Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.05.2019 – 20 CE 19.947
Titel:

Erfordernis des Tierschutzes und der Vorbeugung von Tierseuchen auch bei Ausfuhr in ein Drittland

Normenketten:
RL 90/425/EWG Art. 3 Abs. 1 lit. g Abs. 1
Entscheidung 93/444 EWG Art. 3 Abs. 1
BmTierSSchV § 8, § 12 Abs. 3
GDVG Art. 26 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Inhalt der Bescheinigung nach § 8 BmTierSSchV ist je nach Bestimmungsdrittland um den nach Art. 3 der Entscheidung der Kommission 93/444 EWG erforderlichen Inhalt zu ergänzen. (Rn. 7)
2. Mit der Erteilung der tierseuchenrechtlichen Bescheinigung nach Art. 8 BmTierSSchV ist nach der bestehenden Gesetzeslage weder eine behördliche Genehmigung des Transportes lebender Tiere zur Sammelstelle noch eine Genehmigung der Ausfuhr in das Bestimmungsdrittland verbunden. (Rn. 13)
Schlagworte:
„Vorlaufattest“, Zuchtrinder für die Ausfuhr nach Usbekistan, Bescheinigung, Kommission, Tierseuche, Genehmigung, Gesetzeslage
Vorinstanz:
VG München, Entscheidung vom 07.05.2019 – M 18 E 19.2125
Fundstelle:
BeckRS 2019, 9756

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Mai 2019 wird geändert.
Der Antragsgegner wird darüber hinaus verpflichtet, eine Bescheinigung entsprechend Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 2. Juli 1993 (93/444/EWG) hinsichtlich Usbekistans zu erteilten, soweit deren tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines sogenannten Vorlaufattests bzw. -zeugnisses für einen Transport von Zuchtrindern nach Usbekistan über eine Sammelstelle in …
2
Der Antragsgegner hat sich zunächst aus tierschutzrechtlichen Erwägungen grundsätzlich geweigert, ein entsprechendes Vorlaufattest zu erteilen. Das Verwaltungsgericht hat im vom Antragsgegner bisher nicht angefochtenen Teil seiner Entscheidung diesen verpflichtet, eine Bescheinigung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BmTierSSchV zu erteilen, im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Dieser Sachverhalt ist nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens. Mit seiner Beschwerde will der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners erreichen, die Bescheinigung entsprechend des von ihm vorgelegten Formulares auszustellen.
II.
3
Die Beschwerde hat zum weit überwiegenden Teil Erfolg. Der Antragsgegner ist grundsätzlich verpflichtet, eine Bescheinigung entsprechend Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 2. Juli 1993 (93/444/EWG) hinsichtlich Usbekistans zu erteilen, soweit deren tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind. Im Übrigen, d.h. hinsichtlich des konkret vorgelegten Formulares ist der Antrag unbegründet, weil er gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verstößt.
4
§ 123 Abs. 1 VwGO schreibt vor, dass das Gericht eine „einstweilige“ Anordnung zur Regelung eines „vorläufigen“ Zustands treffen kann. Daraus ergibt sich ein wesentliches Element vorläufigen Rechtsschutzes: Die Hauptsache soll nicht vorweggenommen werden (Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 123 Rn. 66a). Ausnahmsweise ist eine Vorwegnahme der Hauptsache jedoch zulässig, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 - 10 C 9.12 - NVwZ 2013, 1344). Die vertraglichen Lieferbindungen des Antragstellers fallen hier nicht entscheidend ins Gewicht, weil rein finanzielle Erwägungen, die aus der Verletzung vertraglicher Verpflichtungen resultieren, eine Vorwegnahme der Hauptsache in der Regel nicht rechtfertigen können. Der Antragsteller hat jedoch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO), dass bei einem Zuwarten bis zur Hauptsacheentscheidung die geplante Ausfuhr der Rinder nicht mehr möglich sein wird und jedenfalls die rechtliche Verpflichtung des Antragsgegners festgestellt werden kann, die nach dem geltenden Recht erforderlichen Bescheinigungen zu erteilen. Der Senat sieht sich jedoch nicht in der Lage, den konkreten Inhalt eines solchen Zeugnisses, welches über den Inhalt der Bescheinigung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BmTierSSchV hinausgeht, im Falle der Ausfuhr nach Usbekistan im Wege der einstweiligen Anordnung festzulegen. Angesichts der Tatsache, dass in der Vergangenheit wohl solche Bescheinigungen auch von den bayerischen Behörden erteilt wurden, ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass die Beteiligten nicht in der Lage sein wollen, den Inhalt der für die Ausfuhr nach Usbekistan erforderlichen veterinärrechtlichen Anforderungen zu benennen. Sollte es zwischen den Beteiligten weiter streitig sein, welchen konkreten Inhalt entsprechende Bescheinigungen haben müssen, wäre dies in einem Hauptsacheverfahren gegebenenfalls durch die Durchführung einer Beweisaufnahme zu klären.
5
Nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GDVG sind die Kreisverwaltungsbehörden u.a. für die Ausstellung von amtlichen Bescheinigungen für die Ausfuhr in Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, zuständig. Dass es sich dabei nicht nur um eine Zuständigkeitsregelung, sondern auch um eine Aufgabenbestimmung handelt, ist daraus ersichtlich, dass die Norm im Zweiten Teil Abschnitt III des GDVG angesiedelt ist, welcher die Aufgaben, Befugnisse und dazugehörige Pflichten u.a. der Veterinärbehörden regelt. Eine Differenzierung zwischen dem Transport zur Sammelstelle und dem Weitertransport in das Bestimmungsdrittland ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, so dass es jedenfalls aufgrund einer summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei einer einheitlichen veterinärrechtlichen Bescheinigung verbleibt. Die materiellen Voraussetzungen für die Ausstellung amtlicher veterinärrechtlicher Bescheinigungen für die Ausfuhr von lebenden Tieren sind in dieser Vorschrift jedoch nicht geregelt.
6
Diese ergeben sich im vorliegenden Fall jedoch aus Art. 3 Abs. 1 der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zur Regelung des innergemeinschaftlichen Handels mit bestimmten lebenden Tieren und Erzeugnissen, die zur Ausfuhr nach Drittländern bestimmt sind (93/444/EWG). Danach sorgen die Ursprungsmitgliedstaaten dafür, dass jede Tier- und Erzeugnissendung von den Veterinärpapieren und/oder -bescheinigungen begleitet ist, die den veterinärrechtlichen Anforderungen der Bestimmungsdrittländer genügen. Falls die zuständigen Behörden des Ursprungsmitgliedstaats, insbesondere in Ermangelung eines bilateralen Abkommens mit dem Bestimmungsdrittland, nicht über die einschlägigen Informationen verfügen, sorgen sie abweichend von Absatz 1 dafür, dass die Bescheinigungen gemäß Artikel 4 den Vermerk „Tiere bzw. Erzeugnisse zur Ausfuhr nach (Name des Drittlands)“ tragen (Art. 3 Abs. 2 Entscheidung 93/444/EWG). Insoweit ist der Wortlaut der Bestimmung eindeutig und keiner weiteren Auslegung zugänglich. Diese Entscheidung der Kommission beruht auf Art. 3 Abs. 1 Buchst. g) UAbs. 1 der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1990 zur Regelung der veterinärrechtlichen und tierzüchterischen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren und Erzeugnissen im Hinblick auf den Binnenmarkt (90/425/EWG). Sollen danach die Tiere oder Erzeugnisse, die den Gemeinschaftsvorschriften entsprechen, nach einem Drittland ausgeführt und dabei durch das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befördert werden, so bleibt die Beförderung - außer in von der zuständigen Behörde zugelassenen Notfällen zur Gewährleistung des Wohlbefindens der Tiere - unter Zollaufsicht bis zum Ort des Austritts aus dem Gebiet der Gemeinschaft; die Einzelheiten hierfür werden von der Kommission nach dem in Artikel 18 oder gegebenenfalls dem in Artikel 19 genannten Verfahren festgelegt. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist hier eröffnet, weil der Transport über das Gebiet von Polen als Mitgliedstaat erfolgen soll. Trotz der Ausfuhr in ein Drittland liegt durch die Berührung des Hoheitsgebietes eines anderen Mitgliedstaats innergemeinschaftlicher Handel vor.
7
Zwar handelt es sich bei der Richtlinie 90/425/EWG und der sie konkretisierenden Entscheidung der Kommission 93/444/EWG um Sekundärrecht der Europäischen Union, welches sich an den einzelnen Mitgliedstaat, also hier die Bundesrepublik Deutschland, richtet und der Umsetzung in innerstaatliches Recht bedarf. Soweit ersichtlich ist eine solche Umsetzung in Bundesrecht aber nicht hinreichend erfolgt. Zwar dient die Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. April 2005 (BGBl. I S. 997) - BmTierSSchV ausweislich ihrer Präambel auch der Umsetzung der Richtlinie 90/425/EWG. Zudem gehört zum Anwendungsbereich der Verordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BmTierSSchV auch die Ausfuhr lebender Tiere. In Abschnitt 4a der Verordnung, welcher die Ausfuhr betrifft, sind in § 37a BmTierSSchV jedoch lediglich Ausfuhrverbote und Beschränkungen vorgesehen, welche auf einen nicht unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union auf dem Gebiet des Tierseuchenrechts beruhen, wofür hier nichts ersichtlich ist. § 8 Abs. 1 BmTierSSchV kann deshalb im Einzelfall hinter den Vorgaben der Richtlinie 90/425/EWG und der Entscheidung der Kommission 93/444/EWG zurückbleiben, wenn die veterinärrechtlichen Anforderungen des Bestimmungsdrittlandes über die nach § 8 Abs. 1 und Abs. 4 BmTierSSchV erforderlichen und möglichen Angaben in der Bescheinigung hinausgehen, so dass eine richtlinienkonforme Auslegung der Bestimmung erforderlich ist. Das Umsetzungsgebot des Art. 288 Abs. 3 AEUV und der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Grundsatz der Unionstreue gebieten, das nationale Recht durch Anwendung seiner Auslegungsmethoden soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 7.7.2016 - 3 C 23.15 - BVerwGE 155, 381m.w.N.). Der Verordnungsgeber ging wohl davon aus, dass er mit der Bescheinigung nach § 8 Abs. 1 und den nach § 8 Abs. 4 BmTierSSchV erforderlichen Ergänzungen auch eine Ausfuhrbescheinigung abschließend geregelt hat. Weil weder Art. 3 Abs. 1 Buchst. g) UAbs. 1 Richtlinie 90/425/EWG noch Art. 3 Abs. 1 der Entscheidung 93/444 EWG in § 8 Abs. 4 i.V.m. Anlage 3 Spalte 3 BmTierSSchV aufgeführt sind, ist deswegen der Inhalt der Bescheinigungen nach § 8 BmTierSSchV je nach Bestimmungsdrittland um den nach Art. 3 der Entscheidung 93/444 EWG erforderlichen Inhalt zu ergänzen. Dies scheint wohl auch gängige Behördenpraxis zu sein. So heißt es auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft
8
(https://www.bmel.de/DE/Tier/TierhandelTransport/Drittlaender/Drittlaender_node.html; jsessionid=BEE0919CA07839FB03B225CF5EEF665B.1_cid358):
9
„Durch BMEL abgestimmte Veterinärbescheinigungen gewährleisten einheitliche veterinärhygienische Ausfuhrbedingungen.
10
Die Ausfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen ist nicht generell an eine zwischen dem BMEL und dem Veterinärdienst des Drittstaates abgestimmte Veterinärbescheinigung gebunden. Es werden auch Veterinärbescheinigungen den Handelsbeteiligten unmittelbar durch Drittstaaten zur Verfügung gestellt oder zwischen den Handelspartnern direkt vereinbart, wenn die zuständigen Behörden des Drittstaates mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden sind. Die durch das BMEL abgestimmten Veterinärbescheinigungen haben jedoch den Vorteil, dass die veterinärhygienischen Ausfuhrbedingungen für alle aus Deutschland in den jeweiligen Drittstaat stattfindenden Exporte vereinheitlicht sind. Die Verhandlungen bieten auch die Chance, mit dem Drittland in einen Dialog zu treten, bei dem auch tiergesundheits- und tierschutzrelevante Themen diskutiert werden können. Dem BMEL ist es ein wichtiges Anliegen, zukünftig Anforderungen an den Tierschutz in diesen Verhandlungen mit Drittländern zu erörtern und diese Anforderungen in die abgestimmten Export-Veterinärbescheinigungen aufzunehmen.
11
Die abgestimmten Veterinärbescheinigungen stehen den für die Zertifizierung von Sendungen in Drittstaaten zuständigen Veterinärbehörden in den Ländern zur Verfügung.
12
Darüber hinaus gibt es EUeinheitliche Veterinärbescheinigungen für Tiere und tierische Erzeugnisse, die zwischen der EU und bestimmten Drittstaaten wie zum Beispiel der Russischen Föderation abgestimmt wurden.“
13
Der Antragsgegner hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts, wonach er verpflichtet ist, eine Gesundheitsbescheinigung nach § 8 Abs. 1 BmTierSSchV allein bei Vorliegen der tierseuchenrechtlichen Voraussetzungen zu erteilen, bisher nicht mit der Beschwerde angefochten. Deshalb ist Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage, ob eine solche Bescheinigung abschließend ist oder gegebenfalls durch weitere Angaben zu ergänzen ist. Nach der bestehenden Gesetzeslage ist der Transport zu einer zugelassenen Sammelstelle keiner Genehmigungspflicht unterworfen. Mit der Erteilung des tierseuchenrechtlichen Zeugnisses ist weder eine behördliche Genehmigung des Transportes zur Sammelstelle noch eine Genehmigung der Ausfuhr in das Bestimmungsdrittland, hier also Usbekistan, verbunden. Gerade letzteres liegt im Verantwortungsbereich (vgl. hierzu EuGH, U.v. 23.4.2015 - C424/13 - juris) der zuständigen Behörden des Ortes der Sammelstelle, also des Landkreises …
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
15
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
16
Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO nicht anfechtbar.