Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 28.04.2020 – AN 5 K 19.02522
Titel:

Verlust des Freizügigkeitsrechts eines Unionsbürgers nach strafgerichtlicher Verurteilung

Normenketten:
FreizüG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, Abs. 5
StGB § 64
Leitsätze:
1. Allein aus dem langen Aufenthalt im Bundesgebiet kann jedenfalls nicht auf eine Kontinuität der durch eine längere Strafhaft unterbrochenen Integrationsbande geschlossen werden. (Rn. 25 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr jedenfalls nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie beziehungsweise eine andere Suchttherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verlustfeststellung, Drogentherapie, Strafhaft, Drogenhandel, Integration, Unterbrechung, Gefährdungsprognose
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10437

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Verlustfeststellung.
2
Der … 1967 in Griechenland geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Im Alter von drei Jahren reiste der Kläger mit seiner Mutter erstmals in das Bundesgebiet zu dem hier lebenden Vater ein. Der Kläger besuchte das Gymnasium bis zur 11. Klasse und brach dann die Schulausbildung ab. Eine abgeschlossene Berufsausbildung hat er nicht. Mit 19 Jahren übernahm der Kläger mit seinem Vater einen Gastronomiebetrieb in … und war als Bedienung und Geschäftsführer tätig. 1991 zog der Kläger nach … um ein Restaurant zu eröffnen, welches er bis 2000 führte. 2003 eröffnete er in … eine neue Gaststätte, musste aber den Betrieb aufgrund finanzieller Probleme nach zwei Jahren einstellen. Zur gleichen Zeit, etwa 2003 bis 2005, war der Kläger als Bauträger und hernach bis 2009 als Immobilienbetreuer tätig. Im Zeitraum von 2009 bis 2010 war er arbeitslos. 2010 zog der Kläger nach … und wurde Geschäftsführer einer Gaststätte. Nach zwei Jahren verkaufte er die Gaststätte und zog für ein Jahr nach Brandenburg, wo er ebenfalls ein Lokal eröffnete. Anschließend zog er nach Mecklenburg-Vorpommern und eröffnete auch dort ein Lokal. 2013 zog er für drei Monate nach …, anschließend für sechs bis sieben Monate nach … 2015 kehrte er nach … zurück und eröffnete eine Pilsbar, die er aufgrund schlecht laufenden Geschäftsbetriebes 2016 schließen musste. Anschließend war er arbeitslos. Laut Strafurteil hat der Kläger Schulden in Höhe von 2 Millionen EUR. Mittlerweile wurde eine Regelinsolvenz angemeldet. Nach Aktenlage hat der Kläger drei Kinder. Die langjährige Beziehung mit seiner Lebensgefährtin scheiterte im Jahr 2007.
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Nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin im Jahr 2007 konsumierte der Kläger erstmalig Heroin, zunächst nur nasal. Nach fünf bis sechs Monaten steigerte er den Konsum auf eine Tagesdosis von drei bis vier Gramm. Dieses Konsummuster behielt er bis zum Jahr 2010 bei. Als der Kläger im Jahr 2016 arbeitslos wurde, konsumierte er erneut Kokain und Heroin, gelegentlich auch Cannabis.
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Der Kläger wurde am 12. Mai 2017 festgenommen und befand sich zunächst in Untersuchungshaft und anschließend in Strafhaft. Aufgrund der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Urteil vom 16. März 2018, befindet sich der Kläger seit dem 14. August 2018 im Klinikum …in … Mit Urteil des Landgerichts … vom 16. März 2018, rechtskräftig seit 24. März 2018, wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten verurteilt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Der Kläger hatte am 5. März 2017 von einem Lieferanten 60 Gramm Kokain erhalten, welches er sodann an den anderweitig verfolgten …, der das Kokain beim Kläger vorher bestellt hatte, weiterverkaufte (Tat 1). Am 21. April 2017 hatte der Kläger 70 Gramm Kokain von dem anderweitig Verfolgten … erworben, wovon er 10,5 Gramm für den eigenen Konsum entnahm. Den Rest streckte er auf 70 Gramm und verkaufte davon 30 Gramm an …, der vorher das Kokain beim Kläger bestellt hatte (Tat 2). Am 11. Mai 2017 hatte der Kläger weitere 100 Gramm Kokain erworben, wovon er 31,88 Gramm für den eigenen Konsum entnahm. Das entnommene Kokain bewahrte er in seiner Wohnung auf, wo er auch ein funktionierendes Pfefferspray in Besitz hatte. Das restliche Kokain streckte der Kläger wieder auf 100 Gramm, wovon er 50 Gramm an den anderweitig Verfolgten … und 48,78 Gramm an … weiterverkaufte. Die in der Wohnung gelagerten 31,88 Gramm Kokain und die an den … weiterverkauften 48,78 Gramm Kokain konnten sichergestellt werden (Tat 3).
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Mit Schreiben vom 10. September 2018 wurde der Kläger zur beabsichtigten Verlustverstellung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört. Mit Schreiben vom 19. September 2018 wurde von der ehemals bevollmächtigten Rechtsanwältin … insbesondere vorgetragen, dass der Kläger viele Jahre im Bundesgebiet sozial integriert leben würde, hingegen in Griechenland völlig entwurzelt sei. Er habe in Deutschland drei Kinder, zu denen eine enge Beziehung bestehe und zwei Brüder. Trotz der massiven Verurteilung sei davon auszugehen, dass der Kläger nach Therapieabschluss keine Straftaten mehr begehen werde. Mit Schreiben vom 2. September 2019 äußerte sich der Sohn des Klägers, … …, im Wesentlichen dahingehend, dass er und seine Schwestern dem Kläger in Zukunft beistehen würden und davon überzeugt seien, dass der Kläger seine Therapie erfolgreich abschließen werde.
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Mit Bescheid vom 14. November 2019 stellte die Beklagte den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland fest (Ziffer I), befristete die Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von 7 Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung (Ziffer II), forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von einer Frist von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen (Ziffer III) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise eine Abschiebung insbesondere nach Griechenland an (Ziffer IV).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Verlust des Freizügigkeitsrechts gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU zu verfügen sei. Dem Strafurteil sei zu entnehmen, dass sich der Kläger vermutlich im Jahr 2014/2015 für ca. ein Jahr in Griechenland aufgehalten habe. Da jedoch der genaue Zeitraum der Abwesenheit nicht abschließend geklärt werden könne, sei zu Gunsten des Klägers von einem Erwerb des Daueraufenthaltsrecht ausgegangen worden. Des Weiteren könne sich der Kläger auf § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU berufen. Der Kläger sei zwar vom 12. Mai 2017 bis 13. Juli 2018 in Haft gewesen und befinde sich seit dem 14. Juli 2018 im Maßregelvollzug, weshalb der Aufenthaltszeitraum jedenfalls durch die Strafhaft unterbrochen worden sei. Jedoch seien die zuvor mit dem Bundesgebiet geknüpften Integrationsverbindungen nicht abgerissen. Hierbei berücksichtigte die Beklagte insbesondere, dass sich der Kläger im Wesentlichen etwa 48 Jahre, mit geringen Unterbrechungen, im Bundesgebiet aufgehalten habe und mit der Verurteilung erstmals straffällig geworden sei. Der Kläger habe annähernd sein ganzes Leben hier verbracht.
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Jedoch lägen im Fall des Klägers zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vor, nachdem er wegen Drogenhandels zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten verurteilt worden sei. Der Kläger sei seit 2007, abgesehen von Zeiten der Abstinenz, drogenabhängig und habe seine Drogensucht durch den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln finanziert. Unabhängig davon lägen beim Kläger charakterliche Mängel vor. Es sei zu befürchten, dass der Kläger keine grundlegende Änderung seines Lebenswandels vornehme und weiterhin eigene Bedürfnisse ohne Rücksicht auf schützenswerte Güter anderer durchsetze und auch künftig gravierende Straftaten begehen werde. Laut Strafurteil habe der Kläger einen Hang berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und erhebliche Schulden (ca. 2 Millionen EUR). Es liege nahe, dass die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten zur Beschaffung finanzieller Mittel erhöht sei. Bereits hieraus, insbesondere aber auch aufgrund des Verhaltens des Klägers, ergebe sich zweifelsohne eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Grundinteressen der Gesellschaft berühre. Der illegale Drogenhandel zähle zur besonders schweren Kriminalität und die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgingen, seien schwerwiegend und berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die gefährlichen Wirkungen von Kokain, hierbei handle es sich um eine Rauschdroge mit hohem psychischen Abhängigkeitspotential, könnten lebensgefährliche Folgen haben und bis zum Tod führen. Der Kläger habe seine eigenen Interessen über das Leben und die Gesundheit anderer Menschen gestellt.
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Im Rahmen der Interessenabwägung müssten die Bleibeinteressen des Klägers zugunsten der öffentlichen Interessen zurücktreten. Hierbei wurde insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger über schützenswerte familiäre Bindungen im Bundesgebiet nicht verfüge. Zwar lebten nach Aktenlage Kinder und Geschwister des Klägers im Bundesgebiet, die Kinder seien aber bereits volljährig. Eine sonstige wirtschaftliche und soziale Integration sei dem Kläger trotz des langen Aufenthaltes nicht gelungen, was sich schon aus der Schwere der abgeurteilten Straftat zeige. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Zwar sei er viele Jahre als selbstständiger Gastronom mit wechselnden Lokalen selbständig tätig gewesen, allerdings hätten auch diese beruflichen Chancen ihn nicht davon abgehalten, massiv straffällig zu werden und Drogen zu konsumieren. Zudem habe er Schulden in beachtlicher Höhe.
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Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage und beantragte,
den Bescheid der Beklagten vom 14. November 2019 aufzuheben.
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Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2020 erfolgte die Klagebegründung. Im Wesentlichen wurde vorgetragen, dass die Bundesrepublik Deutschland für den Kläger seine Heimat darstelle, in der er seine wirtschaftlichen, sozialen und familiären Kontakte habe. Trotz des langen Aufenthaltes habe er sich nichts weiter zuschulden kommen lassen. Laut Therapiebericht der Bezirkskliniken … vom 4. Dezember 2019 gebe es bereits Lockerungen und es seien keine Anhaltspunkte für eine etwaige Suchtmittelrückfälligkeit erkennbar.
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Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2019 beantragte die Beklagte
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Klageabweisung.
14
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 7. Februar 2020 im Wesentlichen vorgetragen, dass sich eine Prognose für ein künftiges straf- und drogenfreies Leben aus einer regelgerecht verlaufenden, jedoch nicht abgeschlossenen Therapie keineswegs ableiten lasse. Vielmehr müsse eine derartige Veränderung der Persönlichkeit des Klägers über einen längeren Zeitraum nach Abschluss des Straf- und Maßregelvollzuges erst noch bewiesen werden. Überdies seien die charakterlichen Defizite des Klägers nicht ausschließlich Ausfluss an seiner Betäubungsmittelabhängigkeit. Der Kläger sei Täter im Bereich der schweren Kriminalität gewesen und habe sich aktiv am Handel mit Drogen der gefährlichsten Kategorie beteiligt. Es sei zu befürchten, dass er im Fall eines Rückfalles in den Gebrauch von Betäubungsmitteln oder auch nur im Fall von persönlichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, erneut kriminelle Handlungen begehen werde.
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Laut Therapiebericht der Bezirkskliniken … - Klinikum …- vom 20. März 2020 sei Therapiezweck die Behandlung der Polytoxikomanie (ICD 10: F19.21). Seit 8. November 2019 arbeite der Kläger entsprechend seines Gesundheitszustandes in Teilzeit in einer Fastfood-Kette. Dies werde seitens der Klinik insbesondere vor dem Hintergrund der (psycho-) somatischen Beschwerden engmaschig therapeutisch begleitet. Aufgrund des insgesamt positiven Behandlungsverlaufes werde der Kläger voraussichtlich Ende März / Anfang April zu seinem Bruder in dessen Wohnung nach … ziehen und dort zur Probe wohnen. Das Probewohnen diene der Erprobung und Überprüfung. Anhaltspunkte für Suchtmittelrückfälle hätten sich bislang weder aus Verhaltensbeobachtungen noch aus den Urin- und Speichelanalysen ergeben. Auch die gewährten Vollzugslockerungen seien bislang ohne Probleme verlaufen. Perspektivisch sei geplant, den Kläger bei weiterhin positivem Verlauf im Probewohnen ca. im Sommer 2020 aus dem Maßregelvollzug zu entlassen. Auch nach der Entlassung werde er von der hiesigen forensischen Ambulanz sowie der Bewährungshilfe während der Führungsaufsicht weiter engmaschig kontrolliert und betreut.
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Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2020 beteiligte sich die Regierung … als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren und trat mit Schriftsatz vom 23. April 2020 der Rechtsauffassung der Beklagten bei. Es sei fraglich, ob der Kläger den besonderen Schutzstatus nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erworben habe. Jedenfalls lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit i.S.d. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vor. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich um die erste Verurteilung des Klägers handle. Der Kläger sei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilt worden. Bei den Straftaten handle es sich um erhebliche Verbrechen. Gerade der Umstand, dass der Kläger noch nicht strafrechtlich verurteilt worden sei, und dann Betäubungsmittelhandel in erheblichem Umfang begangen habe, zeuge von einer erheblichen kriminellen Energie. Hinzu komme, dass der Kläger selbst drogenabhängig sei und der Betäubungsmittelhandel auch zur Finanzierung und Unterstützung seiner eigenen Sucht gedient habe. Zudem habe der Kläger, der bereits seit 2007 harte Drogen konsumiere, auch nach abstinenten Zeiten immer wieder mit dem Drogenkonsum begonnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Behördensowie die Gerichtsakte und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 14. November 2019 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19
Die in Ziffer I verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland ist ebenso wenig zu beanstanden wie die in Ziffer III und IV verfügten Annexentscheidungen. Ebenso begegnet die unter Ziffer II verfügte Befristung der Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung keinen rechtlichen Bedenken.
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Die nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 16.7.2015 - 1 C 22/14 - juris Rn. 11) als rechtmäßig.
21
Die Beklagte geht zu Gunsten des Klägers, allerdings ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU im Einzelnen zu prüfen, davon aus, dass der Kläger schon auf Grund seiner griechischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist.
22
Rechtsgrundlage der Verlustfeststellung ist vorliegend - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU, sondern § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU.
23
Zugunsten des Klägers wird - in Übereinstimmung mit der Beklagten - davon ausgegangen, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben hat.
24
Der noch weitergehende Schutz nach § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 FreizügG/EU steht ihm - entgegen der Ansicht der Beklagten - jedoch nicht zu. Nach dieser Vorschrift darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Frage, ob eine Person die Voraussetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG, den „Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat“ gehabt zu haben, erfüllt, auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die ursprüngliche Ausweisungsverfügung ergeht (EuGH, U.v.17.4.2018 - C-316/16 und C-424/17 - juris Rn. 88).
25
Zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verlustfeststellung am 28. November 2019 erfüllt der bereits seit 12. Mai 2017 inhaftierte Kläger die Voraussetzung eines ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts nicht. Der EuGH hat in seinem Urteil im Verfahren C-316/16 zum wiederholten Male festgestellt, dass Haftstrafen die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne des Art. 28 Absatz 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 grundsätzlich unterbrechen (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 - C 316/16 - juris Rn. 70 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 16.1.2014 - C-400/12 - juris Rn. 33 ff.). Ob diese Unterbrechung zu einem Entfallen eines verstärkten Schutzes vor Verlustfeststellung führt, ist abhängig von einer umfassenden Beurteilung der konkreten Situation des Betroffenen: Je fester die Integrationsbande zum Aufenthaltsstaat, insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Verbüßung einer Haftstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von 10 Jahren führt (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 - juris Rn. 72). Relevant sind in diesem Zusammenhang die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art und Begehungsweise der Tat, die zur verhängten Haft führte, sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 - juris Rn. 83). Die Frage, ob der Betroffene in den Genuss des besonderen Schutzes des Art. 28 Absatz 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 kommt, ist - im Gegensatz zur ggf. nachträglich anzupassenden Gefährdungsprognose - mit Blick auf die Situation im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung zu beantworten (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 - C-316/16 - juris Rn. 86).
26
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Verlustfeststellungsentscheidung der Beklagten nicht an § 6 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 FreizügigkeitsG/EU, sondern an § 6 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 FreizügigkeitsG/EU zu messen ist. Zwar hält sich der Kläger seit ca. 1970 und damit mehr als zehn Jahre ständig im Bundesgebiet auf. Die Kammer geht jedoch im vorliegenden Fall davon aus, dass die Integrationsverbindungen jedenfalls durch die Verbüßung der langjährigen Haftstrafe abgerissen sind.
27
Die Beklagte hat den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt am 14. November 2019 festgestellt. Der Kläger wurde am 12. Mai 2017 vorläufig festgenommen und befand sich seit dem 13. Mai 2017 in Untersuchungshaft, anschließend in Strafhaft. Seit 14. August 2018 ist er gemäß § 64 StGB in der Klinik für forensische Psychiatrie des Klinikums … untergebracht. Eine Entlassung aus dem Maßregevollzug ist bislang noch nicht erfolgt. Innerhalb des gem. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU relevanten Zeitraums von zehn Jahren war der Kläger demnach bereits mehr als 2 Jahre in Haft bzw. im Maßregelvollzug. Dadurch wurde der erforderliche Aufenthaltszeitraum nach Auffassung der Kammer unterbrochen. Allein aus dem langen Aufenthalt im Bundesgebiet kann jedenfalls nicht auf eine Kontinuität geschlossen werden. Denn bereits vor der Inhaftierung waren die Integrationsverbindungen des Klägers im Bundesgebiet nur in geringem Maße ausgeprägt. Insofern ist zu Gunsten des Klägers sein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet einzustellen. Allerdings war der Kläger, der die Schulausbildung abgebrochen und keine Ausbildung absolviert hat, wirtschaftlich nicht erfolgreich. Ausgelöst durch seine Zeit als Gastronom und Besitzer verschiedener Gaststätten hatte der Kläger zum Zeitpunkt seiner Verurteilung massive Schulden in Höhe von 2 Millionen EUR. Im Zeitraum von 2009 bis 2010 und seit 2016 war der Kläger zudem arbeitslos und bezog Sozialleistungen. Demzufolge kann zum maßgeblichen Zeitpunkt von einer nennenswerten wirtschaftlich-beruflichen Integration des Klägers, die hätte abreißen können, nicht (mehr) gesprochen werden. Auch in familiärer Hinsicht waren vor Haftantritt die Bindungen im Bundesgebiet nicht (mehr) stark. Der Kläger ist seit 2007 von seiner Lebensgefährtin getrennt und ledig. Laut Strafurteil musste aufgrund des Drogenkonsums des Klägers der bei dem Kläger lebende Sohn zu seiner Mutter zurück. Seine Kinder sind mittlerweile zudem volljährig und nicht auf seine Unterstützung angewiesen. Auch ist der Kläger während seines gesamten Aufenthaltes innerhalb des Bundesgebietes immer wieder umgezogen ist. Gegen eine gelungene Integration in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland spricht zudem, dass der Kläger vor Haftantritt Betäubungsmittelkonsument war. Bereits nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin im Jahr 2007 konsumierte der Kläger bis zum Jahr 2010 Heroin und begann im Jahr 2016 aufgrund seiner Arbeitslosigkeit erneut Betäubungsmittel zu konsumieren. Auch die Art der Straftat und die Umstände ihrer Begehung lassen erkennen, in welchem Maß sich der Kläger der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates entfremdet hat. Der Kläger nahm aktiv am Rauschgifthandel teil und hat bei drei Taten mit großen Mengen der aufgrund ihres hohen Abhängigkeitspotentials gefährlichen Droge Kokain gehandelt. Trotz fehlender Vorstrafen, teilweisem Geständnis und teilweiser Sicherstellung der Betäubungsmittel sowie in einem Fall geleisteter Aufklärungshilfe hat das Strafgericht den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten verurteilt. Bereits die hohe Haftstrafe verdeutlicht, dass es sich um erhebliche Straftaten gehandelt hat. Gerade der Betäubungsmittelhandel zählt zu den besonders schweren Straftaten. In der Gesamtschau lässt sich somit feststellen, dass bereits vor der Inhaftierung die ursprünglich vorhandenen Integrationsverbindungen zunächst sukzessive und letztlich mit Verbüßung der langjährigen Haftstrafe abgerissen sind. Der Kläger kann sich daher nicht auf den besonderen Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen.
28
Rechtsgrundlage für die Verlustfeststellung ist somit § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU. Danach kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt werden. Die Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
29
Die von dem Kläger begangene Straftat rechtfertigt die Verlustfeststellung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU).
30
Der Begriff der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist nicht nach nationalen, sondern nach unionsrechtlichen Kriterien zu bestimmen. Er ist eng auszulegen (EuGH, U.v. 27.4.2006 - C-441/02 - juris Rn. 34). Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung setzt voraus, dass innerstaatliche Rechtsvorschriften verletzt wurden (EuGH, U.v. 27.4.2006 - C-441/02 - juris Rn. 35). Die reine soziale Störung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, reicht für eine Verlustfeststellung nicht aus (EuGH, U.v. 27.4.2006 - C-441/02 - juris Rn. 35). Denn anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht verweist der Maßstab des § 6 Abs. 2 FreizügG/EU nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 24). Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung rechtfertigt für sich genommen eine Verlustfeststellung (ebenfalls noch) nicht (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU). Strafrechtliche Verurteilungen dürfen in diesem Kontext nur berücksichtigt werden, soweit sie im Bundeszentralregister noch nicht getilgt wurden (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU).
31
Die strafrechtliche Verurteilung des Klägers durch das Landgericht … vom 16. März 2018 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten stellt eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU dar. Der Kläger hatte in drei Fällen größere Mengen Kokain erworben und teilweise weiterverkauft. In seiner Wohnung bewahrte er neben einem Teil der Betäubungsmittel auch ein funktionierendes Pfefferspray auf.
32
Das Strafgericht berücksichtigte zwar zu Gunsten des Klägers insbesondere dessen Betäubungsmittelabhängigkeit sowie den Umstand, dass er die Taten auch zur Finanzierung seiner Sucht begangen hat, dass er nicht vorbestraft und teilweise geständig war, bei einer Tat Aufklärungshilfe leistete und dass Teilmengen des Kokains sichergestellt werden konnten. Jedoch sah das Strafgericht zu Lasten des Klägers, dass es sich um erhebliche Mengen (die Grenze zur nicht geringen Menge wurde teilweise um das 5-fache bzw. 9,6-fache überschritten) an Kokain gehandelt hat. Insoweit handelt es um ein gravierendes Verbrechen. Es ist wohl glücklichen Umständen zuzuschreiben, dass die Straftaten teilweise unter polizeilicher Überwachung stattgefunden haben, so dass nicht das gesamte verkaufte Kokain in den Verkehr gelangen konnte, denn gerade Kokain stellt eine gefährliche Droge dar. Von einem Grundinteresse der Gesellschaft kann in diesem Zusammenhang ausgegangen werden, da die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12- juris Rn. 12).
33
Das persönliche Verhalten des Klägers indiziert nach Auffassung des Gerichts auch für die Zukunft eine tatsächliche, gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU).
34
Für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU erforderlich und ausschlaggebend sind die unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Freizügigkeitsberechtigten und die insoweit anzustellende aktuelle Gefährdungsprognose. Dabei steht es den Ausländerbehörden und Gerichten nicht frei, von einem früheren Verhalten ohne weiteres auf die aktuelle Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu schließen. Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt jedoch nicht, dass eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen wird. Hierbei ist eine individuelle Würdigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 26). In Fällen eines Daueraufenthaltsberechtigten i.S.d. § 4a AufenthG/EU ist nach § 6 Abs. 4 AufenthG/EU zusätzlich einschränkend zu berücksichtigen, dass die drohende Beeinträchtigung zu schweren Gefahren für die öffentliche Ordnung führen muss. Es ist daher eine erhebliche Gefahr mindestens mittlerer oder schwerer Straftaten erforderlich.
35
Die Kammer geht vorliegend mit der Beklagten davon aus, dass der Kläger bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet auch weiterhin gravierende Straftaten, namentlich Betäubungsmitteldelikte, begehen wird. Im Rahmen der Gefahrenprognose ist zu berücksichtigen, dass der in dem Strafverfahren hinzugezogene Sachverständige … bei dem Kläger eine Drogenabhängigkeit (Polytoxikomanie) festgestellt hat. Nach den Ausführungen des Sachverständigen …, denen sich die erkennende Kammer uneingeschränkt anschließt, ist es zu einer deutlichen und mehrjährigen, durch Übung erworbenen, intensiven Neigung hinsichtlich des regelmäßigen Konsums von Kokain und Heroin gekommen. Außerdem hat eine körperliche Abhängigkeit bestanden. Im Hinblick auf die nachlassende berufliche und soziale Integration ist von einem Hang des Klägers auszugehen. Der Sachverständige führte aus, dass ohne Behandlung der psychischen Hintergründe des Abhängigkeitsverhaltens und der mittlerweile verfestigten Suchtstrukturen ein sehr hohes Risiko besteht, dass der Kläger erneut Drogen konsumieren und neue Straftaten aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz begehen wird.
36
Die Kammer erkennt durchaus, dass der Kläger an seiner Suchtproblematik arbeitet und sich um ein geregeltes Leben bemüht. Aber auch wenn der Kläger laut Therapiebericht des Klinikums … vom 20. März 2020 insgesamt einen positiven Behandlungsverlauf aufweist, mittlerweile in Teilzeit arbeitet, sich in der Probewohnphase befindet, eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug voraussichtlich im Sommer 2020 ansteht und eine Regelinsolvenz angemeldet ist, so ist dennoch zu berücksichtigen, dass bislang die Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers (noch) nicht erfolgreich therapiert ist.
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Bei Straftaten, die wie vorliegend auch auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr jedenfalls nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie beziehungsweise eine andere Suchttherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Angesichts der erheblichen Rückfallquoten während einer andauernden Drogentherapie und auch noch in der ersten Zeit nach dem erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie kann allein aus der begonnenen Therapie noch nicht auf ein künftiges straffreies Leben geschlossen werden (BayVGH, B.v. 26.11.2015 - 10 ZB 14.1800 - juris Rn. 7; B. v. 13.5.2015 - 10 C 14.2795 - juris Rn. 4; B.v. 21.2.2014 - 10 ZB 13.1861 - juris Rn. 6). Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie schließt eine Rückfall- und Wiederholungsgefahr nicht per se aus (BayVGH, B.v. 24.5.2012 - 10 ZB 11.2198 - juris Rn. 13). Gerade im Fall des Klägers ist außerdem zu berücksichtigen, dass dieser bereits in der Vergangenheit auch nach Zeiten der Abstinenz wieder rückfällig geworden ist. Grund für seinen erstmaligen bzw. erneuten Konsum waren die Trennung von seiner Lebensgefährtin bzw. seine Arbeitslosigkeit. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Kläger bei erneuten persönlichen Krisen wieder in den Drogenkonsum zurückfallen und Straftaten begehen wird. Die Kammer geht daher im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Kläger, auch gegenwärtig, wieder straffällig wird.
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Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung ist abzuwägen, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 27). Es ist insoweit der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienfriedens zu Gunsten des Unionsbürgers zu beachten. Hierbei ist gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
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Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich darauf hin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden.
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Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Die Beklagte hat in ihrer Ermessensentscheidung zutreffend die Art und Schwere der von dem Kläger begangenen Straftat und die lange Dauer seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt. Sie hat auch in ihre Abwägung eingestellt, dass die volljährigen Kinder und die Geschwister des Klägers im Bundesgebiet leben. Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK gewähren jedoch einen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Nur wenn die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllt, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange mit der Folge zurück, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen sich als unverhältnismäßig erweisen (BayVGH, B.v. 25.4.2014 - 10 CE 14.650 - juris Rn. 6). Eine entsprechende Situation liegt bei dem Kläger aber offensichtlich nicht vor. Zudem berücksichtigte die Beklagte, dass der Kläger massiv straffällig geworden ist und Drogen konsumiert hat. Auch wurde gesehen, dass der Kläger keinen Beruf erlernt hat und trotz vieler Jahre als selbständiger Gastronom Schulden in beachtlicher Höhe hat, so dass ihm trotz des langen Aufenthaltes weder eine wirtschaftliche noch soziale Integration im Bundesgebiet gelungen ist. Nach alledem hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers höher gewichtet, als dessen Interesse, weiterhin im Bundesgebiet zu leben.
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Die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist ebenfalls rechtmäßig. Die Frist, das Bundesgebiet innerhalb von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen, erscheint angemessen. Dies gilt auch für die ausgesprochene Abschiebungsandrohung für den Fall, dass die Antragstellerin ihrer Ausreiseverpflichtung nicht innerhalb der gesetzten Frist freiwillig nachkommt.
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Ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken begegnet die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung. Rechtsgrundlage ist insoweit § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (EuGH, U.v. 17. Juni 1997 - C-65/95, C-111/95 - Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU - wie hier - überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - juris Rn. 23). Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass von dem Kläger auch künftig schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind und dass eine zeitnahe Befristung im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr hinsichtlich neuer Straftaten den Verlustfeststellungszweck konterkarieren würde. Die Beklagte kommt unter Berücksichtigung aller für und gegen den Kläger sprechenden bekannten Umstände zum Ergebnis, die Wirkung der Verlustfeststellung auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung zu befristen. Diese Frist erscheint auch der Kammer im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehenden Gefahren angemessen, insbesondere verhältnismäßig.
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Im Übrigen folgt die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
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Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.