Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 31.01.2020 – AN 2 K 18.01544
Titel:

Prüfungsanfechtung wegen Prüfungsunfähigkeit 

Normenketten:
GG Art. 3, Art. 12
BGB § 121
ABMPO § 7 Abs. 3 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5, § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, Nr. 7
EUV Art. 5 Abs. 3
VwVfG Art. 35f
Leitsätze:
1. Bei unerkannter Prüfungsunfähigkeit muss sich aus dem Attest auch ergeben, warum der Prüfling seine Prüfungsunfähigkeit nicht erkennnen konnte. Das Attest muss sich auf den Prüfungstag beziehen und eine eigene Diagnose des Arztes enthalten.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Rüge von Verfahrensfehlern bei der Prüfung (Lärm/Hitze) erst nach der Notenbekanntgabe ist nicht mehr unverzüglich und verstößt gegen das Gebot der Chancengleichheit. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Bewertungsverfahren ist fehlerhaft, wenn für eine falsche Antwort Punkte abgezogen werden, die durch eine richtige Antwort erreicht worden sind. Dieser Fehler ist jedoch nicht ursächlich, wenn die Prüfung auch ohne den Punkteabzug nicht bestanden wäre.  (Rn. 31 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prüfungsanfechtung, Rücktritt nicht unverzüglich, unerkannte Prüfungsunfähigkeit, Maluspunkte, Chancengleichheit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 10434

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger studierte an der … … im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen (Bachelor). Bereits im Wintersemester 2015/2016 legte der Kläger die Prüfung „Recht I: Grundlagen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts“ am … 2016 im dritten Versuch ab und bestand die Klausur endgültig nicht. Daraufhin wurde dem Kläger durch den Prüfungsausschuss am … 2016 die Möglichkeit gewährt, erneut an der Prüfung teilzunehmen, da der Vater des Klägers zum Zeitpunkt der Prüfung im Februar 2016 im Krankenhaus behandelt werden musste und der Kläger deshalb nicht auf die anstehende Prüfung habe lernen können.
2
Der Kläger legte daraufhin am … 2017 die Prüfung „Recht I: Grundlagen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts“ erneut im Drittversuch ab. Dabei erreichte er im Prüfungsteil Zivilrecht 96 Punkte und die Note 5,00. Im Prüfungsteil Öffentliches Recht erreichte er 82,5 Punkte und die Note 5,00. Das Fach „Recht I: Grundlagen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts“ wurde deshalb als endgültig nicht bestanden gewertet. Dies führte dazu, dass auch die Bachelorprüfung des Klägers als endgültig nicht bestanden bewertet wurde.
3
Am 6. Dezember 2017 erging durch die … der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen des Klägers. Der Bescheid wurde vom Kläger persönlich am 8. Dezember 2017 bei der Beklagten abgeholt. Gegen den Bescheid legte der Kläger durch seine Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 8. Januar 2018 Widerspruch ein und begründete ihn im Wesentlichen damit, dass keine Bewertung durch einen Zweitkorrektor stattgefunden habe, wie es § 16 Abs. 3 Satz 2 der Allgemeinen Prüfungsordnung für die Bachelor- und Masterstudiengänge an der Technischen Fakultät der … (ABMPO/TechFak) fordere. Zudem führt der Kläger anhand von einigen Beispielen aus, dass die Punktevergabe nicht nachvollziehbar und intransparent gewesen sei. So sei beispielsweise bei der Punktevergabe im zivilrechtlichen Prüfungsteil ein Punktabzug für falsche Antworten erfolgt. Des Weiteren habe die Prüfung an einem ungeeigneten Prüfungsort - …, … …, … - stattgefunden. Dort hätten hohe Raumtemperaturen sowie Fluglärm geherrscht. Der Kläger sei zudem nur eingeschränkt prüfungsfähig gewesen. Er habe bereits am 5. Juli 2017 die psychologisch-psychotherapeutische Beratungsstelle des Studentenwerks … aufgesucht. Die dort behandelnde Diplom-Psychologin habe eine massiv eingeschränkte Prüfungsunfähigkeit festgestellt. Der Kläger gehe deshalb davon aus, dass seine Prüfungsunfähigkeit der Beklagten bekannt gewesen sei.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Im Wesentlichen wurde dies damit begründet, dass dem Kläger ein erneuter Versuch nach der Prüfungsordnung nicht zustehe. Härtefallregelungen sehe die ABMPO/TechFak nicht vor. Das Begehren des Klägers sei vielmehr als nachträglicher Rücktritt von der Prüfung wegen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit auszulegen. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 ABMPO/TechFak müssten solchen Gründe jedoch unverzüglich angezeigt werden. Der Kläger habe jedoch zunächst das Ergebnis abgewartet. In Fällen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit müsse zudem gleichzeitig ein Attest vorgelegt werden. Eine rechtzeitige Anzeige der Prüfungsunfähigkeit sei dem Kläger möglich und zumutbar gewesen. Eine erneute Wiederholung der Prüfung verstieße gegen den Grundsatz der Chancengleichheit.
5
Eine Wiederholung der Prüfung aufgrund von Prüfungsmängeln komme ebenfalls nicht in Frage. Etwaige Prüfungsmängel hätten unverzüglich angezeigt werden müssen. § 15 Abs. 3 ABMPO/TechFak enthalte eine Ausschlussfrist. Ein Verstoß gegen das „Zweiprüferprinzip“ des § 16 Abs. 3 Satz 2 ABMPO/TechFak liege nicht vor. Es sei anhand der Haken, die sich am rechten Rand der Klausur neben der Spalte des Erstkorrektors befinden, zu sehen, dass die Klausur durch einen weiteren Korrektor bewertet worden sei. Die Korrektur sei rechtsfehlerfrei erfolgt.
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Am 25. Juli 2018 stellte die Beklagte dem Kläger erneut eine „Übersicht über alle Leistungen“ aus.
7
Mit Schriftsatz vom 6. August 2018, eingegangen bei Gericht am 8. August 2018, erhob der Kläger über seine Bevollmächtigte Klage und beantragte,
I. Der Bescheid der Beklagten vom 6.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.7.2018 wird aufgehoben.
II.
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Der Bescheid der Beklagten vom 25.7.2018 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte wird verpflichtet, die Bachelorprüfung des Klägers nach Neubewertung der Prüfung im Fach „Recht I: Grundlagen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Zudem wurde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägerbevollmächtigten beantragt.
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Zur Begründung trug der Kläger im Wesentlichen die im Widerspruchsverfahren ausgeführten Argumente erneut vor.
11
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2018,
die Klage wird abgewiesen.
12
Es wurde im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2018 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt sowie die Behördenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Prüfungsbescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Auch die angegriffene Leistungsübersicht vom 25. Juli 2018 begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Eine Verpflichtung zur Neubewertung der streitgegenständlichen Klausur aufgrund der Verfahrens- und Bewertungsrügen bestand nicht.
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Aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt bei berufsbezogenen Prüfungen ein Anspruch des Prüflings auf effektiven Schutz seines Grundrechts der Berufsfreiheit durch eine entsprechende Gestaltung des Prüfungsverfahrens. Danach muss er das Recht haben, substantiierte Einwände gegen die Bewertungen seiner Prüfungsleistungen bei der Prüfungsbehörde rechtzeitig und wirkungsvoll vorzubringen (BVerwG, U.v. 24.02.1993 - 6 C 35/92 - NVwZ 1993, 681).
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Hinsichtlich der verschiedenen Fehlertypen sind unterschiedliche Kontrollmaßstäbe anzuwenden.
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Der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegen insbesondere formale Aspekte wie z.B. Verfahrensfehler in den Phasen der Leistungsermittlung und -bewertung. Hierzu zählen unter anderem Rügen im Hinblick auf Prüfungsunfähigkeit des Prüflings, Befangenheit eines Prüfers, das Vorliegen äußerer Störungen sowie eine unzureichende Begründung des Prüfungsergebnisses.
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Gleiches gilt für die Bewertung der Antworten des Prüflings auf ihre fachliche Richtigkeit oder die Zugrundelegung eines unrichtigen Sachverhalts. Fachwissenschaftliche Fragen dürfen, sofern sich die Antwort im Rahmen einer Bandbreite fachlich vertretbarer Antworten hält, nicht als falsch gewertet werden. Insoweit ist für einen Bewertungsspielraum des Prüfers kein Platz. Dabei reicht aber nicht allein die Behauptung einer fehlerhaften fachlichen Beurteilung aus. Der Kläger muss vielmehr darlegen, worin der den Prüfern unterlaufene fachliche Fehler im Einzelnen liegt. Es ist Sache des Prüflings, die Richtigkeit bzw. Vertretbarkeit seiner Auffassung gegenüber der anderen Auffassung der Prüfer mithilfe objektiver Kriterien einsichtig zu machen. Dazu gehören etwa Belege durch qualifizierte fachwissenschaftliche Äußerungen (BayVGH, B.v. 28.8.2012 - 7 ZB 12.467 - juris).
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Demgegenüber sind prüfungsspezifische Wertungen, die vor allem in der konkreten Benotung der Arbeit ihren Niederschlag finden, dem Beurteilungsspielraum und damit der Letztentscheidungskompetenz der Prüfer überlassen, sofern nicht gegen das Willkürverbot verstoßen wird (BVerwG, B.v. 5.3.2018 - 6 B 71/17 - juris).
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Unter Anwendung dieser Prämissen bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die angefochtene Prüfungsentscheidung.
21
Die vom Kläger angeführte Prüfungsunfähigkeit am Prüfungstag sowie die geschilderten unzumutbaren Prüfungsbedingungen führen nicht zu einem Anspruch auf Wiederholung der streitgegenständlichen Prüfung. Die Voraussetzungen für einen wirksamen Rücktritt von der Prüfung liegen nicht vor.
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Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 ABMPO/TechFak müssen die Gründe für einen Rücktritt dem Prüfungsamt unverzüglich schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht werden. In Fällen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit muss ein Attest vorgelegt werden, § 7 Abs. 3 Satz 3 ABMPO/TechFak.
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Unverzüglich in diesem Sinne bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“ (vgl. § 121 BGB). Ein Rücktritt ist nicht mehr unverzüglich, wenn der Prüfling die Erklärung nicht zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt abgegeben hat, zu dem sie von ihm in zumutbarer Weise hätte erwartet werden können. Diese Obliegenheit des Prüflings zur Mitwirkung findet ihren Rechtsgrund in dem auch im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben in Verbindung mit dem hier besonders zu beachtenden Gebot der Chancengleichheit aus Art. 3 GG. Das Gebot der Unverzüglichkeit rechtfertigt sich aus dem berechtigten Anliegen, einer missbräuchlichen Vorteilsnahme vorzubeugen. Erfolgt die Rücktrittserklärung nicht unverzüglich, so hat dies unmittelbar materiell-rechtliche Wirkung, nämlich dass der Rücktritt nicht anzuerkennen ist und damit in der Regel die Prüfung oder der betreffende abtrennbare Prüfungsteil nicht bestanden sein dürfte (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 282 f.).
24
Die Rüge bezüglich des Lärms und der Hitze erfolgte erst am 15. Februar 2018 und somit nicht unverzüglich. Welcher Zeitpunkt noch als unverzüglich anzusehen ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Äußerste Grenze ist aber grundsätzlich der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, der bei schriftlichen Prüfungen gewöhnlich mehrere Wochen nach der Prüfung liegt. Der Prüfling darf seine Noten (noch) nicht kennen, wenn er den Rücktritt von der Prüfung erklärt. Durch ein „spekulatives Abwarten“ auf das Prüfungsergebnis würde die Grenze der gebotenen „Unverzüglichkeit“ offensichtlich überschritten. Wenn es dem betroffenen Prüfling ermöglicht würde, in Kenntnis des Verfahrensmangels zunächst die Prüfung fortzusetzen, das Prüfungsergebnis abzuwarten und dann zurückzutreten, würde die Chancengleichheit verletzt. Denn so würde ihm die Wahlmöglichkeit eröffnet, die gestörte Aufsichtsarbeit je nach ihrem Ergebnis gelten zu lassen oder zu wiederholen (BVerwG, U.v. 6.9.1995 - 6 C 16/93 - juris; BayVGH, B.v. 4.12.19 - 7 C 19.433 - nicht veröffentlicht). Es wäre die Obliegenheit des Klägers gewesen, etwaige störende Umstände am Prüfungstag selbst zu rügen. Eine Rüge erst nach Notenbekanntgabe ist nicht mehr als unverzüglich zu sehen und verstößt gegen das Gebot der Chancengleichheit.
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Auch die behauptete Prüfungsunfähigkeit hat der Kläger erst nach Bekanntgabe seiner Note am 15. Februar 2018 geltend gemacht. Er erklärte erst zu diesem Zeitpunkt, dass er am Prüfungstag (… 2017) prüfungsunfähig gewesen sei. Dies ist nicht als unverzüglich zu sehen, zumal der Kläger spätestens seit seinem Gesprächstermin mit der Diplom-Psychologin des Studentenwerks am 6. Juli 2017 seinen Gesundheitszustand einschätzen konnte und sich trotz alledem für eine Prüfungsteilnahme im August 2017 entschieden hat.
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Zudem ist der ärztliche Bericht vom 15. Januar 2018 nicht als ausreichendes Attest i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 3 ABMPO/TechFak zu sehen. Nimmt der Prüfling an der Prüfung teil und erklärt erst nach deren Beendigung seinen Rücktritt unter Berufung auf eine zunächst unerkannte Prüfungsunfähigkeit, muss er die Gründe dafür, dass er seine Prüfungsunfähigkeit zunächst nicht erkennen konnte, in gleicher Weise glaubhaft machen, wie die Prüfungsunfähigkeit selbst. Zwar ist es nicht Sache des Arztes, sondern Aufgabe des Prüfungsamts, darüber zu befinden, ob eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit vorliegt. Das hierzu vom Prüfungsteilnehmer beizubringende ärztliche Attest ist jedoch für die Prüfungsbehörde die wesentliche Entscheidungsgrundlage. Es muss daher die krankhafte Beeinträchtigung des Prüflings und ihre Auswirkungen auf dessen Leistungsvermögen in der konkreten Prüfung so beschreiben, dass die Prüfungsbehörde in die Lage versetzt wird, auf der Grundlage des Attests zu entscheiden, ob ein ausreichender Rücktrittsgrund nachgewiesen ist. Macht der Prüfungsteilnehmer geltend, er habe seine Prüfungsunfähigkeit krankheitsbedingt nicht frühzeitig erkennen können, muss er hierfür ausreichende Nachweise in Form einer ärztlichen Bescheinigung erbringen, in der anhand konkreter Feststellungen nachvollziehbar dargelegt wird, dass er bis zum Abschluss der Prüfung nicht in der Lage war, die Beeinträchtigung seines Leistungsvermögens zu erkennen (BayVGH, B.v. 4.3.2013 - 7 CE 13.181 - juris). Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung war kein den oben genannten Kriterien entsprechender Nachweis. Aus ihr geht lediglich hervor, dass der Kläger über eine anhaltende depressive Symptomatik berichtet habe, die dazu geführt habe, dass er im August 2017 die Prüfung nicht bestanden habe. Diese Bescheinigung trifft zum einen keine Aussage zur Prüfungsfähigkeit des Klägers am konkreten Prüfungstag und ist schon deshalb nicht ausreichend. Zum anderen gibt die Bescheinigung nur den Bericht des Klägers über seine Krankheit wieder. Eine eigene Diagnose des Arztes enthält die Bescheinigung nicht.
27
Der Vortrag des Klägers, dass keine Beteiligung eines Zweitkorrektors ersichtlich sei, führt nicht zu einer Neubewertung der Prüfung. Bezüglich des Teils „Öffentliches Recht“ ist auf der ersten Seite der Klausur (Bl. 182 d. Behördenakte) am unteren Seitenrand vermerkt, dass die Korrektur von Prof. … im „Ergebnis bestätigt“ wurde. Zudem ist ersichtlich, dass Prof. … mit grünem Stift die Erstkorrektur (die in rot vorgenommen wurde) jeweils bestätigt hat und Anmerkungen dazu gemacht hat. Im Teil „Zivilrecht“ wird die Zweitkorrektur durch die Haken am rechten Rand der Klausur neben der Spalte des Erstkorrektors ersichtlich (Bl. 108 d. Behördenakte).
28
Der Kläger bemängelte weiterhin, dass die Punktevergabe im Antwort-Wahl-Verfahren (Zivilrecht) intransparent sei. Im Bearbeitervermerk der Klausur wurde darauf hingewiesen, dass mehrere Antworten richtig sein können. Es wurden jeweils 12 Punkte pro Aufgabe vergeben. In jeder Aufgabe konnten ein bis vier Antworten richtig sein, sodass entweder 12 (bei einer richtigen Antwort), 6 (bei zwei richtigen Antworten), 4 (bei drei richtigen Antworten) oder 3 (bei vier richtigen Antworten) Punkte vergeben wurden. Falsche Antworten würden zu Punktabzug führen.
29
Rechtsgrundlage des Antwort-Wahl-Verfahrens ist § 16 Abs. 4 ABMPO/TechFak. Dort ist geregelt, dass Klausuren vollständig oder teilweise im Antwort-Wahl-Verfahren abgenommen werden (Single- und/oder Multiple-Choice-Prüfungen) können.
30
In der Vergabe von Malus-Punkten in den Aufgaben 5 und 9 (Zivilrecht) vermag das Gericht einen durchgreifenden Verfahrensfehler bei der Leistungserhebung, der im konkreten Fall zu einem Anspruch auf Wiederholung der Prüfung führen würde, im Ergebnis nicht zu erkennen.
31
Zwar gilt ein Bewertungsverfahren als rechtsfehlerhaft, wenn für eine falsche Antwort Punkte abgezogen werden (sog. Maluspunkte), die durch eine richtige Antwort erreicht worden sind. Denn einem Bewertungsverfahren, bei dem fehlerfrei erbrachte Prüfungsleistungen als nicht oder schlecht erbracht gewertet werden, weil andere Prüfungsfragen nicht richtig beantwortet worden sind, fehlt die erforderliche Eignung, Aussagen darüber zu gewinnen, welche berufsbezogenen Kenntnisse der Prüfling hat (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage, 2018, Rn. 588).
32
Es fehlt hier jedoch an der Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers. Ist der Prüfungsverlauf unter Verletzung von Verfahrensvorschriften gestört worden, ist weiter zu fragen, ob der Fehler für die abschließende Entscheidung überhaupt erheblich ist. Ein Verfahrensfehler bei der Abnahme einer Prüfung hat nämlich grundsätzlich nur dann die Aufhebung der Prüfungsentscheidung zur Folge, wenn sein Einfluss auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann. An der Ursächlichkeit fehlt es, wenn feststeht, dass das Ergebnis der Prüfung auch ohne diesen Fehler nicht anders ausfallen würde (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage, 2018, Rn. 488 ff.).
33
Im Falle der Klausur des Klägers hat sich ein etwaiger Fehler im Zusammenhang mit der Vergabe von Malus-Punkten im Antwort-Wahl-Verfahren auf die Aufgaben 5 und 9 nicht ausgewirkt. Selbst wenn für die Aufgabe 5 der Klausur zum Ausgleich der Malus-Punkte insgesamt vier statt null Punkte (da er eine von drei richtigen Antworten gewählt hatte) und für Aufgabe 9 zwölf statt sechs Punkte (da er u.a. die beiden richtigen Antworten gewählt hatte) vergeben würden, hätte der Kläger insgesamt lediglich 106 von 240 Punkten erreicht und damit die Prüfung ebenfalls nicht bestanden, da die Grenze zur Notenstufe 4 bei 116 Punkten liegt.
34
Eine Intransparenz bezüglich der Punktevergabe der Aufgabe 8 (Zivilrecht) konnte nicht festgestellt werden. Es wurden 12 Punkte für die Antwort „a“ in Aufgabe 8 verteilt, da in Aufgabe 8 nur eine einzige Antwort richtig war. Zu Malus-Punkten kam es hier nicht.
35
Auch Fall 3 Aufgabe 12 (Zivilrecht) wurde nachvollziehbar bewertet. Es waren dort zwei Antworten richtig, sodass es pro richtiger Antwort sechs Punkte gab. Der Kläger wählte eine richtige Antwort aus und bekam auf diese deshalb sechs Punkte. Da er keine zweite Antwort angekreuzt hat, gab es auf diese Antwort nicht mehr Punkte, aber auch keinen Punktabzug für falsche Antworten.
36
Die im Klageverfahren erhobene Rüge des Klägerbevollmächtigten, dass die Bestehensgrenze im zivilrechtlichen Teil der Prüfung nicht den Anforderungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vom 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82 - juris) entspreche, da bei Multiple-Choice-Prüfungen neben einer absoluten Bestehensgrenze von 60% auch eine relative Bestehensgrenze unterhalb des arithmetischen Durchschnittswertes richtiger Antworten der jeweiligen Prüfung angewandt werden müsse, greift hier nicht. Zum einen ist ersichtlich, dass im zivilrechtlichen Teil keine 60%-Grenze angewandt wurde (dies wären 144 von 240 Punkten). Vielmehr reichten bereits 116 Punkte und somit 48% der Gesamtpunktzahl zum Bestehen. Des Weiteren ist auf Blatt 173 der Behördenakte ausdrücklich vermerkt, dass die Benotung im Zivilrecht an die „entsprechende durchschnittliche Punktzahl der Studierenden im Erstversuch (138,58)“ angepasst wurde. Entsprechend des vom Klägerbevollmächtigten genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts hat der Beklagte hier die Bestehensgrenze unter dem Durchschnittswert der Studierenden angesetzt, sodass sich die Rüge als unsubstantiiert darstellt.
37
Der Kläger führt bezüglich Frage 1 und 3 (Öffentliches Recht) an, dass es intransparent sei, warum bei diesen beiden Fragen laut Bearbeitervermerk „nur die ersten drei Antworten gewertet“ werden würden und dass nicht ersichtlich sei, wie es sich ausgewirkt habe, dass der Kläger entgegen des Bearbeitervermerks in Aufgabe 3 vier Antworten gegeben habe. Der Kläger gab trotz der Fragestellung „Nennen sie drei besondere Gleichheitssätze im Grundgesetz“ und dem vorherigen Bearbeitervermerk, dass nur drei Antworten gewertet werden würden, vier Antworten. Die vierte Antwort wurde nicht gewertet. Eine Intransparenz der Bewertung vermag das Gericht nicht zu erkennen. Deutlich wurde im Bearbeitervermerk darauf hingewiesen, dass nur die ersten drei Antworten gewertet werden. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die vierte Antwort unbeachtet bleibt. Es wurden dementsprechend nur die ersten drei Antworten berücksichtigt. Davon waren zwei korrekt und haben somit zu einer Bewertung von zwei (von insgesamt drei) Punkten geführt.
38
Bezüglich Frage 10 (Öffentliches Recht) wurde gerügt, dass die Antwort des Klägers nur mit einem von zwei Punkten bewertet wurde. Die Fragestellung lautete „Erläutern Sie kurz den Grundsatz der Subsidiarität im Europarecht! Wo ist er im Primärrecht verankert?“. Der Kläger antwortete hierauf „Art. 5 III EUV; ein Mitgliedsstaat der EU kann eine Hilfe von der EU bekommen, wenn er eine Situation nicht mehr im Griff hat“. Diese Antwort entspräche sinngemäß der Antwort der Lösungsskizze. Art. 5 Abs. 3 EUV besagt, dass die Union nach dem Subsidiaritätsprinzip in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Die sehr pauschal gehaltene Aussage des Klägers, dass die EU eingreift, wenn ein Mitgliedsstaat „eine Situation nicht mehr im Griff hat“, gibt den Kern des Art. 5 Abs. 3 EUV nicht wieder. So fehlt es beispielsweise schon an der Erklärung, dass es nur um Bereiche geht, zu deren Wahrnehmung die EU nicht ausschließlich zuständig ist. Die Bewertung der doch sehr umgangssprachlich gehaltenen Formulierung „etwas nicht im Griff haben“ mit einem von zwei Punkten liegt dementsprechend im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Prüfers und verstößt nicht gegen das Willkürverbot.
39
Bezüglich Frage 12 (Öffentliches Recht) sei die Formulierung irreführend im Vergleich zur Ausführlichkeit der Lösungsskizze. Die Frage lautete „Ist ein Einkommensteuerbescheid ein Verwaltungsakt? Wenden Sie die einschlägige Norm an!“. Der Kläger antwortete hierauf „Ja, ein Einkommensteuerbescheid ist ein Verwaltungsakt gemäß Art. 35 f. VwVfG und § 118 AO“. Die Fragestellung habe dem Kläger suggeriert, dass ein „ja“ oder „nein“ und die Nennung der dazugehörigen Norm genug sei. Schon der Zusatz „Wenden Sei die einschlägige Norm an“ zeigt jedoch, dass hier auch subsumiert werden sollte. Dass diese Subsumtion den Großteil der (vier) Punkte ausmachen würde, liegt auf der Hand, da üblicherweise auf das bloße Nennen einer Norm weniger Punkte als auf die tatsächliche Subsumtionsarbeit gegeben werden. Die Bewertung mit einem von vier Punkten ist nicht als willkürlich zu sehen und liegt innerhalb der Bewertungsspielraums des Prüfers.
40
Nach alledem ist der Bescheid vom 6. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2018 rechtmäßig. Auch die vom Kläger angefochtene Leistungsübersicht vom 25. Juli 2018 - die bezüglich der hier streitgegenständlichen Prüfung (Recht I) keine weitergehenden Aussagen trifft als der Bescheid vom 6. Dezember 2017 - ist deshalb rechtmäßig. Der Bescheid vom 25. Juli 2018 enthält im Vergleich zum Bescheid vom 6. Dezember 2017 lediglich in der Spalte bezüglich der Prüfung „Nachrichtentechnische Systeme“ weitergehende Informationen. Diese Klausur ist jedoch nicht Streitgegenstand.
41
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
42
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.