. 5 LRTV zuzuordnen seien. Hierbei handle es sich um einen Entlohnungsgrundsatz.
11
Die Tätigkeit des Mitarbeiters X. entspreche nicht der Lohngruppe III i. V. m. § 3 Nr. 3 LRTV. Richtbeispiel Nr. 9 der Lohngruppe IV LRTV sei nicht erfüllt. Bei dem Stangenstapler handele es sich nicht um einen Produktabnahmeautomat im Sinne dieses Richtbeispiels. Produktabnahmeautomaten im Sinne dieses Richtbeispiels seien Automaten an Ausgabefließbändern (sog. Paketausleger, an denen Pakte gebündelt und manuell entnommen werden würden). Das Einrichten und Bedienen des Stangenstaplers sei dagegen sehr viel komplexer. Zudem betreffe die Eingruppierungsregelung des § 3 Nr. 3 LRTV ausschließlich den individualarbeitsrechtlich durchsetzbaren Anspruch des Arbeitnehmers im Hinblick auf seine Eingruppierung und Entlohnung. Die Eingruppierung auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene habe von Beginn an in der Lohngruppe zu erfolgen, für die der Arbeitnehmer eingestellt werde. Dies folge aus der Rechtsnatur der Eingruppierung als ein Akt der Rechtsanwendung. Die Eingruppierung eines Arbeitnehmers in eine Vergütungsgruppe eines Tarifvertrages erfolge ausschließlich auf der Grundlage der vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit. Auch erhalte der Arbeitnehmer lediglich den Lohn der jeweils niedrigeren Lohngruppe, was voraussetze, dass eine Eingruppierung, d. h. Zuordnung zur höheren Lohngruppe von Beginn an stattfinde. Es sei daher bereits begrifflich falsch, die Zustimmung des Betriebsrats zur „Eingruppierung“ in die Lohngruppe III LRTV zu ersetzen, nachdem die Arbeitgeberin der Auffassung sei, die Lohngruppe IV sei die richtige Lohngruppe, der die Tätigkeiten des Mitarbeiters X. zuzuordnen seien.
12
Der Betriebsrat beantragt unter Rücknahme der Beschwerde im Übrigen,
1.
den Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 25.06.2019, Az. 7 BV 23/18 zu Ziff. 2 abzuändern,
2.
den Antrag der Arbeitgeberin zu 2 zurückzuweisen.
13
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
14
Die Eingruppierung in die Lohngruppe III LRTV sei zu Recht erfolgt, da der Mitarbeiter X. Tätigkeiten der Lohngruppe IV LRTV verrichte und daher nach § 3 Ziff. 3 LRTV zu Beginn seiner Tätigkeit in die entsprechend niedrigere Lohngruppe III LRTV einzugruppieren gewesen sei.
15
Das Einrichten und Umrüsten des Stangenstaplers sei nicht mit dem Einrichten und Umrüsten der Rotationsmaschine selbst gleichzusetzen. Der Stangenstapler sei ein eigenes Gerät und nicht nur ein Element der Offset-Rotationsmaschine. § 3 Ziff. 5 Abs. 2 LRTV spreche im Klammerzusatz ausschließlich vom „Helfen beim Einrichten (…) und Umrüsten (…) an Rotationen“ und meine damit nicht das Einrichten und Umrüsten der sich an die Rotationsmaschine anschließenden Automaten. Andernfalls bedürfte es auch nicht der Wortwahl im Richtbeispiel 9 zur Lohngruppe IV LRTV „Einrichten, (…) von Produkteabnahmeautomaten an Rotationen“. Wäre jede einrichtende Helfertätigkeit im Zusammenhang mit einer Rotationsmaschine auch Rolleur-Tätigkeit gem. § 3 Nr. 5 Abs. 2 LRTV, wäre das Richtbeispiel 9 in der Lohngruppe IV LRTV überflüssig. Das Überwiegensprinzip des § 4 Ziff. 2 LRTV finde auf die Eingruppierung nach § 3 Nr. 5 LRTV Anwendung. Auch die Eingruppierung nach § 3 Nr. 5 LRTV finde sich unter der Überschrift des „Lohngruppen“ regelnden § 3 LRTV. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Beschränkung des Überwiegensprinzips auf die Lohngruppen I - IV gewollt, hätten sie dies in § 4 Ziff. 2 LRTV zum Ausdruck bringen müssen. Andernfalls müsste jede noch so kleine und zeitlich geringe Tätigkeit als Rotationshelfer oder Rolleur zur Eingruppierung im Sinne von § 3 Nr. 5 LRTV führen.
16
Die bisherige Eingruppierung der Helfer im Rotationsbereich sei einem offensichtlichen Irrtum der Arbeitgeberin geschuldet. Dies solle zukünftig korrigiert werden. Ein betriebliches Eingruppierungsschema, das zudem gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verstieße, da der anzuwendende LRTV nicht gekündigt sei, könne nicht angenommen werden.
17
Die Tätigkeit des Herrn X. erfülle das Richtbeispiel zur Lohngruppe IV LRTV. Der Betriebsrat beschreibe mit den Tätigkeiten an Automaten, an den Pakete gebündelt würden, die dann manuell entnommen werden müssten, Tätigkeiten an einer Folienbündelmaschine, die dem Richtbeispiel 3 der Lohngruppe IV LRTV zugeordnet würden. Demgegenüber sei bereits nach der Begrifflichkeit ein Produktabnahmegerät ein Gerät, das Produkte an der Rotation automatisch aufnehme. Die Funktonalität eines Stangenstaplers sei die eines Produktabnahmeautomaten i. S. d. Richtbeispiels.
18
Eine Eingruppierung nach der Lohngruppe IV LRTV habe unter Berücksichtigung des § 3 Ziff. 3 LRTV in die Lohngruppe III zu erfolgen. Dies werde durch den Tarifvertragstext bestätigt. § 3 Ziff. 3 Abs. 1 LRTV regle die Eingruppierung und § 3 Ziff. 3 Abs. 2 LRTVV stelle deklaratorisch den Individualanspruch des Arbeitnehmers hinsichtlich der Entgeltgruppe klar. Das Missverständnis des Betriebsrats bei der Auslegung des § 3 Ziff. 3 LRTV könne nur entstehen, wenn die einzelnen Absätze des § 3 Ziff. 3 LRTV nicht als Absätze, sondern als fortlaufender Text geschrieben werden würden.
19
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Schriftsatz des Betriebsrats vom 29.11.2019 (Bl. 270 - 284 d. A.), den Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 29.01.2020 (Bl. 321 - 348 d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.03.2020 (Bl. 349 - 352 d. A.) Bezug genommen.
II.
20
Die Beschwerde des Betriebsrats bleibt erfolglos. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
21
1. Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
22
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung des Mitarbeiters X. ersetzt, § 99 Abs. 4 BetrVG.
23
a) Die Zustimmung des Betriebsrats war gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen, weil der vom Betriebsrat behauptete Zustimmungsverweigerungsgrund i. S. d. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, der Mitarbeiter X. sei als Rotationshelfer nach § 3 Nr .5 LRTV zu 95% ab Beginn der Tätigkeit eingruppiert, nicht gegeben ist. Die Arbeitgeberin hat den Mitarbeiter X. zutreffend in die Lohngruppe III des unstreitig anzuwendenden LRTV eingruppiert. Dies folgt aus der Auslegung des LRTV.
24
aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Aushebung von Gesetzen geltenden Regeln (vgl. BAG, U. v. 21.03.2012 - 4 AZR 254/10 - Rn. 16). Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifausübung ergänzend zuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, U. v. 07.07.2004 - 4 AZR 433/03 - unter I. 1. b) aa) der Gründe).
25
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Mitarbeiter X. nicht gemäß § 3 Abs. 5 LRTV mit 95% des Facharbeiter-Wochenecklohns zu vergüten. Er wurde im streitgegenständlichen Zeitraum nicht überwiegend mit Tätigkeiten eines Rotationshelfers beschäftigt.
26
(1) Bereits aus dem Begriff „Rotationshelfer“ folgt, dass die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit eines solchen Helfers diejenige an Rotationen und nicht an Stangenstapler bzw. Stangenbildner sein muss. Bestätigt wird diese Auslegung durch die im Klammerzusatz näher beschriebenen Tätigkeiten des Rotationshelfers wie „Helfen beim Einrichten - einschließlich Einziehen der Papierbahn - und Umrüsten sowie beim Bereitstellen und Nachfüllen von Druckfarben an Rotationen“. Nach dem Wortlaut „Helfen beim Einrichten … an Rotationen“ würde die Einrichtungstätigkeit am Stangenstapler nicht genügen. Die Tätigkeit „Helfen beim Einrichten“ steht zudem im Zusammenhang mit den Tätigkeiten „Einziehen der Papierbahn“ und „Bereitstellen und Nachfüllen von Druckfarben“, die nur bei Rotationen anfallen. „Beim Einrichten“ muss sich damit auf eine unterstützende Tätigkeit an Rotationen beziehen.
27
Der Stangenstapler bzw. Stangenbildner ist nicht ein Element an der Druckmaschine, wie der Betriebsrat meint. Ausweislich der vorgelegten Rechnung vom 22.12.2009 über den Stangenstapler ST 80 für die Rotation 665 ist er eine von der Rotation unabhängige Maschine. Dies bestätigt die Betriebsanleitung des Staplers St 80 DS, nach der es sich um eine Maschine handelt, die den Schuppenstrom vom Falzbogen aus einer Rotationsdruckmaschine durch ein Transportband übernimmt. Der Stangenstapler ist damit eine von der Rotation zu trennende Maschine, die auch nicht „an“ ihr ist.
28
(2) Der Mitarbeiter X. verrichtete nicht überwiegend Tätigkeiten an der Rotation.
29
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Mitarbeiter X. zu höchstens 15% Tätigkeiten an der Rotation 665 in Gestalt der Störungsbeseitigung u. a. verrichtete. Damit fehlt es an einem Überwiegen der Tätigkeit, das 50% seiner Arbeitstätigkeit voraussetzen würde.
30
Nach den vorstehenden Auslegungsgrundsätzen gilt das in § 4 Nr. 2 LRTV geregelte Überwiegensprinzip auch für die Eingruppierung „95% des Facharbeiter-Lohnecklohns“ i. S. d. § 3 Nr. 5 LRTV. Die Regelung in § 4 Nr. 2 LRTV findet nach ihrem Wortlaut Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer verschiedene Tätigkeiten ausübt, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind. § 3 Nr. 5 LRTV ist eine Regelung des § 3 LRTV, der mit der Überschrift „Lohngruppen“ überschieben ist. Weder in § 4 Nr. 2 LRTV noch § 3 Nr. 5 LRTV findet sich zudem ein Anhaltspunkt dafür, dass das ausnahmslos statuierte Überwiegensprinzip nicht auch für die Eingruppierung von Rotationshelfern gelten solle.
31
(3) Eine Eingruppierung nach § 3 Nr. 5 LRTV lässt sich schließlich nicht damit rechtfertigen, dass sich die Betriebsparteien in der Vergangenheit einig gewesen seien, dass die Zuordnung sämtlicher Helfer in der Rotation gemäß § 3 Nr. 5 LRTV zu erfolgen habe. Da es sich bei der Eingruppierung nicht um Rechtsgestaltung, sondern um Rechtsanwendung handelt, hat die - ggf. im Einvernehmen mit dem Betriebsrat getroffene - Entscheidung der Arbeitgeberin nur deklaratorische Bedeutung. Hält die Arbeitgeberin die ursprüngliche Eingruppierung für unzutreffend, ist sie deshalb grundsätzlich berechtigt, eine fehlerhafte, der Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht entsprechende Eingruppierung auch nach unten durch eine sog. korrigierende Rückgruppierung zu ändern (vgl. Fitting u. a., 30. Aufl. 2020, § 99 BetrVG, Rn. 111 m. w. N.). Im Hinblick darauf, dass im Betrieb der Arbeitgeberin unstreitig der LRTV Anwendung findet, ist auch nicht von einem anderen (welchen?) Entlohnungsschema auszugehen. Der Betriebsrat ist der Einwendung der Arbeitgeberin, sie habe sich in der Anwendung des LRTV geirrt, schließlich nicht entgegentreten.
32
(4) Auf die weiteren, zwischen den Beteiligten streitigen Fragen in Bezug auf die Eingruppierung nach § 3 Nr. 5 LRTV kam es nach alledem nicht (mehr) an.
33
cc) Der Mitarbeiter X. ist zutreffend in die Lohngruppe III LRTV eingruppiert. Dies ergibt sich aus dem Richtbeispiel Nr. 9 zur Lohngruppe IV LRTV i. V. m. § 3 Nr. 3 LRTV.
34
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe dann als erfüllt anzusehen, wenn die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers in dieser Lohngruppe als Richtbeispiel geführt ist (vgl. BAG, U. v. 29.04.1987 - 4 AZR 524/86). Es kommt in diesem Fall nicht mehr darauf an, ob die allgemeinen - abstrakten - Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe erfüllt werden (vgl. BAG, B. v. 09.07.1997 - 10 ABR 1/97 - unter B. II. 1. der Gründe).
35
(2) Die Tätigkeit des Mitarbeiters X. entspricht im Richtbeispiel Nr. 9 zur Lohngruppe IV LRTV.
36
Unstreitig richtet der Mitarbeiter X. den Stangenbildner ein und bedient sowie überwacht ihn. Mit der Arbeitgeberin ist zudem davon auszugehen, dass ein Stangenbildner ein „Produktionsabnahmegerät“ ist, das schon von seinem Wortlaut her Produkte abnimmt. Eben dies tut nach der Bedienungsanleitung der Stangenbildner ST 80 DS, da er den Schuppensprung vom Falzbogen aus der Rotationsdruckmaschine durch ein Transportband „übernimmt“. Der Auslegung steht nicht entgegen, dass es einen Stangenstapler bei Inkrafttreten des LRTV noch nicht gegeben hat. Der Begriff „Produktabnehmer“ ist ein Rechtsbegriff, unter den verschiedene Maschinen zur Produktabnahme an Rotationen subsumiert werden können.
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(3) Aufgrund der Regelung in § 3 Nr. 3 Satz 1 LRTV entstand der Anspruch auf Eingruppierung in die Lohngruppe IV LRTV erst nach einer sechsmonatigen Einarbeitungszeit in die Tätigkeit. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass der Mitarbeiter X. im streitgegenständlichen Zeitraum in die Lohngruppe III LRTV eingruppiert ist.
38
Die hiergegen vorgebrachten Einwände des Betriebsrats greifen nicht durch. Es folgt nicht aus der Rechtsnatur der Eingruppierung, dass von Beginn an die Eingruppierung in der Lohngruppe zu erfolgen hat, deren Tätigkeit der Arbeitnehmer verrichtet. Der hier vorliegende Tarifvertrag trifft für Eingruppierungen eine andere Regelung. Denn § 4 Ziff. 1 Satz 1 LRTV bestimmt, dass jeder Arbeitnehmer „aufgrund der von ihm vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3 LRTV einzugruppieren“ sei. Damit kommt es für die Eingruppierung einerseits auf die auszuübende bzw. ausgeübte Tätigkeit, andererseits auf die Regelungen des § 3 LRTV, wozu auch § 3 Nr. 3 LRTV gehört, an. Nach § 3 Nr. 3 LRTV besteht der Anspruch auf Eingruppierung in die Lohngruppen I bis IV „nach einer sechsmonatigen Einarbeitungszeit in die Tätigkeiten der jeweiligen Lohngruppe“. Darüber hinaus ist der Annahme des Betriebsrats, § 3 Nr. 3 LRTV betreffe nur den individualrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Vergütung, unrichtig. § 3 Nr. 3 LRTV bestimmt erst in Abs. 2, dass während der Einarbeitungszeit Arbeitnehmer der Lohngruppen I - IV den Tariflohn der jeweils niedrigeren Lohngruppe erhalten. Diese Regelung vollzieht auf individualrechtlicher Ebene die Eingruppierung nach § 3 Ziff. 3 Abs. 1 LRTV nach. III.
39
Eine Entscheidung über die Kosten war nicht zu treffen, da in diesem Verfahren Kosten nicht erhoben werden, §§ 2 Abs. 2 GKG, 2a Abs. 1 ArbGG.
IV.
40
Die Rechtsbeschwerde war nach § 78 Abs. 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen, weil ein gesetzlicher Zulassungsgrund nicht vorlag.