Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 27.04.2020 – B 7 E 20.388
Titel:

Erfolgreiche auf Feststellung gerichtete einstweilige Anordnung – Zulässigkeit der Öffnung von einem flächenmäßig begrenztem Ladengeschäft bis 800 m² Verkaufsfläche gem. 2. BayIfSMV

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1 u. 2
2. BayIfSMV § 2 Abs. 4 S. 3, Abs. 5, § 10 S. 2
IfSG § 73 Abs. 1a Nr. 24
BayBO Art. 2 Abs. 4 Nr. 4
BauNVO § 11 Abs. 3
Leitsatz:
Bei einer wirksamen Flächenbegrenzung steht die BayIfSMV in verfassungskonformer Auslegung der Öffnung des abgetrennten Teils eines Textilhandelsgeschäfts mit einer Fläche von höchstens 800 m² nicht entgegen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweite Bayerische, Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, Zulässigkeit der Begrenzung der Verkaufsfläche auf 800 qm, Publikumsverkehr, Eindämmung der Corona-Pandemie, COVID-19, Flächenverkleinerung, einstweilige Anordnung, Notwendigkeit, vorläufigen Regelung, Betriebsschließung, Berufsfreiheit, Begrenzungen der Verkaufsfläche, Einzelhandelsbetrieb, verfassungskonforme Auslegung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10923

Tenor

1. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Satz 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16.04.2020 dem Betrieb des Textileinzelhandelsgeschäfts in den in der … … gelegenen Geschäftsräumen der Antragstellerin zu den jeweils geltenden Ladenöffnungszeiten für den Publikumsverkehr nicht entgegensteht, sofern sie die Verkaufsfläche wirksam auf maximal 800 m² begrenzt und die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittssteuerung, Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, dass sie berechtigt ist, ab dem 27.04.2020 ihre Filiale in … für den Publikumsverkehr zu öffnen.
2
Die Antragstellerin ist Betreiberin einer Kette von Textileinzelhandelsfilialen. Ihr Ladengeschäft in … hat eine Verkaufsfläche von ca. 4.000 m². Es ist infolge der bislang ergangenen Regelungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seit 18.03.2020 geschlossen.
3
Mit der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.04.2020 (2. BayIfSMV) wird unter anderem die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art untersagt (§ 2 Abs. 4 Satz 1 2. BayIfSMV). Nach § 2 Abs. 4 Satz 3 2. BayIfSMV kann die zuständige Kreisverwaltungsbehörde auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere, für die Versorgung der Bevölkerung notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Gem. § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV ist abweichend von Abs. 4 Satz 1 geregelt, dass die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch zulässig ist, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschreiten (Nr. 1) und der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 m² Verkaufsfläche (Nr. 2). § 10 der 2. BayIfSMV bestimmt, dass die Verordnung am 20.04.2020 in Kraft und mit Ablauf des 03.052020 außer Kraft tritt (Satz 1). Nach § 10 Satz 2 der 2. BayIfSMV treten abweichend von Satz 1 §§ 2 Abs. 4 Satz 4, 2 Abs. 5, § 4 Satz 2 und 3 am 27.04.2020 in Kraft.
4
Mit am 23.04.2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragen,
im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass § 2 Abs. 4 und Abs. 5 Nr. 1 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 und andere, auf deren Basis erlassene Rechtsvorschriften den Betrieb eines Textilhandelsgeschäftes in den in der …, gelegenen Geschäftsräumen der Antragstellerin zu den jeweils geltenden Ladenöffnungszeiten für den Publikumsverkehr ab dem 27. April 2020 nicht entgegen stehen, sofern sie die Verkaufsfläche wirksam auf 800 m² begrenzt und die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittssteuerung, Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
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Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, dass sie bereits am 15.04.2020 in allen ihren Häusern eine Fläche von 800 m² mit Kassenzone abgetrennt habe und dies durch Foto und E-Mail dokumentiert habe. Am 20.04.2020 habe die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass eine Teilöffnung nach Absperrung nicht möglich sei. In dem vorliegenden Verfahren wende sich die Antragstellerin gegen das behördliche Bestreiten der Möglichkeit, eine Verkaufsfläche von 800 m² zu eröffnen. Die Antragstellerin werde durch die Auslegung der 2. BayIfSMV, wonach eine Verkleinerung der Fläche nicht zu einer Zulässigkeit der Öffnung dieser begrenzten Fläche führe, in ihren Grundrechten aus Art. 2, 3, 12 jeweils i.V.m. Art. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Die FAQ „Corona-Krise und Wirtschaft“ seien nach eigener Aussage nur Auslegungshinweise, dienten also lediglich der Anwendung durch die Verwaltung. Es handele sich hierbei um keine gegenüber der Antragstellerin wirksamen Rechtsakte, die einen Grundrechtseingriff rechtfertigen könnten. Jede Betriebsschließung greife per se in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung, die Berufsausübungsfreiheit und die Freiheit der Nutzung des Eigentums ein. Der Eingriff müsse daher notwendig, zweckmäßig und verhältnismäßig sein. Zunächst sei schon die Rechtsgrundlage der Corona-Verordnung in Zweifel zu ziehen. Weder Art. 28 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) noch Art. 32 IfSG würden die gegenständlichen Einschränkungen vorsehen. Art. 12 und Art. 14 GG seien durch die genannten Normen ausdrücklich nicht der Einschränkung unterworfen. Hierauf komme es jedoch vorliegend nicht an, da bereits die Zweckmäßigkeit der Verordnung nicht gegeben sei. Die einzige erkennbare Zweckbestimmung, die Verkaufsöffnung so zu begrenzen, dass die Kundenfrequenz auf ein unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes vertretbares Maß begrenzt bleibe, werde durch die Unterscheidung von Geschäften, deren Fläche von vorne herein auf 800 m² begrenzt sei und solchen, bei denen dies zumindest zum Zeitpunkt der Wiederöffnung der Fall sei, nicht berührt. Damit sei eine Auslegung, die keine Flächenverkleinerung als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Öffnung gestatte, unverhältnismäßig. Hinzu komme, dass die Antragstellerin bereits aufgrund personeller und organisatorischer Planung und Ressourcen deutlich besser in der Lage sei, die örtlichen Infektionsschutzvoraussetzungen umzusetzen. Nicht zuletzt führe aber auch der Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung und somit die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu demselben Ergebnis, wenn die Gestattung der Öffnung nur solchen Konkurrenzunternehmen gestattet sei, die mehr oder minder zufällig die festgelegte Quadratmeterzahl nicht überschritten, den übrigen aber eine entsprechende Verkleinerung der Fläche verwehrt bleibe. Das Feststellungsinteresse der Antragstellerin ergebe sich aus der Sichtweise der Antragsgegnerin, die in die Grundrechte der Antragstellerin eingreife und aufgrund derer bei einer Öffnung des reduzierten Ladengeschäftes mit Sanktionen zu rechnen sei. Die Eilbedürftigkeit der Anordnung ergebe sich aus dem stetig fortschreitenden Umsatzverlust und somit einer Unternehmens- und Arbeitsplatzgefährdung. Eine Abwägung der Grundrechtsinteressen der Antragstellerin gegen den behördlich einzig vorbringenswerten Gesundheitsschutz falle eindeutig aus. Die Antragstellerin sei mindestens so gut in der Lage, die entsprechenden Anforderungen der Vorschriften zu erfüllen wie die Einzelhändler mit einer von vorne herein begrenzten Fläche. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei zulässig, da der Antragstellerin andernfalls erhebliche Nachteile entstünden, die in der Hauptsache nicht mehr ausgeglichen werden könnten oder unzumutbar seien.
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Die zwischenzeitlich zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen seien teilweise stattgebend (VG München und VG Sigmaringen), teilweise ablehnend erfolgt (VG Ansbach, Regensburg und Augsburg). Die ablehnenden Entscheidungen würden sich im Wesentlichen auf die in keiner Weise belegte Vermutung stützen, dass die Beschränkung des Verkaufsraums die Attraktivität eines Ladengeschäfts nicht reduzieren würde. Allerdings zeige die bereits erfolgte Öffnung der Filiale in Ulm, dass dies nicht zutreffe.
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Hierzu wird eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Aufgrund der Lage der Filiale in der Innenstadt sei die Infektionsgefahr bei einer Öffnung des Geschäftes mit größerem Einzugsbereich und Kunden mit längerer Anreise und längerem Aufenthalt erhöht. Bei einer Inaugenscheinnahme des Geschäfts in der … Innenstadt durch die Antragsgegnerin habe man zudem keine Absperrungen erkennen können.
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Am 27.04.2020 hat sich die Regierung von … - Vertreter des öffentlichen Interesses - am Verfahren beteiligt und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Es fehle bereits am Rechtsschutzbedürfnis, denn die Antragstellerin habe noch keinen Antrag auf Reduzierung der Verkaufsfläche bei der Antragsgegnerin gestellt. Auch sei der Antrag auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Auch sei der Antrag unbegründet. Hierzu wird im Wesentlichen auf den Beschluss des VG … vom 24.04.2020 - AN 18 E 20.00745 - verwiesen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
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a) Der Antrag ist zulässig.
15
Die auf Feststellung gerichtete einstweilige Anordnung ist insbesondere statthaft, weil sich die Zulässigkeit der Öffnung des Ladengeschäftes der Antragstellerin unmittelbar aus der 2. BayIfSMV heraus ergibt, ohne dass es noch einer behördlichen Zulassungsentscheidung bedürfte. Eine gesonderte Behördenentscheidung erfolgt nur hinsichtlich der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach § 2 Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV, was hier aber nicht in Frage steht. Ein feststellungsfähiges, streitiges Rechtsverhältnis liegt vielmehr in der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob die Antragstellerin bei einer Begrenzung ihrer Verkaufsfläche auf 800 m² die Begünstigung in § 2 Abs. 5 Nr. 1 und 2 der 2. BayIfSMV für sich in Anspruch nehmen kann. Der Verstoß gegen die Vorschrift des § 2 Abs. 4 Satz 1 bzw. § 2 Abs. 5 der 2. BayIfSMV ist auch nach § 7 Nr. 5 der 2. BayIfSMV bußgeldbewehrt. Danach handelt ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 2 Abs. 4 und 5 der 2. BayIfSMV Ladengeschäfte des Einzelhandels öffnet. Im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ist es der Antragstellerin auch wegen der Bußgeldbewehrung in der 2. BayIfSMV nicht zuzumuten, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung das Geschäft zunächst zu öffnen und erst gegen eine etwaige spätere behördliche Untersagungsverfügung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
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b) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist für einen Erfolg des Antrags, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Eilbedürftigkeit) gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann.
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aa) Der Anordnungsgrund folgt vorliegend daraus, dass die Betriebsschließung für die Antragstellerin einen massiven Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt und mit gravierenden, finanziellen Einbußen einhergeht, die eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und des Unternehmens nach sich ziehen.
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bb) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei einer wirksamen Begrenzung steht § 2 Abs. 4 und Abs. 5 Nr. 1 der 2. BayIfSMV der Öffnung des abgetrennten Teils des Textilhandelsgeschäfts mit einer Fläche von höchstens 800 m² nicht entgegen, da sie höchstwahrscheinlich den Tatbestand des § 2 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. § 10 Satz 2 2. BayIfSMV erfüllt. Gemäß § 2 Abs. 5 Nr. 1 und 2 2. BayIfSMV ist abweichend von § 2 Abs. 4 Satz 1 und 5 2. BayIfSMV die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch zulässig, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschreiten und der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist, als ein Kunde je 20 m² Verkaufsfläche. Nach der verfassungskonformen Auslegung des beschließenden Gerichts steht diese Regelung der vorliegend begehrten Öffnung eines Textilgeschäfts mit einem abgegrenzten Bereich von höchstens 800 m² nicht entgegen.
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Dabei kann offenbleiben, ob § 2 Abs. 5 Nr. 1 2. BayIfSMV für sich rechtmäßig und tragfähig ist, weil die Vorschrift jedenfalls die Öffnung des auf 800 m² beschränkten Ladengeschäftes erlaubt.
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Die Auslegung der Norm ergibt nicht, dass Begrenzungen der Verkaufsfläche durch Abtrennung unzulässig sind. So lässt bereits der Wortlaut nicht zwingend auf die Annahme schließen, dass nur solche Einzelhandelsgeschäfte von dem Betriebsverbot ausgenommen sein sollten, die auch ohne Abtrennungsmaßnahmen weniger als 800 m² Verkaufsfläche aufweisen und nicht auch solche Geschäfte, die ihre eigentlich erhebliche größere Verkaufsfläche durch Absperrung auf eine Fläche von 800 m² begrenzen. Die Verwendung des Wortes „Verkaufsraum“ steht dem nicht entgegen. Im Lichte der Zielrichtung der 2. BayIfSMV erschließt sich nämlich, dass Anknüpfungspunkt für die Flächenbegrenzung nicht die Raumgröße an sich ist, die allenfalls baurechtliche Relevanz haben kann, sondern die Fläche, auf der für Kunden zugänglich das Warenangebot präsentiert wird, mithin die Verkaufsfläche. Denn mithilfe der Begrenzung soll verhindert werden, dass durch die Attraktivität und daraus resultierende Anziehungskraft, die größere Einzelhandelsfilialen typischerweise besitzen, ein allzu hohes Kundenaufkommen provoziert wird.
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Die 800-m²-Grenze besitzt außerhalb der 2. BayIfSMV zwei gesetzliche Anknüpfungspunkte, an die sich § 2 Abs. 5 Nr. 1 2. BayIfSMV anlehnt. Von diesen steht jedoch keiner der Auslegung der Norm dahingehend, dass eine nachträgliche Begrenzung der Verkaufsfläche zulässig ist, entgegen. Ausdrücklich normiert ist die 800-m²-Grenze in Art. 2 Abs. 4 Nr. 4 der Bayerischen Bauordnung (BayBO), wonach Verkaufsstätten mit Verkaufsräumen von mehr als 800 m² als Sonderbau gelten. Dieses Unterscheidungsmerkmal kann aber nicht unbesehen auf eine infektionsschutzrechtliche Differenzierung angewendet werden, weil Hintergrund von Art. 2 Abs. 4 Nr. 4 BayBO ausweislich der Gesetzesbegründung allein der erschwerte Personen- und Brandschutz in von zahlreichen Kunden zugleich besuchten Ladengeschäften ist (LT-Drs. Nr. 15/7161, S. 39, v. 15.01.2007). Diese Erwägungen sind erkennbar nicht geeignet, eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung aus infektionsschutzrechtlichen Gründen zu tragen.
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Der zweite Anknüpfungspunkt findet sich in § 11 Abs. 3 der Baunutzungsverordnung (BauNVO), bzw. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu. Demnach ist ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb, von dem typischerweise städtebaulich erhebliche Beeinträchtigungen vielfältiger Art ausgehen ein solcher, dessen Verkaufsfläche über 800 m² beträgt (BVerwG, U.v. 24.11.2005 - 4 10/04 - juris Rn. 12). Demnach hängt die gesteigerte Attraktivität - die an sich ein sachliches Differenzierungskriterium nach infektionsschutzrechtlichen Gesichtspunkten darstellt - jedoch gerade nicht von der Geschossfläche im Sinne des baulich verstandenen Verkaufsraums ab (so aber VG Ansbach, B.v. 24.4.2020 - AN 18 E 20.00745). Vielmehr führt das BVerwG aus, dass die Attraktivität und die sonstigen Auswirkungen großflächiger Einzelhandelsbetriebe, soweit es um das Merkmal der Fläche geht, von derjenigen Fläche beeinflusst werden, auf der Waren präsentiert und gekauft werden können (BVerwG, aaO., juris Rn. 14). Nach der Wertung des Bundesverwaltungsgerichts wie auch nach lebensnaher Betrachtung geht von einem auf 800 m² reduzierten Warenangebot eine wesentlich geringere Strahlkraft aus, sodass dem Sinn und Zweck der 2. BayIfSMV durchaus genügt wird, wenn gerade diese tatsächlich zugängliche Fläche wirksam begrenzt wird.
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Dasselbe ergibt aus der Systematik der 2. BayIfSMV, namentlich der Zusammenschau von § 2 Abs. 5 Nr. 1 und Nr. 2. Demnach soll das Personenaufkommen in den Innenstädten insgesamt (hierzu die Begrenzung nach Nr. 1) sowie in den einzelnen Ladengeschäften (Nr. 2) begrenzt werden. Da für die Umsetzung der personellen Grenze nach Nr. 2 den Betreibern der Einzelhandelsgeschäfte grundsätzlich die Wahl der Mittel überlassen bleibt, ist nicht ersichtlich, warum es ihnen nicht freistehen sollte, die räumliche Grenze nach Nr. 1 ebenfalls durch geeignete Maßnahmen sicher zu stellen oder herzustellen.
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Eine andere Auffassung wäre jedenfalls mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn man allen Einzelhandelsgeschäften mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 m² die Öffnung generell, also völlig unabhängig von ihrer örtlichen Lage, gestattet, den größeren Geschäften aber nicht, obwohl sie ihre Verkaufsfläche wirksam auf 800 m² begrenzen. Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass Pauschalierungen zur Erreichung eines legitimen Zwecks, hier also der Vermeidung einer Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus aufgrund von überfüllten Innenstädten, unter bestimmten Voraussetzungen nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zulässig sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Schließungen massive Eingriffe in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG darstellen und für viele Einzelhändler existenzbedrohend sein werden, bedarf allerdings eine Ungleichbehandlung i.S. eines „Alles oder Nichts“ jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung, die sich aus dem mit der 2. BayIfSMV verfolgten Zweck nicht ergibt. Insbesondere kann das Ziel, stark frequentierte Fußgängerzonen von Publikumsverkehr zu entlasten, auch durch andere gleichheitskonforme Maßnahmen erreicht werden (VG Würzburg, B. v. 24.4.2020 - W 4 E 20.572).
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c) Die mit der einstweiligen Anordnung einhergehende partielle Vorwegnahme der Hauptsache ist nach Überzeugung des Gerichts gerechtfertigt, da die Antragstellerin andernfalls schwerwiegende Nachteile erleiden würde, die nicht mehr ausgeglichen werden könnten und mit Blick auf die Grundrechtsbetroffenheit unzumutbar wären.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.