Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 27.05.2020 – Au 9 E 20.873
Titel:

Anspruch auf vorläufige Feststellung der Öffnungszeiten für die Außenbewirtungsfläche eines Speiselokals, hier: einstweiliger Rechtschutz in der Corona-Pandemie

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
4. BayIfSMV § 13 Abs. 4, Abs. 5
GG Art. 3, Art. 12
Leitsätze:
1. Die mit den Notwendigkeiten des Infektionsschutzes begründete, in § 13 BayIfSMV geregelte unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Öffnungszeiten des Innenbereichs und der Außenbewirtungsflächen eines (einheitlich geführten) Speiselokals verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da für die vorgenommene Differenzierung kein aus infektionsschutzrechtlichen Gründen anerkennenswerter sachlicher Grund vorliegt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vergleichbarkeit mit der Bewirtung im Außenbereich eines Speiselokals mit reiner Außengastronomie ist nicht gegeben, da sich die Situation der Bewirtung in beiden Fällen grundlegend anders darstellt: Im Vergleich zur  reinen Außengastronomie nehmen die Außenbewirtungsflächen von Speiselokalen in der Regel eine gegenüber den Innenräumen des Lokals untergeordnete Fläche ein, ferner erfasst die reine Außengastronomie auch Betriebe, die keine Sitzgelegenheiten im Freien zur Verfügung stellen, jedoch Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle anbieten und damit die Kontrollmöglichkeiten im Hinblick auf Abstands- und Hygieneregeln erheblich einschränken. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Einstweilige Anordnung, Speiselokal, Außenbewirtung, vorläufiger Rechtsschutz, Corona-Pandemie, Infektionsschutz, Speisewirtschaft, zeitliche Begrenzung, Öffnungszeit, Anordnungsanspruch, Ungleichbehandlung, Berufsausübungsfreiheit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10634

Tenor

I. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt, dass § 13 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 20. Mai 2020, dem Betrieb der Speisewirtschaft der Antragstellerin in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr, auch soweit der Verzehr im Freien erfolgt, nicht entgegensteht.
II. Der Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin ist Inhaberin eines Restaurantbetriebs mit Innen- und Außenbewirtschaftung und begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung, dass die Regelungen der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung dem Betrieb ihres Restaurants im Außenbereich in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr nicht entgegenstehen.
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In Folge der Corona-Pandemie wurden mit Allgemeinverfügung vom 16. März 2020 (Az. 51-G8000-2020/122-67) zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 17. März 2020 (Az. Z6a-G8000-2020/122-83) mit Wirkung zum 18. März 2020 Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt. Die Betriebsuntersagung wurde in der Folgezeit mit im Wesentlichen inhaltgleichen Regelungen durch die Bayerische Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) bzw. nach Ablauf der Geltungsdauer durch entsprechende Folgeverordnungen (2. und 3. BayIfSMV) fortgeführt.
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Mit Erlass der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 14. Mai 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 269) wurde die Betriebsuntersagung für die Gastronomie gelockert. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 der 4. BayIfSMV ist die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Freien, insbesondere in Wirts- oder Biergärten und auf Freischankflächen, in der Zeit zwischen 6 und 20 Uhr zulässig, wenn gewährleistet ist, dass zwischen allen Gästen, die im Verhältnis zueinander nicht zu dem in § 2 Abs. 1 der 4. BayIfSMV bezeichneten Personenkreis gehören, entweder ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird oder geeignete Trennvorrichtungen vorhanden sind. Diese Regelung trat nach § 3 Satz 1 der Verordnung zur Änderung der 4. BayIfSMV vom 14. Mai 2020 am 18. Mai 2020 in Kraft. Mit Wirkung zum 25. Mai 2020 wurde die Regelung dahingehend ergänzt, dass der Betrieb von Speisewirtschaften nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gaststättengesetzes (GastG) in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr zugelassen wurde, soweit der Verzehr nicht im Freien erfolgt und gewährleistet ist, dass zwischen allen Gästen, die im Verhältnis zu einander nicht zu dem in § 2 Abs. 1 bezeichneten Personenkreis gehören, ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird oder geeignete Trennvorrichtungen vorhanden sind (§ 13 Abs. 5 der 4. BayIfSMV).
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Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2020 beantragte die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO):
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Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass dem Betrieb des Restaurants im Außenbereich der Antragstellerin in der Zeit von 20 bis 22 Uhr für den Publikumsverkehr die Vierte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) nicht entgegensteht und der Betrieb damit zulässig ist, sofern die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittssteuerung, Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz gemäß dem Rahmen-Hygienekonzept Gastronomie der Bayerischen Staatsregierung eingehalten werden.
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Zur Begründung wird ausgeführt, die Schließung des Restaurants der Antragstellerin seit Mitte März habe katastrophale Auswirkungen, die durch die derzeit anlaufenden Sonderprogramme nicht aufgefangen werden könnten. Die zeitliche Begrenzung der Außenbewirtung könne mit dem Infektionsschutz nicht begründet werden. Es sei vielmehr ein redaktioneller Fehler zu vermuten. Nach den derzeitigen Erkenntnissen der Wissenschaft ließen sich Infektionen durch die bekannten Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen vermeiden. Eine gute Belüftung trage ebenso zur Reduktion der Infektionen bei, wie die Meidung geschlossener Räume. Dies werde damit begründet, dass die Aerosole maßgeblich zur Übertragung der Viren beitragen würden und diese Gefahr in geschlossenen Räumen bestehe. Die Schließung der Außenbewirtung um 20 Uhr würde dazu führen, dass Gäste aus den Außenin die Innenbereiche wechseln oder von vornherein ihren Gastronomiebesuch in den aus Sicht des Infektionsschutzes problematischeren Innenbereich verlagern. Der Anordnungsgrund resultiere daraus, dass die Betriebsschließung für die Antragstellerin einen massiven Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstelle und mit gravierenden, finanziellen Einbußen einhergehe, die eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und der Existenz des Unternehmens nach sich ziehen würden. Ungeachtet dessen, ob das Infektionsschutzgesetz überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage für einen derart massiven Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG darstelle, sei bei einer angenommenen Zulässigkeit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nur der geringste mögliche Eingriff zulässig. Die zeitliche Einschränkung im Außenbereich wäre nur dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn diese Maßnahme der Zielerreichung - Infektionsschutz - förderlich und keine geringere, weniger belastende Maßnahme denkbar wäre. Wie oben ausgeführt, sei die Begrenzung der Außenbewirtung auf 20 Uhr jedoch diesem Ziel nicht förderlich, sondern laufe nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen diesem sogar zuwider. Darüber hinaus stelle eine wörtliche Interpretation der Regelung einen Verstoß gegen Art. 3 GG dar. Es lasse sich kein rechtfertigender Grund einer Ungleichbehandlung zwischen der Bewirtung im Freien und in geschlossenen Gebäuden zulasten der Bewirtung im Außenbereich finden. Unter Berücksichtigung des Zieles der Verordnung komme es allein und ausschließlich auf den gebotenen Schutz an, der gerade in diesem Fall vollumfänglich gewährleistet werden könne. Tatsächlich würde eine entsprechende Handhabung zulasten des Infektionsschutzes der Gäste sowie des Personals der Antragstellerin gehen. Im Übrigen bestünden bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit einer generellen Beschränkung der Außenbewirtschaftung auf 20 Uhr. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Infektionsrisiko nach 20 Uhr im Außenbereich signifikant ansteigen sollte oder wieso diese Maßnahme dem Infektionsschutz dienlich sein sollte. Eine Ablehnung des Antrages und das weitere Verbot würde die Antragstellerin in eine existenzielle Notlage bringen. Die hier betroffenen Grundrechte nach Art. 14 und Art. 12 GG seien nach diesseitigen Verständnis ohnehin durch das Infektionsschutzgesetz nicht in diesem Maße einschränkbar, erst recht nicht, wenn eine geringere, weniger schwerwiegende Eingriffsmöglichkeit möglich sei. Eine partielle Vorwegnahme der Hauptsache sei gerechtfertigt, da die Antragstellerin anderenfalls schwerwiegende Nachteile erleiden würde, die nicht mehr ausgeglichen werden könnten und mit Blick auf die Grundrechtsbetroffenheit unzumutbar wären.
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Der Antrag wurde dem Antragsgegner zur Stellungnahme zugeleitet. Eine Äußerung ist bislang nicht erfolgt.
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Auf Anforderung des Verwaltungsgerichts nahm das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit Schreiben vom 26. Mai 2020 zum Verfahren Stellung und führte aus, dass die unterschiedlichen Öffnungszeiten für Speisewirtschaften und Außengastronomie darauf beruhten, dass zunächst Erfahrungen mit einer bis 20 Uhr beschränkten Zulassung hätten gesammelt werden sollen. Man sei davon ausgegangen, dass Außengastronomie zum Teil wesentlich größere Kapazitäten aufweise. Auch habe die Befürchtung bestanden, dass es in den Abendstunden nach 20 Uhr aufgrund höheren Alkoholkonsums zu vermehrten Verstößen gegen Abstands- und Hygieneregeln kommen könne. Aufgrund der positiven Erfahrungen habe sich der Verordnungsgeber dazu entschieden, die Öffnungszeiten ab 2. Juni 2020 einheitlich auf 6 bis 22 Uhr anzugleichen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist für einen Erfolg des Antrags, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann.
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b) Vorliegend ist die mit der Antragstellung begehrte Feststellung, dass die Antragstellerin die Außenbewirtungsflächen ihrer Speisewirtschaft in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr betreiben darf, einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zugänglich.
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Die auf bloße Feststellung gerichtete einstweilige Anordnung ist vorliegend ausnahmsweise statthaft, da sich die Frage des Betriebs von Speisewirtschaften unmittelbar nach der 4. BayIfSMV vom 5. Mai 2020 beurteilt, ohne dass hierzu eine behördliche Zulassungsentscheidung vorgesehen wäre. Es liegt auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor, da unter den Beteiligten streitig ist, ob die Antragstellerin nach den Bestimmungen des § 13 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 der 4. BayIfSMV die Außenbewirtungsflächen ihres Restaurants in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr betreiben darf. Nach dem Webauftritt handelt es sich bei dem Gastronomiebetrieb der Antragstellerin offensichtlich um eine Speisewirtschaft im Sinn von § 1 Abs. Nr. 2 GastG, für die § 13 Abs. 5 der 4. BayIfSMV besondere Betriebsmodalitäten festlegt. Danach ist der Betrieb von Speisewirtschaften in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr u.a. nur zulässig, soweit der Verzehr nicht im Freien erfolgt. Für die Außenbewirtungsflächen der Antragstellerin gilt dagegen gemäß § 13 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 der 4. BayIfSMV die Beschränkung der Öffnungszeit bis 20 Uhr. Der Verstoß gegen die Regelungen des § 13 der 4. BayIfSMV ist auch nach § 21 Nr. 15 Buchst. a) der 4. BayIfSMV bußgeldbewehrt. Danach handelt ordnungswidrig im Sinn des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 13 der 4. BayIfSMV seinen Gastronomiebetrieb öffnet. Im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ist es der Antragstellerin wegen der Bußgeldbewehrung in der 4. BayIfSMV nicht zuzumuten, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung ihren Gastronomiebetrieb für die Außenbewirtschaftung zunächst zu öffnen, und erst gegen eine etwaige spätere behördliche Untersagungsverfügung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
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c) Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist der hier gestellte Antrag nach § 123 VwGO nicht durch die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO in einem eventuellen Normenkontrollverfahren gegen die Verordnung selbst ausgeschlossen. Zum einen richtet sich der Antrag nicht auf die Unwirksamkeitserklärung bzw. die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Rechtsnorm. Die Wirksamkeit der streitentscheidenden Norm, über deren Auslegung Streit besteht, wird gerade nicht in Frage gestellt. Im Übrigen sind beide Rechtsschutzmöglichkeiten gleichwertig und stehen zueinander in keinem Stufenverhältnis (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 17).
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2. Der Antrag ist auch in der Sache begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf die vorläufige Feststellung, dass die Regelungen in § 13 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 der 4. BayIfSMV dem Betrieb der Außenbewirtungsflächen der Speisewirtschaft der Antragstellerin in der Zeit von 6 bis 22 Uhr nicht entgegenstehen, soweit die übrigen Voraussetzungen des § 13 Abs. 5 der 4. BayIfSMV vorliegen.
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a) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Gemäß § 13 Abs. 5 Satz 1 der 4. BayIfSMV ist der Betrieb von Speisewirtschaften nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr zulässig, soweit der Verzehr nicht im Freien erfolgt und die übrigen Voraussetzungen des Abs. 5 vorliegen. Dagegen ist die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Freien gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 der 4. BayIfSMV nur in der Zeit zwischen 6 und 20 Uhr gestattet. Da die Vorschrift des § 13 Abs. 5 Satz 1 der 4. BayIfSMV keine spezielle Regelung hinsichtlich der Öffnungszeiten der Außenbewirtungsflächen von Speisewirtschaften enthält, muss auf die insoweit allgemein gefasste und damit für sämtliche Formen der Außengastronomie geltende Regelung in § 13 Abs. 4 Satz 1 der 4. BayIfSMV zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift ist der Betrieb der Außenbewirtungsflächen von Speisewirtschaften - ebenso wie alle anderen Formen der Außenbewirtung - nach 20 Uhr untersagt.
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b) Die mit den Notwendigkeiten des Infektionsschutzes begründete unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Betriebszeiten des Innenbereichs und der Außenbewirtungsflächen eines (einheitlich geführten) Speiselokals in § 13 Abs. 4 Satz 1 (für die Außenflächen) und in § 13 Abs. 5 Satz 1 (für den Innenbereich) der 4. BayIfSMV verstößt nach Auffassung der Kammer gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, da für die vorgenommene Differenzierung kein aus infektionsschutzrechtlichen Gründen anerkennenswerter sachlicher Grund vorliegt. Daher ist § 13 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 BayIfSMV verfassungskonform in dem Sinn auszulegen, dass die Bestimmungen in § 13 der Öffnung der Außenbewirtungsflächen der Antragstellerin in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr nicht entgegenstehen.
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aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, B.v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - juris Rn. 40; BVerfG, B.v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 - juris Rn. 119 m.w.N.). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.1988 - 1 BvR 777/85 - juris; BVerfG, B.v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 - juris; BVerfG, B.v. 21.6. 2011 - 1 BvR 2035/07 - juris Rn. 76). Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Normgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, B.v. 7.7.2009 - 1 BvR 1164/07 - juris; BVerfG, B.v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 - juris Rn. 77). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierender verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, B.v. 18.7.2012 - 1 BvR 16/11 - juris Rn. 30; BVerfG, B.v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07 - juris Rn. 65; BVerfG, B.v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 - juris Rn. 79).
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Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfG, B.v. 6.3. 2002 - 2 BvL 17/99 - juris; BVerfG, U.v. 16.3.2004 - 1 BvR 1778/01 - NVwZ 2004, 597/602). Das Gleiche gilt, wenn der Normgeber es unterlässt, tatsächliche Ungleichheiten des zu ordnenden Lebenssachverhalts zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BVerfG, U.v. 16.3.2004 a.a.O.).
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bb) Unter Anwendung dieses Maßstabs verstößt die Differenzierung der Öffnungszeiten bezüglich des Innenbereichs und der Außenbewirtungsflächen des Lokals der Antragstellerin gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da hierfür ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist.
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Ein sachlicher Differenzierungsgrund kann auch nicht durch eine entsprechende Heranziehung von § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV geschaffen werden, da die dieser Vorschrift zugrundliegende infektionsschutzrechtliche Zielsetzung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar ist.
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Zur Begründung der in § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV getroffenen Regelung führte das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in seiner vom Gericht angeforderten Stellungnahme aus, dass zunächst Erfahrungen mit einer - aus infektionsschutzrechtlicher Sicht - bis 20 Uhr beschränkten Zulassung eines Gastronomiebetriebs hätten gesammelt werden sollen. Man sei davon ausgegangen, dass Außengastronomie zum Teil wesentlich größere Kapazitäten aufweise. Diese Beweggründe rechtfertigen die hier vorgenommene unterschiedliche Behandlung der Innen- und Außenflächen eines Speiselokals jedoch nicht. Es liegt vielmehr nahe, dass der Verordnungsgeber in § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV vorrangig Bier- und Wirtsgärten, nicht jedoch Speiselokale im Blick hatte, wie auch die beispielhafte Aufzählung in § 13 Abs. 4 Satz 1 der 4. BayIfSMV belegt.
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In § 13 Abs. 5 der 4. BayIfSMV hat der Verordnungsgeber eine gesonderte Regelung für Speisewirtschaften nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GastG geschaffen und damit eine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Gastronomietypen vorgenommen. Gleichzeitig wurden jedoch die Außenbewirtungsflächen der Speisewirtschaften aus der Sonderregelung des § 13 Abs. 5 der 4. BayIfSMV ausgenommen und den übrigen von § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV erfassten Formen der Außengastronomie gleichgestellt. Dies verstößt jedoch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil sich die Außenbewirtungsflächen in Speisewirtschaften von den übrigen Formen der in § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV genannten Außengastronomie maßgeblich unterscheidet. Die Gleichstellung der Außenbewirtschaftungsflächen eines Speiselokals mit den in § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV genannten Gastronomieangeboten im Freien ist auch nicht aus infektionsschutzrechtlicher Sicht gerechtfertigt. Die Außenbewirtungsflächen von Speiselokalen nehmen in der Regel eine gegenüber den Innenräumen der Wirtschaft untergeordnete Fläche ein, sodass insoweit die Vergleichbarkeit mit reiner Außengastronomie (z. B. großflächige Biergärten) fehlt.
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Auch die vom Verordnungsgeber geäußerte Befürchtung, dass es in den Abendstunden nach 20 Uhr aufgrund höheren Alkoholkonsums zu vermehrten Verstößen gegen Abstands- und Hygieneregeln kommen könne, rechtfertigt die Ungleichbehandlung des Innen- und Außenbereichs eines Speiselokals bzw. die Gleichstellung mit einer reinen Außengastronomie nicht. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Regelung in § 13 Abs. 4 der 4. BayIfSMV auch Gastronomiebetriebe erfasst, die keine Sitzgelegenheiten im Freien zur Verfügung stellen, jedoch Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle anbieten. Solche Außenbetriebe unterscheiden sich von den Außenbewirtungsflächen einer Speisewirtschaft bereits dadurch, dass durch das Fehlen von Sitzgelegenheiten und abgrenzbaren Außenflächen die Kontrollmöglichkeiten im Hinblick auf Abstands- und Hygieneregeln erheblich eingeschränkt sind. Die Situation der Bewirtung im Außenbereich eines Speiselokals stellt sich grundlegend anders dar.
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Im Übrigen sind die unterschiedlichen Öffnungszeiten für Innen- und Außenbereich von Speisewirtschaften mit der Gefahr verbunden, dass sich die Gäste nach Schließung des Außenbereichs in den Innenbereich begeben oder ihren Aufenthalt in der Gastronomie von vornherein auf den aus Sicht des Infektionsschutzes weitaus problematischeren Innenbereich beschränken. Neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Folge ist das Infektionsrisiko wegen vermehrter Aerosolbildung in Innenräumen höher, als dies im Freien der Fall wäre. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Gleichstellung des streitgegenständlichen Speiselokals mit einer (reinen) Außengastronomie aus infektionsschutzrechtlicher Sicht nicht sachgerecht und gleichheitswidrig. Auch ist zu berücksichtigen, dass sich der Verordnungsgeber aufgrund der positiven Erfahrungen dazu entschlossen hat, die Öffnungszeiten der Gastronomie ab dem 2. Juni 2020 einheitlich auf 6 bis 22 Uhr festzulegen. Dieser Umstand belegt für das Gericht hinreichend, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Ungleichbehandlung nicht mehr gerechtfertigt ist und nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.
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c) Die Antragstellerin hat auch den Anordnungsgrund im Sinn der Eilbedürftigkeit der Feststellung ist glaubhaft gemacht. Es folgt daraus, dass die dargestellte Auslegung der genannten Regelung der 4. BayIfSMV in das Gleichheitsgrundrecht der Antragstellerin aus Art. 3 Abs. 1 GG eingreift und Rechtsschutz in der Hauptsache dagegen angesichts der kurzen Geltungsdauer der Verordnung zu spät kommen würde. Der Antragstellerin entsteht durch die beschränkte Betriebsmöglichkeit ihrer Außenbewirtungsfläche ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden.
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d) Schließlich liegen die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vor. Die der Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung drohende Gefahr unzumutbarer und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigender Nachteile ergibt sich vorliegend im Hinblick auf die kurze Geltungsdauer der angegriffenen Regelung der 4. BayIfSMV, innerhalb der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nicht möglich ist. Zur Durchsetzung des in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes steht der Antragstellerin lediglich das gerichtliche Eilverfahren zur Verfügung.
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e) Nach den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 938 Abs. 1 ZPO bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind. Das Gericht ist somit an den von der Antragstellerin gestellten Antrag nicht gebunden. Es hat daher zur Verdeutlichung der Tragweite der Anordnung den Tenor eigenständig und in Abweichung vom Antrag der Antragstellerin formuliert.
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3. Nach alldem war dem Antrag der Antragstellerin stattzugeben. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsgegner gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Verfahrenskosten zu tragen.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat vorliegend den in der Hauptsache gebotenen Streitwert (§ 52 Abs. 2 GKG) für sachdienlich erachtet, da sich das gerichtliche Verfahren auf den Eilrechtsschutz beschränkt.