Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.03.2019 – 1 AR 26/19
Titel:

Keine Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses bei offensichtlicher eigener Zuständigkeit

Normenkette:
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
Leitsatz:
Ein Verweisungsbeschluss kann insbesondere dann den Charakter einer willkürlichen Maßnahme haben, wenn sich das Gericht - bewusst oder unbewusst - darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung die eigene Unzuständigkeit voraussetzt, bei offensichtlich gegebener eigener Zuständigkeit also nicht möglich ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verweisung, Bindungswirkung, Willkür, eigene Zuständigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2019, 6004

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht Offenburg.

Gründe

1
I. Die Klägerin, ein Marketing- und Seminarservice mit Sitz in L, begehrt mit ihrer zum Landgericht Landshut erhobenen Klage von dem Beklagten als Inhaber eines Fitnessstudios Zahlung einer vertraglich vereinbarten Vertragsstrafe und Auskunft. Der Beklagte hat seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Offenburg.
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Nach dem zwischen den Parteien am 16. Dezember 2013 geschlossenen Vertrag (Anlage K 1) wird unter Vollkaufleuten der Firmensitz der Klägerin als Gerichtsstand vereinbart.
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Der Beklagte hat in der Klageerwiderung die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Landshut gerügt und Verweisung an das zuständige Landgericht Offenburg beantragt. Er sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Vollkaufmann gewesen, so dass die Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam sei.
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Nach dem Einwand der Klägerin, der Beklagte sei seiner Darlegungs- und Beweislast nach § 1 Abs. 2 HGB bislang nicht nachgekommen, führte der Beklagte aus, er habe zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als Einzelunternehmer ein kleines Fitnesscenter betrieben und lediglich zwei festangestellte Mitarbeiter und zwei Aushilfen beschäftigt. Das Anlagevermögen habe 2012 49.936,50 € und 2013 37.879,50 € betragen, die Bilanzsumme 2012 59.061,11 € und 2013 42.169,75 €. Der Gewinn habe 2013 62.031,00 € betragen. Buchführung und Lohnabrechnungen seien durch den Steuerberater erstellt worden. Kredite hätten in den Jahren 2012 und 2013 nicht bestanden. Damit sei offensichtlich, dass das Unternehmen einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert habe.
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Die Klägerin beantragte die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Offenburg, nachdem das Landgericht Landshut mit Verfügung vom 20. November 2018 - näher begründete Zweifel - an seiner Zuständigkeit geäußert, allerdings weitere Informationen als „zielführend“ angesehen und den Parteien Gelegenheit zu Stellungnahme gegeben hatte. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2018 erklärte sich das Landgericht Landshut für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Offenburg. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam, da der Beklagte bei Abschluss kein Vollkaufmann gewesen sei (§ 38 ZPO).
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Das Landgericht Offenburg erklärte sich mit Beschluss vom 11. Dezember 2018 für unzuständig und verwies das Verfahren an das Landgericht Landshut zurück. Der Beschluss des Landgerichts Landhut sei willkürlich und entfalte daher keine Bindungswirkung i.S.d. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Die Klägerin habe mit ihrer Klagerhebung bereits von ihrem Wahlrecht nach § 35 ZPO Gebrauch gemacht. Für die Zulässigkeit der Prorogation genüge der - zwischen den Parteien unstreitige - bloße Umstand, dass der Beklagte ein Gewerbe betreibe. Das Landgericht Landshut habe selbst Zweifel geäußert, ob die von dem Beklagten für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Hs. 2 HGB angeführten Umstände ausreichten, um sich darüber aufgrund eines nach mehrfachem Insistieren gestellten Verweisungsantrags ohne weitere Begründung hinwegzusetzen, was ebenfalls die objektive Willkür belege. Ob der Verweisungsbeschluss auch deshalb nicht bindend sei, weil dem Beklagten zu dem Verweisungsantrag vor der Entscheidung kein weiteres rechtliches Gehör gewährt worden sei, könne dahin stehen.
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Mit Beschluss vom 20. Februar 2019 legte das Landgericht Landshut die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht vor mit der Bitte um Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6. ZPO.
II.
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Auf die zulässige Vorlage des Landgerichts Landshut ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Offenburg auszusprechen.
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1. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.). Das Landgericht Landshut und das Landgericht Offenburg haben sich bindend für unzuständig erklärt; das Landgericht Landshut durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 4. Dezember 2018 (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das Landgericht Offenburg durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung unter gleichzeitiger Zurückverweisung vom 11. Dezember 2018. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Kompetenz erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1987, I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338/340 m. w. N; Beschluss vom 19. Februar 2013, X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 5).
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Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zum Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Oberlandesgerichte gehören und das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.
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2. Örtlich zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO das Landgericht Offenburg, weil es an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Landshut gebunden ist.
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a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1987, I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338/340; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634/3635; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2017 X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 12; vgl. auch Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).
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Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 15. August 2015, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15 m. w. N.; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 17).
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b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Landshut nicht als willkürlich anzusehen, sondern entfaltet die im Gesetz vorgesehene Bindungswirkung.
15
Ein Verweisungsbeschluss kann insbesondere dann den Charakter einer willkürlichen Maßnahme haben, wenn sich das Gericht - bewusst oder unbewusst - darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung die eigene Unzuständigkeit voraussetzt, bei offensichtlich gegebener eigener Zuständigkeit also nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993, X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273; Beschluss vom 10. September 2002, a. a. O.; BayObLG, Beschluss vom 9. September 1993, 1Z AR 25/93, BayObLGZ 1993, 317/319; Beschluss vom 16. Oktober 2003, 1Z AR 115/03, juris Rn. 14).
16
Ein derartiger Fall liegt hier jedoch entgegen der Meinung des Landgerichts Offenburg, wonach die Klägerin durch Klageerhebung zum Landgericht Landshut ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO ausgeübt habe, nicht vor.
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Das Vorliegen der von der Klägerin behaupteten Prorogation im kaufmännischen Verkehr gemäß § 38 Abs. 1 ZPO ist von dem Gericht von Amts wegen zu prüfen (Schultzky in Zöller, ZPO, § 38 Rn. 49). Dessen war sich das Landgericht Landshut bewusst, wie die Verfügung vom 20. November 2018 und die Begründung des Verweisungsbeschlusses zeigen.
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Kaufleute sind neben Handelsgesellschaften (§ 6 Abs. 1 HGB) und eingetragenen Kaufleuten (§§ 2, 5 HGB) nach § 1 Abs. 1 und 2 HGB Einzelpersonen, die ein Handelsgewerbe i. S. d. Handelsgesetzbuches in kaufmännischer Weise betreiben (vgl. Schultzky a. a. O. § 38 Rn. 22). Dass letzteres auf ihn zutrifft, hat der Beklagte substantiiert bestritten. Die Klägerin hat dagegen nichts vorgebracht. Angesichts der vorgenommenen Sachverhaltswürdigung und der Auseinandersetzung mit den von den Parteien vorgetragenen Argumenten ist nichts dafür ersichtlich, dass das verweisende Gericht eine eindeutig gegebene eigene Zuständigkeit außer Acht gelassen hätte. Der vom Landgericht Offenburg zitierte Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. März 2002 (14 U 148/01, MDR 2002, 1269) betrifft eine andere Fragestellung, nämlich die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bei einer von der Klagepartei behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung bei Säumnis der beklagten Partei (§ 331 ZPO).
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Darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634/3636, Rn. 17 juris) das Einverständnis der Parteien dann nicht geeignet ist, einer rechtswidrigen Verweisung den Willkürcharakter zu nehmen, wenn ein unzweifelhaft zuständiges Gericht, von sich aus auf die angebliche Möglichkeit einer Verweisung hinweist, kommt es somit nicht an. Im Übrigen hat das Landgericht Landshut erst nach der Rüge der örtlichen Zuständigkeit durch den Beklagten auf die Möglichkeit eines Verweisungsantrags hingewiesen.
20
Den Parteien wurde von dem Landgericht Landshut vor der Verweisung rechtliches Gehör gewährt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, ZIP 2015, 1803 Rn. 16).