Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 15.05.2019 – 1 AR 36/19
Titel:

Zulässigkeit einer Zuständigkeitsbestimmung für Beweisverfahren

Normenkette:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Die Zweckmäßigkeitserwägungen, welche bei Beweissicherungsverfahren die Anwendung von § 36 Abs. 1 ZPO auch nach Eintritt der Rechtshängigkeit rechtfertigen, finden ihre Grenze dort, wo ein Rechtsstreit bereits so weit fortgeschritten ist, dass das bestimmende Gericht sich vernünftigerweise nur noch für das bereits mit der Sache befasste Gericht entscheiden und deshalb von einer echten Bestimmung des zuständigen Gerichts an sich keine Rede mehr sein kann. Diese Zäsur wird etwa als erreicht angesehen, wenn gegen einen oder mehrere Beklagte bereits sachlich entschieden worden ist oder eine Beweisaufnahme zur Hauptsache stattgefunden hat oder unmittelbar bevorsteht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtsstand, Bestimmung, Beweisverfahren, Rechtshängigkeit
Vorinstanz:
LG Augsburg, Beschluss vom 22.12.2017 – 061 OH 1429/17
Fundstelle:
BeckRS 2019, 8719

Tenor

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin hat wegen Baumängeln eines in Luxemburg gelegenen Bauvorhabens bei dem Landgericht Augsburg Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gestellt, der sich zunächst nur gegen die Antragsgegnerin zu 1) richtete.
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Nach dem Vortrag der Antragstellerin hat sie die Antragsgegnerin zu 1), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Sitz im Landgerichtsbezirk Karlsruhe, als Statikerin beauftragt und bei Auftragserteilung vereinbart, dass Gerichtsstand Augsburg sein soll.
3
Das als Anlage ASt 1 vorgelegte „Verhandlungsprotokoll“ nennt als Auftraggeberin eine Kommanditgesellschaft, die ausweislich des Handelsregisters formwechselnd in die Antragstellerin umgewandelt wurde; es wird von der Antragstellerin als Vertrag zwischen ihr und der Antragsgegnerin zu 1) bezeichnet.
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Der Antragsgegner zu 2) ist Insolvenzverwalter. Nach dem Vortrag der Antragstellerin hat sie den Insolvenzschuldner mit der Ausführung der Glasmontage beauftragt und bei Auftragserteilung vereinbart, dass Gerichtsstand Augsburg sein soll. Auch in dem als Anlage ASt 2 vorgelegten weiteren „Verhandlungsprotokoll“ wird die erwähnte Kommanditgesellschaft als Auftraggeberin genannt. Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2017 (Anlage ASt 5) hat die jetzige Antragsgegnerin zu 1) dem Insolvenzschuldner, „vertreten durch“ den Antragsgegner zu 2), den Streit verkündet. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2017 (ASt 6) ist der jetzige Antragsgegner zu 2) dem Verfahren beigetreten.
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Am 22. Dezember 2017 hat das Landgericht Augsburg einen Beweisbeschluss (Anlage ASt 4) erlassen.
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Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2019 hat die Antragstellerin den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens auf den Antragsgegner zu 2) erweitert, der mit Schriftsatz vom 26. Februar 2019 (ASt 3) beantragt hat, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Das Insolvenzverfahren werde vor dem Amtsgericht Aalen geführt. Da die Antragstellerin die mögliche Verantwortlichkeit des Insolvenzschuldners für Mängel geltend mache, die vor Insolvenzeröffnung begründet worden sein sollen, handle es sich in der Hauptsache um Insolvenzforderungen. Für eine solche Klage wäre gemäß § 180 Abs. 1 InsO das Gericht zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehöre. Eine entsprechende ausschließliche Zuständigkeit ergebe sich gemäß § 486 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch für das selbständige Beweisverfahren.
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Die Antragstellerin hat darauf mit Schriftsatz vom 8. März 2019 Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gestellt und angeregt, das Landgericht Augsburg zu bestimmen.
8
Auf den Hinweis, eine Gerichtsstandsbestimmung könne nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm - wie im Klageverfahren - im selbständigen Beweisverfahren nicht mehr erfolgen, wenn die Beweisaufnahme bereits begonnen habe, hat die Antragstellerin ausgeführt, dass diese Rechtsprechung nicht überzeuge. Eine Gerichtsstandsbestimmung käme nur dann nicht mehr in Betracht, wenn das Verfahren so weit fortgeschritten sei, dass die Verfahrensgrundrechte der neu beteiligten Parteien nicht mehr angemessen berücksichtigt werden könnten. Dies sei hier nicht der Fall. Den Sachverhalt könne der Antragsgegner ohnehin nicht beeinflussen, da er im selbständigen Beweisverfahren vom Antragsteller bestimmt werde. Der Antragsgegner zu 2) sei dem Verfahren lange vor Erlass des Beweisbeschlusses beigetreten. Ein Ortstermin habe bislang noch nicht stattgefunden.
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Die Antragsgegner haben sich zu dem Bestimmungsantrag nicht geäußert.
II.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung über den Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO berufen, weil der mit der Antragsgegnerin zu 1) vereinbarte Gerichtsstand, an dem derzeit das selbständige Beweisverfahren anhängig ist, und das Insolvenzgericht, an dem das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragsgegners zu 2) geführt wird, in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Stuttgart) liegen und das zuerst mit der Sache befasste Gericht in Bayern liegt.
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2. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
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Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch für ein selbständiges Beweisverfahren vorgenommen werden (BayObLG, Beschluss vom 24. September 1991, AR 1 Z 75/87, BayObLGZ 1991, 343/344). Bereits der Verfahrensstand steht der beantragten Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts jedoch entgegen. Daher ist nicht mehr darauf einzugehen, dass das Verfahren nicht - wie von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich vorausgesetzt - am allgemeinen Gerichtsstand eines der angeblichen Streitgenossen geführt werden soll und die Antragstellerin bindend (§ 35 ZPO) im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1) das Gericht am Ort der Gerichtsstandsvereinbarung gewählt hat.
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a) Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO über den Wortlaut der Norm hinaus auch dann noch in Betracht kommt, wenn die Antragsgegner bereits vor einem Gericht verklagt wurden und einzelne von ihnen die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 27. November 2011, X ARZ 321/18, juris Rn. 10; Beschluss vom 23. Februar 2011, X ARZ 388/10, NJW-RR 2011, 929 Rn. 6 f.; Toussaint in BeckOK, ZPO, 32. Edition Stand 1. März 2019, § 36 Rn. 19). Ebenso ist anerkannt, dass eine Zuständigkeitsbestimmung auch im selbständigen Beweisverfahren erfolgen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010, Xa ARZ 14/10, NJW-RR 2010, 891 BayObLG, Beschluss vom 21. August 2002, 1Z AR 82/02, juris Rn. 6 m. w. N.). Der Gerichtsstandsbestimmung steht daher nicht von vornherein entgegen, dass das selbständige Beweisverfahren bereits anhängig ist (BayObLG, Beschluss vom 21. August 2002, 1Z AR 82/02, juris Rn. 7).
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b) Die Zweckmäßigkeitserwägungen, welche die Anwendung von § 36 Abs. 1 ZPO auch nach Eintritt der Rechtshängigkeit rechtfertigen, finden ihre Grenze allerdings dort, wo ein Rechtsstreit bereits so weit fortgeschritten ist, dass das bestimmende Gericht sich vernünftigerweise - namentlich aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit - nur noch für das bereits mit der Sache befasste Gericht entscheiden und deshalb von einer echten Bestimmung des zuständigen Gerichts an sich keine Rede mehr sein kann. Diese Zäsur wird etwa als erreicht angesehen, wenn gegen einen oder mehrere Beklagte bereits sachlich entschieden worden ist oder eine Beweisaufnahme zur Hauptsache stattgefunden hat (BGH, Beschluss vom 27. November 2018, X ARZ 321/18, NJW-RR 2019, 238 Rn. 14 m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 10. November 1987, AR 1 Z 84/87, BayObLGZ 1987, 389/390) oder unmittelbar bevorsteht (OLG Schleswig, Beschluss vom 19. Juli 2007, 2 W 107/07, juris Rn. 11; OLG Bremen, Beschluss vom 9. August 2010, 3 AR 8/10, MDR 2011, 188; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 26; Toussaint in BeckOK, ZPO, § 36 Rn. 21).
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Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin ein, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Oktober 1977 (I ARZ 513/77, NJW 1978, 321) sei seitdem „kritiklos“ übernommen worden. Soweit sie von der „Begründetheit des Antrags“ spricht, übersieht sie, dass das Gericht bei der Bestimmung nicht an den Antrag der Parteien gebunden ist, sondern die Entscheidung nach Zweckmäßigkeitserwägungen trifft. Das Ermessen ist im Lichte der Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers auszuüben, wonach die Klagepartei grundsätzlich die beklagte Partei an deren Gerichtsstand aufzusuchen hat (Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 36 Rn. 31). Dies würde unterlaufen, wenn mit Blick auf das fortgeschrittene Verfahrensstadium, das Gericht als das gemeinsam zuständige bestimmt werden müsste, das die Klagepartei zunächst angerufen hat.
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Diese Überlegungen gelten nach - soweit ersichtlich - einhelliger Meinung auch im selbständigen Beweisverfahren (OLG Hamm, Beschluss vom 30. August 2012, I-32 SA 76/12, MDR 2013, 116 Rn. 11; Schultzky a. a. O.; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2015, § 486 Rn. 8). Die Zuständigkeitsbestimmung hat danach zu unterbleiben, wenn von dem angerufenen Gericht bereits Beweisanordnungen getroffen und ein Sachverständiger beauftragt worden ist (OLG Naumburg, Beschluss vom 10. Oktober 2013, 1 AR 19/13, BauR 2014, 1038 Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Januar 2018, I-32 SA 63/17, NJW-RR 2018, 318 Rn. 9). Der Umstand, dass das mit einem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens befasste Gericht die Beweisbedürftigkeit und die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Tatsachen nicht überprüfen darf (BGH, Beschluss vom 4. November 1999, VII ZB 19/99, MDR 2000, 224; Herget in Zöller, ZPO, § 490 Rn. 3), führt jedenfalls im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Denn hier liegt der Erlass des Beweisbeschlusses, mit dem ein Sachverständiger mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt wurde (Anlage ASt 4) bereits über ein Jahr zurück. Auch wenn nach dem Vortrag der Antragstellerin noch kein Ortstermin stattgefunden hat, ist angesichts des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums der Zweck der Gerichtsstandsbestimmung nicht mehr erreichbar. Dass der Antragsgegner zu 2) als Streithelfer zur Wahrung seiner Interessen Prozesshandlungen vornehmen konnte (§ 67 ZPO), ist insoweit ohne Bedeutung.