Inhalt

OLG München, Beschluss v. 20.09.2019 – 28 U 2914/17
Titel:

Unzulässigkeit der Hilfsaufrechnung wegen Überwachungsfehlern

Normenkette:
BGB § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1
Leitsatz:
Maßgeblich ist, dass - soweit Bausubstanz verarbeitet wird - die Privatautonomie den Parteien die Möglichkeit gibt, sich auf den anzusetzenden Betrag zu verständigen. Ob der gewählte Betrag zutreffend ist oder nicht, ist nicht entscheidungserheblich, weshalb die weiteren Ausführungen in der Gegenerklärung nicht greifen. Ein Verstoß gegen die Höchstsätze ist - unabhängig von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 4.7.2019 (C-377/17), BeckRS 2019, 13028 - bereits nicht ersichtlich. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufrechnung, Ermittlung, Fortbildung des Rechts, Gegenerklärung, Gesamtschuldner, Gesamtschuldnerausgleich, Hilfsaufrechnung, Honoraranspruch, Honorarforderung, Werklohnforderung, Bausubstanz, Überwachungsfehler
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 23.07.2019 – 28 U 2914/17
LG München I, Endurteil vom 27.07.2017 – 11 O 21380/03
Fundstelle:
BeckRS 2019, 63471

Tenor

1. Der Kläger ist des Rechtsmittels der Berufung verlustig.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 27.07.2017, Aktenzeichen 11 O 21380/03, wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe auf Klägerseite im Berufungsverfahren zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 103.128,53 € festgesetzt.

Gründe

1
I. Das Landgericht sprach dem Kläger Architekten ... den geltend gemachten Architektenhonoraranspruch in Höhe von etwa 100.000 Euro zu, da dieser berechtigt den Umfang der mitverarbeiteten Bausubstanz mit 650.000 Euro beziffert habe und der Honoraranspruch nicht durch Aufrechnung erloschen sei.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2017 Bezug genommen.
3
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese einwenden, das Erstgericht habe bei Ermittlung der Honorarforderung fehlerhaft einen zu hohen Betrag für die verarbeitete Bausubstanz angesetzt; auch sei die Honorarforderung durch Aufrechnungen erloschen. Die Beklagten haben ihre Verteidigung mittels der Prozessaufrechnungen im Rechtsstreit mehrfach neu ausgerichtet; zuletzt haben die Beklagten hilfsweise allein die Aufrechnung mit Ansprüchen im Zusammenhang mit dem mangelhaften Einbau von Fenstern, Türen und Rollos erklärt.
Im Berufungsverfahren wird beantragt:
4
Die Beklagten beantragen,
I. Das Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2017 wird aufgehoben, soweit es der Klage stattgibt und die Widerklage abweist.
I. Es wird festgestellt, dass der Widerbeklagte und der Drittwiderbeklagte gesamtverbindlich den Widerklägern den Schaden zu ersetzen haben, der den Widerklägern dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, dass durch fehlerhafte Planung und Überwachung die Drainage um das Anwesen der Widerkläger in der I.straße 3 in … M. nicht den Forderungen der DIN 4049 entspricht, insbesondere zu hoch liegt, ein falsches Gefälle aufweist und keine Sickerschächte/ Spül-Rollschächte hat, so dass es zu Wassereintritten in das Gebäudeinnere kommt.
I. Es wird festgestellt, dass eine Entscheidung über die von den Beklagten und Widerklägern mit Schriftsatz vom 22.05.2017 mit Ansprüchen gemäß Schriftsatz vom 22.09.2010 (Nr. 1 -105) nicht ergeht.
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Die Berufungsbeklagten beantragen
die Berufung zurückzuweisen.
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Die vom Streithelfer der Beklagten eingelegte Berufung wurde nicht begründet (Bl. 1043); die von dem Kläger und Drittwiderbeklagten eingelegte Berufung wurde zurückgenommen (Bl. 1137). Der Senat hat mit Verfügung vom 23.7.2019 einen umfangreichen Hinweis erteilt, auf den die Beklagten Gegenerklärungen abgegeben haben (Schriftsätze vom 16.9. und 17.9.2019).
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II. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.07.2017, Aktenzeichen 11 O 21380/03, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Im Hinblick auf die Gegenerklärungen sind folgende Ausführungen veranlasst:
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1. Die Beklagten sind der Ansicht, dass die mitverarbeitete Bausubstanz fehlerhaft zu hoch angesetzt worden sei.
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Der Senat hat sich in seinem Hinweis ausführlich zu dieser Frage geäußert. Die Parteien haben den Umfang der mitverarbeitende Bausubstanz vertraglich fixiert. Dies ist im Rahmen der Privatautonomie möglich. Eine Auslegung ergibt, dass in den hierbei maßgeblichen Leistungsphasen jeweils der vereinbarte Betrag zum Tragen kommen soll, nachdem es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Parteien den Betrag für unterschiedliche Leistungsphasen aufsplitten wollten.
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Der Verweis in der Gegenerklärung auf die BGH-Entscheidung vom 27.2.2002 greift nicht. Der Bundesgerichtshof hat nicht entschieden, dass der vereinbarte Betrag in unterschiedlichen Teilen bei den einzelnen Leistungsphasen anzusetzen ist. Für den vorliegenden Rechtsstreit ist allein maßgeblich, dass - soweit Bausubstanz verarbeitet wird - die Privatautonomie den Parteien die Möglichkeit gibt, sich auf den anzusetzenden Betrag zu verständigen. Ob der gewählte Betrag zutreffend ist oder nicht, ist nicht entscheidungserheblich, weshalb die weiteren Ausführungen in der Gegenerklärung nicht greifen. Ein Verstoß gegen die Höchstsätze ist - unabhängig von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 4.7.2019 (C-377/17) - bereits nicht ersichtlich.
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2. Im Berufungsverfahren haben die Beklagten, soweit sie sich mit Prozessaufrechnungen verteidigt haben, die Verteidigung zuletzt allein auf die möglichen Gegenansprüche aus dem Gewerk „Fenster, Türen, Rollos“ beschränkt. Die weiter erklärten Prozessaufrechnungen wurden zurückgenommen, so dass hierüber keine gerichtliche Entscheidung getroffen wurde.
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2. Der Senat hält an seiner Einschätzung im vorgenannten Hinweis fest, dass die Hilfsaufrechnung wegen Überwachungsfehlern im Hinblick auf das mangelhafte Gewerk „Fenster, Türen und Rollos“ (§§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB) unzulässig ist und daher auch keine der Rechtskraft fähige Entscheidung hierüber ergeht.
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Aufgrund der vorliegenden Gesamtumstände ist eine Aufrechnung treuwidrig. Die Gegenerklärung hat insoweit einzelne Gesichtspunkte isoliert betrachtet und vrekenn dabei, dass für den Senat die Zusammenschau maßgeblich ist. Daher greift der Einwand der Gegenerklärung nicht, dass die - streitige - Werklohnforderung über 100.000 Euro im Verhältnis zum behaupteten Gegenanspruch über 150.000 Euro deutlich geringer ausfällt.
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Der Senat folgt auch nicht der Argumentation der Beklagten, dass die Werklohnforderung gekürzt und daher nicht zu berücksichtigen sei. Für den Senat ist maßgeblich, dass die Beklagten die Vergütung für das o.g. Gewerk in erheblichem Umfang zurückgehalten haben, die Vergütung anderweitig rechtshängig ist und der Rückhalt im Verhältnis Beklagte/Unternehmer auch im Verhältnis zum Kläger zu berücksichtigen ist. Ferner wurde berücksichtigt, dass die im Raum stehenden Beträge überwiegend streitig sind, die Beklagten tatsächlich den Unternehmer gerichtlich in Anspruch genommen haben und die streitigen Fragen dort anhängig sind. Im Rahmen des dolo agit-Hinweises verkennen die Beklagten, dass der Gesamtschuldnerausgleich der dann entstehenden Fälligkeit der Werklohnforderung nicht entgegengehalten werden kann. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände, war die Aufrechnung nicht zuzulassen.
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3. Mit der o.g. Beschränkung haben die Beklagten konkludent den Feststellungsantrag 2 zurückgenommen.
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Der Feststellungsantrag 3 ist durch die obigen Ausführungen zu Ziff. 2 entbehrlich. Da die Beklagten sich im gerichtlichen Verfahren zuletzt allein auf die Prozessaufrechnung „Fenster, Türen, Rollos“ beschränkt haben, erging im gesamten Rechtsstreit keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über irgendeine Prozessaufrechnung.
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Die Berufung der Beklagten ist daher zurückzuweisen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 101 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 3 ZPO, 47, 48 GKG bestimmt.