Inhalt

LSG München, Urteil v. 08.05.2019 – L 19 R 376/17
Titel:

Rentenversicherungsrecht: Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente

Normenkette:
SGB VI § 43
Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.
Schlagworte:
Behandlungsoptionen, Depression, Erwerbsminderung, Tagesmüdigkeit, versicherungsrechtliche Voraussetzungen, Zwangsstörung, Rente wegen Erwerbsminderung, Restleistungsvermögen, allgemeiner Arbeitsmarkt, Teilzeitbeschäftigung, internistische Erkrankungen
Vorinstanz:
SG Würzburg, Urteil vom 08.05.2017 – S 8 R 866/16
Fundstelle:
BeckRS 2019, 9965

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
2
Der 1965 geborene Kläger erlernte von August 1983 bis Februar 1986 den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers. Der Kläger war nach seinen Angaben bis zum Jahr 2003 in diesem Bereich mit angelernten Tätigkeiten beschäftigt. Seither ist er arbeitslos. Zuletzt hat er nach den vorliegenden Unterlagen bis Mai 2016 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen. Seither übt er eine geringfügige Beschäftigung aus - zumindest zeitweilig wohl als Parkplatzreiniger.
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Zur Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten des Klägers im Erwerbsleben ließ die Agentur für Arbeit A-Stadt am 27.07.2015 durch Dr. J. und am 04.07.2016 durch Herrn K. Gutachten nach Aktenlage erstellen. Während Dr. J. im Gefolge einer Thrombose am rechten Bein (2/2015) zu einer mehrere Monate eingeschränkten Einsatzfähigkeit des Klägers von täglich weniger als drei Stunden gekommen war, hielt ihn Herr K. - wieder - für vollschichtig einsatzfähig ohne hohe Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit und die soziale Kompetenz sowie ohne Nachtschicht, ohne unregelmäßige Arbeitszeiten, ohne häufiges Heben und Tragen, ohne hohe Verletzungsgefahr, ohne Hitzearbeit, ohne inhalative Belastungen und ohne Einwirkung von Staub, Rauch, Gasen oder Dämpfen.
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Am 31.05.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er gab an, sich seit Jahresbeginn wegen Depressionen und Panikangst für erwerbsgemindert anzusehen.
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Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 28.07.2016 internistisch durch Dr. S. und psychiatrisch durch Dr. M. untersucht. Zusammengefasst wurden dabei folgende Gesundheitsstörungen beschrieben:
1. Zustand nach Lungenembolie 2/2015 mit blutverdünnender Therapie.
2. Tiefe Beinvenenthrombose rechter Unterschenkel mit leichtem postthrombotischem Syndrom.
3. Asthmoide Bronchitis bei Pollenallergien.
4. Kontrollbedürftige Nierenfunktionsstörung mit vermehrter Eiweißausscheidung bei Pyelonephritis 1979.
5. Rezidivierende Tachykardien, teilweise Überlagerung mit Panikattacken.
6. Arterielle Hypertonie.
7. Dysthymia.
8. Kombinierte Persönlichkeitsstörung.
6
Der Kläger sei als Kfz-Schlosser nicht mehr einsatzfähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte Tätigkeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Es müsse sich um Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, Klettern, Steigen und Überkopfarbeiten, ohne Exposition gegenüber inhalativen Reizstoffen, allergisierenden Stoffen, Nässe, Kälte oder starken Temperaturschwankungen sowie ohne erhöhte psychische Belastung handeln. Zum Tagesablauf wurde ausgeführt, dass der Kläger gegen 6.45 Uhr aufstehe, die Kinder zur Schule fahre und sie auch wieder abhole, E-Bike fahre und mit dem Hund spazieren gehe, fernsehe, am PC etwas mache und Freunde und Bekannte treffe. Er mache auch Einkaufen, Haushalt, Essensvorbereitung und fahre die Frau ins Nebengewerbe. Er leide seit seiner Kindheit durchgängig unter einer Ängstlichkeit mit Vermeidungsverhalten und habe Angst, dass seinen Kindern etwas passieren könne.
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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 02.08.2016 unter Bezugnahme auf die vorliegenden Gutachten eine Rentengewährung ab und verwies den Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
8
Der vom Kläger hiergegen am 26.08.2016 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016 zurückgewiesen. Die vom Kläger geltend gemachten Angaben, dass er aufgrund nächtlicher Panikattacken erhebliche Schlafstörungen hätte und tagsüber völlig teilnahmslos sei, sowie dass er einer Tätigkeit von dreimal wöchentlich 45 Minuten nachginge, was die Obergrenze seiner Belastung sei, würden zu keiner Änderung führen. Der Kläger habe auch angegeben, dass er sich beim Jobcenter nicht mehr melden würde, weil er mit dem Papierkrieg und den Personen dort nicht klarkäme.
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Hiergegen hat der Kläger am 03.11.2016 per Telefax Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Er hat geltend gemacht, dass er bis Ende 2015 im dreiwöchigen Rhythmus bei Dr. M. in K-Stadt behandelt worden sei und die Depression aktuell bei Dr. D. in A-Stadt behandelt werde. Eine stationäre Behandlung sei im Hinblick auf die Ängste des Klägers bisher nicht möglich gewesen.
10
Das Sozialgericht hat Befundberichte beim Internisten Dr. C. am 23.11.2016 und beim Nervenarzt Dr. D. ebenfalls am 23.11.2016 eingeholt. Sodann hat es den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat den Kläger am 17.01.2017 untersucht und in seinem Gutachten vom 20.01.2017 die Diagnosen folgendermaßen beschrieben:
1. Schwere depressive Episode.
2. Generalisierte Angststörung.
3. Zwangsstörung.
4. Essstörung im Rahmen primärer affektiver Erkrankung.
5. Abnorme Tagesmüdigkeit bei Verdacht auf idiopathische Hypersomnie.
6. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechter Unterschenkel mit leichtem postthrombotischen Syndrom.
7. Chronisch venöse Insuffizienz.
8. Zustand nach Lungenembolien.
9. Arterielle Hypertonie.
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Der Kläger sei nunmehr täglich unter drei Stunden einsatzfähig, wobei gegenüber dem Rentengutachten vom Juli 2016 eine Verschlechterung zu beschreiben sei. Dies sei aber nicht durch den zeitlichen Verlauf, sondern durch die Erhebung wesentlich abweichender Befunde zu begründen. Der Sachverständige hat weiter dargelegt, dass seit 2003 beim Kläger eine Angsterkrankung vorliege, die sich in einer Manifestation von Angst vor der Angst ausdrücke und nur durch Kontrollmechanismen einigermaßen in Schach gehalten worden sei. Wegen dieser Kontrollmechanismen, die dem Kläger bei stationärer Behandlung nicht zur Verfügung stünden, sei eine solche ihm auch nicht möglich. Der Kläger sei in seiner Sozialkontaktfähigkeit und seiner Gruppenfähigkeit beeinträchtigt sowie in seiner Durchhaltefähigkeit hochgradig eingeschränkt. Aus den beschriebenen Krankheitszuständen würden hochgradige, auch quantitative Leistungseinschränkungen resultieren. Selbst in dem eingeschränkten zeitlichen Rahmen seien dem Kläger nur bis zu mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere nervliche Belastung, ohne Unfallgefährdung, ohne die Bedienung von Fahrzeugen, ohne die Steuerung komplexer Maschinen, ohne Anforderungen an die gerichtete Aufmerksamkeit, ohne besondere Verantwortung für das Wohlergehen von Menschen und/oder hochwertigen Sachgütern, ohne besonders konfliktbehafteten Publikumsverkehr und nicht ausschließlich im Stehen möglich. Es handele sich um eine vorübergehend geminderte Erwerbsfähigkeit für einen Zeitraum von geschätzt zwei Jahren, da die beschriebenen Gesundheitsstörungen ihrer Natur nach durch Behandlung überwindbar bzw. wesentlich besserbar erschienen. Es sei vor allem zunächst eine schlafmedizinische Abklärung der abnormen Tagesmüdigkeit zu empfehlen.
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Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Darstellung im Gutachten sich deutlich von den Feststellungen der befragten behandelnden Nervenärzte, Psychotherapeuten und Hausärzte unterscheiden würde, wobei zudem eine unzureichende ambulante Behandlung bestehe. Gleichwohl sei die Beklagte bereit, eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme anzubieten.
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In der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2017 hat der Kläger angegeben, dass er sich seit Mitte 2016 nicht mehr beim Jobcenter gemeldet habe, weil er das aus psychischen Gründen nicht fertiggebracht habe. Er könne auch an keiner stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen, da dies seine Trennungsängste nicht zulassen würden. Die in der Stellungnahme der Beklagten angeführten Aktivitäten, wie Treffen mit Freunden und Bekannten usw., könne er schon lange nicht mehr durchführen.
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Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 08.05.2017 dazu verurteilt, beim Kläger den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung mit dem 17.01.2017 anzuerkennen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen bis einschließlich Dezember 2018 zu gewähren. Die Kammer sei insbesondere durch die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. F. überzeugt, dass der Kläger in jeder vermittelten Anstellung scheitern würde, da er sich weiterhin primär um das Aufrechterhalten seiner Kontrollmechanismen kümmern würde. Es sei dem Kläger nicht möglich, mit zumutbarer Willensanspannung einfach davon zu lassen. Zumindest seit dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. F. sei der Kläger nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich am Erwerbsleben teilzunehmen. Entsprechend den Ausführungen im Gutachten sei von einer zunächst bis Dezember 2018 anhaltenden Erwerbsminderung auszugehen.
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Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 14.06.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Auf Antrag der Beklagten ist mit Beschluss vom 28.08.2017 die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts vorläufig ausgesetzt worden (Az.: L 19 R 476/17 ER). Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger selbst beschreibe ein regelrechtes psychosoziales Funktionsniveau mit multiplen Interessen und Aktivitäten, wie Treffen mit Freunden und Bekannten, Tätigkeiten am PC, Spazierengehen mit dem Hund, E-Bike-Fahren. Zudem fahre der Kläger Pkw, was auf eine ausreichende psychische und kognitive Leistungsfähigkeit hinweise. Dies widerspreche der Darstellung des Sachverständigen Dr. F., wonach der Kläger außer für den Transport seiner Töchter zur Schule sonst für andere Aktivitäten, Bestrebungen und Planungen keinen Raum habe. Durch das Sozialgericht sei auch der Grundsatz Rehabilitation vor Rente gänzlich übergangen worden. Es stehe auch fest, dass der Kläger noch nicht alle Therapieoptionen ausgeschöpft habe.
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Die Klägerseite hat entgegnet, dass der Grundsatz Reha vor Rente vorliegend nicht zum Tragen komme, weil der Kläger mögliche Therapieoptionen gar nicht wahrnehmen könne, da dies seine Erkrankung nicht zulasse.
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Der Senat hat einen Befundbericht vom Internisten Dr. C. am 05.03.2018 beigezogen; danach seien neu ein Verdacht auf Protein S-Mangel und eine Tachyarrhythmia absoluta sowie die Feststellung einer Faktor V-Genmutation. Am 13.03.2018 ist ein weiterer Befundbericht durch den Nervenarzt Dr. D. erstellt worden. Danach haben im Zeitraum ab Dezember 2016 Behandlungstermine im Februar und Mai 2017 stattgefunden. Die Beschwerden seien im Wesentlichen gleichgeblieben. Der Kläger habe das verordnete Neuroleptikum Quetiapin retard abgesetzt, da es ihn zu sehr gedämpft habe. Mit der erhöhten Citalopram-Dosis seien die Ängste etwas stärker gelindert.
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Die Prüfärztin Dr. R. vom Ärztlichen Prüfdienst der Beklagten hat am 29.03.2018 durch die eingeholten Befundunterlagen die Leistungsbeurteilung des Dr. M. als bestätigt angesehen.
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Der Senat hat ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater Dr. E. in Auftrag gegeben. Dieser hat den Kläger am 25.05.2018 unter Mitwirkung des Dipl.-Psych. Dr. D. untersucht. In seinem Gutachten vom 21.06.2018 hat der ärztliche Sachverständige in der Anamnese - auch als Fremdanamnese - einen starken Kontrollzwang ermittelt, insbesondere in Bezug auf familiäre Angelegenheiten. Die Schilderung des Tagesablaufes hat wenig Aktivitäten ergeben; allerdings ist angegeben worden, dass der Kläger zweimal am Tag für ca. ein bis zwei Stunden einen Hund im Wald spazieren führe. In der Untersuchungssituation habe der Kläger anfänglich zurückgezogen und in sich gekehrt gewirkt und habe sich nur zögerlich situationsadäquat etwas auflockern lassen.
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Der ärztliche Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt:
1. Angst und Depression gemischt.
2. Tagesmüdigkeit, Verdacht auf Schlaf-Apnoe-Syndrom.
3. Heterozygote Faktor V-Leiden-Mutation.
4. Verdacht auf Protein S-Mangel.
5. Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose der Vena poplitea rechts mit konsekutiver Lungenembolie.
6. Essentielle Hypertonie.
7. Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern.
8. Leichtes Carpaltunnelsyndrom.
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Der ärztliche Sachverständige hat eine bereits seit Kindheit vorliegende starke Angstbesetzung gesehen, mit der der Kläger jedoch so lange habe umgehen können, bis im Jahr 2003 durch Umstrukturierungsmaßnahmen ein Arbeitsplatzverlust eingetreten sei. Eine erste Panikattacke sei im Jahr 2010 aufgetreten. Trotz hohem Leidensdruck sei es bisher nicht zu regelmäßiger Psychotherapie im Sinne einer Verhaltenstherapie gekommen. Der Kläger stelle sich nur in Intervallen bei Nervenärzten vor, wobei er medikamentös behandelt werde. Der ärztliche Sachverständige Dr. E. hat den Kläger als in der Lage angesehen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Tätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen. Die Einschätzung des Vorgutachters teile er nicht, da dieser nicht plausibel begründe, weshalb der Kläger nicht eine psychosomatische Behandlung beginnen könne. Nach jetziger Einschätzung sei der Kläger nicht ausreichend behandelt. Der Kläger nehme die ambulanten psychiatrischen Termine nur sehr unregelmäßig wahr und habe bisher auch keine ambulante Verhaltenstherapie gehabt. Bei ihm sei von einem sekundären Krankheitsgewinn auszugehen, der seine psychische Fehlhaltung weiter verstärke. Der Kläger könne mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen und Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen oder im Freien bewältigen. Nicht möglich seien besondere nervliche Belastungen, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems, unfallgefährdete Arbeitsplätze sowie klimatisch ungünstige Bedingungen. Die Wegefähigkeit des Klägers sei zu bejahen. Ein privater Pkw könne nur bei Kurzstrecken genutzt werden, öffentliche Verkehrsmittel seien benutzbar.
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Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Kläger am 20.11.2018 erneut durch Dr. F. untersucht worden. Dieser ist in seinem Gutachten vom 23.11.2018 zum Ergebnis gekommen, dass beim Kläger weiterhin die in seinem früheren Gutachten geschilderten Gesundheitsstörungen vorliegen würden, wobei er jedoch die depressive Episode nunmehr in eine bipolare affektive Störung eingebettet gesehen hat und die Zwangs- und Essstörung als leichtere Ausprägung beschrieben hat. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei dem Kläger nur noch eine weniger als dreistündige Tätigkeit zumutbar. Dies sei auch objektiv belegbar durch die aktuelle Arbeitssituation des Klägers, nachdem dieser gezwungen gewesen sei, seine Aushilfstätigkeit von 34 Stunden pro Monat auf 24 Stunden monatlich zu reduzieren. Die Aussagekraft der eigenen Angaben des Klägers sei nicht anzuzweifeln. Der ärztliche Sachverständige hat die zusätzlichen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen als nach wie vor in dem von ihm schon früher beschriebenen Umfang als gegeben angesehen. Aktuell kämen weder eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme noch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht. Vorrangig seien diagnostische Maßnahmen laut dem Vorgutachten vom Februar 2017 und danach gegebenenfalls stationäre oder teilstationäre psychiatrische Behandlungsschritte. Eine Besserung der psychischen Haupterkrankung unter leitliniengerechter Behandlung könne in einem Dreijahreszeitraum erhofft werden.
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Zu diesem Gutachten hat Dr. M. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten dahingehend Stellung genommen, dass die nunmehr diagnostizierte bipolare affektive Störung, die im Gutachten von Januar 2017 (noch) nicht festgestellt worden sei, nicht nachzuvollziehen sei. Die bipolare Störung werde jetzt mit den subjektiven Angaben des Klägers zu einer zeitweise gehobenen Stimmung begründet. Eine Krankheitswertigkeit lasse sich aus einer bisweilen gehobenen Stimmung aber nicht ableiten; dies entspreche vielmehr einem Normalbefund, wie er bei jedem gesunden Menschen auftrete. Außerdem stehe die angegebene aktuell schwere depressive Episode im Widerspruch zu dem von Dr. F. selbst erhobenen Untersuchungsbefund, in dem er nur eine dysthym-depressive Stimmung festgestellt habe. Auch der ambulant behandelnde Nervenarzt Dr. D. habe im März 2018 nur eine gleichbleibende leichte bis mittelgradige depressive Symptomatik festgestellt, was sozialmedizinisch durchaus ein vollschichtiges Leistungsvermögen erlaube. Hinzu komme, dass vom Kläger weder die ambulante Behandlung in ausreichendem Umfang noch stationäre oder teilstationäre Therapieoptionen wahrgenommen worden seien. Sowohl die aufscheinende Aggravationstendenz als auch die ungenutzten möglichen Therapieoptionen seien von Dr. F. nicht adäquat berücksichtigt worden.
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Der Kläger hat ergänzend noch eine nervenärztliche Bescheinigung des Dr. D. vom 19.02.2019 vorgelegt. Dieser hat dort angegeben, dass der Kläger durchgängig während der ambulanten Behandlung (so seien im Jahr 2018 am 21.06. und 09.10. und im Jahr 2019 am 18.01. Behandlungstermine gewesen) adynam, lustlos, massiv antriebsgemindert und gedrückt in der Stimmung gewirkt habe. Es sei auch eine gestörte Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsminderung erkennbar gewesen. Es hätten sich zudem deutliche Auswirkungen der Panikstörung gezeigt, wenn der Kläger den Aufenthalt im Wartezimmer nicht habe aushalten können und sich separat gesetzt habe. Die fehlende Behandlung des Klägers entspreche nicht fehlendem Leidensdruck, sondern seiner ausgeprägten Antriebshemmung. Einen sekundären Krankheitsgewinn könne er nicht sehen. Der Wunsch bei einer eingeführten Substanz zu verbleiben, sei für einen Angstpatienten nicht ungewöhnlich, da ein solcher große Angst vor neuerlichen Nebenwirkungen äußere. Diagnostisch sei von einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradiger Symptomatik auszugehen; aufgrund der bislang in der Behandlung getroffenen diagnostischen Einschätzung halte er den Kläger weiterhin für vollständig erwerbsgemindert.
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In einem aktuellen Versicherungsverlauf sind Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II bis Oktober 2015 sowie im Dezember 2015 und im Januar und Mai 2016 verzeichnet; seit Mai 2016 übt der Kläger eine geringfügige Beschäftigung nicht versicherungspflichtig aus.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 zurückzuweisen.
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Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Gerichtsakte L 19 R 476/17 ER sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des Jobcenters A-Stadt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig und auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und dem Kläger eine Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt.
30
Gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
31
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gelten in gleicher Weise für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI iVm § 43 Abs. 1 SGB VI).
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Der Kläger hat die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung und auch zu dem vom Sozialgericht angenommenen medizinischen Leistungsfall erfüllt gehabt:
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Die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren mit Pflichtbeiträgen hat er schon seit Langem unproblematisch zurückgelegt gehabt. Allerdings war dies nicht schon vor 1984 der Fall gewesen, nachdem der Kläger aufgrund seines Geburtsjahrgangs erst im September 1982 als damals 16-jähriger eine Ausbildung aufgenommen hatte. Der Kläger kann daher die Ausnahmevorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI nicht für sich in Anspruch nehmen. Somit ist es erforderlich, dass der Kläger in den letzten 5 Jahren vor einem eventuellen medizinischen Leistungsfall in ausreichendem Umfang Pflichtbeiträge aufzuweisen hatte.
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Zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung waren im maßgeblichen Zeitraum vom 31.05.2011 bis 31.05.2016 zwar keine Pflichtbeiträge vorhanden gewesen. Der Zeitraum war jedoch nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI zu verlängern, wobei der Kläger in diesem Zeitraum in 57 Kalendermonaten Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte, die über § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI Anrechnungszeiten sind. Da auch in den Zeiträumen davor Anrechnungszeiten vorliegen, verlängert sich der maßgebliche Zeitraum schließlich auf die Monate Februar 2000 bis Mai 2016; in diesem Zeitraum sind mit 57 Monaten Pflichtbeiträgen deutlich mehr als die erforderlichen drei Jahre (= 36 Kalendermonate) vorhanden gewesen. Die erforderliche Mindestzahl von Pflichtbeiträgen wäre letztmals bei einem im Februar 2018 eingetretenen Leistungsfall erfüllt, weil dann im verlängerten Zeitraum von November 2001 bis Februar 2018 gerade noch 36 Monate mit Pflichtbeiträgen vorhanden gewesen wären. Bei fiktiven medizinischen Leistungsfällen, die erst im März 2018 oder später eingetreten wären, wäre dagegen die erforderliche Mindestzahl von 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen im - teilweise verlängerten - 5-Jahreszeitraum nicht mehr vorhanden. Auf etwaige aktuell neu feststellbare Gesundheitsstörungen oder Verschlechterungen - z. im Zusammenhang mit dem Attest von Dr. D. vom Februar 2019 - kommt es bei dieser Ausgangslage somit nicht mehr an.
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Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
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Eine volle Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI liegt und lag bei dem Kläger entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts nach dem Ergebnis der umfangreich fortgeführten Ermittlungen nicht vor.
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Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers betrifft nach der Gutachtenslage das psychische Fachgebiet. Die im Jahr 2015 - also noch vor der Rentenantragstellung - aufgetretene tiefe Beinvenenthrombose stellte eine behandelte Akuterkrankung dar, deren Besserung schon aus den vor dem Rentenverfahren erstellten Gutachten des Dr. J. und des Herrn K. zu ersehen ist. Auch die übrigen internistischen Erkrankungen wie die Nierenfunktionsstörung und die Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems sowie auch das leichte Karpaltunnelsyndrom bedingen nach den ärztlichen Darlegungen ganz eindeutig nur Einschränkungen bezüglich bestimmter Belastbarkeiten im Erwerbsleben, schränken aber den zeitlichen Umfang des Einsatzes des Klägers an geeigneten Arbeitsstellen in keiner Weise ein.
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Der Senat sieht insbesondere mit dem überzeugenden Gutachten des Dr. E. es als gerechtfertigt an, beim Kläger noch ein ausreichendes Restleistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen. Danach sind dem Kläger bis zu mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen und Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen oder im Freien zumutbar, wobei jedoch besondere nervliche Belastungen, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems, unfallgefährdete Arbeitsplätze sowie klimatisch ungünstige Bedingungen auszuschließen sind. Im Vordergrund der Auswirkungen der beim Kläger unzweifelhaft vorhandenen psychischen Störungen stehen die von den verschiedenen Sachverständigen ähnlich beschriebene Antriebslosigkeit - überlagert durch Tagesmüdigkeit - und die Einschränkungen durch Kontrollzwänge. Der Senat sieht es als nicht hinreichend belegt an, dass die Tagesmüdigkeit Aktivitäten des Klägers und berufliches Tätigwerden ausschließen würde. Es ist zwar nachvollziehbar, dass dies und die Kontrollzwänge als zusätzliche Belastung zu den beruflichen Anforderungen hinzutreten. Deswegen sind dem Kläger auch Arbeitsplätze mit besonderen nervlichen Anforderungen oder mit Unfallgefährdung nicht zumutbar. Andererseits bestand die Persönlichkeitsstörung des Klägers schon über das bisherige Erwerbsleben hinweg und es wird nicht explizit ausgeschlossen, dass sie bei einer Struktur durch eine adäquate Beschäftigung auch zukünftig - wie eben in der Vergangenheit - kompensierbar wäre.
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Der Senat sieht durch die Gutachten des Dr. F. eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht als nachgewiesen an - weder durch das erstinstanzlich eingeholte, noch durch das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers veranlasste. Zur Überzeugung des Senats wird gegen die Gutachten des Dr. F. zu Recht eingewandt, dass die vom Gutachter in den Vordergrund gerückte depressive Störung - und erst recht die später angenommene bipolare Störung - sich nicht habe hinreichend nachweisen lassen; die anamnestischen Angaben und die gutachterliche Diagnostik - die divergiert haben - haben nicht ausgereicht, die Zweifel des Senats zu beseitigen. Dafür dass die vom Kläger wiederholt gemachten Angaben zu seinen Aktivitäten - etwa im Sinne einer Dissimulation - unzutreffend sein sollten, lassen sich keine Anhaltspunkte erkennen. Eine gewisse Rückläufigkeit des Aktivitätsumfangs mag zwar zu konstatieren sein, doch gibt es keine ausreichenden Belege dafür, dass dies unumkehrbar wäre. Besonders problematisch erscheint dem Senat die Annahme des Dr. F., dass die psychischen Störungen des Klägers auf Grund der persönlichen Verhältnisse nicht weiter bzw. verstärkter behandelbar seien. Konsequenterweise hätte Dr. F. bei einer solchen Konstellation von einer Dauerhaftigkeit dieser Einschränkungen ausgehen müssen, was er aber gerade nicht getan hat. In beiden Gutachten beschreibt er eine zeitliche Befristung der Einschränkungen im Hinblick auf Behandlungsoptionen. Hinzu kommt, dass die Angaben des Dr. F. zu den Zeiträumen einer möglichen Besserung ebenfalls nicht stimmig sind. Während zunächst ein Zeitraum von zwei Jahren angenommen wird, der Ende 2018 vorüber gewesen wäre, wird später ein Zeitraum von drei Jahren benannt, der bis April 2021 dauern würde, ohne dass eine hinreichende Begründung für die unterschiedliche Einschätzung gegeben würde. Aus den diesbezüglichen Ausführungen lässt sich aus Sicht des Senats am ehesten ableiten, dass bisher beim Kläger keine ausreichende leitliniengerechte psychiatrische und therapeutische Behandlung erfolgt ist. Eine solche fordert aber gerade der Sachverständige Dr. E. und mahnt deren Fehlen an, während Dr. F. und der behandelnde Psychiater Dr. D. die unzureichende Behandlungsfrequenz, die Einschränkungen der medikamentösen Behandlung und den Ausschluss stationärer Behandlungsformen zu rechtfertigen versuchen. Damit ergibt sich für den Senat, dass letztlich auch Dr. F. die Durchführung einer leitliniengerechten Behandlung beim Kläger nicht als ausgeschlossen ansieht. Dies ist weiter insofern auch bedeutsam, als nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts psychische Erkrankungen regelmäßig erst dann rentenrechtlich relevant werden, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteile vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89, 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R; BayLSG Urteile vom 21.03.2018 - L 13 R 211/16, 15.11.2017 - L 19 R 66/15, 21.03.2012 - L 19 R 35/08; LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.09.2016 - L 7 R 2329/15, 25.05.2016 - L 5 R 4194/13, 27.04.2016 - L 5 R 459/15 jeweils zitiert nach juris). Ein solcher Fall der dauerhaften oder zumindest längerfristigen Unüberwindbarkeit der psychischen Störungen ist beim Kläger bisher nicht belegt.
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Abgesehen davon, dass beim Kläger für den Eintritt eines nachgewiesenen medizinischen Leistungsfalls ab Februar 2019 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wären, lässt sich zur Überzeugung des Senats auch aus dem Attest des Dr. D. vom Februar 2019 dieser Nachweis nicht herleiten. Zu berücksichtigen ist dabei auch die äußerst geringe fachärztliche Behandlungsfrequenz, wonach der Kläger laut Attest etwa zwei Mal pro Jahr behandelt worden ist.
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Die beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung käme nach der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 11.12.1969 - Az. GS 4/69; Beschluss vom 10.12.1976 - Az. GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - jeweils zitiert nach juris) zwar schon dann in Betracht, wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) vorliegen würde, gleichzeitig aber eine Teilzeitbeschäftigung nicht ausgeübt würde und der Teilzeitarbeitsmarkt für den Kläger als verschlossen anzusehen wäre (s.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn 30 mwN). Unabhängig von der Diskussion darüber, ob diese Rechtsprechung auch aktuell noch zur Anwendung zu bringen ist, scheitert ein derartiger Rentenanspruch daran, dass beim Kläger zur Überzeugung des Senats keine teilweise Erwerbsminderung im Rechtssinne vorliegt. Eine zeitliche Einschränkung in geringem Umfang entsprechend § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, wie sie etwa häufiger im Zusammenhang mit körperlichen Belastungsgrenzen zu beobachten ist, wird von keinem der Ärzte angenommen, so dass es eindeutig an der Grundlage für einen derartigen Anspruch fehlt.
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Zwar kann die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Ausnahmefall selbst dann in Betracht kommen, wenn - wie im Fall des Klägers - eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen nicht nachgewiesen ist. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was beim Kläger nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner a.a.O. Rn 37 mwN).
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Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da sämtliche genannte Arbeitsfelder als grundsätzlich geeignet anzuführen wären, und die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen zu keinen umfassenderen Ausschlüssen führen. Eine schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit oder eine Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen würden ohnehin nicht bestehen.
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Der Kläger ist auch nicht gehindert, einen eventuellen Arbeitsplatz zu erreichen. Die Gehfähigkeit des Klägers ist grundsätzlich in dem geforderten Umfang (4 mal täglich mehr als 500 Meter in jeweils weniger als 20 Minuten) zu bestätigen und auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erscheint zumutbar, worin sich die ärztlichen Sachverständigen einig sind.
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Das oben dargestellte Nichtvorliegen von teilweiser Erwerbsminderung führt auch dazu, dass ein Anspruch auf die erstinstanzlich hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) nicht besteht.
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Ein Hilfsantrag auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) war erstinstanzlich nicht gestellt worden; er hätte auch keinen Erfolg gehabt, weil der Kläger aufgrund seines Geburtsdatums nicht zu dem von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis gehört.
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Dementsprechend sind die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch des Klägers nicht als belegt ansehen, nicht zu beanstanden.
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Nach alledem war der Berufung der Beklagten zu entsprechen und antragsgemäß das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.