Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 05.05.2020 – Au 9 E 20.762
Titel:

Unzulässiger Eilantrag eines Ladenbesitzers in einem Einkaufszentrum gegen Coronaschutzmaßnahmen

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
3. BayIfSMV § 4 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. In Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich um ein Einkaufszentrum im Rechtssinn, wenn eine räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe - zumeist in Kombination mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben - gegeben ist, die regelmäßig einheitlich geplant, finanziert, gebaut und verwaltet Gebäudekomplex wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 47372). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verpflichtungen nach der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung richten sich bei Ladengeschäften, die sich in einem Einkaufszentrum befinden, einheitlich nur gegen den Betreiber des Einkaufszentrums und nicht gegen die Betreiber der einzelnen Einzelhandelsgeschäfte des Einkaufszentrums (Anschluss an BayVGH BeckRS 2020, 7226). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Einzelhandelsgeschäft in einem Einkaufszentrum, Feststellung der Berechtigung zur Öffnung mit einer Verkaufsfläche unter 800 m2, Corona-Pandemie, Schutzmaßnahmen, Festellungsfähiges Rechtsverhältnis, Einkaufszentrum
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10946

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung, dass sie berechtigt ist, ihr im *-Center, * Str.,, gelegenes Textileinzelhandelsgeschäft mit einer Verkaufsfläche von 488 m2 zu den jeweils geltenden Ladenöffnungszeiten für den Publikumsverkehr zu öffnen.
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Die Antragstellerin führt im *-Center, Stadt, ein Textileinzelhandelsgeschäft mit einer Verkaufsfläche von 488 m2. Eigentümer und Vermieter des *-Centers ist die * Ltd.
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In der am 4. Mai 2020 in Kraft getretenen Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 1. Mai 2020 ist in § 4 Abs. 4 Satz 1 für Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser u.a. Folgendes geregelt:
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1. Der Betreiber hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden eingehalten werden kann und die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 m2 Verkaufsfläche.
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2. Es dürfen höchstens 800 m2 Verkaufsfläche geöffnet werden; dies gilt nicht für Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken und Geldautomaten, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Verkauf von Presseartikeln, Filialen des Brief- und Versandhandels, Post, Bau- und Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Tierbedarf, Tankstellen, Kfz-Handel, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten und Reinigungen.
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Mit Schriftsatz vom 1. Mai 2020 beantragte die Antragstellerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO):
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Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 in der Fassung des § 1 der Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 28. April 2020 (bis 3.5.2020) und § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Mai 2020 (ab 4.5.2020) der Öffnung und den Betrieb des Textileinzelhandelsgeschäfts der Antragstellerin in, im *-Center in der * Str., mit einer Verkaufsfläche von 488 m2 zu den jeweils geltenden Ladenöffnungszeiten für den Publikumsverkehr nicht entgegenstehen, soweit die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittssteuerung, Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das *-Center in * zahlreichen Einzelhandelsgeschäften voneinander unabhängige Verkaufsflächen biete. Die Geschäfte seien nicht über gemeinsame Gänge und Flure derart miteinander verbunden, dass man von einem Geschäft zum anderen gehen könne. Die Ladengeschäfte des *-Centers seien insbesondere nicht innerhalb eines Gebäudes „unter einem Dach“ untergebracht. Da die Verkaufsfläche des Ladengeschäfts der Antragstellerin am Standort in * lediglich 488 m2 aufweise und die Regelung hinsichtlich der Öffnung von sonstigen Ladengeschäften mit einer Verkaufsfläche von weniger als 800 m2 aus der 2. BayIfSMV eindeutig gewesen sei, habe die Antragstellerin ihre Filiale am 27. April 2020 geöffnet. Am 30. April 2020 sei sie von der örtlichen Polizei aufgefordert worden, das Ladengeschäft zu schließen. Die Antragstellerin sei der Schließungsanordnung nachgekommen. Die Antragstellerin erleide schon jetzt durch die Untersagung ihres Geschäftsbetriebs enorme Verluste. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei zulässig und begründet. Der Statthaftigkeit des Antrags stehe das in § 47 VwGO geregelte Normenkontrollverfahren nicht entgegen. Die vom Landratsamt angeordnete Schließung des Ladengeschäfts sei schon deshalb rechtswidrig, weil das Ladengeschäft der Antragstellerin als sonstiges Ladengeschäft mit einer Verkaufsfläche von 488 m2 und damit unterhalb der Schwellengrenze von 800 m2 Verkaufsfläche gemäß § 2 Abs. 5 der 2. BayIfSMV öffnen dürfe. Bei dem *-Center handle es sich nicht um ein Einkaufszentrum im Sinne der Verordnung. Das Ladengeschäft der Antragstellerin sei lediglich Teil einer Agglomeration mehrerer zum Teil großflächiger Einzelhandelsbetriebe. Das Inkrafttreten der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung am 4. Mai 2020 werde an der sachlich nicht zu rechtfertigenden und damit verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen den Ladengeschäften innerhalb und außerhalb von Einkaufszentren nichts ändern, weil sich für die Antragstellerin weder inhaltlich noch materiell-rechtlich Änderungen ergäben.
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Auf den weiteren Inhalt des Antragsschriftsatzes vom 1. Mai 2020 wird ergänzend verwiesen. Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2020 hat die Antragstellerin ihr Vorbringen ergänzt und vertieft.
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Der Antrag wurde dem Antragsgegner zur Stellungnahme zugeleitet. Eine Stellungnahme ist bislang nicht erfolgt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag bleibt ohne Erfolg; er ist bereits unzulässig.
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Zwar kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint.
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Der Antrag ist jedoch unzulässig, weil zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht.
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Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft derer eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2011 - 8 C 8.10 - BVerwGE 140, 267).
16
Da der Entscheidung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen ist, beurteilen sich die Erfolgsaussichten des Antrags nach der am 4. Mai 2020 in Kraft getretenen Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV).
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Adressat der sich aus § 4 Abs. 4 Satz 1 der 3. BayIfSMV ergebenden Betriebsbeschränkungen für Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser ist der jeweilige Betreiber der genannten Einrichtungen. Das Gericht ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage der Auffassung, dass es sich bei dem *-Center,, in dem das streitgegenständliche Textileinzelhandelsgeschäft der Antragstellerin gelegen ist, um ein Einkaufszentrum im Sinn von § 4 Abs. 4 Satz 1 der 3. BayIfSMV handelt, so dass ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis lediglich zwischen dem Betreiber des *-Einkaufzentrums (der * Ltd.) und der Infektionsschutzbehörde des Antragsgegners besteht. Da die Antragstellerin nicht Adressat der Regelung ist, kann sie sich nicht auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zum Antragsgegner berufen.
18
In Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich um ein Einkaufszentrum im Rechtssinn, wenn eine räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe - zumeist in Kombination mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben - gegeben ist, die regelmäßig einheitlich geplant, finanziert, gebaut und verwaltet Gebäudekomplex wird (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1990 - 4 C 16.87 - juris Rn. 21 m.w.N.). Weiter erforderlich ist, dass die einzelnen Betriebe auch aus Sicht der Kunden als aufeinander bezogen, als durch ein gemeinsames Konzept und durch Kooperation miteinander verbunden in Erscheinung treten. Dies kann sich beispielsweise auch durch eine verbindende Sammelbezeichnung, wie sie hier die Bezeichnung „*-Center *“ darstellt, dokumentieren.
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Auch nach den von der Antragstellerin im Verfahren vorgelegten Unterlagen, insbesondere Anlage ASt1 (Gerichtsakte Bl. 12) ist Eigentümer und Bauherr des einheitlichen Gebäudekomplexes die * Ltd (*). Auch die im Internet verfügbare Homepage des *-Centers * geht von einem einheitlichen Auftritt und damit einer Verbundenheit der Fachgeschäfte aus. Gleiches gilt für die zentral vorgesehenen Parkflächen des *-Centers. Die Zusammengehörigkeit der einzelnen Einzelhandelsgeschäfte zu einem einheitlich betriebenen Gesamtkonzept lässt sich auch nicht dadurch verneinen, dass zwischenzeitlich insbesondere im *-Center Nord die jeweiligen Geschäfte Einzelzugänge an der Außenseite des Gebäudes aufweisen und es an einer „Einkaufspassage“ im Inneren des nördlichen Gebäudes fehlt. Im südlichen Gebäude (*-Center Süd) ist zudem noch eine die dort vorhandenen Geschäfte verbindende Ladenpassage vorhanden. Letztlich spricht für das Vorliegen eines Einkaufszentrums auch, dass aus einem anderen bei Gericht anhängigen Verwaltungsstreitverfahren bekannt ist, dass die * Eigentümer der Grundstücke in * ist und auch diesbezüglich ausschließlich als Vermieterin sämtlicher Ladengeschäfte auftritt. Die * bezeichnet sich selbst als Betreiberin des Einkaufszentrums *-Center in *. Die * geht somit selbst davon aus, in * ein Einkaufszentrum mit der hierfür erforderlichen einheitlichen Verwaltungsstruktur zu betreiben.
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Damit liegt aber aus Sicht der erkennenden Kammer die für ein Einkaufszentrum charakteristische erforderliche einheitliche Konzeption und Verwaltung einer tatsächlichen räumlichen Konzentration von Einzelhandelsgeschäften und Dienstleistungsbetrieben vor. Die jeweiligen Einzelhandelsgeschäfte sind demgegenüber in Bezug auf die Verwaltung nicht autonom, sondern Teil der Gesamtstruktur der übergeordneten Einheit „Einkaufszentrum“.
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Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass nach der Verordnung bei Ladengeschäften, die sich in einem Einkaufszentrum befinden, einheitlich auf den Betreiber des Einkaufszentrums abzustellen ist und nicht auf die Betreiber der einzelnen Einzelhandelsgeschäfte des Einkaufszentrums. Letztere werden durch § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 der 3. BayIfSMV nicht verpflichtet, sondern ausschließlich der Betreiber des jeweiligen Einkaufszentrums. Dieses Ergebnis bestätigt letztlich § 9 Nr. 5a) bb) der 3. BayIfSMV, der als Ordnungswidrigkeit ahndet, wenn der Betreiber eines Einkaufszentrums die vorgeschriebene Begrenzung der Verkaufsfläche missachtet (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 20 CE 20.951).
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Da es sich beim *-Center * daher um einen einheitlich konzipierten und verwalteten Gebäudekomplex handelt, ist dieser als Einkaufszentrum im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 1 der 3. BayIfSMV zu qualifizieren mit der Folge, dass der Antrag der Antragstellerin unzulässig ist.
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2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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3. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat vorliegend den in der Hauptsache gebotenen Streitwert (§ 52 Abs. 2 GKG) für geboten erachtet, da sich das gerichtliche Verfahren auf den Eilrechtsschutz beschränkt.