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VG München, Gerichtsbescheid v. 18.03.2020 – M 10 K 19.4079
Titel:

Nichtigkeit einer kommunalen Sondernutzungsgebührensatzung

Normenketten:
VwGO § 84 Abs. 1 S. 1
BayKAG Art. 2 Abs. 1 S. 2
SNGS § 1 S. 3, § 6, § 7 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
Leitsatz:
Eine Norm in einer kommunalen Sondernutzungsgebührensatzung, die lediglich regelt, dass grundsätzlich auch unerlaubte Sondernutzungen gebührenpflichtig sind, aber keine Regelung dazu enthält, wann die Gebühren fällig sind, wenn eine Sondernutzungserlaubnis nicht erteilt worden ist, verstößt gegen § 2 Abs. 1 S. 2 BayKAG und hat die Nichtigkeit der gesamten Sondernutzungsgebührensatzung zur Folge.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nichtigkeit der Abgabesatzung, Mindestinhalt einer Abgabesatzung, Unvollständige Regelung der Fälligkeit der Abgabeschuld, Sondernutzung, Erteilung der Erlaubnis, Gebührenpflicht, Fälligkeitsregelung, Sondernutzungserlaubnis, Nichtigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10650

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Sondernutzungsgebühren durch die Beklagte.
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Die Beklagte erhebt für die Ausübung einer Sondernutzung an ihren öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen Sondernutzungsgebühren auf Grundlage ihrer Satzung über die Erhebung von Sondernutzungsgebühren an öffentlichem Verkehrsraum (Sondernutzungsgebührensatzung - SNGS) vom 27. Oktober 2010. Gemäß § 1 Satz 3 SNGS werden auch für nicht erlaubte Sondernutzungen Gebühren erhoben. Nach § 7 Abs. 1 SNGS werden die Gebühren „regelmäßig zwei Wochen nach Erteilung der Erlaubnis fällig“. § 7 Abs. 2 SNGS betrifft die Fälligkeit von wiederkehrenden Jahresgebühren und § 7 Abs. 3 SNGS die Fälligkeit bei nachträglicher Gebührenfestsetzung, wenn die Dauer der Sondernutzung bei Erteilung der Erlaubnis noch nicht feststeht.
3
Der Kläger war Halter eines Altfahrzeugs (Peugeot 607) mit dem amtlichen Kennzeichen … …, das nach Aktenlage seit Ende des Jahres 2015 im Gemeindegebiet der Beklagten zwischen der S.- straße … und der G.- straße neben dem Anwesen … Str. 1 auf einer Grünfläche, die zur (öffentlichen) Straßenfläche gehört, abgestellt war. Mittels einer am 23. März 2018 an diesem Fahrzeug angebrachten Klebeplakette wurde der Verfügungsberechtigte des Kraftfahrzeugs aufgefordert, sein unerlaubt abgestelltes Fahrzeug sofort zu entfernen. Bei einem Überprüfungstermin am 23. Januar 2019 wurde das Kraftfahrzeug ohne Kennzeichen vorgefunden und nochmals eine Plakette angebracht. Am 3. April 2019 wurde das Fahrzeug entfernt.
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Wegen der unerlaubten Sondernutzung im Zeitraum vom 23. Januar 2019 bis 3. April 2019 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2019, zugestellt ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. Juli 2019, gegenüber dem Kläger Sondernutzungsgebühren in Höhe von 700 EUR sowie Auslagen und interne Personalkosten in Höhe von 56,65 EUR, insgesamt also 756,65 EUR, fest.
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Der Kläger hat mit Schreiben vom 10. August 2019, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage gegen diesen Bescheid erhoben und beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2019 aufzuheben.
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Zur Begründung wird ausgeführt, das Fahrzeug sei nicht im öffentlichen Verkehrsraum, sondern auf einem Privatgrundstück abgestellt gewesen. Der Kläger bestreite das Abmontieren des amtlichen Kennzeichens mit Nichtwissen; er habe den Pkw verkauft. Das Fahrzeug sei bis 1. April 2019 zugelassen gewesen und dann vom Käufer zur Verschrottung gebracht worden.
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Mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 hat die Beklagte zur Klage Stellung genommen.
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Mit Beschluss vom 18. Oktober 2019 ist der mit der Klage erhobene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt worden (Az. M 10 S 19.4080).
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Die Parteien sind mit Schreiben vom 22. Oktober 2019, jeweils am 28. Oktober 2019 zugestellt, zu einer Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid angehört worden.
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Mit Beschluss vom 17. März 2020 hat das Gericht den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorgelegte Behördensowie die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Über die Klage wird durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorher hierzu gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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2. Die Klage hat Erfolg, da sie zulässig und begründet ist. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Es fehlt dem Bescheid bereits an der wirksamen Rechtsgrundlage, weil die Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten vom 27. Oktober 2010 nichtig ist.
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a) Die in § 7 SNGS enthaltene Fälligkeitsregelung verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Kommunalabgabengesetz (KAG). Nach dieser Vorschrift muss eine Abgabesatzung u.a. die Fälligkeit der Abgabeschuld bestimmen.
17
Diesem obligatorischen Regelungsauftrag für den Satzungsgeber wird die Fälligkeitsvorschrift in § 7 SNGS nicht gerecht. Zum einen ist die Verwendung des Begriffs „regelmäßig“ in § 7 Abs. 1 SNGS bereits nicht hinreichend bestimmt. Es ist nicht klar, ob und in welchen Fällen Ausnahmen von der Regel vorgesehen sind, insbesondere ob lediglich die in § 7 Abs. 2 und Abs. 3 SNGS geregelten Konstellationen Ausnahmetatbestände bilden (sollen). Zum anderen ist in § 7 SNGS nicht geregelt, wann die Gebühren fällig werden, wenn eine Sondernutzungserlaubnis nicht erteilt worden ist, obwohl der Satzungsgeber grundsätzlich auch unerlaubte Sondernutzungen nach § 1 Satz 3 SNGS als gebührenpflichtig erachtet. Denn § 7 Abs. 1 SNGS normiert die Fälligkeit lediglich in Abhängigkeit von der erteilten Erlaubnis. Auch § 7 Abs. 2 und Abs. 3 SNGS betreffen nicht die Fälle der unerlaubten Sondernutzung, sondern besondere Fallkonstellationen, bei denen überdies ebenso nur auf die Erteilung der Erlaubnis abgestellt wird.
18
Wann die Gebühr in den Fällen der unerlaubten Sondernutzung fällig wird, lässt sich auch nicht durch Auslegung der Satzung ermitteln. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 SNGS ist insoweit eindeutig nur auf die Fälligkeit bei erteilter Erlaubnis, nicht aber bei unerlaubter Sondernutzung bezogen. Angesichts dessen ist kein Spielraum für eine Auslegung oder sonstige Schließung der Regelungslücke, zumal der Satzungsgeber in § 6 SNGS im Hinblick auf das Entstehen der Gebührenschuld gerade zwischen der erlaubten und der unerlaubten Sondernutzung differenziert.
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b) Rechtsfolge des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 Satz 2 KAG ist die Gesamtnichtigkeit der Satzung; eine Satzung, die eine der in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 KAG aufgezählten Mindestregelungen nicht enthält, ist insgesamt ungültig (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 2.2.2005 - 4 N 01.2495 - BeckRS 2005, 15914; U.v. 17.2.1989 - 23 B 87.01922 - BeckRS 1989, 08490 jew. m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.