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VG Bayreuth, Urteil v. 14.02.2020 – B 1 K 17.30835
Titel:

Kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot für Aserbaidschan wegen Fuchsbandwurm-Erkrankung

Normenkette:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Eine Echinokokkose-Erkrankung ist in Aserbaidschan sowohl operativ als auch medikamentös ausreichend behandelbar. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylbewerber aus Aserbaidschan, Fuchsbandwurm-Erkrankung (Echinokokkose), medikamentöse Behandlung, Medikament Eskazole (Wirkstoff, Albendazol), Preis und Verfügbarkeit bzw. Ersatzmedikamente, Asyl, Abschiebungsverbot, Aserbaidschan, Erkrankung, Echinokokkose, Fuchsbandwurm, medizinische Versorgung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10908

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger sind aserbaidschanische Staatsangehörige mit aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten am 3. September 2015 auf dem Landweg von Tschechien kommend ins Bundesgebiet ein und stellten am 10. Dezember 2015 Asylanträge.
2
Bei seiner Anhörung am 16. November 2016 gab der Kläger zu 1 im Wesentlichen Folgendes an:
3
Sie hätten bis zu ihrer Ausreise in Baku in einem Wohnheim gewohnt. Sie hätten keine Miete zahlen müssen, lediglich für Wasser und Strom aufkommen müssen. Die Eltern der Klägerin zu 2 hätten ihn finanziell unterstützt. In Aserbaidschan habe er noch einen Bruder und drei Schwestern mit eigenen Familien. Er sei selbstständig gewesen und habe in seinem Geschäft Fernsehgeräte, Videorekorder u.ä. repariert. Der einzige Grund für die Einreise nach Deutschland sei die Gesundheit des Klägers zu 4. Als dieser zwei Jahre alt gewesen sei, hätten sie eine Beule auf dem Rücken rechts bemerkt. Der Sohn habe Elektrotherapie und Massagen bekommen. Dies habe nicht geholfen. Ein Freund, dessen Kind auch schwer erkrankt gewesen sei und dem in Deutschland geholfen worden sei, habe ihm eine Behandlung in Deutschland empfohlen. Zusammen mit seiner Frau habe er beschlossen, alles zu verkaufen und nach Deutschland zu gehen. In Aserbaidschan hätten die Ärzte falsche Diagnosen gestellt. Er selbst habe immer für Behandlungen bezahlt. Die Ärzte hätten gesagt, dass sein Sohn eine Wirbelsäulenverkrümmung habe.
4
Die Klägerin zu 2 ergänzte im Rahmen ihrer Anhörung, dass ihr Sohn an Skoliose leide. Sie selbst sei in Deutschland wegen einer Echinokokken-Erkrankung in Behandlung.
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Vorgelegt wurde ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. med. W. vom 14. November 2016, wonach der Kläger zu 4 an einer progredienten juvenilen thorakolumbalen Skoliose leide. Dieses Krankheitsbild bedürfe dringend einer konsequenten physiotherapeutischen Behandlung. Die Klägerin zu 2 legte ein ärztliches Attest über eine Computertomographie vor wegen einer Echinokokkose der Leber.
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Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. März 2017 wurde den Klägern die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, die Anträge auf Asylanerkennung wurden abgelehnt und der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziffn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Ihnen wurde die Abschiebung nach Aserbaidschan oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger auch nach ihrem Vorbringen keine Flüchtlinge gem. § 3 AsylG seien. Weder aus den Angaben der Kläger noch nach den Erkenntnissen des Bundesamtes sei ersichtlich, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG drohe. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Aserbaidschan führten nicht zu der Annahme, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründe. Eine solche ergebe sich auch nicht aus der allgemeinen wirtschaftlichen Situation (wird näher ausgeführt). Insbesondere erhielten die Binnenvertriebenen staatliche Unterstützungsleistungen. Eine allgemein schwierige, soziale und wirtschaftliche Lage begründe kein Abschiebungsverbot; sie müsse und könne von den Klägern, ebenso wie von vielen ihrer Landsleute, unter Aufbietung entsprechender Aktivitäten bewältigt werden. Die Kläger zu 1 und 2 seien gesund und arbeitsfähig und daher auf ihre Arbeitskraft zu verweisen. Eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben der Kläger im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei nicht erkennbar. Insbesondere liege kein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor. Krankengymnastische und physiotherapeutische Behandlungen seien in Aserbaidschan möglich, wobei die Patienten die Behandlungen mit Pauschalbeträgen selbst bezahlen müssten. Des Weiteren wurde der Erlass der Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots begründet.
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Gegen diesen Bescheid ließen die Kläger durch einen am 14. März 2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom gleichen Tag Klage erheben und beantragen,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Krankheitsbild des Klägers zu 4 bedürfe aktuell dringend noch einer physiotherapeutischen Behandlung. Nach Mitteilung des Dr. med. W. sei es unwahrscheinlich, dass eine adäquate Therapie in Aserbaidschan möglich sei. Die Klägerin zu 2 habe aktuell gefährliche Zysten in der Leber. Es gebe den Verdacht auf Echinokokken. Dies bedürfe einer dringenden Behandlung. Die Verzögerung könnte zu schweren Folgen für die Klägerin zu 2 führen.
10
Vorgelegt wurden ein Arztbrief der … vom 2. Dezember 2016 sowie ein Attest des Prof. Dr. H. vom 20. September 2017. Die Klägerin zu 2 leide an einer chronischen Infektion mit dem Fuchsbandwurm mit diffusem Befall der Leber. Die Erkrankung könne nicht geheilt werden und sei lebensgefährlich. Eine Langzeiteinnahme eines speziellen Präparates sei erforderlich.
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Mit Schriftsatz vom 22. März 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Beklagte Klageabweisung beantragt.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 2. Januar 2019 auf die Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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Auf gerichtliche Aufforderung hin legte der Klägerbevollmächtigte ärztliche Atteste vor, wonach bei der Klägerin zu 2 im Jahr 2003 in Aserbaidschan eine Echinokokkose diagnostiziert worden sei und sie auch operiert worden sei. Seit 2016 werde sie in der Bundesrepublik mit Eskazole behandelt. In diesem Zeitraum sei die Erkrankung stationär geblieben. Die medikamentöse Therapie könne man zum jetzigen Zeitpunkt nach fast 3 Jahren beenden.
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Am 12. Februar 2019 fand eine mündliche Verhandlung statt.
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Die Kläger beschränkten ihren schriftlich gestellten Klageantrag und beantragen nunmehr,
unter entsprechender Aufhebung des Bundesamtsbescheids die Beklagte zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzuerkennen.
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Innerhalb eingeräumter Frist legte der Klägerbevollmächtigte einen Arztbrief der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums … vom 15. Februar 2019 vor, wonach bei der Klägerin zu 2 vitale Echinokokkus-Zysten gefunden worden seien. Laut Attest des Dr. S. vom 18. Februar 2019 erhalte die Klägerin zu 2 aktuell eine medikamentöse Therapie. Im weiteren Arztbrief des Universitätsklinikums … vom 31. Mai 2019 wurde ausgeführt, dass die im Rahmen einer PET-CT erhobenen Befunde auf eine entzündlich-aktive Echinokokkose einer Zyste hinwiesen. Die weiteren bekannten Echinokokkose-Zysten zeigten sich konstant.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nahm unter dem 4. März 2019 dahingehend Stellung, dass das Medikament Eskazole in Aserbaidschan zwar nicht erhältlich sei, jedoch diverse andere Medikamente mit dem darin enthaltenen Wirkstoff Albendazol. Auf die vorgelegte Liste wird Bezug genommen.
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Mit E-Mail vom 20. April 2019 holte das Gericht eine Auskunft der Deutschen Botschaft Baku zu den medizinischen Behandlungsmöglichkeiten einer Echinokokkose in Aserbaidschan ein, zur Verfügbarkeit und den Kosten der Behandlung, insbesondere des Medikaments Eskazole bzw. von Ersatzmedikamenten mit demselben Wirkstoff.
19
Mit Arztbrief vom 10. August 2019 teilte das Universitätsklinikum … mit, dass der Klägerin zu 2 zwei Echinokokkus-Zysten entfernt worden seien (19 von 22 Zysten seien bereits in Aserbaidschan entfernt worden). In der PET-CT habe sich eine aktive Echinokokkus-Zyste gezeigt, so dass die Indikation zur Operation gegeben gewesen sei. Am 1. August 2019 seien zwei Herde in der Leber entfernt worden. Die Albendazol-Therapie (2x 400 mg/Tag) solle fortgeführt werden.
20
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2019 beantwortete die Deutsche Botschaft Baku die gerichtliche Anfrage. Die Erkrankung Echinokokkose sei in Aserbaidschan sowohl operativ als auch medikamentös behandelbar. Sofern eine Operation notwendig sei, beliefen sich die Kosten auf ca. 1200 Manat, für notwendige präoperative Tests würden weitere Kosten von unter 50 Manat entstehen. Das Medikament Eskazole sei grundsätzlich, jedoch nicht durchgängig in der Deutschen Apotheke in Baku verfügbar und koste 40 Manat pro Tab. In anderen Apotheken gebe es ein Medikament mit gleichem Wirkstoff unter dem Namen Albentoks (400 Tab 6 für 5,92 Manat).
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Der Klägerbevollmächtigte nahm unter dem 29. Januar 2020 zur Auskunft der Botschaft Baku Stellung. Es sei ärztlich festgestellt, dass eine endgültige Heilung der Klägerin zu 2 durch Operation nicht möglich sei. Diese sei künftig auf eine Behandlung mit dem Wirkstoff Albendazol angewiesen. Aus der Antwort der Botschaft Baku ergebe sich mittelbar, dass die für die Klägerin zu 2 notwendigen Arzneimittel in Aserbaidschan sicherlich nicht vorhanden seien. Eskazole gebe es nur in einer Apotheke, und auch nicht durchgängig. Bei dem Ersatzmedikament Albentoks handele es sich entweder um eine Fälschung oder eine nutzlose Tablette angesichts des lächerlichen Preises. Dieses Medikament helfe nicht. In Aserbaidschan gebe es in allen Apotheken sehr viele gefälschte Arzneimittel, Arzneimittel mit sehr niedriger Qualität und mit längst abgelaufenem Verfallsdatum. Die Kläger wollten dem deutschen Staat finanziell nicht zur Last fallen. Der Kläger zu 1 könne sehr schnell Arbeit in Vollzeit aufnehmen.
22
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten, insbesondere der von Klägerseite vorgelegten ärztlichen Unterlagen, wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg, da der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2017, soweit er von den Klägern noch angefochten wird, rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Die Kläger wenden sich zuletzt nur noch gegen die ablehnende Entscheidung im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid im Hinblick auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und die damit zusammenhängenden Nebenentscheidungen. Die Kläger haben jedoch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Als rechtmäßig erweisen sich damit auch die Abschiebungsandrohung sowie die Entscheidung zum gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot.
24
Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Begründung im angefochtenen Bescheid des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Zum Vorbringen im gerichtlichen Verfahren ist Folgendes auszuführen:
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a. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im Hinblick auf die geltend gemachte Erkrankung der Klägerin zu 2 nicht gegeben.
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Gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr liegt nach Satz 2 dieser Vorschrift nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es muss sich folglich um „äußerst gravierende“, insbesondere lebensbedrohliche Erkrankungen handeln (s. dazu Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/7538, 18). Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutsverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr dann, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. BVerwGE 127, 33 Rn. 15 m.w.N.). Auch dann, wenn die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten zwar gegeben sind, diese für den betroffenen Ausländer aber im speziellen Fall aus finanziellen oder persönlichen Gründen nicht erreichbar sind, kann ein Abschiebungsverbot vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96; BayVGH, Urt. v. 9.2.2007 - 9 B 06.30021 - m.w.N.). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt indes nicht schon dann vor, wenn von einer Heilung der Erkrankung im Zielland der Abschiebung wegen der dortigen Verhältnisse nicht auszugehen ist, die Erkrankung sich aber auch nicht gravierend zu verschlimmern droht. Das Abschiebungsverbot dient nämlich nicht dazu, dem ausreisepflichtigen erkrankten Ausländer eine optimale Behandlung zu sichern oder die Heilungschancen zu verbessern; es begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und auf Behandlung im Rahmen des sozialen Systems der Bundesrepublik Deutschland; vielmehr stellt es alleine den Schutz vor einer gravierenden Beeinträchtigung von Leib und Leben im Zielland einer Abschiebung oder Rückkehr sicher. Der Ausländer muss sich grundsätzlich auf den Behandlungsstandard, der in seinem Herkunftsland für die von ihm geltend gemachten Erkrankungen allgemein besteht, verweisen lassen, wenn damit keine grundlegende Gefährdung verbunden ist (BayVGH, B.v. 28.05.2015 - 21 ZB 15.30076 -; VG Gelsenkirchen Urt. v. 27.11.2014 - 17a K 3614/13.A unter Verweis auf OVG NRW, B.v. 15.09.2003 - 13 A 3253/03.A; VG Schwerin, Urt.v. 29.03.2016 - 5 A 2716/15 -; VG München, B.v. 04.07.2016 - M 16 S 16.31358). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib und Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.2001 - 1 B 185/01).
28
aa. Es besteht kein Zweifel darüber, dass eine Echinokokkose-Erkrankung in Aserbaidschan sowohl operativ als auch medikamentös ausreichend behandelbar ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Klägerin zu 2 und den von ihr vorgelegten ärztlichen Attesten (z.B. vom 4. Juni 2019, worin ausgeführt ist, dass bei der Klägerin 2003 in Aserbaidschan eine Echinokokkose mit 22 Leberzysten diagnostiziert worden sei und im weiteren Verlauf dort 19 der Zysten operativ sowie 3 weitere Zysten mittels Alkohol-Injektion behandelt worden seien). Aus den weiteren, vom Gericht ins Verfahren eingeführten Quellen (siehe Sitzungsprotokoll vom 12. Februar 2019, S. 4) ergibt sich insbesondere, dass es sich bei der Echinokokkose in Aserbaidschan um keine seltene Erkrankung handelt und die Ärzte dort über ausreichende Erfahrungen zur Behandlung dieser Erkrankung verfügen. Aserbaidschan zählt zu den Ländern mit einem vergleichsweise hohen Verbreitungsgrad (1 Erkrankter auf 5.000 bis 10.000 Einwohner). In den vergangenen Jahren sind dort laut Prof. A. von der Azerbaijan Medical University Baku beträchtliche Fortschritte bei der operativen Behandlung erzielt worden (Prof. R. A., Medical University Baku in Eurasian Journal of Hepato-Gastroenterology Juli bis Dezember 2016).
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Nach den zuletzt vorgelegten ärztlichen Unterlagen der Universitätsklinik … und den Einlassungen der Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung stellt sich die Sachlage so dar, dass der Klägerin zu 2 von den noch verbliebenen drei Zysten zwei Zysten im August 2019 entfernt worden sind. Dem ebenfalls vorgelegten Arztbrief des Universitätsklinikums … vom 4. Juni 2019 ist zu entnehmen, dass von diesen drei Zysten eine entzündlichaktiv gewesen sei, während die weiteren bekannten Echinokokkose-Zysten keinen signifikant erhöhten Glukosemetabolismus gezeigt hätten. Die Klägerin zu 2 hat ausgeführt, dass diese dritte Zyste inoperabel sei bzw. dies in der mündlichen Verhandlung dahingehend relativiert, dass derzeit eine Operation nicht möglich sei. Wenn man diese Angabe in Zusammenschau mit den Arztbriefen des Universitätsklinikums … bewertet, ist daraus der Schluss zu ziehen, dass derzeit bzw. in nächster Zukunft eine weitere Operation nicht geplant ist. Die Frage der finanziellen Erreichbarkeit einer Behandlung mittels Operation (in der Auskunft der Botschaft Baku werden Operationskosten in Höhe von 1200 Manat genannt) ist damit vorliegend nicht entscheidungserheblich, da sich die Frage einer Operation für den Fall, dass die Kläger nach Aserbaidschan zurückkehren, in absehbarer Zeit nicht stellt.
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bb. Nach den Arztbriefen des Universitätsklinikums … soll die medikamentöse Behandlung mit dem Wirkstoff Albendazol in einer Dosierung von 400 mg zweimal täglich weiterhin erfolgen. Diese medikamentöse Behandlung mit dem Wirkstoff Albendazol ist in Aserbaidschan ebenfalls verfügbar. Zwar ist das derzeit von der Klägerin zu 2 genommene Medikament Eskazole (Wirkstoff Albendazol, Hersteller GlaxoSmithKline) in Aserbaidschan nicht durchgängig verfügbar; zudem ist es sehr teuer (laut Auskunft der Deutschen Botschaft 40 Manat pro Tablette). Es stehen aber eine Reihe anderer und preisgünstiger Präparate mit dem Wirkstoff Albendazol zur Verfügung. Der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Schreiben vom 4. März 2019 vorgelegten Medikamentenliste ist Folgendes zu entnehmen: es gibt in Aserbaidschan insgesamt neun Medikamente, die den Wirkstoff Albendazol enthalten. Die Zulassung dieser Medikamente erfolgte im November 2016. Die Preise weisen große Differenzen auf, das teuerste Medikament der Firma GlaxoSmithKline mit dem Namen Zentel kostet 3,47 Manat je Tablette. Das Gericht geht davon aus, dass dieses Präparat aufgrund des Preises (ca. 200 Manat pro Monat) für die Klägerin zu 2 finanziell nicht leistbar sein wird. Daneben sind aber weitere Medikamente mit diesem Wirkstoff verfügbar, die zu einem weit geringeren Preis erhältlich sind. Bei dem von der Deutschen Botschaft Baku genannten Präparat Albentoks handelt es sich um ein Medikament der südkoreanischen Firma Teragen, das z.B. über die Internetseite www.melhem.az der Melhem-Apotheke bezogen werden kann. Nach den Angaben der Melhem-Apotheke und auch der vom Bundesamt vorgelegten Medikamentenliste kostet eine Packung mit 6 Tabletten zu je 400 mg 5,92 Manat, d. h. die Klägerin zu 2 muss in Aserbaidschan monatlich ca. 60 Manat aufwenden. Das türkische Präparat Helmizol der Firma Biofarma Ilac (laut Internetseite ein seit 1945 produzierendes Pharmaunternehmen, das u.a. auch in europäische Länder exportiert) würde Aufwendungen in Höhe von ca. 55 Manat erfordern (u.a. auch erhältlich über www.aptekonline.az).
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cc. Ein Abschiebungsverbot kann nicht damit begründet werden, dass das in Deutschland verordnete Medikament eines bestimmten Herstellers im Heimatland nicht verfügbar oder dort zu teuer sei. Der Asylsuchende muss sich mit den in seinem Herkunftsland verfügbaren Medikamenten zufrieden geben, sofern diese denselben Wirkstoff enthalten bzw. zur Behandlung der Erkrankung geeignet sind, auch wenn es sich um Ersatzpräparate handelt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die von der Deutschen Botschaft Baku und vom BAMF genannten Ersatzmedikamente keine Wirksamkeit gegen die Erkrankung entfalten würden. Die vom Klägerbevollmächtigten vorgebrachte Argumentation, die Klägerin zu 2 könne in Aserbaidschan zu einem erschwinglichen Preis nur Medikamente geringer Qualität bzw. ohne therapeutischen Nutzen erhalten, basiert lediglich auf Vermutungen ohne dass hierfür gerade im Hinblick auf die genannten Pharma-Unternehmen belastbare Belege vorliegen würden. Zudem tritt in Aserbaidschan, wie bereits ausgeführt, die Echinokokkose in vergleichsweise größerem Umfang auf. Es muss daher davon ausgegangen werden können, dass die dort zur Verfügung stehenden Medikamente auch geeignet sind, diese Erkrankung zu bekämpfen. Soweit die Klägerin zu 2 vorbringt, dass sie in Aserbaidschan Medikamente genommen habe, die ihr aber nicht geholfen hätten, ist darauf zu verweisen, dass die in der Medikamentenliste genannten Präparate eine Zulassung seit November 2016 haben und damit zu einem Zeitpunkt, als die Kläger das Land schon längst verlassen hatten.
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dd. Die medikamentöse Behandlung ist für die Klägerin zu 2 auch finanziell erreichbar. Es ist dabei davon auszugehen, dass zumindest der Kläger zu 1 arbeitsfähig ist und er den Lebensunterhalt und darüber hinaus die notwendigen finanziellen Mittel zum Erwerb des Medikaments verdienen kann. Auf die obigen Ausführungen hinsichtlich der monatlich aufzubringenden Mittel für ein Medikament mit dem Wirkstoff Albendazol wird verwiesen. Ergänzend sind die Kläger, insbesondere die Klägerin zu 2, auf eine Unterstützung durch ihre nächsten Verwandten in Aserbaidschan zu verweisen. Nach den Angaben der Kläger beim Bundesamt war der Kläger zu 1 offensichtlich in der Lage, den Lebensunterhalt für die Familie sicherzustellen. Sie seien lediglich deshalb ausgereist, weil sie zu jenem Zeitpunkt keine Hoffnung mehr gehabt hätten, dass der Klägerin zu 2 medizinisch geholfen werden könnte (siehe Sitzungsprotokoll vom 4. Februar 2020). Die Sachlage hat sich im Vergleich zur Ausreise aber dahingehend geändert, dass der Klägerin zu 2 die entzündliche Zyste entfernt worden ist und sie noch auf eine medikamentöse Behandlung angewiesen ist, die auch in Aserbaidschan durchführbar ist. Die Kläger sind Binnenvertriebene und haben damit Anspruch auf staatliche Unterstützungsleistungen des Staates (vgl. z.B. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Aserbaidschan vom 26. Juli 2019 und vom 12. April 2018; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. Februar 2019).
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Soweit vorgebracht wurde (was im gerichtlichen Verfahren zuletzt nicht weiter vertieft wurde), dass der Kläger zu 4 eine physiotherapeutische Behandlung wegen der Skoliose erhalte (Attest vom 14. November 2016), ist schon nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um eine schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Erkrankung handelt, die sich bei einer Rückkehr ins Heimatland wesentlich verschlechtern würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 4 nunmehr seit wohl mehr als 3 Jahren diese physiotherapeutischen Leistungen erhält. Es ist ihm daher, wie anderen Personen (auch hierzulande) zuzumuten durch entsprechende Eigeninitiative, d. h. durch entsprechende Übungen eine Stabilisierung des Bewegungsapparates zu erreichen. Dies kann er auch in Aserbaidschan durchführen.
34
d. Der Bescheid des Bundesamtes gibt schließlich hinsichtlich der Ziffer 5, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert worden sind, keinen Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich.
35
e. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 21.08.2018 - 1 C 21/17) hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Hinblick auf das Einreiseund Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht nur über die Befristung, sondern auch über die Anordnung an sich zu entscheiden. Obwohl dies explizit im streitgegenständlichen Bescheid vom 3. März 2017 nicht erfolgt ist, führt dies nicht zur Aufhebung der Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheids. Vielmehr wird man in Auslegung der Ziffer 6 des Bescheides davon ausgehen müssen, dass das Bundesamt konkludent auch über die Anordnung des Einreiseund Abschiebungsverbots eine Entscheidung getroffen hat. Die Befristung dieses Verbots auf 30 Monate gibt im Rahmen der den Gericht möglichen Überprüfung (vgl. § 114 VwGO) keinen Anlass zur Beanstandung (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 28.11.2016, 11 ZB 16.30463).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.